TE Vfgh Erkenntnis 2014/12/9 B751/2013

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Veröffentlicht am 09.12.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
FremdenpolizeiG §46a Abs1a, Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.              Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Pakistan. Die Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz erwuchs am 28. September 2008 in Rechtskraft. Während einer Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Wien am 28. Juli 2009 füllte der Beschwerdeführer ein Formblatt für die Erlangung eines Heimreisezertifikats aus. Nach einer Übermittlung der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers seitens des Bundeskriminalamts auf Anfrage der Bundespolizeidirektion Wien, ersuchte diese die Konsularabteilung der Botschaft der Islamischen Republik Pakistan mit Schreiben vom 13. August 2009 um Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den Beschwerdeführer, da dessen Abschiebung beabsichtigt sei. Mit Schreiben vom 13. November 2009 teilte die Botschaft der Islamischen Republik Pakistan der Bundespolizeidirektion Wien mit, dass keine Informationen über den Beschwerdeführer gefunden worden seien.

2.              Am 9. April 2010 wurde der Beschwerdeführer von Sicherheitsorganen aufgegriffen. Nachdem eine Abfrage im elektronischen kriminalpolizeilichen Informationssystem (EKIS) ergeben hatte, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig abgeschlossen war, gingen die Sicherheitsorgane davon aus, dass er sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Er wurde wegen Verdachts einer Verwaltungsübertretung gemäß §120 FPG festgenommen und der Bundespolizeidirektion Wien vorgeführt. Diese ordnete mit Bescheid vom 10. April 2010 die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers an. Am 12. April 2010 übermittelte die Bundespolizeidirektion Wien eine Kopie des pakistanischen Führerscheins des Beschwerdeführers an die Botschaft der Islamischen Republik Pakistan und ersuchte um Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den Beschwerdeführer. Am 9. Juni 2010 wurde dem Beschwerdeführer mündlich mitgeteilt, dass die Dauer der Schubhaft auf sechs Monate verlängert werde, da nach wie vor kein Heimreisezertifikat vorliege. Am 16. September 2010 wurde der Beschwerdeführer mit der Begründung aus der Schubhaft entlassen, dass nach wie vor kein Heimreisezertifikat vorliege und eine weitere Anhaltung in Schubhaft unverhältnismäßig wäre. Zwischen 2010 und 2012 wurde der Beschwerdeführer wiederholt aufgegriffen und wegen Verdachts der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach §120 FPG festgenommen.

3.              Die Bundespolizeidirektion Wien bzw. die Landespolizeidirektion Wien richtete bis zum 24. Mai 2013 wiederholt schriftliche Urgenzen an die Botschaft der Islamischen Republik Pakistan. Die Botschaft der Islamischen Republik Pakistan forderte die Behörden im Heimatstaat des Beschwerdeführers wiederholt auf, dessen Identität zu bestätigen.

4.              Am 25. Februar 2013 beantragte der Beschwerdeführer bei der Landespolizeidirektion Wien die Ausstellung einer Karte für Geduldete nach §46a Abs2 FPG und brachte vor, dass er im Zusammenhang mit der Beschaffung des Heimreisezertifikates stets kooperativ gewesen und eine Abschiebung aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich sei. Die Landespolizeidirektion Wien wies den Antrag mit Bescheid vom 23. März 2013 (offenbar fälschlich datiert mit "23. 2. 2013") mit der Begründung ab, dass der Beschwerdeführer bei der Beschaffung des Heimreisezertifikats nur ungenügend mitgewirkt habe, insbesondere dadurch, dass er nicht immer ordnungsgemäß gemeldet gewesen sei, sich mit einem gefälschten Dokument ausgewiesen habe und im Jahr 2011 einer Ladung zur Ausfüllung eines Formblattes zur Erlangung des Heimreisezertifikates nicht nachgekommen sei. Weiters habe er sich im Zuge einer Anhaltung dahingehend geäußert, dass er gerne in Österreich bleiben würde.

5.              Mit Berufungsbescheid vom 14. Mai 2013 bestätigte die Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass der Antrag gemäß §46a Abs1a FPG zurückgewiesen werde. Begründend führte die Landespolizeidirektion Wien unter Berufung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2012, 2012/21/0053, aus, dass durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl I 38/2011, die Antragsmöglichkeit in Bezug auf die Ausstellung der Karte für Geduldete beseitigt worden sei. Es sei die zum Entscheidungszeitpunkt geltende Rechtslage anzuwenden, zumal hinsichtlich §46a FPG keine Übergangsregelungen vorgesehen seien. Demnach sei der Antrag des Beschwerdeführers mangels Antragsmöglichkeit richtigerweise zurückzuweisen gewesen.

6.              Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

7.              Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

8.              Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litb B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §46a Abs1a des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, ein.

9.              Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160-162/2014, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass §46a Abs1a FPG, BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, nicht verfassungswidrig war.

II.              Rechtslage

1.              §46a FPG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 38/2011 lautete:

"Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn die Behörde von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann von der Behörde mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden von der Behörde mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.

(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(2) Die Behörde hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach Abschluss eines Verfahrens nach dem AsylG 2005 und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. eine Duldung im Sinne des Abs1 nicht oder nicht mehr vorliegt;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich der Behörde vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Behörde ermächtigt, die Karte abzunehmen. Abgenommene Karten sind unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichen Wirkungsbereich das Organ eingeschritten ist. Diese hat die Karte an die zuständige Behörde weiterzuleiten."

III.              Erwägungen

1.              Die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG vorgenommene Verbindung der zu B1353/2012 und B1357/2012 bzw. zu B751/2013 protokollierten Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung wird gemäß §192 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG wieder aufgehoben.

2.              Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.1.              Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

2.2.              Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2014, G160-162/2014, ausgesprochen hat, kommt einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv §46a Abs2 FPG zu. Wird ein solcher Antrag gestellt, hat die Behörde das Vorliegen der Duldung gemäß §46a Abs1a FPG zu prüfen, die ex lege eintritt, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen. Ist keine Duldung eingetreten, so hat die Behörde den Antrag auf Ausstellung der Karte mit Bescheid abzuweisen. Ein solcher Bescheid ist im Rechtsmittelweg auch dahin zu überprüfen, ob die Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Duldung gemäß §46a Abs1a FPG, also die Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen, nicht vorlagen.

2.3.              Im vorliegenden Fall wurde der auf Ausstellung einer Karte für Geduldete (§46a Abs2 FPG) gerichtete Antrag mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landespolizeidirektion Wien keiner meritorischen Erledigung zugeführt, sodass dem Beschwerdeführer verweigert wurde, die Beurteilung der erstinstanzlichen Behörde über das Vorliegen der Duldung in einem entsprechenden Verfahren, das mit einer Sachentscheidung endet, überprüfen zu lassen.

IV.              Ergebnis

1.              Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2.              Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.              Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.              Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Die als "ERV-Erhöhungsbeitrag" geltend gemachten Kosten sind schon deshalb nicht zuzusprechen, da diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind (VfGH 20.2.2014, U1190/2013).

Schlagworte

Fremdenpolizei, Duldung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B751.2013

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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