TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/19 W171 2173605-1

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Veröffentlicht am 19.10.2017
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Entscheidungsdatum

19.10.2017

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3
VwGVG §35 Abs4 Z1

Spruch

W171 2173605-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geboren XXXX, Staatsangehörigkeit Marokko, vertreten durch Deserteur- und Flüchtlingsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl: XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG idgF stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl: XXXX aufgehoben, sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 21.09.2017 bis zum 19.10.2017 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen u. Asyl auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

IV. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz im Umfang der Eingabengebühr wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) reiste illegal in Österreich ein und stellte am 23.08.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Mit Erkenntnis des BVwG vom 09.11.2016, rechtskräftig am 15.11.2016, wurde die behördliche Rückkehrentscheidung (Bescheid vom 18.10.2016) vollinhaltlich bestätigt und erwuchs die ausgesprochene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG in Rechtskraft.

1.3. Im Februar 2017 reiste der BF illegal aus dem Bundesgebiet aus. Am 27.02.2017 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) bei der marokkanischen Botschaft die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF beantragt.

1.4. Am 03.03.2017 stellte der BF in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz. In weiterer Folge stellte die schweizerische Eidgenossenschaft am 05.04.2017 auf Grund des Dublin III Übereinkommens ein Rückübernahmegesuch an die Republik Österreich.

1.5. Am 21.09.2017 wurde der BF von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt, einvernommen und über ihn die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Am selben Tage wurde ein Urgenzschreiben seitens des BFA an die Botschaft des Königreiches Marokko mit der Erneuerung der Bitte der Ausstellung eines Heimreisezertifikates gerichtet.

1.6. In der Einvernahme vor dem BFA am 21.09.2017 führte der BF im Wesentlichen aus, er sei seit Ende 2016 in Österreich aufhältig und habe in Österreich einen Asylantrag stellen wollen. Er habe eine Schweizer Frau kennengelernt und sei deshalb nach endgültiger Entscheidung in Österreich etwa im Februar 2017 in die Schweiz gereist. Am 03.03.2017 habe er in der Schweiz einen Asylantrag gestellt und würde er nach Aufforderung durch die Behörden keine Handlungen unternehmen, um sich bei der marokkanischen Botschaft ein Reisedokument zu besorgen. Er denke im Moment nicht daran, da er seine Schweizer Freundin heiraten wolle. Er wolle diese in Italien oder in Frankreich ehelichen. Er würde nicht freiwillig in sein Herkunftsland ausreisen und würde er bei einer Abschiebung Widerstand leisten. Er habe in Österreich keine Familienangehörigen und in Österreich keine Anknüpfungspunkte, wie Arbeit, Ausbildung, etc. Aktuell sei er im Besitz von keinen Barmittel und könne sich den Aufenthalt in Österreich gar nicht finanzieren. Er sei nicht gemeldet, habe keinen festen Wohnsitz und auch keine Wohnmöglichkeit. Er sei gesund und nehme keine Medikamente.

Die daraufhin verhängte Schubhaft wurde bescheidmäßig im Wesentlichen damit begründet, dass der BF im Hinblick auf die Beurteilung eines bestehenden Sicherungsbedarfes die Tatbestandmerkmale des § 76 Absatz 3 Ziffer 1, 3, 6b und c, sowie 9 FPG erfülle. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft wurde festgestellt, dass die gegebenen privaten Interessen an der Schonung der persönlichen Freiheit des BF gegenüber dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen habe. Die Verhängung eines gelinderen Mittels sei auf Grund des aufgezeigten Sachverhalts, insbesondere des illegalen Aufenthalts, nicht vorhandener finanzieller Mittel, der fehlenden Möglichkeit einer legalen Erwerbsausübung der fehlenden sozialen und wirtschaftlichen Integration sowie des Fehlens einer gesicherten Unterkunft nicht in Betracht zu ziehen gewesen. Die Verhängung der gegenständlichen Schubhaft sei daher auf Grund des bestehenden Sicherungsbedarfes, der gegebenen Verhältnismäßigkeit und der Unzweckmäßigkeit eines gelinderen Mittels erforderliche gewesen.

1.7. Gegen die am 21.09.2017 mit Mandatsbescheid verhängte Schubhaft richtete sich die am 16.10.2017 eingebrachte Beschwerde (datiert mit 14.10.2017) gemäß § 22a BFA-VG. Im Wesentlichen wurde moniert, dass hinsichtlich der Beurteilung des Sicherungsbedarfs eine ordnungsgemäße Subsumtion unterlassen worden sei, in dem weder im Spruch, noch in der Begründung angeführt worden sei, welcher der im § 76 Absatz 3 Ziffer 1 bis 9 FPG festgelegten Kriterien durch welchen konkreten Sachverhalt verwirklicht worden sei. Nach der Judikatur des VwGH sei fehlende soziale Integration nicht ausreichend, Sicherungsbedarf zu begründen. Der BF sei seit seiner ersten Ankunft in Österreich bis zu seiner Ausreise in die Schweiz, so wie seit seiner zweiten Ankunft in Österreich melderechtlich erfasst worden. Das Kriterium der Ausreiseunwilligkeit sei ebenso für sich genommen nicht ausreichend, ein Sicherungserfordernis zu begründen. Es werde ausdrücklich bestritten, dass der BF in Österreich über keine sozialen Kontakte verfüge. Er habe zahlreiche Bekannte und "Freund.innen" (?). Eine namentlich genannte Person sei der Lauftrainer des BF gewesen, eine weitere namentlich genannte Person würde den BF in Schubhaft regelmäßig besuchen und diesen finanziell unterstützen und eine dritte genannte Person besuche den BF in Schubhaft, unterstütze ihn finanziell und sei diese Person auch bereit, den BF im Falle seiner Entlassung bei sich aufzunehmen. In diesem Sinne wurde die zeugenschaftliche Einvernahme der genannten Personen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Unrichtig sei, dass der BF in Österreich über keine sozialen Kontakte verfüge und sei dies nicht ausreichend im Rahmen der Einvernahme herausgearbeitet worden. Der BF sei nach seiner zweitinstanzlichen Entscheidung im Asylverfahren in die Schweiz zu seiner nunmehrigen Freundin gereist. Seine Abwesenheit sei in weiterer Folge für die Behörde bekannt geworden, als sich die Schweizer Behörden mit Österreich in Verbindung gesetzt hätten. Der BF habe in der Einvernahme auch denklogisch einen Wohnsitz verneint. Er habe seinerzeit keine Möglichkeit gehabt, "Freund.innen" zu kontaktieren und habe er daher naturgemäß keine Wohnmöglichkeit angeben können.

Insgesamt beständen aktuell keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich der BF dem Verfahren und dem Zugriff der Behörde entziehen würde. Der BF sei kooperationsbereit und werde daher die Einvernahme des BF im Rahmen einer mündlichen Verhandlung beantragen. Schubhaft dürfe nie als Standardmaßnahme gegenüber Asylwerbern oder Fremden angewandt werden und widerspreche die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwendeten allgemeinen textbausteinartigen Formulierungen dem Prinzip der Einzelfallprüfung. Die Behörde habe zu Unrecht kein gelinderes Mittel verhängt. Naheliegend sei etwa die periodische Meldeverpflichtung bzw. die Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten. Insgesamt sei daher die Begründung des Schubhaftbescheides nicht überzeugend, nicht verhältnismäßig und daher rechtswidrig.

Neben dem Antrag zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung werde Kostenersatz in der gesetzlich vorgesehenen Höhe, sowie der Ersatz der Eingabegebühr begehrt.

1.8. Die Behörde legte den Verwaltungsakt dem Gericht am 17.10.2017 vor und führte im Rahmen einer ergänzenden Anfragebeantwortung aus, dass die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes bereits am 27.02.2017 beantragt und am 21.09.2017 eine Erinnerung an die Botschaft übermittelt worden sei. Unter Angabe des Verfahrensgangs wurde näher ausgeführt, dass im Rahmen der Einvernahme am 21.09.2017 keine Anhaltspunkte für das Bestehen familiärer Beziehungen oder dergleichen vorgelegen seien. In dieser Einvernahme wurden familiäre Beziehungen, die Ausübung einer legalen Erwerbstätigkeit sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes dezidiert verneint. Der BF habe die Grundversorgungsstelle heimlich verlassen, sei untergetaucht und habe sich ins Ausland abgesetzt. Auch würde dem BF ein freiwilliges Angebot zur Wohnungsnahme nicht davon abhalten, sich nun im Abschiebeverfahren neuerlich zu entziehen. Seitens der Rechtsvertretung seien keine Patenschaftserklärungen gemäß § 2 Absatz 1 Ziffer 26 AsylG durch die namhaft gemachten Personen beigebracht worden. Insofern handelt es sich dabei daher um keine verbindliche Zusage. Das Bestehen von Fluchtgefahr sei im Verfahren klar zum Ausdruck gekommen und unter der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung letztendlich bei der Verhängung von Schubhaft berücksichtigt worden. Nach Ansicht der Behörde sei die Schubhaft das einzig gangbare Mittel um eine Durchsetzung der Ausreiseentscheidung sicher zu stellen.

Die Behörde beantragt die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung sowie den gesetzmäßig zustehenden Kostenersatz im Verfahren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und zum Verfahren:

1.1. Der BF reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stelle am 23.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Er ist nicht österreichischer Staatsbürger und daher Fremder im Sinne des § 2 Absatz 4 FPG. Er ist Staatsangehöriger des Königreichs Marokko.

1.3. Er wurde am 21.09.2017 nach Abschluss einer Dublinrücküberstellung aus der Schweiz festgenommen und gegen ihn die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Das Asylverfahren des BF ist abgeschlossen. Eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung liegt vor.

2.2. Für die Annahme eines baldigen Erhalts eines Heimreisezertifikates bestehen keine Hinweise.

Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit:

3.1. Das BFA beantragte am 27.02.2017 bei der Botschaft des Königreichs Marokko die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF.

3.2. Mit Schreiben vom 05.04.2017 erging seitens der Schweizer Eidgenossenschaft ein Rücknahmeersuchen an die Republik Österreich im Sinne der Dublin III VO.

3.3. Am 21.09.2017 erfolgte seitens des BFA erstmals eine Urgenz (Erinnerung) bei der marokkanischen Vertretungsbehörde hinsichtlich der im Februar beantragten Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF.

3.4. Am 21.09.2017 erfolgte auch die Rücküberstellung des BF nach Österreich.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person und zum Verfahrensgang (1.1.-1.3.):

Die Feststellungen zur Person und zum Verfahren ergeben sich im Wesentlichen aus den Angaben in den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes. Die hierbei übernommenen Feststellungen aus dem Akt sind im gesamten Verfahren nicht in Zweifel gezogen worden und konnten daher der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden.

2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.2.):

Die Feststellung zu 2.1. ergibt sich aus den Angaben im Verwaltungsakt und wird das Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auch durch den BF nicht in Zweifel gezogen.

Aus dem Akteninhalt ergibt sich im Hinblick auf die Frage des Zeitpunkts für das Vorliegen eines Heimreisezertifikates für den BF nichts Konkretes. Auch in der Stellungnahme des BFA vom 17.10.2017 finden sich keinerlei Ausführungen darüber, ob, bzw. wann nun mit dem Erhalt eines Heimreisezertifikates gerechnet werden kann. Sonstige Aktenbestandteile, die darauf einen Hinweis geben könnten, wurden nicht vorgelegt.

2.3. Zur Verhältnismäßigkeit (3.1.-3.4.):

Die Behörde legte mit der Stellungnahme vom 17.10.2017 den Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates vom 27.02.2017, das Rückübernahmeersuchen der Schweizer Eidgenossen vom 05.04.2017 sowie die "Erinnerung" an die marokkanischen Vertretungsbehörde hinsichtlich der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF vom 21.09.2017 in Kopie vor. Aus dem weiteren Akteninhalt ergibt sich, dass der BF tatsächlich am 21.09.2017 von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt wurde (3.3.)

2.4.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden. Das Gericht verkennt nicht, dass im vorliegenden Fall von beiden Parteien aus unterschiedlichen Gründen die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde. Für die Aufhebung des Bescheides war jedoch keine nähere Klärung der Sachlage notwendig und konnte auch von einer Befragung der beantragten Zeugen sowie der Einvernahme des BF zum Thema "soziale Integration" Abstand genommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft:

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig"(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken)." (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.1.3. Sowohl die Beschwerde als auch die Gegenschrift der Behörde legen jeweils ihren Schwerpunkt auf das Bestehen bzw. das Nichtbestehen von Fluchtgefahr im gegenständlichen Abschiebeverfahren. Nach Ansicht des Gerichtes kann im vorliegenden Fall jedoch eine nähere Auseinandersetzung mit der Problematik des Sicherungsbedarfes unterbleiben, zumal für das erkennende Gericht die im vorliegenden Fall bestehende Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft klar in den Vordergrund tritt und daher die Schubhaft jedenfalls aus diesem Grunde aufzuheben war.

3.1.4. Das Verfahren hat ergeben, dass die Anhaltung des BF nach gerichtlicher Beurteilung sowohl im Zeitpunkt der Verhängung, als auch zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung unverhältnismäßig gewesen ist. Das BFA hat am 27.02.2017 bei der marokkanischen Botschaft die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF beantragt (siehe Feststellung zu 3.1.). Spätestens mit dem Einlagen des Rückübernahmegesuchs der Schweizer Eidgenossenschaft vom 05.04.2017 bzw. mit der Verfristung oder positiven Antwort der Republik Österreich musste klar sein, dass der BF innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nach Österreich zurückkehren werde. Bereits in diesem Zeitpunkt wäre daher sinnvoller Weise eine neuerliche Anfrage an die marokkanische Botschaft hinsichtlich des Zeitpunktes der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF tunlich gewesen. Ganz im Gegenteil dazu passierte nichts. Auch als die Schweizer Behörden den konkreten Abschiebungstag mitteilten, bot dies offensichtlich noch immer keinen Grund für die Behörde, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu urgieren. Schließlich wurde dann am 21.09.2017, am Tag der tatsächlichen Rücküberstellung des BF nach Österreich, erstmals ein Urgenzschreiben (Reminder) an die marokkanische Botschaft verfasst bzw. geschickt. Die Behörde war daher im Zeitraum zwischen dem 27.02.2017 und 21.09.2017 im Hinblick auf die Betreibung eines notwendigen Heimreisezertifikates ganz offenbar über Monate untätig.

Basierend auf diesen Feststellungen und der höchstgerichtlichen Judikatur, nach der die Schubhaft im Anschluss an eine längere Strafhaft tunlichst zu vermeiden ist (so etwa VwGH v. 15.10.2015, Ro 2015/21/0026), stellt sich klar dar, dass die Beschaffung des Heimreisezertifikates im gegenständlichen Fall zwar rechtzeitig in Angriff genommen, jedoch nicht weiter betrieben wurde. Es ist notorisch, dass die Beschaffung von Heimreisezertifikaten aus dem Länderbereich Nordafrikas zumeist mehrerer Monate in Anspruch nimmt. Die Behörde hat daher richtigerweise bereits im Februar 2017 einen diesbezüglichen Antrag gestellt. Dabei ist ihr auch nichts vorzuwerfen. Weshalb allerdings kein weiterer Akt der Betreibung bis zur Verhängung der Schubhaft am 21.09.2017 stattgefunden hat, lässt sich aus dem Akteninhalt und der Stellungnahme der Behörde nicht erschließen. Das Gericht geht daher diesbezüglich davon aus, dass seitens der handelnden Organe des BFA die Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht angemessen betrieben wurde und daher die Verhängung der gegenständlichen Schubhaft am 21.09.2017 als unverhältnismäßig anzusehen ist. Eine erste Urgenz des fehlenden Heimreisezertifikates wäre zeitnah zum Schweizer Rückübernahmeersuchen vom 05.04.2017 tunlich und möglich gewesen. Wäre im April 2017 eine Urgenz ergangen, so wäre es nunmehr im Oktober 2017 für das Gericht klar, dass zu diesem Zeitpunkt entweder bereits ein Heimreisezertifikat vorgelegen wäre, oder die Behörde Gewissheit gehabt hätte, ob ein derartiges Zertifikat auch tatsächlich ausgestellt werden würde.

Im Zuge des gerichtlichen Verfahrens haben sich auch keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass mit einer Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF in naher Zukunft gerechnet werden könnte und war daher auch hinsichtlich des Fortsetzungsausspruches keine Rechtmäßigkeit einer weiteren Anhaltung festzustellen. Im Übrigen schlägt hier nach oben zitierter Judikatur die ursprüngliche Unverhältnismäßigkeit gleichsam auf den Fortsetzungsausspruch durch.

Die seinerzeitige Verhängung sowie eine Weiterführung der gegenständlichen Schubhaft waren daher nach Ansicht des Gerichtes nicht als verhältnismäßig anzusehen und wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3.1.5. Im vorliegenden Fall war von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und einer Befragung der beantragten Zeugen auf Grund der sich bereits aus den vorliegenden Unterlagen ergebenen Unverhältnismäßigkeit der Anhaltung Abstand zu nehmen.

Zu Spruchpunkt II. und III. – Kostenbegehren

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die beschwerdeführende Partei vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Zu IV. Rückersatz der Eingabegebühr

Im Gegensatz zu § 59 Abs. 3 VwGG ist ein Zuspruch der Eingabengebühr in § 35 VwGVG nicht vorgesehen. Die Bestimmung über die Kosten bei Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nach § 35 VwGVG entspricht laut den Erläuterungen RV 2009 BlgNR 24. GP 8 § 79a AVG. Dieser sah aber anders als § 35 Abs. 4 Z 1 VwGVG in Abs. 4 Z 1 ausdrücklich "die Stempel- und Kommissionsgebühren [ ], für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat," als Aufwendungen an, die der obsiegenden Partei zu erstatten waren (vgl. UVS Steiermark 12.1.2011, 25.12-7/2010; UVS Wien 6.12.2012, 02/40/6907/2012).

Weder § 35 VwGVG, noch das GebührenG 1957 sehen einen Kostenersatz im Umfang der Eingabengebühr an das Bundesverwaltungsgericht vor.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Anhaltung, Eingabengebühr, Kostenersatz, Rechtsanschauung des VwGH,
Rechtswidrigkeit, Schubhaft, Schubhaftbeschwerde,
Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W171.2173605.1.00

Zuletzt aktualisiert am

07.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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