TE Vfgh Erkenntnis 2017/9/21 E983/2017 ua

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Veröffentlicht am 21.09.2017
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §2, §35
FremdenpolizeiG 2005 §11, §11a, §26

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander infolge Unterlassens eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens im Hinblick auf das behauptete Verwandtschaftsverhältnis der Beschwerdeführer als Ehefrau und Kinder eines in Österreich subsidiär schutzberechtigten afghanischen Staatsangehörigen

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern die jeweils mit € 654,– (gesamt € 3.270,–) bestimmten Prozesskosten zu ungeteilten Handen ihrer Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Vorbringen und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, die am 7. Dezember 2015 bei der österreichischen Botschaft Islamabad (im Folgenden: ÖB Islamabad) Anträge auf Erteilung von Einreisetiteln gemäß §35 Asylgesetz 2005 (AsylG) iVm §26 Fremdenpolizeigesetz (FPG) stellten. Zur Begründung brachten die Beschwerdeführer vor, als Ehefrau (Fünftbeschwerdeführerin) und Kinder (Erstbeschwerdeführer, Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin) Familienangehörige eines namentlich bezeichneten in Österreich subsidiär Schutzberechtigten zu sein, dem am 24. April 2014 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.

2.       Mit Bescheid der ÖB Islamabad vom 22. Juni 2016 wurden die Anträge abgewiesen. Begründend wird auf die Mitteilungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) verwiesen, wonach es nicht wahrscheinlich sei, dass den Beschwerdeführern derselbe Schutz wie ihrer Bezugsperson im Bundesgebiet zuerkannt werden würde. Das BFA hätte mitgeteilt, dass "Zwangsehen, Telefonehen, Stellvertreterehen (bzw. 'Handschuhehen') oder Kinderehen (jünger als 16 Jahre bei der Eheschließung)" den österreichischen Grundwerten widersprächen und daher als ungültig anzusehen wären. Die vorgelegten Dokumente bestätigten nicht die behauptete Familieneigenschaft zur Bezugsperson in Österreich. Das BFA hätte außerdem mitgeteilt, dass gegen die Bezugsperson ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 AsylG anhängig sei.

3.       Mit den gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerden beantragen die Beschwerdeführer die Durchführung einer DNA-Analyse und bringen vor, dass der Ausgang des Aberkennungsverfahrens gegen die Bezugsperson gemäß §9 AsylG eine Vorfrage gemäß §38 AVG sei und die ÖB Islamabad das Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels daher aussetzen könne. Die Beschwerden wurden mit Beschwerdevorentscheidung der ÖB Islamabad vom 9. August 2016 als unbegründet abgewiesen. Im Wesentlichen wiederholte die ÖB Islamabad die Begründung, die sie bereits im Bescheid vom 22. Juni 2016 gegeben hatte.

4.       Am 22. August 2016 beantragten die Beschwerdeführer die Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Erkenntnis vom 13. Februar 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden ab. Unter Verweis auf VwGH 1.3.2016, Ro 2015/18/0002, führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es nicht an die Mitteilung des BFA gebunden sei, die Einschätzung des BFA jedoch teile. Auf Grund der widersprüchlichen Angaben der Fünftbeschwerdeführerin, der Bezugsperson und der vorgelegten Urkunden, sei – wenn überhaupt – von einer Kinderehe auszugehen. Kinderehen seien in Österreich jedoch ungültig. Unter Verweis auf die vom BFA aufgezeigten "massiven Zweifel an der Vaterschaft" der Bezugsperson zweifelte das Bundesverwaltungsgericht auch die Antragslegitimation der Kinder an. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass gegen die Bezugsperson am 9. Februar 2016 ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei. Den Beschwerdeführern stehe es frei, ihre Anträge zurückzuziehen und nach Ende des Aberkennungsverfahrens erneut zu stellen.

5.       Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab und verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung. Die ÖB Islamabad legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Äußerung ab. Das BFA hat dem Verfassungsgerichtshof mit Schreiben vom 23. August 2017 mitgeteilt, dass gegen die Bezugsperson zu keinem Zeitpunkt ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei.

II.      Rechtslage

1.       Das Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 24/2016 lautet auszugsweise wie folgt:

"Begriffsbestimmungen

§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[…]

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat;

[…]

Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß §34 Abs1 Z1 iVm §2 Abs1 Z13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 zu erfüllen.

(2) Der Familienangehörige gemäß Abs5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß §34 Abs1 Z2 iVm §2 Abs1 Z13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs4.

(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 als erfüllt.

(3) Wird ein Antrag nach Abs1 oder Abs2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß §60 Abs2 Z1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§7 und 9),

2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art8 Abs2 EMRK nicht widerspricht und

3. im Falle eines Antrages nach Abs1 letzter Satz oder Abs2 die Voraussetzungen des §60 Abs2 Z1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß §9 Abs2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß §11 Abs5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß §17 Abs1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat."

2.       Das Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 24/2016 lautet auszugsweise:

" Anwendungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Ausübung der Fremdenpolizei, die Erteilung von Einreisetiteln, die Zurückweisung, die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die Abschiebung, die Duldung, die Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen von EWR-Staaten und die Ausstellung von Dokumenten für Fremde.

(2) Auf Asylwerber (§2 Abs1 Z14 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr 100) sind die §§27a und 41 bis 43 nicht anzuwenden. Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, sind darüber hinaus die §§39 und 76 nicht anzuwenden.

[…]

Begriffsbestimmungen

§2. (1) Einreisetitel sind Visa gemäß dem Visakodex, nationale Visa (Visa D) gemäß §20 Abs1 und die Besondere Bewilligung gemäß §27a.

[…]

Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§11. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§39a AVG). §10 Abs1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.

(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung ist auch die Rechtsmittelinstanz anzugeben.

(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.

(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.

(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des §22 Abs3 FPG, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.

(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Erteilung eines Visums selbst beantragen.

Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten

§11a. (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.

(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.

(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des §76 AVG.

(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. §11 Abs3 gilt.

Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§26. Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §35 Abs4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Fremden ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen."

III.    Erwägungen

1.       Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3.       Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4.       Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

6.       Das Bundesverwaltungsgericht geht, mit Hinweis auf Widersprüche in den Angaben der Betroffenen, davon aus, dass die Fünftbeschwerdeführerin nicht mit der Bezugsperson verheiratet sei. Diese Ausführungen trifft das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage eines Aktenvermerks des BFA, in dem die Angaben der Bezugsperson im Rahmen seines Asylverfahrens aus 2011 mit den Angaben der Fünftbeschwerdeführerin anlässlich des Verfahrens vor der ÖB Islamabad verglichen werden. Der Asylakt der Bezugsperson bzw. die Niederschrift dieser Einvernahme wurden vom Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht in das Verfahren zur Erlangung eines Einreisetitels eingebracht. Zur Glaubwürdigkeit der vorgelegten Heiratsurkunde erwähnt das Bundesverwaltungsgericht, dass "angeblich" die Erst- bis Viertbeschwerdeführer als Zeugen fungiert hätten. Auch diese Wertung ist dem Aktenvermerk des BFA zu entnehmen. Die im Akt befindliche Übersetzung der Heiratsurkunde weist die Erst- bis Viertbeschwerdeführer jedoch als der Ehe entstammende Kinder aus.

7.       Hinsichtlich des behaupteten Verwandtschaftsverhältnisses der Bezugsperson zu den Erst- bis Viertbeschwerdeführern verweist das Bundesverwaltungsgericht lediglich auf die "vom BFA aufgezeigten massiven Zweifel an der Vaterschaft". Aus dem Erkenntnis geht hervor, dass das BFA aufgrund einer Namensdivergenz in den Geburtsurkunden davon ausgeht, dass die Bezugsperson nicht Vater der Erst- bis Viertbeschwerdeführer sei. Hiezu ist anzumerken, dass die im Akt befindlichen Geburtsurkunden lediglich zwei Vornamen des Vaters nennen, wobei einer davon mit dem Vornamen der Bezugsperson übereinstimmt.

8.       Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass gegen die Bezugsperson am 9. Februar 2016 ein Aberkennungsverfahren gemäß §9 AsylG eingeleitet worden sei und den Beschwerdeführern auch aus diesem Grund der Einreisetitel zu verwehren sei. Aus dem Erkenntnis ist jedoch nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Feststellung gelangt. Die Beschwerdeführer haben in ihren Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass bisher kein Aberkennungsbescheid ergangen sei. Vor diesem Hintergrund hätte das Bundesverwaltungsgericht ermitteln müssen, ob tatsächlich ein Aberkennungsverfahren gegen die Bezugsperson anhängig war.

9.       Das Bundesverwaltungsgericht hat sich somit auf teilweise aktenwidrige Ermittlungsergebnisse des BFA gestützt und es unterlassen, die gebotenen Ermittlungen vorzunehmen. Es verkennt damit die Natur seiner Entscheidungsbefugnis und seine Funktion als Organ der Verwaltungskontrolle innerhalb eines Systems faktisch effizienten Rechtsschutzes. Durch das Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt hat das Bundesverwaltungsgericht bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung Willkür geübt (vgl. VfGH 23.11.2015, E1510-1511/2015, VfGH 18.2.2016, E1526/2015).

IV.      Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenpolizei, Einreiseverbot, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E983.2017

Zuletzt aktualisiert am

28.11.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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