TE OGH 2008/12/17 2Ob119/08a

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Veröffentlicht am 17.12.2008
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mario K*****, vertreten durch Dr. Gerolf Haßlinger und andere Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, gegen die beklagten Parteien 1. Günter T*****, und

2. D***** AG *****, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwalt in Graz, wegen 16.311 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Februar 2008, GZ 4 R 180/07h-16, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. August 2007, GZ 45 Cg 33/07g-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass diese zu lauten haben:

1.

Die Klagsforderung besteht mit 4.077,75 EUR zu Recht.

2.

Die eingewendete Gegenforderung besteht mit 1.627,50 EUR zu Recht.

3.

Die beklagten Parteien sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 2.450,25 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. 12. 2006 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

              4.              Das auf die Zahlung weiterer 13.860,75 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. 12. 2006 lautende Mehrbegehren wird abgewiesen.

              5.              Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 5.612,39 EUR (darin 577,87 EUR USt und 2.415,21 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10. 10. 2006 ereignete sich im Kreuzungsbereich der Landesstraße L 664/Oberragnitzweg/Badendorfweg im Gemeindegebiet von Ragnitz ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Lenker seines LKWs Nissan Navara mit dem behördlichen Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker seines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKWs Mercedes-Benz 315 CDI mit dem behördlichen Kennzeichen ***** beteiligt waren. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

Der Kläger begehrte den Ersatz des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens von 16.311 EUR sA und brachte vor, er sei auf der bevorrangten L 664 in die Kreuzung eingefahren. Der aus dem Badendorfweg von rechts kommende Erstbeklagte habe das Vorschriftszeichen „Vorrang geben" missachtet und den Vorrang des Klagsfahrzeugs verletzt.

Die beklagten Parteien entgegneten, im Unfallbereich sei nicht das erwähnte Vorrangzeichen, sondern der Rechtsvorrang des Beklagtenfahrzeugs maßgeblich gewesen. Der Kläger habe diesen Vorrang verletzt und dadurch die Kollision allein verschuldet. Die beklagten Parteien wandten ferner den mit 2.070 EUR, darunter 300 EUR an Selbstbehalt, bezifferten Schaden des Erstbeklagten aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und gab dem Klagebegehren statt. Hiebei ging es zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus:

Die durch eine Leitlinie geteilte Fahrbahn der L 664 beschreibt - in Fahrtrichtung des Klägers - im Kreuzungsbereich eine Linkskurve von 90 Grad. Im Verlauf dieser Kurve mündet zunächst von rechts der Badendorfweg und sodann der Oberragnitzweg in die L 664 ein. Dabei stellt sich der Oberragnitzweg als die im Kurvenscheitel annähernd geradeaus führende Verlängerung der L 664 dar.

Die Fahrbahn des Badendorfwegs wird im Bereich des Mündungstrichters durch eine 15 Meter lange Verkehrsinsel in zwei Äste geteilt. Auf dem der Kreuzung näher gelegenen Teil der Verkehrsinsel befindet sich eine Kapelle mit einer Seitenlänge von zwei bis drei Metern sowie ein Betonblumentrog, an welchem gegen den Uhrzeigersinn weisende Gebotszeichen gemäß § 52 Abs 1 lit b Z 15 StVO („Vorgeschriebene Fahrtrichtung") und „rot-weiße Richtungspfeile" angebracht sind. Nach dem - aus Sicht des Erstbeklagten - von rechts einmündenden Oberragnitzweg ist für die vom Badendorfweg kommenden Fahrzeuglenker in einer Grünfläche neben dem rechten Fahrbahnrand das Vorschriftszeichen „Vorrang geben" mit einer die Querstraße als Vorrangstraße kennzeichnenden Zusatztafel (§ 54 Abs 5 lit d StVO) angebracht. Auch die vom Oberragnitzweg in die Kreuzung einfahrenden Fahrzeuglenker haben ein Vorrangzeichen zu beachten. Der Kläger befuhr die L 664 mit zuletzt etwa 40 km/h Geschwindigkeit und setzte in Annäherung an die Kreuzung den rechten Blinker. Er beabsichtigte, den Kreuzungsbereich geradlinig zu überqueren und die Fahrt im Oberragnitzweg fortzusetzen. Unterdessen näherte sich der Erstbeklagte der Kreuzung auf dem - aus seiner Sicht - rechten Fahrbahnast des Badendorfwegs. Er beabsichtigte, in die L 664 geradlinig einzufahren. Als er das von links kommende Klagsfahrzeug erblickte, hielt er Schrittgeschwindigkeit ein. Da er den am Klagsfahrzeug gesetzten rechten Blinker nicht wahrnahm, glaubte er, dass der Kläger die Linkskurve durchfahren werde, und beschleunigte. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge, wobei das Beklagtenfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von rund 20 km/h gegen die rechte Seite des Klagsfahrzeugs stieß. Dessen Kollisionsgeschwindigkeit lag bei ca 35 bis 40 km/h. Der Kläger hatte das Beklagtenfahrzeug erst unmittelbar vor der Kollision erblickt, sodass ihm eine unfallverhindernde Abwehrmaßnahme nicht mehr möglich war. Der Erstbeklagte hatte erstmals 3 sec vor der Kollision Sicht auf das Klagsfahrzeug erlangt. Zu diesem Zeitpunkt hätte er durch eine leichte Bremsung noch vor der späteren Kollisionsstelle anhalten können. Als er ca 1 sec vor der Kollision erkannt hatte, dass das Klagsfahrzeug die von ihm erwartete Fahrlinie verließ, war ihm dies nicht mehr möglich. Der Unfall wäre allerdings noch vermeidbar gewesen, wenn der Erstbeklagte nicht beschleunigt, sondern Schrittgeschwindigkeit beibehalten hätte. Dass das Klagsfahrzeug nicht nach rechts in den Badendorfweg einbiegen werde, war für den (richtig) Erstbeklagten 2,5 sec vor der Kollision erkennbar. Rechtlich erörterte das Erstgericht, der Erstbeklagte hätte bei Einfahrt in die L 664 das Vorschriftszeichen „Vorrang geben" zu beachten gehabt. Es könne dahingestellt bleiben, ob dieses Verkehrszeichen an der richtigen Stelle aufgestellt worden sei, weil der Erstbeklagte ohnehin ortskundig sei und wisse, dass der Badendorfweg gegenüber der L 664 benachrangt sei. Da der Vorrang des Klagsfahrzeugs den gesamten Kreuzungsbereich umfasse, habe der Erstbeklagte seine Wartepflicht verletzt.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach der Erstbeklagte das Vorschriftszeichen „Vorrang geben" beachten hätte müssen und dem Klagsfahrzeug daher im gesamten Kreuzungsbereich gemäß § 19 Abs 4 StVO der Vorrang zugekommen sei. Den Entscheidungen 2 Ob 44/98d und 2 Ob 214/97b, in denen der Oberste Gerichtshof ausgesprochen habe, dass das Vorrangzeichen erst nach dessen Passieren zu beachten sei, seien andere Sachverhalte zugrunde gelegen. Die ordentliche Revision sei jedoch zuzulassen, weil aus diesen Entscheidungen auch für den hier zu beurteilenden Fall abgeleitet werden könnte, dass der Erstbeklagte im Rechtsvorrang gewesen sei.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Wirkungsbereich des Vorschriftszeichens „Vorrang geben" abgewichen sind. Sie ist auch teilweise berechtigt.

Die beklagten Parteien machen im Wesentlichen geltend, der Kläger habe einen nicht gemäß § 52 lit c Z 25a StVO („Vorrangstraße") gekennzeichneten Straßenzug verlassen und könne daher, wie sich aus § 19 Abs 4 zweiter Satz StVO ergebe, nicht den Vorrang für sich in Anspruch nehmen. Dementsprechend erstrecke sich der Vorrang nicht auf die Kreuzung mit den in die L 664 einmündenden Gemeindestraßen, sondern es gelte der Rechtsvorrang gemäß § 19 Abs 1 StVO.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 19 Abs 1 StVO haben Fahrzeuge, die von rechts kommen, den Vorrang, sofern die nachfolgenden Absätze nichts anderes bestimmen. § 19 Abs 4 StVO bestimmt, das sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang haben, wenn vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen „Vorrang geben" oder „Halt" angebracht ist. Ist auf einer Zusatztafel ein besonderer Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt, so haben die Fahrzeuge, die auf dem dargestellten Straßenzug kommen, den Vorrang, unabhängig davon, ob sie dem Straßenzug folgen oder ihn verlassen; ansonsten gilt Abs 1. Das Zeichen „Vorrang geben" verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Wahrung des Vorrangs für die gesamte folgende Kreuzung (RIS-Justiz RS0073405). Dies ergibt sich nicht nur aus § 19 Abs 4 StVO, sondern auch aus § 52 Abs 1 Z 23 StVO, wonach das Vorrangzeichen vor einer Kreuzung mit einer Vorrangstraße oder mit einer Straße mit starkem Verkehr anzubringen ist (2 Ob 44/98d = ZVR 2000/41). Folgerichtig hat der Oberste Gerichtshof in der zuletzt zitierten Entscheidung ausgesprochen, dass ein von diesem Verkehrszeichen betroffener Verkehrsteilnehmer dieses im Bereich einer Kreuzung angebrachte Vorschriftszeichen erst nach dessen Passieren zu beachten hat (ebenso bereits 2 Ob 214/97b). Dabei kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob das Zusammentreffen mehrerer Straßen als einheitliche Kreuzung oder als knappe Aufeinanderfolge zweier (oder mehrerer) selbständiger Kreuzungen anzusehen ist. Maßgeblich für die Wirkung des Vorschriftszeichens ist nur, an welcher Stelle es aufgestellt ist (vgl 2 Ob 214/97b). Im vorliegenden Fall ist auf dem Badendorfweg vor der Kreuzung mit der L 664 und dem Oberragnitzweg kein Vorrangzeichen aufgestellt. Ein solches befindet sich vielmehr erst nach dem vom Kläger befahrenen querenden Straßenzug. Es kann daher schon nach der gesetzlichen Definition und den erörterten Grundsätzen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht für den davor gelegenen Kreuzungsbereich, sondern erst (und nur) für die sich ausgangs der Linkskurve der L 664 vollziehende Vereinigung der Fahrbahnen der Landesstraße und des Badendorfwegs maßgeblich sein. Im Unfallbereich entfaltete das Vorrangzeichen somit noch keine Wirksamkeit, weshalb sich der Erstbeklagte (im Ergebnis) zu Recht auf seinen Rechtsvorrang berufen hat.

Gelangt aber § 19 Abs 4 StVO nicht zur Anwendung, so können auch die zum zweiten Satz dieser Bestimmung angestellten Erwägungen der beklagten Parteien auf sich beruhen. Das gilt auch für die weiteren Revisionsausführungen zur Frage, wie die auf der Verkehrsinsel angebrachten Verkehrszeichen gemäß § 52 Abs 1 lit b Z 15 StVO („Vorgeschriebene Fahrtrichtung") zu deuten sind.

Dem Erstbeklagten ist jedoch als Sorgfaltswidrigkeit anzulasten, dass er den am Klagsfahrzeug gesetzten Blinker übersehen hat. Angesichts der im Unfallbereich insgesamt doch schwierig zu beurteilenden Vorrangsituation wäre er zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen (vgl 2 Ob 151/07f; 2 Ob 40/08h). Für den Erstbeklagten war 2,5 sec vor der Kollision erkennbar, dass der Kläger nicht nach rechts in den Badendorfweg einbiegen wird. Hätte der Erstbeklagte den Blinker gesehen, so hätte er angesichts des natürlichen Verlaufs der Fahrbahn der Landesstraße auch damit rechnen müssen, dass das Klagsfahrzeug die Fahrt geradlinig Richtung Oberragnitzweg fortsetzen wird. Zwar hätte der Erstbeklagte grundsätzlich auch in dieser Situation noch darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger seinen Rechtsvorrang wahren wird. Die Tatsache, dass der Kläger als Benachrangter mit 35 bis 40 km/h Geschwindigkeit rechts blinkend in die Kreuzung eingefahren ist, ohne nach rechts in den Badendorfweg einzubiegen, hätte er aber in bedenklichem Sinn auslegen müssen. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen hat sich der Erstbeklagte der Kreuzung ohnedies vorsichtig genähert und nur deshalb beschleunigt, weil er den Blinker übersah und glaubte, dass das Klagsfahrzeug der Linkskurve folgen wird. Hätte er aber sein Schritttempo beibehalten, wäre ihm die Vermeidung der Kollision jedenfalls möglich gewesen. Da nach ständiger Rechtsprechung Vorrangverletzungen in der Regel schwerer wiegen als andere Verkehrswidrigkeiten (RIS-Justiz RS0026775), erscheint eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 3:1 zugunsten des Erstbeklagten angemessen.

Die Urteile der Vorinstanzen waren somit in teilweiser Stattgebung der Revision wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Hiebei war zu berücksichtigen, dass die eingewendete Gegenforderung einen „Selbstbehalt gegenüber dem Versicherer" in Höhe von 300 EUR umfasst. Zu dieser Schadensposition liegen zwar keine weiteren Feststellungen vor (ihre Höhe wurde außer Streit gestellt); aus der in ihrer Richtigkeit nicht bestrittenen Urkunde Beilage ./1 folgt jedoch, dass es sich nur um den dem Erstbeklagten nach Begleichung der Reparaturkosten durch den Kaskoversicherer verbliebenen Selbstbehalt handeln kann, und dass dieser in der von den gesamten Reparaturkosten zu berechnenden Ersatzquote jedenfalls Deckung findet. Nach der herrschenden Differenztheorie (= Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers) ist der Selbstbehalt somit zur Gänze zur Aufrechnung heranzuziehen, während die übrigen Schadenspositionen entsprechend der Verschuldensteilung zu kürzen sind (vgl ZVR 1985/14; 2 Ob 36/94 = ZVR 1995/118; RIS-Justiz RS0081384).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Der Kläger ist mit 15 % des Klagebegehrens durchgedrungen, sodass er Anspruch auf Ersatz des dieser Obsiegensquote entsprechenden Anteils an der erstinstanzlichen Pauschalgebühr hat. Den beklagten Parteien steht der Ersatz von 70 % ihrer Kosten aller drei Instanzen sowie von 85 % der zweit- und drittinstanzlichen Pauschalgebühr zu. Bei Saldierung der wechselseitigen Ersatzansprüche verbleibt der aus dem Spruch ersichtliche Überhang zugunsten der beklagten Parteien.

Anmerkung

E898062Ob119.08a

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inZak 2009/183 S 116 - Zak 2009,116XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00119.08A.1217.000

Zuletzt aktualisiert am

24.04.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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