TE Lvwg Beschluss 2017/1/26 VGW-141/002/15583/2016

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Veröffentlicht am 26.01.2017
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Entscheidungsdatum

26.01.2017

Index

L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Wien
41/02 Passrecht Fremdenrecht
69/05 Fürsorgewesen
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

WMG §5 Abs2
NAG §51 Abs1
NAG §51 Abs2
NAG §53a Abs1
FürsorgeAbk BRD 1969 Jugendwohlfahrtspflege Art 2
VwGVG §28 Abs3

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Fegerl über die Beschwerde des Herrn F. B. vom 8.12.2016 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht, Sozialzentrum ..., vom 10.11.2016, Zahl MA 40 - Sozialzentrum ... - SH/2016/00968507-001, nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung, den

BESCHLUSS

gefasst:

I. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der angefochtene Bescheid vom 10.11.2016 aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, zurückverwiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

B E G R Ü N D U N G

1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.11.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden auch: BF) vom 3.11.2016 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) gemäß § 5 Abs. 1 und 2 WMG abgewiesen. Begründend wurde angeführt, der BF sei deutscher Staatsbürger; Anspruch auf Mindestsicherung bestehe für EWR-Bürger, solange sie erwerbstätig seien, die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten bleibe oder das Recht auf Daueraufenthalt (nachweislich 5 Jahre rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich) erworben habe. Der BF sei EWR-Bürger und verfüge seit 2012 über eine aufrechte Meldung im Bundesgebiet. Da der BF derzeit nicht erwerbstätig sei, noch das Recht auf Daueraufenthalt in Österreich erworben habe, bestehe kein Anspruch auf Mindestsicherung.

Dagegen richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde, in welcher der BF im Wesentlich vorbringt, er sei seit 3.11.2011 an seiner Adresse in Wien gemeldet. Sobald er eine Erwerbstätigkeit ausgeführt habe, habe er eine Anmeldebescheinigung beantragt, die von der MA 35 im Jahr 2012 ausgestellt worden sei. Er sei also nicht erst seit 2012 aufrecht im Bundesgebiet gemeldet. Die belangte Behörde hätte aufgrund des von ihm vorgelegten Meldezettels feststellen müssen, dass er am Tag der Antragstellung (3.11.2016) bereits das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a Abs. 1 NAG erworben habe und ihm somit Leistungen gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 WMG zustünden. Hätte sich die Behörde mit den geltenden Rechtsnormen auseinandergesetzt, wäre sie zum Schluss gekommen, dass er gleichgestellt sei.

Am 20.1.2017 führte das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der weder seitens des BF noch seitens der belangten Behörde jemand erschienen ist.

2.0. Das Verwaltungsgericht hat erwogen:

2.1. Der BF ist deutscher Staatsangehöriger und seit 3.11.2011 mit Hauptwohnsitz in Österreich (Wien) gemeldet. Er war laut seinen Sozialversicherungsdaten in Österreich vom 13.4.2012 bis 30.4.2012 geringfügig und darauf von 1.5.2012 bis 31.10.2012 als Arbeiter beschäftigt; weiters war der BF von 1.11.2014 bis 30.4.2015 geringfügig beschäftigt. Ansonsten scheinen keine Erwerbstätigkeitszeiten des BF in Österreich auf. Zwischen November 2012 und März 2013 stand der BF im Arbeitslosengeldbezug, danach bezog er mit Unterbrechungen Notstandshilfe. Vom 15.4.2013 bis 31.3.2014 bezog der BF (erstmals) Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe; auch für die Zeit vom 2.1.2015 bis 30.6.2015 wurde dem BF (zuletzt) Mindestsicherung zuerkannt.

Der gegenständliche Antrag des BF vom 3.11.2016 auf Zuerkennung von Mindestsicherung samt Mietbeihilfe wurde von der belangten Behörde mangels Gleichstellung des BF mit österreichischen Staatsbürgern gemäß § 5 Abs. 1 und 2 WMG abgewiesen. Der BF vermeint dagegen, dass er am Tag der letzten Antragstellung (3.11.2016) bereits das Recht auf Daueraufenthalt erworben habe, weil er seit 3.11.2011 – also 5 Jahre – in Österreich gemeldet sei.

Dem ist auf dem Boden des NAG und vor dem Hintergrund der Unionsbürgerrichtlinie entgegenzuhalten, dass zu den „fünf Jahren rechtmäßigem … Aufenthalt im Bundesgebiet“ iSd § 53a Abs. 1 NAG nur solche Zeiten zu zählen sind, die den Voraussetzungen des § 51 NAG entsprachen, während derer der BF also erwerbstätig war oder die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten blieb oder während derer der BF über ausreichende Existenzmittel und eine umfassende Krankenversicherung verfügte, sodass er keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen musste. Im Hinblick auf die insgesamt kurzen Beschäftigungszeiten des BF von rund 6 ½ Monaten im Jahr 2012 und weiteren 6 Monaten von 11/2014 bis 4/2015 und vor dem Hintergrund der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch den BF in den Jahren 2013 bis 2015 kann ausgeschlossen werden, dass der BF ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG erworben hat und deshalb nach § 5 Abs. 2 Z 2 WMG gleichgestellt wäre. Es existiert jedoch eine andere Rechtsgrundlage, die zur Gleichstellung des BF führt.

2.2.1. § 5 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) lautet wie folgt:

„(1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.

(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:

1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) zuerkannt wurde;

2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;

3. Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ oder „Daueraufenthalt – Familienangehöriger, denen dieser Aufenthaltstitel nach § 45 oder § 48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs. 2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung – NAG-DV) weiter gilt;

4. Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, denen eine Niederlassungsbewilligung nach § 49 NAG erteilt wurde.

(3) Personen, die nach den Bestimmungen des AsylG 2005 einen Asylantrag gestellt haben, steht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens kein Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu.“

Die Art. 7 und 13 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (kurz: Unionsbürgerrichtlinie) regeln das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen. Die Art. 16 bis 18 dieser Richtlinie regeln das Rechts auf Daueraufenthalt (für Unionsbürger und deren drittstaatsangehörige Familienangehörigen); Art. 19 und 20 dieser Richtlinie enthalten Bestimmungen über die Dokumentation zur Bescheinigung des Daueraufenthaltes.

Gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft. Gemäß Art. 37 der Richtlinie lässt diese Richtlinie Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die für die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Personen günstiger sind, unberührt.

Die Umsetzung der genannten unionsrechtlichen Bestimmungen erfolgte im Wesentlichen in den §§ 51 bis 54a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monaten berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind.

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthaltes weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthaltes eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

Gemäß § 51 Abs. 2 Z 1 und 2 NAG bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer (Abs. 1 Z 1) dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er (Z 1) wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist, (Z 2) sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt.

Gemäß § 53a Abs. 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52) unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt.

2.2.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des am 17.01.1966 in Bonn unterzeichneten und am 01.01.1970 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Wohlfahrtspflege, BGBl. 258/1969 (Deutsch-Österreichisches Fürsorgeabkommen) lauten wie folgt:

Teil I

Allgemeine Bestimmungen

Artikel 1

In diesem Abkommen bedeuten die Ausdrücke

1. „Österreich"

die Republik Österreich,

„Bundesrepublik"

die Bundesrepublik Deutschland

4. „Fürsorge"

alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-, Betreuungs- und sonstigen Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfes für Personen, die keine andere Voraussetzung als die der Hilfsbedürftigkeit zu erfüllen haben;

6.„Rechtsvorschriften"

die Gesetze, Verordnungen und Satzungen, welche die in den Punkten 4 und 5 umschriebenen Rechtsgebiete regeln und im Hoheitsgebiet oder im jeweiligen Teil des Hoheitsgebietes einer Vertragspartei in Kraft sind;

Teil II

Gewährung von Fürsorge und

Jugendwohlfahrtspflege

Artikel 2

(1) Staatsangehörigen der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufhalten, wird Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt.

(2) Absatz 1 gilt auch für Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, die ein von der anderen Vertragspartei gemäß Artikel 28 des genannten Abkommens ausgestelltes gültiges Reisedokument besitzen.

Teil VI

Schlussbestimmungen

Artikel 13

(1) Dem Abkommen ist ein Verzeichnis der im Zeitpunkt seiner Unterzeichnung geltenden gesetzlichen Rechtsvorschriften als Anhang I bei-gefügt. Treten gesetzliche Rechtsvorschriften, die in Anhang I aufgeführt sind, außer Kraft oder werden gesetzliche Rechtsvorschriften erlassen, die in Anhang I aufgeführt wären, wenn sie beim Inkrafttreten des Abkommens bereits in Kraft gewesen wären, so hat die Vertragspartei, um deren Rechtsvorschriften es sich handelt, dies der anderen Vertragspartei unter Bezugnahme auf Anhang I mitzuteilen.

(2) Änderungen und Ergänzungen der Rechtsvorschriften einer Vertragspartei, die sich aus zwischenstaatlichen Abkommen oder aus einer von einer Europäischen Gemeinschaft erlassenen Vorschrift ergeben, sind im Verhältnis zwischen den beiden Vertragsparteien nur zu berücksichtigen, wenn diese es vereinbaren.

Artikel 16

Das diesem Abkommen beiliegende Schlussprotokoll ist Bestandteil des Abkommens.

SCHLUSSPROTOKOLL

zum Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Wohlfahrtspflege

A. Bei Unterzeichnung des Abkommens über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege stellen die Bevollmächtigten der beiden Vertragsparteien übereinstimmend folgendes fest:

1. Vergünstigungen aus diesem Abkommen sollen Personen nicht zugute kommen, die das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Die Regelung im Artikel 10 des Abkommens bleibt unberührt.

2.3. Der Beschwerdeführer ist kein österreichischer Staatsbürger und hätte daher grundsätzlich nur dann einen Anspruch auf Leistungen der Mindestsicherung, wenn er einen Gleichstellungstatbestand nach § 5 Abs. 2 WMG erfüllt (was jedoch hier hinsichtlich des BF nicht der Fall ist). Da der Beschwerdeführer jedoch deutscher Staatsbürger ist, ist vorweg zu prüfen, ob der Beschwerdeführer nicht schon auf Grund des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt ist.

Das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen ist am 1.1.1970 in Kraft getreten und wurde bis dato von keiner der beiden Vertragsparteien aufgekündigt, sodass es nach wie vor in Geltung ist. Das Deutsch- Österreichische Fürsorgeabkommen wurde ohne Erfüllungsvorbehalt abgeschlossen und richtet sich unmittelbar an die Behörden (Gerichte) der unterzeichneten Staaten; der Norminhalt ist ausreichend bestimmt. Artikel 2 dieses Abkommens lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die sich im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten, u.a. Fürsorge – worunter nach der Definition in Art 1 Ziffer 4 auch Mindestsicherungsleistungen fallen – in gleicher Weise, in gleichem Umfang und unter den gleichen Bedingungen wie den Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen ist daher unmittelbar anwendbar. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass auch der VwGH von der Anwendung des Deutsch- Österreichischen Fürsorgeabkommens ausgeht, wenn auch in einem anderen Zusammenhang (vgl. VwGH vom 17.12.1990, 90/19/0326 u.a.). Ebenso wird in der deutschen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen Anwendung findet, dass sich österreichische Staatsbürger auf das Gleichbehandlungsgebot des Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommens berufen können (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 07.03.2012, L 8 B 489/10 ER, Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.06.1980, Az.:BVerwG 5 C). Dem steht auch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht entgegen, weil nach Art 37 der Unionsbürgerrichtlinie Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten, die für die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Personen günstiger sind, unberührt bleiben. Als eine solche günstigere Rechtsvorschrift ist das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen anzusehen, die den Rang eines innerstaatlichen Gesetzes hat.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen nach wie vor in Geltung steht und von den Behörden und Gerichten anzuwenden ist.

Nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortlautes des Artikel 2 des Deutsch- Österreichischen Fürsorgeabkommen, dem textlichen Zusammenhang und dem Ziel und Zweck des Vertrages ergibt sich somit eindeutig, dass deutsche Staatsangehörige, die sich im österreichischen Bundesgebiet aufhalten – wobei der „gewöhnliche“ Aufenthalt genügt - in gleicher Weise und im gleichen Umfang Mindestsicherungsleistungen zu gewähren sind wie österreichischen Staatsangehörigen (vgl. dazu auch die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 21.01.2016, LVWG-9/214/24-2016, LVWG-9/215/24-2016 und vom 11.04.2016, 405-9/5/1/5-2016; sowie jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 23.1.2017, Zl. VGW-141/010/14781/2016-7).

Es haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer zum Zweck der Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen in das Bundesgebiet eingereist ist, zumal der Beschwerdeführer seit November 2011 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig ist, im Jahr 2012 in Österreich beschäftigt war und „erst“ 2013 erstmals Fürsorgeleistungen (Mindestsicherung) in Anspruch genommen hat.

Dem Beschwerdeführer steht somit grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu. Er ist als deutscher Staatsangehöriger den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

2.4. Aus den dargelegten Gründen erweist sich der angefochtene Abweisungsbescheid als rechtswidrig und war daher aufzuheben. Da die belangte Behörde (ausgehend von der verfehlten Annahme einer mangelnden Gleichstellung) bisher keine Ermittlungen hinsichtlich der Bemessung der Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs vorgenommen hat (somit notwendige Ermittlungen des Sachverhalts seitens der belangten Behörde unterlassen wurden), war nach § 28 Abs. 3 VwGVG vorzugehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Die belangte Behörde wird ausgehend von der Gleichstellung des BF die anspruchsrelevanten Umstände zu ermitteln und über den Antrag des BF vom 3.11.2016 neu zu entscheiden haben.

3. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch liegen sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal die zu beurteilende Rechtsfrage klar aus dem Gesetz, dem Unionsrecht und dem bilateralen Abkommen lösbar ist.

Schlagworte

Mindestsicherung; ausländischer Staatsbürger; Gleichstellung; gewöhnlicher Aufenthalt; Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.141.002.15583.2016

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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