TE Lvwg Erkenntnis 2017/8/21 VGW-251/080/RP17/6285/2017

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Veröffentlicht am 21.08.2017
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Entscheidungsdatum

21.08.2017

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VVG §3
VVG §10

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Landesrechtspflegerin Horngacher über die Beschwerde des Herrn Dr. C. N. gegen die Vollstreckungsverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Buchhaltungsabteilung 32, vom 30.03.2017, Zahlungsreferenz: 700154092099 (Zl. der Strafbehörde MA 67-RV-16604/7/0), gemäß §§ 3 und 10 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG), BGBl. Nr. 53/1991,

zu Recht e r k a n n t:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und die angefochtene Vollstreckungsverfügung aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Mit Vollstreckungsverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6 – Rechnungs- und Abgabewesen, Buchhaltungsabteilung 32, vom 30.03.2017, Zahlungsreferenz: 700154092099, wurde gegen den Beschwerdeführer die Zwangsvollstreckung des Gesamtbetrages in der Höhe von EUR 80,-- gemäß §§ 3 und 10 VVG verfügt.

Der Beschwerdeführer führt in seinem gegen die spruchgegenständliche Vollstreckungsverfügung gerichteten Rechtsmittel wie folgt aus:

„Gegen die Vollstreckungsverfügung 700154092099 durch MA 6 BA32 erhebe ich in offener Frist

BESCHWERDE

Begründung: ich habe niemals einen Strafbescheid zu GZ MA 67 -RV 16604/7/0 zugestellt erhalten.

Mein Hauptwohnsitz ist seit 2008 in Rte. des T., M., Frankreich. An der Adresse C.-gasse (Zweitwohnsitz) in Wien halte ich mich nur selten auf und habe auch die Vollstreckungsverfügung nur durch Zufall erhalten.

Dr. C. N.

Rte des T.

M.

Frankreich“

(unkorrigiertes Originalzitat)

Die belangte Behörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte den Verwaltungsakt dem erkennenden Gericht vor.

Der gegenständlich bekämpften Vollstreckungsverfügung liegt eine an den Beschwerdeführer gerichtete Strafverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 17.02.2017, Zl. MA 67-RV-16604/7/0, zu Grunde.

Wegen Übertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) iVm § 24 Abs. 1 lit. n StVO 1960 wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe iHv EUR 80,-- (16 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe im NEF) verhängt.

Die Zustellung dieser Strafverfügung wurde nach Abfrage der Meldedaten des Beschwerdeführers durch die Verwaltungsstrafbehörde mit Rückscheinbrief RSb an dessen Nebenwohnsitz-Adresse in Wien, C.-gasse angeordnet.

Die RSb-Sendung wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch bei der Postgeschäftsstelle … Wien am 28.02.2017 hinterlegt und letztlich – mangels Behebung an die Verwaltungsstrafbehörde retourniert.

Die der Strafverfügung vom 17.02.2017 vorangegangene Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers vom 26.01.2017 zur Zahl MA 67-RV-126811/6/7, gerichtet an die Zulassungsbesitzerin des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen W-…, Frau Dr. E. N., wurde von dieser fristgerecht mittels der Internet-Applikation „Lenkerauskunft Online“ beantwortet. Darin wurde angegeben, dass zum angefragten Tatzeitpunkt das Fahrzeug von Herrn Dr. C. N., geb. 1955, wohnhaft in Frankreich, M., Rte des T., an verfahrensgegenständlicher Örtlichkeit abgestellt wurde.

Die obigen Feststellungen gründen sich auf dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie dem Inhalt des gegenständlichen Gerichtsaktes.

Das Verwaltungsgericht Wien hat dazu erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des VVG lauten wie Folgt:

„Eintreibung von Geldleistungen

§ 3. (1) Die Verpflichtung zu einer Geldleistung ist in der Weise zu vollstrecken, dass die Vollstreckungsbehörde durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften die Eintreibung veranlasst. In diesem Fall schreitet die Vollstreckungsbehörde namens des Berechtigten als betreibenden Gläubigers ein. Die Vollstreckungsbehörde kann die Eintreibung unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Abgaben selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist.

(2) Der Vollstreckungstitel muss mit einer Bestätigung der Stelle, von der er ausgegangen ist, oder der Vollstreckungsbehörde versehen sein, dass er einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht mehr unterliegt (Vollstreckbarkeitsbestätigung). Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 der Exekutions-ordnung – EO, RGBl. Nr. 79/1896, sind bei der Stelle zu erheben, von der der Vollstreckungstitel ausgegangen ist.

(3) Natürliche Personen, juristische Personen des Privatrechts sowie der Bund, die Länder und die Gemeinden können die Eintreibung einer Geldleistung unmittelbar beim zuständigen Gericht beantragen. Andere juristische Personen des öffentlichen Rechts können dies nur, soweit ihnen zur Eintreibung einer Geldleistung die Einbringung im Verwaltungsweg (politische Exekution) gewährt ist.

Verfahren

§ 10. (1) Auf das Vollstreckungsverfahren sind, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, der I. Teil, hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung die §§ 58 Abs. 1 und 61 und der 2. und 3. Abschnitt des IV. Teiles des AVG sinngemäß anzuwenden.

(2) Die Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Vollstreckungsverfügung hat keine aufschiebende Wirkung.“

Nach § 2 Z 4 des Zustellgesetzes - ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 (in der Neunummerierung nach dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 5/2008; ehemals Z 5 in der gleichlautenden Fassung des BGBl. I Nr. 10/2004), ist eine "Abgabestelle" im Sinne des ZustG definiert als "die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort."

§ 17 ZustG (dessen Absätze zuletzt novelliert durch das Verwaltungsverfahrens und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007), samt Überschrift lautet auszugsweise wie folgt:

"Hinterlegung

§ 17. (1)  Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in der selben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2)  Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3)  Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereit gehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4)  Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."

Voraussetzung für eine Vollstreckung ist, dass überhaupt ein entsprechender Titelbescheid vorliegt, dass dieser gegenüber dem Verpflichteten wirksam geworden ist und dass der Verpflichtete seiner Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist und bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens nicht nachgekommen ist (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 19.9.1996, Zl. 96/07/0081 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die Vollstreckbarkeit des Titelbescheides ist grundsätzlich eine Folge der Rechtskraft und tritt somit im Zweifel erst mit dieser gemeinsam ein (vgl. VwGH 28.4.1992, Zl. 92/08/0078).

Als Titelbescheid wird im gegenständlichen Verfahren die vorgenannte, an den Beschwerdeführer gerichtete, Strafverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 17.02.2017, Zl. MA 67-RV-16604/7/0, angesehen. Die Zustellung dieser Strafverfügung wurde an die Adresse in Wien, C.-gasse verfügt.

Der Beschwerdeführer ist laut Zentralmelderegister an dieser Adresse mit Nebenwohnsitz gemeldet.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde bestätigt, mit "Nebenwohnsitz" in Wien, C.-gasse gemeldet zu sein. Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass er seit 2008 in Frankreich, M., Rte des T. seinen Hauptwohnsitz hat und sich an der Adresse in Wien, C.-gasse nur selten aufhalte und er die verfahrensgegenständliche Vollstreckungsverfügung nur durch Zufall erhalten habe. Die vom Beschwerdeführer genannte Hauptwohnsitz-Adresse in Frankreich wurde auch von der Zulassungsbesitzerin bei der Lenkerauskunft angegeben.

In rechtlicher Hinsicht kommt der Eintragung im Zentralen Melderegister zwar Indizwirkung zu, sie bietet aber keinen Beweis für eine Wohnadresse (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 22.12.2015, Ra 2015/06/0086).

Unter einer "Wohnung" (§ 2 Z 4 ZustG) ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs jene Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt. Der dazu erforderliche regelmäßige Aufenthalt des Empfängers ist dabei nach objektiven Gesichtspunkten ex post und ohne Rücksicht darauf zu beurteilen, wie sich die Verhältnisse dem Zustellorgan seinerzeit subjektiv geboten haben sowie ohne Rücksicht auf die Absichten des Empfängers. Eine "Wohnung" wird durch das Faktum des (regelmäßigen) Bewohntwerdens begründet (vgl. das Erkenntnis des VwGH vom 26.11.2008, 2005/08/0089; zur früheren Rechtslage vor dem Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 5/2008; aus der Literatur Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 (2011) § 2 ZustG Rz. 6 und Rz. 7a letzter Absatz; Larcher, Zustellrecht (2010), Rz. 147 bis 152; ebenso Gitschthaler in Rechberger (Hrsg.), Kommentar zur ZPO4 (2014) § 2 ZustG Rz. 7/1 und Rz. 8).

Der Beschwerdeführer hat - aufgrund seines als glaubwürdig gewerteten Vorbringens erwiesenermaßen (vgl. zum Beweismaß insbesondere das zitierte Erkenntnis des VwGH vom 9.9.2009, 2007/08/0227) - auf das Fehlen eines regelmäßigen Aufenthalts an der genannten Adresse in Wien verwiesen und damit der Sache nach das Vorliegen einer Abgabestelle an der genannten Adresse bestritten (und keine ausnahmsweise bzw. vorübergehende Abwesenheit von der Abgabestelle behauptet). Diesfalls geht es also nicht darum, ob der Beschwerdeführer von einer Abgabestelle abwesend war (und diesen Umstand und die Dauer der Abwesenheit von der Abgabestelle - durch geeignete Beweismittel belegt - hätte konkret darlegen müssen; vgl. dazu das insoweit zutreffend von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis des VwGH vom 22.9.1988, 88/08/0182; sowie zuletzt den Beschluss des VwGH vom 11.11.2015, Ra 2015/04/0086), sondern um die Frage, ob an der Adresse überhaupt wirksam hinterlegt werden durfte. Verneinte man diese Frage, weil sich der Beschwerdeführer an dieser Adresse nicht regelmäßig aufhält, dann läge eine unwirksame Zustellung vor, die erst mit dem tatsächlichen Zugang des Schriftstücks (Strafverfügung) gemäß § 7 ZustG heilt (vgl. abermals zu alldem das Erkenntnis des VwGH vom 26.11.2008, 2005/08/0089).

Die in Rede stehende RSb-Sendung (Strafverfügung) wurde von der belangten Behörde an die Adresse Wien, C.-gasse angeordnet, nach einem erfolglosen Zustellversuch bei der Postgeschäftsstelle … Wien am 28.02.2017 hinterlegt und letztlich - mangels Behebung - ungeöffnet an die Verwaltungsstrafbehörde retourniert, sodass auszuschließen ist, dass der Beschwerdeführer die Strafverfügung vom 17.02.2017 tatsächlich erhalten hat und so eine Sanierung der mangelhaften Zustellung gemäß § 7 ZustG eingetreten wäre.

Die gemäß § 17 Abs. 3 ZustG erfolgte Zustellung der in Rede stehenden Strafverfügung vom 17.02.2017 entfaltete aufgrund der obigen Ausführungen keine Rechtswirkungen.

Da im gegenständlichen Fall die Strafverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 17.02.2017, Zl. MA 67-RV-16604/7/0 nicht rechtswirksam an den Beschwerdeführer zugestellt wurde und daher konsequenterweise kein rechtskräftiger Titelbescheid vorliegt, ist die angefochtene Vollstreckungsverfügung vom 30.03.2017 zu Unrecht erlassen worden und es war demnach spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Eintreibung von Geldleistungen; Vollstreckungsverfahren; unwirksame Zustellung; Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.251.080.RP17.6285.2017

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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