TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/04 S2 430627-2/2013

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Veröffentlicht am 04.07.2013
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Spruch

S2 430.626-2/2013/5E

 

S2 430.630-2/2013/3E

 

S2 430.628-2/2013/3E

 

S2 430.627-2/2013/3E

 

S2 430.629-2/2013/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX, 2.) des mj. XXXX, 3.) der mj. XXXX, 4.) der mj. XXXX, 5.) des mj. XXXX, 2.) -

5.) gesetzlich vertreten durch die Mutter, XXXX, alle StA:

Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 07.05.2013, FZ. 12 12.264-EAST West ad 1.), 12 12.265-EAST West ad 2.) 12 12.266-EAST West ad 3.) 12 12.267-EAST West ad 4.) und 12 12.268-EAST West ad 5.), zu Recht erkannt:

 

Den Beschwerden wird gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 (AsylG) stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I.1. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: "BF") sind alle Staatsangehörige Afghanistans. Sie gelangten unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellten am 09.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die 1.-BF ist die Mutter der minderjährigen 2.- 5.-BF.

 

Hinsichtlich der 1.-3.-BF scheint jeweils ein EURODAC-Treffer für die Niederlande (14.06.2012, TER APEL, AS 7 im Akt der 1.-BF, AS 5 im Akt des 2.-BF, AS 5 im Akt der 3.-BF) auf.

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.09.2012 gaben die 1.-3.-BF im Wesentlichen übereinstimmend an, dass sie vor circa viereinhalb Monaten mit gefälschten Reisepässen von Kabul nach Ankara geflogen seien. Von dort seien sie nach Griechenland gereist und dann weiter in eine ihnen unbekannte Stadt geflogen. Danach seien sie circa zwei Stunden mit einem Pkw gefahren und am 12.06.2012 in Holland von der Polizei angehalten worden. Die BF hätten einen Asylantrag gestellt, welcher innerhalb von acht Tagen abgelehnt worden sei. Sie hätten ein Monat und 28 Tage in einem Flüchtlingslager verbracht. Da ihnen die Abschiebung nach Afghanistan angekündigt worden sei, hätten sie sich entschlossen, Holland zu verlassen. Die BF hätten nicht viel von Holland mitbekommen, weil sie nur in diesen Flüchtlingslagern gewesen seien. Es habe ihnen in Holland gefallen (AS 15ff im Akt des 1.-BF, AS 15ff im Akt des 2.-BF, AS 15ff im Akt der 3.-BF).

 

Das Bundesasylamt richtete am 11.09.2012 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO") gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an die Niederlande (AS 47ff im Akt der 1.-BF, AS 43ff im Akt des 2.-BF).

 

Am 13.09.2012 wurde den BF gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihre Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 11.09.2012 Konsultationen mit den Niederlanden geführt würden (AS 69ff im Akt der 1.-BF, AS 59ff im Akt des 2.-BF, AS 35ff im Akt der 3.-BF, AS 25ff im Akt der 4.-BF, AS 27ff im Akt des 5.-BF).

 

Mit Schreiben vom 21.09.2012, eingelangt am selben Tag, stimmten die Niederlande dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 83f im Akt der 1.-BF, AS 75 im Akt des 2.-BF, AS 51f im Akt der 3.-BF, AS 41f im Akt der 4.-BF, AS 43f im Akt des 5.-BF).

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 09.10.2012 gaben die 1.-2.-BF nach erfolgter Rechtsberatung im Wesentlichen gemeinsam an, dass die 1.-BF krank und pflegebedürftig sei. Der 2.-BF habe sich das Bein gebrochen als die 2.-BF vom 15.09.2012 bis zum 21.09.2012 aufgrund ihrer angeschlagenen Psyche im Landesklinikum XXXX gewesen sei. Die 1.-BF sei immer gestresst und an einem Abend bewusstlos gewesen. Die 3.-5.-BF seien gesund. In Holland hätten sie einen negativen Bescheid erhalten und es sei von ihnen verlangt worden, freiwillig nach Afghanistan auszureisen. Die 1.-BF habe dann keine Medikamente mehr bekommen. Die 1.-BF sei aufgrund der Bedrohung der holländischen Behörde krank. Die 1.-BF habe Zahnschmerzen gehabt und nicht zum Arzt gehen dürfen. Einmal sei sie beim Zahnarzt in Holland gewesen, aber jetzt sei sie wieder schmerzfrei. Vom Rechtsberater wurde eine psychiatrische Begutachtung der 1.-BF beantragt (AS 107ff im Akt des 1.-BF, AS 111ff im Akt des 2.-BF, AS 75ff im Akt der 3.-BF, AS 55ff im Akt der 4.-BF, AS 57ff im Akt des 5.-BF).

 

Laut einer Stellungnahme des Landesklinikums XXXX, Abteilung Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, vom 18.09.2012 sei die 1.-BF am 15.09.2012 in einem dissoziativen Zustand stationär aufgenommen worden. Die 1.-BF sei schwerst psychisch krank und benötige dringend adäquate, fachärztlich psychiatrische Betreuung sowie dementsprechende Medikation. Deshalb werde auch um ein Bleiberecht für die BF ersucht, zumal sie durch eine Abschiebung ein nochmaliges psychisches Trauma erleben und dies zu einer Verstärkung der negativen Symptomatik führen würde (AS 133 im Akt der 1.-BF).

 

Laut Aufenthaltsbestätigung des Landesklinikums XXXX sei die 1.-BF vom 15.09.2012 bis zum 21.09.2012 stationär aufhältig gewesen (AS 131 im Akt der 1.-BF).

 

Laut vorläufigem Arztbrief des Landesklinikums XXXX, Abteilung Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, vom 20.09.2012 wurde eine dissoziative Störung F44 diagnostiziert. Empfohlen wurden Abilify 5mg, Mirtabene 30mg und Seroquel 50mg XR (AS 129 im Akt der 1.-BF).

 

Laut Arztbrief der Unfallchirurgie des Landesklinikums XXXX vom 24.09.2012 wurde beim 2.-BF Cont ped dext gravis diagnostiziert. Der 2.-BF habe sich am 16.09.2012 am rechten Mittelfuß verletzt. Am 24.09.2012 sei er zur Gipsabnahme und Kontrolle wiederbestellt worden, wobei festgestellt wurde, dass er problemlos gehe und subjektiv beschwerdefrei sei (AS 121f im Akt der 1.-BF).

 

2. Die Anträge auf internationalen Schutz der BF wurden im ersten Rechtsgang jeweils mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 18.10.2012 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der gegenständlichen Asylanträge gemäß "Artikel 16 (1)" Dublin II-VO die Niederlande zuständig seien. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Niederlande ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Niederlande zulässig sei.

 

Laut Aktenvermerk des Bundesasylamtes vom 24.10.2012 habe sich die 1.-BF seit 19.10.2012 im Krankenhaus XXXX in der Psychiatrie II in stationärer Behandlung befunden (AS 179 im Akt der 1.-BF).

 

Laut Arztbrief des Krankenhauses XXXX vom 31.10.2012 war die 1.-BF vom 19.10.2012 bis zum 31.10.2012 stationär aufhältig. Diagnostiziert wurden eine rezidiv. depressive Episode - mittelgradig F32.1 und eine dissoziative Störung (Bewegungsstörung) F 44.4 bei psychosozialen Belastungsfaktoren. Empfohlen wurden eine sozialtherapeutische Begleitung sowie eine Kontrolle bei einem Facharzt für Psychiatrie bei Bedarf. Die 1.-BF habe in gebessertem Zustandsbild entlassen werden können (AS 183f im Akt der 1.-BF).

 

Gegen diese Bescheide des Bundesasylamtes wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, die samt Verwaltungsakten am 20.11.2012 beim Asylgerichtshof einlangte.

 

Mit hg. Erkenntnis vom 29.11.2012, Zlen. S2 430.626-1/2012/3E, S2 430.630-1/2012/3E, S2 430.628-1/2012/3E, S2 430.627-1/2012/3E, S2 430.629-1/2012/3E, wurde den Beschwerden gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 (AsylG) stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Zuständigkeit der Niederlande sei gegeben, zu prüfen sei der - näher angeführte - Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob allenfalls ein Selbsteintritt Österreichs oder ein Durchführungsaufschub auszusprechen sei: "Im vorliegenden Fall war in diesem Zusammenhang mit den aktenkundigen Erkrankungen der 1.-BF, die als alleinstehende Mutter mit vier minderjährigen Kindern reist, vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung primär die Rechtsfrage zu klären, ob die Überstellung der BF in die Niederlande aufgrund besonderer Umstände einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Grundrechte, insbesondere die reale Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte mit sich brächte.

 

Was den konkreten gesundheitlichen Zustand der 1.-BF sowie eine Überstellung in die Niederlande zum jetzigen Zeitpunkt betrifft, so mangelt es bisher allerdings an einem ausreichend schlüssigen fachärztlichen Befund. Der Gesundheitszustand der 1.BF wurde - wie auch in der Beschwerde zutreffend ausgeführt wurde - vor der Bescheiderlassung nicht ausreichend geprüft und es findet sich im angefochtenen Bescheid zu dieser Frage keine hinreichende Auseinandersetzung. Der angenommenen Überstellungsfähigkeit der 1.-BF liegt auch keine ausreichende fachärztliche Beurteilung zugrunde und weiters wurden vom Bundesasylamt die Behandlungsmöglichkeiten in den Niederlanden nicht ausreichend ermittelt. Weiters ist zu prüfen, wie sich eine Überstellung in die Niederlande auf eine - wie vorliegend - alleinstehende Frau mit vier minderjährigen Kindern, die zudem auch noch an einer psychischen Erkrankung leidet, auswirken würde. Dazu kommt das Erfordernis der fachärztlichen Abklärung des psychischen Gesundheitszustandes der 1.-BF in Zusammenschau mit ihren Therapie- und Betreuungserfordernissen als alleinerziehende Mutter.

 

Im Fall der 1.-BF sind demnach primär ihr aktueller Gesundheitszustand, die tatsächlichen Behandlungsmöglichkeiten in den Niederlanden, die Überstellungsfähigkeit sowie die Auswirkung einer Überstellung auf eine psychisch erkrankte, alleinerziehende Mutter mit vier minderjährigen Kindern, zu ermitteln, wobei die Einholung einer fachärztlichen Beurteilung nötig erscheint. Ebenfalls ist bei dieser Sachlage zu prüfen, ob allenfalls durch die besondere Situation der Mutter Umstände vorliegen, die die mj 2.-bis 5.-BF im Falle einer Überstellung in die reale Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bringen könnte, es ist also konkret zu klären, in welche Situation die Kinder bei einer Überstellung im Falle einer Erkrankung der Mutter kämen. Diese Klärung ist einerseits im Hinblick auf die mögliche Verpflichtung eines Selbsteintrittes Österreichs (iZm Art. 3 EMRK) erforderlich."

 

II.1. Lt. Aktenvermerk des Bundesasylamtes vom 21.01.2013 wurde die 1.-BF in die Psychiatrische Abteilung des KH XXXX eingeliefert, weswegen der zunächst vorgesehene Termin für eine Untersuchung der 1.-BF beim Sachverständigen zur Erstellung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens abberaumt wurde (AS 369).

 

2. Lt Kurzarztbrief der Abteilung 2 für Psychiatrie des KH XXXX vom 31.01.2013 wurden bei der 1.-BF "PTSD F 43.1, dissoziative Störung, ggw. schwer, F 33.2, dissoziative Störungen F 44.7" diagnostiziert. Empfohlen wurden eine näher angeführte Medikation, eine psychosoziale Betreuung sowie eine regelmäßige und adäquate Psychotherapie (AS 387 im Akt der 1.-BF).

 

3. Die 1.-BF wurde am 07.03.2013 über Auftrag des Bundesasylamtes zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens einer Untersuchung durch XXXX unterzogen. Der Gutachter kommt in seinem Gutachten vom 09.03.2013 zu dem Ergebnis, dass die 1.-BF an einer "Anpassungsstörung mit einer mittelgradigen depressiven Reaktion von längerer Dauer" leidet. In Beantwortung der vom Bundesasylamt gestellten Fragen führte der Gutachter aus, die 1.-BF sei zeitlich, örtlich, situativ und zur Person derart orientiert, dass sie in der Lage sei, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei bei diesem Krankheitsbild nicht auszugehen. Im Falle einer Überstellung in die Niederlande sei eine kurz- bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich, da in diesem Fall der Wunsch, in Österreich zu bleiben, nicht erfüllt werden würde. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bestehe im Falle einer Überstellung aber nicht die reale Gefahr, dass die Antragstellerin aufgrund der psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder die Krankheit sich in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sollte vor, während und nach der Überstellung der Betroffenen in die Niederlande die bereits eingeleitete medikamentöse antidepressive Therapie weitergeführt werden. Die Untersuchte sei trotz der psychischen Erkrankung in der Lage, die Arbeiten des täglichen Lebens durchzuführen. Sie sei auch in der Lage, ihren Pflichten als Mutter nachzukommen (AS 405 ff im Akt der 1.-BF).

 

4. Der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 08.04.2013 zufolge (AS 453ff) hätten Asylwerber mit laufendem Asylverfahren in den Niederlanden Zugang zu Basisversorgung, inklusive Bildung, Gesundheitsversorgung und Rechtshilfe. Weiters finden sich Details über die Gesundheitsversorgung einschließlich psychologischer Betreuung von Asylwerbern in diesem Staat. Für den Fall einer notwendigen stationären Behandlung eines Asylwerbers ist in der Anfragebeantwortung weiter angeführt, welche Maßnahmen die niederländischen Behörden für den Fall vorsehen, dass minderjährige Kinder mitgereist sein sollten, wobei diesfalls die vorübergehende Unterbringung in einer Pflegefamilie möglich sei. Im Falle einer Dublinüberstellung werde um rechtzeitige Kontaktaufnahme mit dem Zielstaat ersucht, um dort die notwendigen Vorbereitungen treffen zu können.

 

5. Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.04.2013 gab die 1.-BF ihren Gesundheitszustand betreffend im Wesentlichen an, dass sie zwar krank sei, doch die Einvernahme durchführen könne. Sie habe psychische Probleme, Angst vor der Dunkelheit, könne nachts nicht schlafen, sei stationär im Spital gewesen und nehme Medikamente. Sie befinde sich in Therapie und habe zwei Arzttermine. Über Vorhalt des Sachverständigengutachtens vom 09.03.2013 gab die 1.-BF an, sie habe auch den Ärzten gesagt, dass es ihr schlecht gehe, sie zu Hause keine Arbeiten verrichten könne, weil sie nur weinen wolle, irgendwo sitzen möchte, wo es dunkel sei, nachts nicht schlafen könne, obwohl sie Medikamente nehme, von diesen würde sie benebelt, könne aber trotzdem nicht schlafen (AS 4617ff im Akt des 1.-BF4). Im Zuge dieser Einvernahme legte die 1.-BF einen Arztbrief des Krankenhauses

XXXX vom 14.12.2012 vor, aus dem als Aufnahmegrund "Verschlechterung der Stimmungslage mit SMG, Dissoziative Störung" und als Diagnose "rezidiv. depressive Episode -, ggw. schwer mit SMG, dissoziative Störung F 44.4 bei psychosozialen Belastungsfaktoren" hervorgeht (AS 467), sowie den bereits oben angeführten Kurzarztbrief vom 31.01.2013 des KH XXXX (s. oben Pkt II.2.).

 

6. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesasylamtes wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz neuerlich ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO die Niederlande zuständig seien. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Niederlande ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Niederlande zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe daher zu. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergeben. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass die BF bei einer Überstellung in die Niederlande einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt werden würden. Auch würden der Überstellung in die Niederlande keine familiären Gründe entgegenstehen.

 

Die Bescheide enthalten auch eine ausführliche Darstellung zur Lage in den Niederlanden, insbesondere zum niederländischen Asylverfahren, zum Non-Refoulement-Schutz sowie zu Versorgungsleistungen. Konkret zur 1.-BF wurde festgestellt, dass es sich bei dem Vorbringen der 1.-BF, wonach diese dort keine medizinische Versorgung erhalten würde, ausgehend von den aktuellen Länderfeststellungen lediglich um Befürchtungen subjektiver Natur handle, aus den Feststellungen der Staatendokumentation gehe zudem hervor, dass die medizinische Versorgung in den Niederlanden gewährleitet sei, dass das niederländische Asylverfahren keine wesentlichen menschenrechtlichen Mängeln aufweise, Antragstellern obligatorisch ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt werde, Dublin-Rücküberstellte dieselben Rechte wie andere Asylwerber hätten und gegebenenfalls auch einen Folgeantrag einbringen könnten (AS 495ff im Akt der 1.-BF).

 

Gegen diese - dem Rechtsvertreter der BF am 10.05.2013 zugestellten - Bescheide erhob der Rechtsvertreter der BF rechtzeitig Beschwerde und verwies ua auf den schlechten Gesundheitszustand der 1.-BF.

 

7. Am 07.05.2013 langte beim Bundesasylamt eine die 1.-BF betreffende Aufenthaltsbestätigung des KH XXXX ein, wonach diese seit 29.04.2013 stationär aufgenommen worden sei (AS 591 im Akt der 1.-BF).

 

8. Dem Aktenvermerk des BAA vom 08.05.2013 ist zu entnehmen, dass eine Entlassung der 1.-BF "heute noch nicht", eventuell am Freitag erfolgen würde, nähere Auskunft über den Aufnahmegrund dürfe die befragte Krankenschwester nicht erteilen (AS 595) Aus dem Aktenvermerk des BAA vom 10.05.2013 geht hervor, dass die 1.-BF an diesem Tag von der geschlossenen in die offene psychiatrische Abteilung verlegt worden sei (AS 601 im Akt der 1.-BF). Lt. Aktenvermerk des BAA vom15.05.2013 befinde sich die 1.-BF nach wie vor in stationärer Behandlung des KH XXXX, ein Entlassungstermin könne nicht bekannt gegeben werden (AS 619 im Akt der 1.-BF).

 

9. Die Beschwerden samt Verwaltungsakt langten beim AsylGH am 23.05.2013 ein. Mit Beschlüssen des Asylgerichtshofes vom 27.05.2013 wurde den Beschwerden gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt (jeweils OZ 2).

 

10. Der AsylGH forderte die aktuellen medizinischen Berichte des KH

XXXX an. Aus der am 17.06.2013 eingelangten psychiatrischen Stellungnahme der Psychiatrie 2 vom 06.06.2013 gehen hinsichtlich der zu diesem Zeitpunkt stationär aufhältigen 1.-BF als Diagnosen nach ICD-10 "PTSD F 43.1, dissoziative Störung, ggw. schwer, F 33.2, dissoziative Störungen F 44.7, Restless legs Syndrom G 25.81" hervor, es wurde auf die Schlussberichte des stationären Aufenthaltes von 18.01. bis 31.01.2013 verwiesen und ua angeführt, dass sich der Gesundheitszustand der 1.-BF seither insofern verschlechtert habe, als neu aufgetretene zusätzliche Symptome, wie Somatisierungsstörung, konkrete Suizidgedanken und eine ausgeprägte Hoffnungslosigkeit bezüglich ihrer sozialen Situation hinzugekommen seien. Häufigkeit, Frequenz und Intensität der vorbekannten psychogenen Anfälle hätten deutlich zugenommen (OZ 3 und 4 im Akt der 1.-BF).

 

III. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Die 1. - bis 5.-BF reisten von Afghanistan kommend über verschiedene Staaten in den Niederlanden in den Bereich der Mitgliedstaaten ein, wo sie am 14.06.2012 einen Asylantrag stellten, den dieser Staat ablehnte. Sodann reisten die BF illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter, wo sie am 09.09.2012 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Mit Schreiben vom 21.09.2012 stimmten die Niederlande dem österreichischen Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin II-VO ausdrücklich zu.

 

Bei der 1.-BF leidet an "PTSD F 43.1, dissoziative Störung, ggw. schwer, F 33.2, dissoziative Störungen F 44.7, Restless legs Syndrom G 25.81". Sie war aufgrund dessen vom 15.09.2012 bis zum 21.09.2012 im Landesklinikum XXXX, vom 19.10.2012 bis zum 31.10.2012 im Krankenhaus XXXX, vom 18.01. bis 31.01.2013 und ab 29.04.2013 im KH XXXX stationär aufhältig.

 

Grundsätzlich besteht für die festgestellten Erkrankungen der 1.-BF in den Niederlanden eine Behandlungsmöglichkeit, auch besteht grundsätzlich dort die Möglichkeit der Betreuung der mj. 2.-5.-BF im Falle einer notwendigen stationären Behandlung der 1.-BF.

 

Die minderjährigen 2.-5.-BF sind gesund.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg der Beschwerdeführer sowie zu ihrem Aufenthalt in den Niederlanden ergeben sich aus den eigenen Vorbringen der 1.-3.-BF iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der 1.-BF ergeben sich insbesondere aus der Stellungnahme, der Aufenthaltsbestätigung und dem vorläufigen Arztbrief des Landesklinikums XXXX, dem Arztbrief des Krankenhauses XXXX sowie dem zuletzt eingeholten psychiatrischen Stellungnahme des KH XXXX. Dem vom BAA eingeholten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten kommt hinsichtlich des aktuellen Gesundheitszustandes der 1.-BF insofern keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil sich dieser Zustand seit der Untersuchung des beauftragten Facharztes am 07.03.2013 verschlechtert hat. Insofern folgt der AsylGH der eingeholten psychiatrischen Stellungnahme der Psychiatrie 2 des KH XXXX vom 06.06.2013, an deren Richtigkeit kein Zweifel entstand. Die Feststellungen zur bestehenden Behandlungsmöglichkeit der 1.-BF in den Niederlanden sowie zur dortigen grundsätzlichen Betreuungsmöglichkeit der mj. 2.-5.-BF im Falle einer notwendigen stationären Behandlung der 1.-BF ergeben sich aus den Feststellungen des BAA, die sich auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation stützt.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz nach diesem Zeitpunkt gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

e) einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat, und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach die BF zunächst in den Niederlanden einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der abgelehnt wurde und sie sich von dort nach Österreich begeben, das sie seither nicht verlassen haben, sie weiters auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art. 7 iVm Art. 2 lit. i Dublin II-VO) in Österreich haben, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art. 16 Abs. 1 lit. e für die Wiederaufnahme in Betracht. Gründe für eine mittlerweile eingetretene Unzuständigkeit der Niederlande sind nicht ersichtlich.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben. Die Niederlande haben auch auf Grundlage dieser Bestimmung ihre Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme der BF bereit erklärt.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, K15. zu Art. 19 Dublin II-VO).

 

Im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken wurde in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK ausgeführt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht habe, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, 31246/06;

Ayegh, 07.11.2006, 4701/05; Karim, 04.07.2006, 24171/05;

Paramasothy, 10.11.2005, 14492/03; Ramadan & Ahjredini, 10.11.2005, 35989/03; Hukic, 27.09.2005, 17416/05; Kaldik, 22.09.2005, 28526/05;

Ovdienko, 31.05.2005, 1383/04; Amegnigan, 25.11.2004, 25629/04; VfGH 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723).

 

Im vorliegenden Fall war in diesem Zusammenhang mit den Feststellungen über die aktuellen Erkrankungen der 1.-BF, die als alleinstehende Mutter mit vier minderjährigen Kindern reist, vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung primär die Rechtsfrage zu klären, ob die Überstellung der BF in die Niederlande aufgrund besonderer Umstände einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Grundrechte, insbesondere die reale Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte mit sich brächte.

 

Dies ist nach Auffassung des AsylGH hier ausnahmsweise der Fall:

Zwar ist dem BAA zuzugestehen, dass die festgestellten Erkrankungen der 1.-BF - auch wenn sie sich seit der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch verschlechtert haben - für sich allein genommen keine Pflicht zum Selbsteintritt nach sich ziehen, zumal diese nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind und im Zielstaat Behandlungsmöglichkeiten bestehenden (welche zudem jedenfalls auch europäischen Standards entsprechen). Auch die von der 1.-BF geäußerten Selbstmordabsichten gebieten für sich genommen nach der oben dargestellten Judikatur den Selbsteintritt Österreichs nicht.

 

Im Beschwerdefall ist aber in Betracht zu ziehen, dass sich die 1.-BF als alleinstehende Mutter mit vier (!) noch minderjährigen Kindern, die sich dem Alter nach teilweise in der Pubertät und in ungewohnter Umgebung befinden und die keinen Vater haben, was für sich genommen schon eine besondere Beanspruchung des erziehenden Elternteils mit sich bringt, auf der Flucht im Ausland befindet. Damit trifft sie ein besonderes Maß an Verantwortung, der sie durch die psychische Erkrankung aktuell nicht ausreichend gut nachkommen kann und sie daher in besonderer Weise verletzlich macht. Durch die besondere Situation der 1.-BF liegen somit Umstände vor, die die 1.-BF im Falle einer Überstellung in die reale Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte brächte.

 

3.3. Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Beschwerdefall in der Gesamtbetrachtung der Situation Umstände vorliegen, die die 1.-BF im Falle einer Überstellung in die Niederlande einem "real risk" der Verletzung in ihren durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten aussetzen würde. Es ist daher zur Vermeidung einer solchen Grundrechtsverletzung vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend Gebrauch zu machen und der erstangefochtene Bescheid gemäß § 41 Abs 3 2.Satz AsylG zu beheben. Eine weitere Unzuständigkeitsentscheidung durch das Bundesasylamt kommt bei dieser Sach- und Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr in Betracht. Im weiteren Verfahren wird der Antrag der 1.-BF auf internationalen Schutz inhaltlich zu prüfen sein, wobei angemerkt wird, dass die nunmehrige Zulassung die inhaltliche Entscheidung nicht berührt.

 

3.4. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragenen Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

 

Die 2.-5.-BF sind als minderjährige unverheiratete Kinder Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG der 1.-BF, die betreffenden Verfahren stellen sich daher als Familienverfahren (im Inland) gemäß § 34 AsylG dar. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutet dies, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402).

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.5. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, Überstellungsrisiko
Zuletzt aktualisiert am
10.07.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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