TE OGH 2009/1/27 10ObS3/09b

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Veröffentlicht am 27.01.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Helmuth S*****, Lehrer in Ruhe, *****, vertreten durch Dr. Peter Sellemond und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land Tirol, Wilhelm Greil-Straße 17, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Martin Wöll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Versehrtenrente, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. August 2008, GZ 23 Rs 47/08w-9, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. April 2008, GZ 47 Cgs 47/08b-5, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen. Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 28. 1. 2008 hat die Verwaltungskommission der Kranken- und Unfallfürsorge der Tiroler Landeslehrer beim Amt der Tiroler Landesregierung den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Versehrtenrente nach § 47 Abs 2 des Tiroler Beamten- und Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorgegesetzes 1998 (BLKUFG 1998) abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Berufung an die Verwaltungsoberkommission. Gleichzeitig bekämpfte er ihn mit Klage beim Arbeits- und Sozialgericht. Beim Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente aufgrund der Berufskrankheit handle es sich um eine Leistungssache. Im Sinne des Art 6 EMRK und des Gleichheitsgrundsatzes stehe dem Kläger daher das Recht auf Leistungsklage nach dem ASGG zu.

Die beklagte Partei (Land Tirol) bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die kostenpflichtige Zurückweisung der Klage. Gegen Entscheidungen der Verwaltungskommission stehe die Berufung an die Verwaltungsoberkommission, nicht aber die Anrufung des Gerichts im Rahmen sukzessiver Kompetenz offen.

Das Erstgericht wies die Klage nach mündlicher Verhandlung wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. In rechtlicher Hinsicht schloss sich das Erstgericht dem Standpunkt der beklagten Partei an. Bei dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch handle es sich nicht um eine Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Abs 1 ASGG. Zur Entscheidung über die in § 71 Abs 1 BLKUFG geregelten Angelegenheiten, wozu auch die klagsgegenständliche gehöre, sei gemäß § 71 Abs 1 BLKUFG die beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichtete Verwaltungskommission der Kranken- und Unfallfürsorge der Landeslehrer zuständig. Über Berufungen gegen Bescheide der Verwaltungskommission habe die ebenfalls beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichtete Verwaltungsoberkommission (§ 72 BLKUFG) zu entscheiden. Da für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch die sukzessive Gerichtszuständigkeit nicht offen stehe, sei die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.

Das vom Kläger angerufene Rekursgericht verwarf den Rekurs, soweit er Nichtigkeit geltend machte, und gab ihm im Übrigen nicht Folge. Der Beschluss des Erstgerichts wurde mit der Maßgabe bestätigt, dass das erstinstanzliche Verfahren ab Klagszustellung als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde. In der rechtlichen Beurteilung führte das Rekursgericht (hier extrem verkürzt) aus:

Die Kranken- und Unfallfürsorge der Tiroler Landesbeamten und Landeslehrer sei landesgesetzlich im BLKUFG 1998 geregelt. Die vom Kläger begehrte Versehrtenrente zähle zu den Leistungen im Rahmen der Unfallfürsorge. Über den Umfang von Ansprüchen aus der Unfallfürsorge der Landeslehrer habe die beim Amt der Landesregierung errichtete „Verwaltungskommission der Kranken- und Unfallfürsorge der Landeslehrer" (§ 71 BLKUFG) zu entscheiden. Zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Verwaltungskommission bestehe beim Amt der Landesregierung die „Verwaltungsoberkommission der Kranken- und Unfallfürsorge der Landeslehrer". Gegen Bescheide der Verwaltungsoberkommission sei kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Nach Art 6 Abs 1 EMRK sei über zivilrechtliche Ansprüche („civil rights") von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht zu entscheiden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs habe über diejenigen Ansprüche und Verpflichtungen, die zum Kernbereich der „civil rights" zu zählen seien, ein den Anforderungen des Art 6 EMRK entsprechendes Tribunal in der Sache selbst zu entscheiden; die (bloß) nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs reiche hier nicht aus. Da Leistungsansprüche aus der Unfallversicherung (Unfallfürsorge) dem Kernbereich der „civil rights" zuzuzählen seien, bestehe ein Anspruch auf Entscheidung durch ein „Tribunal" im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK. Diesen Anforderungen trage der Gesetzgeber im sozialgerichtlichen Verfahren (§ 67 Abs 1 ASGG) durch die Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts im Wege der sukzessiven Kompetenz Rechnung. Das Tiroler BLKUFG 1998 enthalte keine Bestimmung, die die Geltendmachung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche nach Erschöpfung des verwaltungsrechtlichen Instanzenzuges im Rahmen der sukzessiven Kompetenz verwehren würde. Auch im gegenständlichen Fall sei die Zulässigkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Versehrtenrente in analoger Anwendung des § 67 Abs 1 ASGG geboten, zumal die Zusammensetzung der beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichteten Verwaltungskommission und Verwaltungsoberkommission nicht den Anforderungen eines unabhängigen „Tribunals" im Sinne des Art 6 EMRK entspreche. Auch der Blick auf Gemeinschaftsrecht stütze den Rechtsstandpunkt des Klägers. Der hier verfochtene Rentenanspruch des Klägers sei jedenfalls als gemeinschaftsrechtlicher zu qualifizieren, weil die angerufenen Gerichte dabei Gemeinschaftsrecht mitbeurteilen müssten. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts zähle ua der Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Für den vorliegenden Fall ergebe sich daraus Folgendes: Die überwiegende Zahl nationaler sozialrechtlicher Verfahren eröffne über § 67 ASGG eine (sukzessive) gerichtliche Zuständigkeit. Nach dem allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit und zur Abwendung einer Inländerdiskriminierung müsse dies nicht nur für Wanderarbeiter, sondern auch für den Kläger gelten. Unter diesem Aspekt des Grundsatzes der Gleichwertigkeit sei daher § 67 ASGG auch auf Verfahren wie jenes des Klägers zu erstrecken. Der im BLKUFG vorgesehene Rechtszug von der Verwaltungskommission zur Verwaltungsoberkommission und die Überprüfbarkeit durch den Verwaltungsgerichtshof widerspreche wegen der mangelnden Tatsachenkognition des Verwaltungsgerichtshofs dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei „daher § 67 ASGG gemeinschaftsrechtskonform so auszulegen, dass sich die sukzessive Zuständigkeit des Gerichts auch auf Fälle wie den des Klägers" erstrecke. Der Anregung des Klägers auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof sei aus diesen Gründen nicht zu folgen. Ungeachtet dieser Ausführungen habe das Erstgericht aber die Unzulässigkeit des Rechtswegs im Ergebnis zu Recht bejaht: Die aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitete Befassung des Gerichts stehe dem Kläger „nämlich erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen im bisher vorgesehenen Verfahren, also nach Ausschöpfung des nach nationalem Recht vorgegebenen Instanzenzuges offen". Auch nach nationalem Recht habe die Klagserhebung nach § 67 Abs 1 ASGG „die Beendigung des vorangehenden Verwaltungsverfahrens durch rechtskräftigen Bescheid zur Voraussetzung". Nach der Aktenlage habe der Kläger gegen den bekämpften Bescheid der Verwaltungskommission der Kranken- und Unfallfürsorge der Tiroler Landeslehrer vom 28. 1. 2008 Berufung an die Verwaltungsoberkommission erhoben, sodass der bekämpfte Bescheid noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Damit sei aber die Klagsvoraussetzung im Sinne des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG zu verneinen. Bei Fehlen einer Klagsvoraussetzung liege Unzulässigkeit des Rechtswegs vor (§ 73 ASGG). Die Unzulässigkeit des Rechtswegs bilde ein Prozesshindernis, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen sei. Da das Erstgericht die Klage nicht a limine zurückgewiesen habe, sei der erstinstanzliche Beschluss mit der Maßgabe zu bestätigen, dass das erstinstanzliche Verfahren ab Klagszustellung als nichtig aufzuheben sei.

Der Revisionsrekurs sei gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO iVm § 2 Abs 1 ZPO jedenfalls zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, das gesamte bisherige Verfahren als nichtig aufzuheben und jedenfalls die Klage als unzulässig zurückzuweisen.

Der Kläger hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beklagten Partei ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig.

Die Rechtsmittelzuläsigkeit erfordert jedenfalls formelle Beschwer (RIS-Justiz RS0041868 [T11]). Dies bedeutet, dass die Entscheidung vom Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweichen muss (RIS-Justiz RS0041868 [T5]). Allein aus den Gründen einer Entscheidung kann - außer bei Aufhebungsbeschlüssen und bei Zwischenurteilen (RIS-Justiz RS0041758 [T8]) und im Falle einer Bindungswirkung für einen Folgeprozess (8 ObA 87/99y = EvBl 2000/5) - eine Beschwer nicht abgeleitet werden.

Der Sachantrag der beklagten Partei ging dahin, dass die Klage (wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs) zurückgewiesen wird. Dieses Ziel hat die beklagte Partei in den Vorinstanzen erreicht; sie ist daher formell nicht beschwert. Da es sich beim angefochtenen Beschluss weder um einen Aufhebungsbeschluss noch um ein Zwischenurteil handelt und aus der Begründung auch keine Bindungswirkung für einen allfälligen Folgeprozess resultiert, kann sich die beklagte Partei durch die Begründung der rekursgerichtlichen Entscheidung nicht als beschwert erachten.

Der Rekurs der beklagten Partei ist daher zurückzuweisen. Da es der beklagten Partei schon zum Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels an der Beschwer fehlte, kommt ein Kostenersatz an sie auch nach § 50 Abs 2 ZPO nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0106007).

Anmerkung

E8993110ObS3.09b

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00003.09B.0127.000

Zuletzt aktualisiert am

23.03.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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