TE OGH 2017/10/25 6Ob250/16g

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Veröffentlicht am 25.10.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Klaus Schiller als Masseverwalter im Konkurs der S***** GmbH, *****, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 400.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 12. Oktober 2016, GZ 2 R 145/16f-52, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 25. Juli 2016, GZ 26 Cg 31/14h-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.118,68 EUR (davon 512,28 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungs-gerichts – nicht zulässig. Die Zurückweisung wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Schuldnerin ist Tochtergesellschaft einer Gesellschaft mbH, deren Alleingesellschafter eine Privatstiftung ist. Ein Geschäftsführer und ein Prokurist der Beklagten waren Mitglieder des Vorstands der Privatstiftung, deren Zweck ua die Finanzierung von Unternehmen war, an der die Privatstiftung zu mehr als 40 % beteiligt war. Die Beklagte begleitete den Stifter und seine Unternehmungen in allen steuerlichen Belangen schon seit Jahren. Sie war von der Schuldnerin bis Ende 2011 mit deren steuerlichen Vertretung, der Erstellung der Bilanzen und Steuererklärungen sowie mit der Buchhaltung betraut. Der Stifter war Geschäftsführer sowohl der Schuldnerin als auch deren Muttergesellschaft.

Über Idee und Vorschlag der Beklagten schlossen die Privatstiftung, die Schuldnerin und deren Muttergesellschaft am 22. 12. 2010 die Vereinbarung, mit der die Privatstiftung eine Forderung von 1,08 Mio EUR gegen den Stifter mit einem Teilbetrag von 650.000 EUR an die Schuldnerin und 350.000 EUR an deren Muttergesellschaft übertrug. Mit der Forderungsübertragung sollte, um die Erstellung einer positiven Bilanz für das Jahr 2010 zu ermöglichen, das durch das negative Betriebsergebnis buchhalterisch aufgetretene negative Eigenkapital beseitigt und außerdem die Struktur der Verrechnungskonten vereinfacht werden. Zum 22. 12. 2010 lag eine positive Planungsrechnung vom 13. 12. 2010 für das erste Halbjahr 2011 vor. Die Grundlagen für die erstellten Planungen kamen vom Geschäftsführer der Schuldnerin.

Ausgehend davon, dass die Planungsrechnungen vom Geschäftsführer der Schuldnerin nach bestem Wissen erstellt wurden, das Unternehmen wegen des neuen Unternehmenskonzepts sich in einer Entwicklungsphase befand und die letzte – genaue – Planungsrechnung bereits kurz nach dem Ende des ersten Quartals 2011 und noch vor der Abgabe und Veröffentlichung des Jahresabschlusses erstellt wurde, schien wegen der sich daraus ergebenden Vorausschau bei der Erstellung der Bilanz 2010 nur infolge der erforderlichen Langfristigkeit der Tilgung der Schuld durch den Stifter maximal ein Abzinsungsbedarf.

Die Schuldnerin und deren Muttergesellschaft fielen im November 2012 in Konkurs. Die Privatstiftung wurde im März 2013 insolvent. Über das Vermögen des Stifters wurde im Dezember 2013 das Schulden-regulierungsverfahren eröffnet.

Der Kläger begehrt Schadenersatz von 400.000 EUR. Die Beklagte hätte als Erstellerin der Bilanz der Schuldnerin zum 31. 12. 2010 eine Forderung von 650.000 EUR gegen den Stifter über 650.000 EUR mangels ihr bekannter Werthaltigkeit in die Bilanz nicht einstellen dürfen. Zum 31. 12. 2010 sei die Schuldnerin insolvenzrechtlich relevant überschuldet und der Geschäftsführer zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet gewesen. Zum Insolvenzantrag hätte die Beklagte raten müssen. Dadurch wäre ein (Folge-)Schaden von rund 2,8 Milo Euro vermieden worden. Die Beklagte hafte wegen Beteiligung am „Kridadelikt“ des § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG.

Das Berufungsgericht bestätigte das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts. Die Planungsrechnung (Beilage ./20) noch vor Erstellung der Bilanz am 18. 4. 2011 habe die wertaufhellende Erkenntnis ergeben, dass die in die Buchhaltung zum Nominale eingestellte Forderung jedenfalls zu einem um 45 % abgeminderten Wert, aber in diesem Ausmaß werthaltig, eingestellt werden durfte, weil sie hätte zurückgezahlt werden können. Die vorläufige Übernahme der Forderung in die Buchhaltung zum Nominale und ihre nachfolgende Bewertung in der Bilanz zum 31. 12. 2010 stelle deshalb keine haftungsbegründende Sorgfaltswidrigkeit dar, weil es zulässig gewesen wäre, die Forderungen jeweils mit einer fachlich korrekten Abminderung von 45 % in die Bilanz einzustellen und die Bilanz dann das Eigenkapital auch noch nicht entscheidend im Minusbereich ausgewiesen hätte. Insoweit könne sich die Beklagte auf rechtmäßiges Alternativverhalten berufen.

Das Berufungsgericht hielt die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage der Einordnung von Umständen als wertaufhellend oder wertbeeinflussend Judikatur des Obersten Gerichtshofs fehle und auch in der Lehre darauf hingewiesen werde, dass nicht immer Einhelligkeit darüber bestehe, ob ein Ereignis als wertaufhellend oder wertbeeinflussend einzustufen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung über die Revision hängt von keinen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab.

1. Der Revisionswerber steht auf dem Standpunkt, dass die Planungsrechnung Beilage ./20 nicht als „wertaufhellende (werterhellende)“, sondern bloß als „wertbeeinflussende (wertbegründende)“ Tatsache anzusehen sei, sodass sie keine Rückschlüsse auf die Werthaltigkeit der Forderung zum Bilanzstichtag 31. 12. 2010 zulasse. Richtigerweise sei die Forderung im Umlaufvermögen nach dem strengen Niederstwertprinzip (§ 207 UGB) zu behandeln gewesen. Selbst im Anlagevermögen wäre aber eine deutliche Abwertung und nicht eine Bilanzierung zum Nominale vorzunehmen gewesen. Daraus hätte sich ein negatives Eigenkapital und somit die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ergeben.

2. Gemäß § 201 UGB hat die Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden, die in den Jahresabschluss aufzunehmen sind (§ 196 Abs 1 UGB), den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu entsprechen. So ist der Grundsatz der Vorsicht einzuhalten, insbesondere sind „erkennbare Risken und drohende Verluste, die in dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn die Umstände erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind“ (§ 201 Abs 2 Z 4 lit b UGB).

3. Die Fragen, ob bei der Aufstellung des Jahresabschlusses die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung eingehalten wurden und ob die Beklagte als mit der Erstellung des Jahresabschlusses Beauftragte die gesetzlich gebotene Sorgfalt eingehalten hat, sind Fragen der rechtlichen Beurteilung. Zu deren Lösung bedarf es eines entsprechenden Tatsachensubstrats (1 Ob 144/03p). Wie der Oberste Gerichtshof zum Vorsichtsprinzip (§ 201 Abs 2 Z 4 UGB) dabei ausgesprochen hat, ist zur Gewinnung dieses Tatsachensubstrats die Erörterung durch geeignete Sachverständige notwendig, um die im Einzelfall relevanten Feststellungen treffen zu können (§ 201 Abs 2 Z 4 UGB). Die Frage, welcher Wert einer Forderung zu einem bestimmten Zeitpunkt beizumessen ist, gehört zum Tatsachenbereich. Daher ist die vom Erstgericht festgestellte Schlussfolgerung des Sachverständigen, es wäre sachgerecht gewesen, die Forderung um 45 % abzuwerten, ebenso einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen wie die zu diesem Ergebnis führenden Methoden und Annahmen zB über die Einbringlichkeit der Forderung, die Wahrscheinlichkeit und Dauer der Tilgung und die gewählten Abzinsungszinssätze (vgl RIS-Justiz RS0043404 [T4]).

4. Im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 201 Abs 2 Z 4 lit b UGB wird zwischen Wertaufhellung und Wertbeeinflussung unterschieden. Um beurteilen zu können, ob nach dem Abschlussstichtag gewonnene Erkenntnisse zu berücksichtigen sind, sind Erkenntnisse über Ereignisse, die zu einer Aufhellung der Werte in der Bilanz führen (Werterhellungstheorie), von jenen Erkenntnissen über Ereignisse abzugrenzen, die sich lediglich auf die Zeit nach dem Abschlussstichtag beziehen und erst zu dieser Zeit wertbeeinflussend (Wertbeeinflussungstheorie) und daher bei der Bewertung zum Abschlussstichtag nicht zu berücksichtigen sind (Maresch in Zib/Dellinger, UGB § 201 Rz 107; Urnik/Urtz/Rohn in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 201 Rz 43). Erhellend sind zusätzliche Informationen über zum Bilanzstichtag bereits bestehende und somit objektiv erkennbare Verhältnisse. Zu berücksichtigen sind daher nicht nur die bereits am Abschlussstichtag selbst vorliegenden Informationen, sondern sämtliche Erkenntnisse, die bis zur Aufstellung des Jahresabschlusses über die wirklichen Verhältnisse zum Abschlussstichtag erlangt werden (Urnik/Urtz/Rohn in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 201 Rz 43; Maresch in Zib/Dellinger, UGB § 201 Rz 108).

5. Die Frage, ob die Planungsrechnung Beilage ./20 als zu berücksichtigender werterhellender Umstand oder als nicht zu berücksichtigendes wertbegründendes Ereignis einzustufen ist, bildet keine Frage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, weil die Frage der Abgrenzung zwischen werterhellenden und bloß wertbeeinflussenden Umständen ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Die ausführlich begründete Auffassung des Berufungsgerichts, dass durch die Planungsrechnug Beilage ./20 der bilanztechnische Wert der Forderung zum Bilanzstichtag nicht verändert wurde, sondern sich dadurch nur eine konkretere und bessere Beurteilungsmöglichkeit der nach der festgestelltermaßen fachgerechten Arbeitstechnik vorläufig zum Nominale in die Buchhaltung eingestellten Forderung ergab, ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen jedenfalls vertretbar.

6. Weshalb die Einordnung als Umlaufvermögen zu einer anderen Bewertung der Forderung hätte führen sollen, legt die Revision nicht dar.

7. Ein negatives Eigenkapital ist für sich allein noch kein Grund für einen Insolvenzantrag, sondern nur dann, wenn auch eine negative Fortbestehensprognose vorliegt (RIS-Justiz RS0064962). Nach den Feststellungen des Erstgerichts hätte ein positives Fortbestehen dargestellt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E119991

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00250.16G.1025.000

Im RIS seit

07.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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