TE OGH 1984/6/20 8Ob29/84

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Veröffentlicht am 20.06.1984
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton G*****, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1) Maria Gisela H*****, und 2) Gabriele Elfriede H*****, beide vertreten durch DDr. Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 95.891 S sA und Feststellung (15.000 S), Revisionsstreitwert 74.771 S, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. Mai 1983, GZ 1 R 48/83-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 11. November 1982, GZ 9 Cg 629/81-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.

Text

Begründung:

Am 28. 4. 1981 kam der Kläger mit seinem Moped gegen 18:30 Uhr in Innbruck auf der Fahrbahn des ***** in der Nähe des Hauses Nr ***** zu Sturz, weil er mit einem über die Fahrbahn laufenden Hund, dessen Halterin die Erstbeklagte war (die Zweitbeklagte ist die Tochter der Erstbeklagten), kollidierte. Dabei erlitt der Kläger Körper- und Sachschäden. Wegen dieses Unfalles des Klägers wurde gegen die beiden Beklagten zu 10 U 854/81 des Bezirksgerichts Innsbruck ein Strafverfahren eingeleitet. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. 10. 1981 wurde in diesem Strafverfahren die Erstbeklagte des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 4 1. Fall StGB schuldig erkannnt; die Zweitbeklagte wurde gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 95.891 S sA (Schmerzengeld, Sachschaden und Fahrtkosten); überdies stellte er ein Feststellungsbegehren. Der Höhe nach ist das Leistungsbegheren des Klägers nicht mehr strittig; auch sein Feststellungsinteresse ist unbestritten. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im Wesentlichen auf die Behauptung, dass die Erstbeklagte als Hundehalterin für die Verletzungsfolgen hafte, weil sie den Hund in Verletzung ihrer Obsorgepflicht nicht angeleint habe; ihr Verschulden stehe aufgrund ihrer strafgerichtlichen Verurteilung für das Zivilgericht bindend fest. Aber auch die Zweitbeklagte treffe in gleicher Weise ein Verschulden am Unfall des Klägers. Sie sei nämlich mit dem Hund – wie schon oft – aus der Wohnung und aus dem Haus auf die Straße gegangen und sei daher mitverantwortlich dafür gewesen, dass der Hund an die Leine genommen werde. Wenngleich der Hund formell im Eigentum ihrer Mutter gestanden sei, habe er gegenüber der Zweitbeklagten die gleiche Anhänglichkeit gezeigt. Er habe mit der Zweitbeklagte das Haus verlassen, ohne angeleihnt worden zu sein. Er sei schon geraume Zeit auf der Straße umhergelaufen, ehe die Erstbeklagte aus dem Haus gekommen sei, die aber auch nicht daran gedacht habe, den Hund an die Leine zu nehmen. So habe es dann geschehen können, dass der Hund über die Straße zur Erstbeklagten hingelaufen sei, wobei sich der Unfall ereignet habe. Die Haftung der Zweitbeklagten für die Unfallsfolgen ergebe sich daraus, dass sie eine Gefahrenlage geschaffen habe, aus der dann der Unfall typischerweise entstanden sei.

Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im Wesentlichen ein, dass keine von ihnen für die Schäden des Klägers zu haften habe. Die Erstbeklagte habe zusammen mit ihrer Tochter, der Zweitbeklagten, mit dem Hund wegfahren wollen. Die Erstbeklagte sei gerade im Begriff gewesen, die Haustür zuzusperren, als die Zweitbeklagte zu ihrem auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite abgestellten PKW vorausgegangen sei. Unbemerkt von den Beklagten sei der Hund sodann zum Auto gelaufen. Als sich der Kläger mit seinem Moped genähert habe, sei der Hund offenbar wegen der übermäßig lauten schußähnlichen Geräusche dieses Fahrzeugs in Angst geraten. Er habe zurück zu seiner Herrin auf die andere Fahrbahnseite laufen wollen, um dort Schutz zu suchen. Diese Reaktion des Tieres sei überraschend und unvorhersehbar gewesen, weil es den Verkehr gewöhnt gewesen sei. Wenn sich der Kläger richtig verhalten hätte, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Der Hund sei nämlich nicht gegen das Fahrzeug des Klägers gelaufen, sondern der Kläger sei von seiner Fahrbahnseite dem Hund nach links nachgefahren und schließlich auf der linken Fahrbahnseite mit dem Tier zusammengestoßen und zu Fall gekommen. Er hätte bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h das Fahrzeug leicht auf kürzeste Distanz zum Stillstand bringen können. Der Kläger habe auf die beiden Beklagten einen alkoholisierten Eindruck gemacht und sich gegen die Verständigung des Verkehrsunfallkommandos und eines Arztes gewehrt. Das Verschulden des Klägers sei derart schwerwiegend, dass ihm gegenüber das aufgrund der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung der Erstbeklagten anzulastende Verschulden in den Hintergrund trete. Ein Verschulden der Zweitbeklagten liege nicht vor, weil sich der Hund in Begleitung und und Aufsicht der Erstbeklagten befunden habe.

Das Erstgericht verurteilte die Erstbeklagte zur Zahlung von 59.771 S sA und gab dem Feststellungsbegehren gegenüber der Erstbeklagten statt. Das gegen die Zweitbeklagte gerichtete Klagebegehren wies das Erstgericht ebenso ab wie das Leistungsmehrbegehren des Klägers gegenüber der Erstbeklagten auf Zahlung eines weiteren Betrags von 36.120 S sA.

Das Erstgericht stellte im Wesentlichen folgenden noch relevanten Sachverhalt fest:

Halterin des Hundes war die Erstbeklagte. Die beiden Beklagten wollten einen gemeinsamen Ausflug oder eine gemeinsame Ausfahrt unternehmen. Sie verließen gemeinsam und gleichzeitig die Wohnung im Erdgeschoß des Hauses *****, wobei die Zweitbeklagte nur deshalb vorausging, weil die Erstbeklagte erst noch die Wohnungstür absperren musste, was nur wenig Zeit in Anspruch nahm. Als die Zweitbeklagte die Haustür öffnete, um das Haus zu verlassen, gab sie damit dem Hund Gelegenheit, ebenfalls außer Haus zu kommen. Die Erstbeklagte versperrte inzwischen noch die Wohnungstür. Der Hund lief auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo die Zweitbeklagte ihr Fahrzeug bei der ***** Kirche zwischen den Grünflächen abgestellt hatte. Dorthin folgte ihr der nicht angeleinte Hund nach.

Der Kläger näherte sich der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 25 km/h. Die auf der Fahrbahn hinterlassene 5 m lange und 3 m vom linken Fahrbahnrand endende Kratzspur des Mopeds zeigt, dass der Kläger in einer Kurvenbewegung zur Fahrbahnmitte hin begriffen war und auf der 8,6 m breiten Fahrbahn rund 4 m südlich des rechten Fahrbahnrandes zu Sturz kam. Aus der Zurückverfolgung der Richtung der Kratzspur ergibt sich, dass die Fahrweise des Klägers auf eine normale Fluchtreaktion zurückzuführen ist.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass das Verschulden der Erstbeklagten schon aufgrund ihrer strafgerichtlichen Verurteilung für das Zivilgericht bindend feststehe.

Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor. Der Unfall habe sich innerhalb oder nahe um die Reaktionszeit des Klägers ereignet, so dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, wirkungsvoll auszulenken oder abzubremsen. Allfällige Fehlzündungen des Motors des Mopeds könnten dem Kläger nicht als Verschulden angelastet werden. Derartige Geräusche kämen öfter vor, weshalb ein in der Stadt lebender Hundehalter verpflichtet sei, den Hund an die Leine zu nehmen, wenn er ein Erschrecken des Tieres und damit eine Fehlreaktion erwarten müsse. Die Haftung der Erstbeklagten ergebe sich aus § 1320 ABGB. Sie habe nicht bewiesen, dass sie die Zweitbeklagte um die Beaufsichtigung oder Verwahrung des Hundes für die Zeit bis zum Heraustreten aus dem Haus ersucht habe. Da die Erstbeklagte die als Schutznorm zu wertende Vorschrift über den Leinenzwang in Innsbruck verletzt habe, haftet sie für den Schaden des Klägers.

Die Zweitbeklagte sei weder Halterin des Hundes gewesen noch habe sie die Verwahrung des Tieres vernachlässigt. Es wäre lebensfremd, anzunehmen, dass der Zweitbeklagten, die bei der Erstbeklagten wohne, die Beaufsichtigung und Verwahrung des Hundes für den geringen Zeitraum bis zum Nachkommen der Erstbeklagten anvertraut worden wäre. Für die Zweitbeklagte habe keine Rechtspflicht in Bezug auf den Hund bestanden, weshalb sie auch nicht den Schaden des Klägers zu verantworten habe.

Dieses Urteil wurde nur vom Kläger mit Berufung bekämpft.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht diesem Rechtsmittel teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, dem Kläger den Betrag von 59.771 S sA zu bezahlen und dass es dem Feststellungsbegehren des Klägers gegenüber beiden Beklagten stattgab, sein auf Zahlung eines weiteren Betrags von 36.120 S sA gegen beide Beklagte gerichtetes Leistungsmehrbegehren aber abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, „15.000 S, aber nicht 300.000 S (§ 500 Abs 2 Z 3 ZPO) übersteigt“, dass der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, 60.000 S nicht übersteigt und dass die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig ist.

Rechtlich führte das Berufungsgericht, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts, im Wesentlichen aus, dass die Zweitbeklagte zwar nicht Halterin des Tieres gewesen sei, dass aber nach den festgestellten Umständen angenommen werden müsse, dass ihr die ordentliche Verwahrung desselben von der Halterin (der Erstbeklagten) stillschweigend anvertraut worden sei, indem diese es geduldet habe, dass der Hund zusammen mit der Zweitbeklagten das Haus verließ. Es müsse aus diesen Umständen auch gefolgert werden, dass die Zweitbeklagte ohne ausdrückliche Erklärung mit der Übernahme der Aufsicht und Obsorge für den Hund einverstanden gewesen sei, weil kein vernünftiger Grund für die Annahme bestehe, dass sie eine derartige Obsorge für das Tier gegenüber ihrer Mutter abgelehnt hätte und ihr das Schicksal des Hundes gleichgültig geblieben wäre, sobald er seiner Herrin vorausgelaufen sei. Da aber die Erstbeklagte in mittelbarer Nähe des Hundes geblieben sei und dieser ihrem Einflussbereich nicht gänzlich entzogen worden sei, könne auch angenommen werden, dass sich der Hund in der gemeinsamen Gewahrsame der beiden Beklagten befunden habe.

Daraus folge die Mithaftung der Zweitbeklagten.

Gemäß § 1320 1. Satz ABGB sei im Falle einer Beschädigung durch ein Tier unter anderem derjenige dafür verantwortlich, der es zu verwahren vernachlässigt habe. Demjenigen, der tatsächlich die Aufsicht über das Tier habe, obliege auch die Verwahrungspflicht. Diese werde dann verletzt, wenn die nach den dem Verwahrer bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrsauffassung von ihm vernünftigerweise zu erwartende Beaufsichtigung zur Hintanhaltung von Schäden vernachlässigt werde. Das sei allerdings vom Geschädigten zu beweisen, weil die Umkehrung der Beweislast gemäß § 1320 2. Satz ABGB nur für den Tierhalter selbst gelte. Dieser Beweis sei dem Kläger gelungen, weil das festgestellte Verhalten der Zweitbeklagten nicht den Grundsätzen einer sorgsamen, ausreichenden und zumutbaren Verwahrung des Tieres entsprochen habe. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass Hunde, sobald sie aus einer sie beengenden Umgebung, wie zum Beipsiel einer Wohnung, freigelassen würden, ihrem natürlichen Bewegungsdrang und ihrem Bedürfnis nach freiem Auslauf in verstärktem Maße folgten und herumliefen und gerade während der ersten Phase ihres Freiseins nur relativ schwer unter Kontrolle zu bringen seien. Es gehöre auch zu den Eigenschaften eines im Übrigen durchaus gehorsamen Hundes, sich auf der Straße unachtsam zu verhalten, weil er eben die damit verbundenen Gefahren oft nicht rechtzeitig erkenne.

Im vorliegenden Fall sei der Hund zwar zunächst mit der Zweitbeklagten zu deren Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite gegangen, sei aber dort nicht stehengeblieben, sondern wieder zurück in Richtung zum Haus gelaufen, wobei er in das Fahrzeug des Klägers gesprungen sei. Dieser Unfallshergang beweise, dass der Hund weder unter Kontrolle der Erstbeklagten noch unter Kontrolle der Zweitbeklagten gewesen sei.

Es wäre der Zweitbeklagte zumutbar gewesen, entweder den Hund an die Leine zu nehmen, bevor sie ihn aus dem Haus ließ, oder aber hinter der geschlossenen Tür so lange zu verweilen, bis die Erstbeklagte selbst wieder die alleinige Aufsicht über das Tier und dessen Verwahrung übernehmen hätte können und übernommen hätte.

Jene Personen, die aufgrund eines Vertrags mit dem Halter zur Verwahrung verpflichtet seien oder die tatsächliche Gewahrsame über das Tier ausübten, hätten nicht nur dem Halter, sondern auch der Allgemeinheit gegenüber Verwahrungspflichten. Die Haftung dieser Personen gegenüber der Allgemeinheit beruhe auf dem Grundsatz, dass jeder, der die tatsächliche Herrschaft über eine gefährliche Sache habe, gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet sei, Schäden durch die Sache zu verhindern; dies stelle einen Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (Ingerenzprinzip) dar. Für das Ausmaß der Sicherungspflicht sei entscheidend, ob nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle geschaffen werde, die mit zumutbaren Mitteln entschärft werden könne.

Die Zweitbeklagte habe dadurch, dass sie den Hund frei herumlaufen ließ, eine zunächst nur abstrakte Gefahrenlage herbeigeführt, die sich in der weiteren Folge dadurch konkretisiert habe, dass der Hund dem Kläger in die Fahrbahn gelaufen sei. Mit einer solchen Gefahr habe sie wie jeder, der sich mit einem Hund in den allgemeinen Straßenverkehr begebe, rechnen müssen. Bei Hunden, die auf die Straße mitgenommen werden, verpflichte schon die bloße Möglichkeit des Zusammenstoßes des Tieres mit einem Verkehrsteilnehmer zur entsprechenden Beaufsichtigung.

Zur Unfallszeit sei im Stadtgebiet von Innsbruck kein Leinenzwang für Hunde verordnet gewesen. Eine diesbezügliche Verordnung sei bloß im Hinblick auf die im Jahr 1977 herrschende Tollwutsituation erlassen, jedoch am 19. 9. 1980 wieder aufgehoben worden. Das ändere aber an der vom Berufungsgericht getroffenen Beurteilung nichts, weil eine behördliche Vorschrift über die Verwahrung des betreffenden Tieres keine Voraussetzung der Haftung begründe, sondern die Art und das Maß der Verwahrung und Beaufsichtigung im einzelnen Fall von den Umständen abhänge. Die Zweitbeklagte habe unter den gegebenen Umständen nicht ausreichend für die Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt, obwohl ihr das leicht möglich und zumutbar gewesen wäre.

Im Sinne des § 1302 ABGB hafte die Zweitbeklagte zur ungeteilten Hand mit der Erstbeklagten für die Unfallsfolgen.

Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht damit, dass der Beurteilung der Frage, ob der Zweitbeklagten die Eigenschaft eines Verwahrers des Tieres zugekommen sei und ob ihr die Unterlassung der gehörigen Verwahrung des Tieres als schuldhafte Herbeiführung einer Gefahr für die Allgemeinheit zuzurechnen sei, zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Zweitbeklagte. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des gegen sie gerichteten Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Vorwegzunehmen ist, dass sich der (mit Beschluss vom 19. 3. 1984 berichtigte) Ausspruch des Berufungsgerichts, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat, 300.000 S nicht übersteigt, seinem Wortlaut nach nur auf den abändernden Teil seiner Entscheidung bezieht, dass sich aber insbesondere aus der Begründung des Berichtigungsbeschlussses des Berufungsgerichts mit voller Deutlichkeit ergibt, dass das Berufungsgericht zum Ausdruck bringen wollte, dass der gesamte Wert des Streitgegenstands, über den es entschieden hat (siehe dazu Petrasch in ÖJZ 1983, 173, 200), 300.000 S nicht übersteigt. Damit ist eindeutig klargestellt, dass die Revision der Zweitbeklagten im Zulassungsbereich liegt, ohne dass es einer weiteren Berichtigung beziehungsweise Ergänzung der Bewertungsaussprüche des Berufungsgerichts bedarf.

Gemäß § 508a ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden.

Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit, dass es an der für ihre Bejahung erforderlichen Voraussetzung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO mangelt, weil die Entscheidung nicht von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.

Zur Frage, wann eine derart erhebliche Rechtsfrage vorliegt, führt der Bericht des Justizausschusses zur ZVN 1983 (1337 BlgNR 15. GP 19) aus, dass durch die Bestimmung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sichergestellt werden soll, „dass der Oberste Gerichtshof grundsätzlich nur mit wichtigen, zumindest potentiell für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten bedeutsamen Rechtsfragen befasst wird, um seiner Leitfunktion besser gerecht werden zu können.“

Die für die Revisionszulässigkeit im Zulassungsbereich maßgebliche Erheblichkeit der Rechtsfragen bestimmt sich nach objektiven Umständen. Hat das Berufungsgericht im Sinne einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung entschieden, dann kann die Zulässigkeit der Revision nur mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werden (Ausschussbericht aaO). Der Rechtsmittelwerber wird immer zu überlegen haben, ob sein Rechtsproblem potentiell auch andere Personen und vergleichbare Fälle berührt. Die Kasuistik des Einzelfalls schließt in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus (Petrasch in ÖJZ 1983, 177; 3 Ob 625/83; 8 Ob 217/83; 8 Ob 13/84 ua).

Geht man davon aus, dann zeigt sich, dass zunächst der vom Berufungsgericht bejahten Frage der schlüssigen Übernahme der Verwahrung des Hundes durch die Zweitbeklagte nicht die in § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorausgesetzte Bedeutung zukommt, weil die Lösung dieser Frage iSd § 863 ABGB ausschließlich von der Gesamtheit der im vorliegenden Einzelfall festgestellten relevanten Tatumstände abhängt und ihr somit eine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung nicht zukommt. Die Lösung dieser Frage durch das Berufungsgericht entzieht sich daher iSd § 502 Abs 4 Z 1 ZPO einer Prüfung durch den Obersten Gerichtshof.

Dass derjenige, der bloß tatsächlich die Gewahrsame über ein Tier ausübt, insbesondere eine vom Halter bestellte Aufsichtsperson, nach allgemeinen Grundsätzen der Verschuldenshaftung für einen durch das Tier verursachten Schaden einzustehen hat, entspricht der Lehre (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 409 f) und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 236/63; 1 Ob 573/76; siehe dazu auch SZ 52/45).

Was aber das Ausmaß der erforderlichen Vorkehrungen zur Verwahrung und Beaufsichtigung eines Tieres betrifft, kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darauf an, inwieweit das Tier eine Gefahrenquelle für seine Umgebung darstellt. Da es zu den Eigenschaften eines Hundes, und zwar auch eines an sich gutmütigen Tieres, gehört, sich auf der Straße unachtsam zu verhalten, weil er eben die damit verbundenen Gefahren nicht erkennt, stellt ein auf einer Straße frei herumlaufender Hund ein erhebliches Gefahrenmoment dar. Es muss daher die Verwahrung eines Hundes in der Nähe einer im Stadtgebiet gelegenen Straße besonders sorgfältig erfolgen, da auf solchen Straßen – selbst bei geringem Verkehrsaufkommen – immer wieder mit durchfahrenden Fahrzeugen zu rechnen ist, die durch einen auf der Straße frei herumlaufenden Hund gefährdet werden können (ZVR 1981/192 mit weiteren Judikaturhinweisen ua).

Es zeigt sich somit, dass einerseits der Lösung der Rechtsfrage der schlüssigen Übernahme der Verwahrung des Hundes durch die Zweitbeklagte nicht die im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorausgesetzte Bedeutung zukommt, weil sie nur für den vorliegenden Einzelfall, nicht aber darüber hinaus bedeutsam ist. Soweit das Berufungsgericht aber andererseits davon ausging, dass die Zweitbeklagte als Verwahrerin des Tieres nach den allgemeinen Grundsätzen der Verschuldenshaftung für den vom Tier angerichteten Schaden einzustehen hat und dass sie ihre Aufsichtspflicht verletzte, indem sie den Hund frei auf der Straße herumlaufen ließ, ist es durch die dargestellte widerspruchsfreie Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt, von der abzugehen kein Anlass besteht. Es liegen somit die im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO normierten Voraussetzungen nicht vor. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Zulässigkeit der Revision im Sinne dieser Gesetzesstelle ausgesprochen.

Soweit die Zweitbeklagte in ihrer Revision ein Mitverschulden des Klägers aus der Behauptung abzuleiten versucht, dass dieser sein Moped schuldhaft in einem nicht ordnungsgemäßen Zustand verwendet habe, weshalb es zu „explosionsartigen Geräuschen“ (gemeint sind wohl Fehlzündungen) gekommen sei, geht sie nicht von dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt aus und ist ihre Rechtsrüge nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt. Dass der Kläger an den vor dem Unfall aufgetretenen „explosionsartigen Geräuschen“ an seinem Moped irgendein Verschulden getroffen hätte, haben übrigens die Beklagten im Verfahren erster Instanz niemals behauptet, sodass diesbezüglich Feststellungsmängel nicht vorliegen.

Die Revision der Zweitbeklagten war unter diesen Umständen als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kosten ihres unzulässigen Rechtsmittels hat die Zweitbeklagte selbst zu tragen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Revisionsbeantwortung, weil er den vorliegenden Zurückweisungsgrund nicht geltend gemacht hat (§§ 40, 41, 50 ZPO).

Schlagworte

kein Abo

Textnummer

E119751

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00029.840.0620.000

Im RIS seit

09.11.2017

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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