RS Vfgh 2014/6/25 B705/2013

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Veröffentlicht am 25.06.2014
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Index

20/08 Urheberrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
B-VG Art151 Abs51 Z8, Z9
StGG Art5
VerwertungsgesellschaftenG 2006 §20, §25, §27,§30, §36, §37
UrheberrechtsG §59a

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch Abweisung des Antrags einer Verwertungsgesellschaft auf Bestellung eines Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses; Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Bescheid der Vorsitzenden des Urheberrechtssenates; denkunmögliche Gesetzesanwendung durch Ausweitung der Bedingung der "Tunlichkeit" auf den Fall der Änderung eines Gesamtvertrags zwischen Verwertungsgesellschaft und Nutzerorganisation; Verletzung der Privatautonomie der Vertragspartner

Rechtssatz

Der angefochtene Bescheid hat die Form einer Erledigung des Urheberrechtssenats. Es liegt dem Bescheid aber kein Kollegialbeschluss dieser Behörde zu Grunde, er ist von der Vorsitzenden des Urheberrechtssenats erlassen worden. Nur sie ist auch gemäß §36 Abs2 VerwGesG 2006 für die Entscheidung über Anträge auf Bestellung des Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses zuständig. Dem Umstand, dass sich die beschwerdeführende Gesellschaft in der Bezeichnung der belangten Behörde vergreift, kommt keine rechtliche Bedeutung zu.

Zulässigkeit der Beschwerde.

Der Umstand, dass die belangte Behörde (Vorsitzende des Urheberrechtssenats) zusammen mit dem Urheberrechtssenat gemäß Art151 Abs51 Z8 B-VG iVm litA Z33 seiner Anlage mit Ablauf des 31.12.2013 aufgelöst und gemäß Art13 Abs5 Verwaltungsgerichtsbarkeits-AnpassungsG - Justiz, BGBl I 190/2013, mit 01.01.2014 wieder errichtet wurde, vermag daran nichts zu ändern, zumal (auch) die Zuständigkeit des Vorsitzenden des Urheberrechtssenats zur Bestellung des Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses beibehalten wurden. Da das Beschwerdeverfahren sich gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde richtet, die in erster und letzter Instanz entschieden hat, tritt gemäß Art151 Abs51 Z9 B-VG auch kein Verwaltungsgericht in das beim VfGH mit Ablauf des 31.12.2013 anhängige Verfahren ein.

Kein Abspruch über die Rechte aus der "integralen Kabelweiterleitung" nach §59a UrheberrechtsG, sondern über das prozessuale Recht auf Bestellung des Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses gemäß §36 Abs3 VerwGesG 2006.

Die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung umfasst auch das Recht zum Abschluss privatrechtlicher Verträge. Der Staat darf - gleichgültig ob er den Abschluss bestimmter Verträge verhindert oder umgekehrt dazu zwingt - in die Privatautonomie lediglich unter den Voraussetzungen eingreifen, die die Verfassungsordnung ganz allgemein für die Zulässigkeit von Eigentumseingriffen vorsieht.

Die Auslegung des Begriffes "Tunlichkeit" durch die belangte Behörde widerspricht der klaren Absicht des Gesetzgebers (Hinweis auf die Materialien zum selben Begriff im vergleichbaren Zusammenhang des §20 Abs2 VerwGesG 2006).

Im Übrigen übersieht die belangte Behörde, dass im vorliegenden Zusammenhang nicht ein Fall des §20 Abs1 VerwGesG 2006 vorliegt, sondern §25 Abs2 VerwGesG 2006 anzuwenden ist. Diese Bestimmung besagt, dass eine Partei die Erlassung einer Satzung beantragen kann, wenn das Verlangen, einen bestehenden Gesamtvertrag abzuändern oder durch einen neuen Gesamtvertrag zu ersetzen, abgelehnt wird. Diese Bestimmung fordert nicht die Tunlichkeit.

Auch das von der beteiligten Partei ins Treffen geführte Argument, dass ohnehin ein Kollektivvertrag für die Filmschaffenden vorhanden sei, der auch die Abgeltung der Urheberrechte regle, ist nicht geeignet, die durch die Nichtbestellung des Vorsitzenden bewirkte Beschränkung der Privatautonomie und den daraus resultierenden Eingriff in das Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Gesellschaft zu rechtfertigen.

Der geltende Kollektivvertrag ist auch auf Basis der vor der Entscheidung des EuGH Luksan/Van der Let vom 09.02.2012, C-277/10, bestehenden Rechtsauffassung abgeschlossen worden. Eine die geänderte Rechtsauffassung berücksichtigende Änderung des Gesamtvertrags würde auch die Randbedingungen für den Kollektivvertrag modifizieren.

Mit ihrer Übertragung des Begriffes "Tunlichkeit" auf Fälle der Änderung eines Gesamtvertrages in Verbindung mit ihrer konkreten, die Privatautonomie der Vertragspartner eines Gesamtvertrages gemäß §20 VerwGesG 2006 grob verletzenden Auslegung dieses Begriffes hat die belangte Behörde einen so schweren Fehler begangen, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Urheberrecht, Behördenzuständigkeit, Eigentumseingriff, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:B705.2013

Zuletzt aktualisiert am

14.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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