RS Vfgh 2014/9/19 B282/2012

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Veröffentlicht am 19.09.2014
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Z4
ASVG §31 Abs3 Z12, §351c Abs9, Abs10
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübungsfreiheit
Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG §23, §24, §25 Abs2 Z3
Richtlinie 89/105/EWG

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Nichtaufnahme der Arzneispezialität Onbrez in den grünen Bereich des Erstattungskodex mangels Wirtschaftlichkeit; Heranziehung des Preises eines Generikums als Maßstab für die Preisbildung für eine noch patentgeschützte Arzneispezialität nicht unsachlich

Rechtssatz

Keine Bedenken gegen die Zusammensetzung der belangten Unabhängigen Heilmittelkommission (UHK); keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren iSd Art6 EMRK.

Allein aus der dienstrechtlichen Stellung als Abteilungsleiter des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ist keine Befangenheit bei der Mitwirkung an der Rechtsfindung der belangten Behörde abzuleiten (vgl VfGH 18.11.2013, B1415/2011).

Die Entscheidung darüber, ob eine Arzneispezialität unter strengeren oder weniger strengen Voraussetzungen auf Rechnung eines Krankenversicherungsträgers abgegeben werden kann, berührt weder den Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Erwerbsausübung noch greift eine solche Entscheidung ins Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums ein.

§351c Abs9 und Abs10 ASVG bzw §25 Abs2 Z3 VO-EKO sind nicht gleichheitswidrig.

Wenn ein Arzneimittel mit aufrechtem Patentschutz und nur geringem medizinischen Zusatznutzen nur dann in den Erstattungskodex aufgenommen werden darf, wenn bei der gesundheitsökonomischen Evaluation ökonomische Vorteile (oder nur geringe ökonomische Nachteile) im Verhältnis zu bereits im (gelben oder grünen Bereich des) Erstattungskodex enthaltenen Arzneispezialitäten erweislich sind, entspricht dies auch dann dem Ziel der "Gewährleistung einer adäquaten Versorgung mit Arzneimitteln zu angemessenen Kosten", wenn es sich bei den Vergleichsmedikamenten um preisgünstige Generika handelt.

Es ist nicht gleichheitswidrig, wenn die gesetzliche Regelung dazu führt, dass ein vertriebsberechtigtes Unternehmen das Marktrisiko für ein mit Entwicklungskosten belastetes neues, höherpreisiges, aber in den therapeutischen Wirkungen den bisherigen Alternativen (von denen überdies bereits Generika existieren) im Wesentlichen bloß entsprechendes (oder nur geringfügig wirksameres) Arzneimittel in erster Linie selbst zu tragen hat. Die für die gesundheitsökonomischen Anforderungen maßgebliche gesetzliche Differenzierung zwischen Arzneimitteln, die eine wesentliche therapeutische Innovation darstellen und Arzneimitteln, bei denen dies nicht der Fall ist, verstößt daher nicht gegen den Gleichheitssatz (vgl VfGH 21.02.2014, B1429/2011).

Es ist nicht denkunmöglich, wenn die belangte Behörde bei der Bewertung "aus pharmakologischer Sicht" die Vergleichbarkeit therapeutischer Alternativen in erster Linie anhand der pharmakologischen Wirkungsweise beurteilt hat.

Auch ist nicht erkennbar, aus welchem Grund im Falle der Einbeziehung von Spiriva in die medizinisch-therapeutische Evaluation die Personengruppe, für die durch Onbrez ein zusätzlicher therapeutischer Nutzen entsteht, (entsprechend der Einstufung nach §24 Abs2 Z4 VO-EKO) zumindest die Mehrzahl der Patienten umfassen sollte.

Keine Willkür durch der Einstufung von Onbrez im Rahmen der medizinisch-therapeutischen Evaluation gemäß §24 Abs2 Z3 VO-EKO (zusätzlicher therapeutischer Nutzen für eine Untergruppe von Patienten).

Die Fragen, ob der therapeutische Nutzen ein wesentlicher ist und ob die Mehrzahl oder ob nur eine kleinere Gruppe von Patienten von diesem Nutzen profitiert, sind Fachfragen, die im Rahmen von Sachverständigengutachten und klinischen Studien (die von der antragstellenden Partei vorzulegen sind: vgl auch §351d Abs1 ASVG) zu beurteilen sind. Gemäß §31 Abs1 Z12 ASVG ist nämlich die therapeutische Wirkung und der Nutzen eines Arzneimittels für die Ziele der Krankenbehandlung "nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft" zu ermitteln. Der belangten Behörde kann daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie fachärztliche Schreiben, die nicht die gebotene Breite und Tiefe sachverständiger wissenschaftlicher Argumentation aufweisen, sondern bloßen Empfehlungscharakter haben, als für die angestrebte Beweisführung unbeachtlich angesehen hat.

Es ist nicht unsachlich, für eine noch patentgeschützte Arzneispezialität den Preis eines Generikums als Maßstab für die Preisbildung im Erstattungskodex heranzuziehen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Arzneimittel, Kollegialbehörde, Tribunal, Befangenheit, Preisregelung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B282.2012

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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