TE OGH 2009/3/25 17Bs377/08b

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Veröffentlicht am 25.03.2009
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Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Levnaic-Iwanski als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Krenn und Mag. Frohner als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen S***** R***** wegen § 153d Abs 1 erster Fall, Abs 2 und 3 StGB über die Beschwerde der W***** G***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Juli 2008, GZ 113 Hv 93/08m-36, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Am 9. Juni 2008 (ON 8) erhob die Staatsanwaltschaft Wien Strafantrag gegen S***** R***** und legte diesem zur Last, von April 2006 bis Dezember 2006 in W***** als Dienstgeber EUR 52.928,12 an Beiträgen zur Sozialversicherung der W***** G***** als berechtigtem Versicherungsträger betrügerisch vorenthalten zu haben, indem er schon die Anmeldung zur Sozialversicherung mit dem Vorsatz vorgenommen hatte, keine ausreichenden Beiträge zu leisten. In der Verhandlung vom 10. Juli 2008 erklärte der als informierter Vertreter der W***** G***** vernommene Zeuge Mag. B***** I***** (wie schon in der Sachverhaltsdarstellung AS 27 ff in ON 6), sich namens der W***** G***** mit einem Betrag von EUR 100.149,57 an nicht entrichteten Beiträgen dem Verfahren als Privatbeteiligter anzuschließen (AS 19 in ON 20).

Mit Urteil vom 27. August 2008 (ON 29) erkannte das Erstgericht den Angeklagten nach Modifizierung des Strafantrags durch die Staatsanwaltschaft(AS 21 in ON 20) schließlich für schuldig, von April 2006 bis Dezember 2006 in W***** als Dienstgeber (gemeint: als leitender Angestellter einer juristischen Person, nämlich als Geschäftsführer der R***** ltd) EUR 57.676,14 an Beiträgen zur Sozialversicherung der W***** G***** als berechtigtem Versicherungsträger betrügerisch vorenthalten zu haben, indem er schon die Anmeldung zur Sozialversicherung mit dem Vorsatz vorgenommen hatte, keine ausreichenden Beiträge zu leisten und hiedurch das Verbrechen des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 153d Abs 1, erster Fall, Abs 2 und Abs 3 StGB begangen zu haben.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Privatbeteiligtenanschluss der W***** G***** gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO zurück und führte aus, die Sozialversicherungsträger hätten nach § 64 Abs 1 ASVG zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge die Möglichkeit der Einbringung im Verwaltungsweg, weshalb es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handle, dessen Geltendmachung im Adhäsionsverfahren unzulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der privatbeteiligten W***** G***** (ON 39), der keine Berechtigung zukommt.

Darin argumentiert die Beschwerdeführerin, Dienstgeber und damit Beitragsschuldner sei eben nicht S***** R***** persönlich, sondern die R***** Limited, für die S***** R***** als einziger leitender Angestellter eingeschritten sei. Die W***** G***** sei daher nicht berechtigt, die von der R***** Limited nicht rechtzeitig entrichteten Beiträge bei S***** R***** nach § 64 ASVG im Verwaltungsweg einbringlich zu machen. Vielmehr mache die Beschwerdeführerin einen allgemeinen Schadenersatzanspruch gegen S***** R***** wegen des Ausfalls an Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund der Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen geltend. Ein solcher Anspruch könne nur vor Gericht geltend gemacht werden, weshalb der Privatbeteiligtenanschluss zulässig wäre.

Die Oberstaatsanwaltschaft Wien beantragte, der Beschwerde nicht Folge zu geben und führte in ihrer Stellungnahme aus, gemäß § 67 Abs 10 ASVG würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit haften, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Die Beschwerdeführerin hätte die Beiträge bei S***** R***** daher nach § 64 Abs 1 ASVG im Verwaltungswege einbringlich zu machen.

In der Replik zu dieser Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft führte die W***** G***** aus, die Erlangung eines Rückstandsausweises gegen S***** R***** sei rechtlich gar nicht möglich. § 153d StGB sei überdies eine Gläubigerschutzbestimmung, sodass der ordentliche Rechtsweg zulässig sei.

Vorweg ist in Einklang mit der Oberstaatsanwaltschaft auszuführen, dass – obgleich die gekürzte Urteilsausfertigung diesbezüglich unbestimmt bleibt – die Verurteilung des ***** R***** wegen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der R***** Limited erfolgte, die als Dienstgeber auftrat. Dies erhellt einerseits aus der Anführung des § 153d Abs 3 StGB im Urteilsspruch, andererseits aus dem Akteninhalt (ua AS 11 in ON 19; AS 5 in ON 20).

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren unzulässig (Spenling, WK-StPO Vor §§ 365-379 Rz 19). Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, ist zufolge § 64 Abs 1 ASVG den Sozialversicherungsträgern zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge die Einbringung im Verwaltungsweg gewährt. Dazu hat der Sozialversicherungsträger nach § 64 Abs 2 ASVG einen Rückstandsausweis auszufertigen (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 153c Rz 33).

Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personengesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften gemäß § 67 Abs 10 ASVG im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Der Verwaltungsgerichtshof beschränkt - (VwSlg 15528A) - den Anwendungsbereich des § 67 Abs 10 ASVG auf die Fälle des § 111 und des § 114 Abs 2 ASVG (nunmehr § 153c Abs 2 StGB). Eine mit Bescheid im Verwaltungsweg durchzusetzende öffentlich-rechtliche Haftung besteht daher insbesondere dann, wenn der Vertreter die früher in § 114 Abs 2 ASVG und nunmehr in § 153c Abs 2 StGB geregelten Verpflichtungen schuldhaft verletzt hat (2 Ob 222/04t; Kirchbacher/Presslauer in WK² § 153c Rz 34).

Obwohl der Verwaltungsgerichtshof und gleichermaßen der Oberste Gerichtshof die Anwendbarkeit des § 67 Abs 10 ASVG in ihrer Rechtsprechung bislang nur in Fällen des § 111 ASVG (Verwaltungsstrafbestimmung bei Verstößen gegen melderechtliche Vorschriften auch durch bevollmächtigte Personen des Dienstgebers) und des § 153c Abs 2 StGB ausdrücklich befürworteten, liegt in § 153d Abs 3 StGB eine exakt gleichgelagerte Fallkonstellation vor. Es besteht nämlich kein wesensmäßiger Unterschied zwischen der Pflicht des Vertreters, die Dienstgeberbeiträge zu entrichten (§ 153c Abs 2 StGB) – die, wie eben ausgeführt, eine Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG begründet – und der Pflicht des Vertreters sowohl Dienstgeber-, als auch Dienstnehmerbeiträge abzuführen, obgleich er - wie nach § 153d StGB - bereits bei Anmeldung der Dienstnehmer die (lediglich die innere Tatseite betreffende) Willensausrichtung hatte, keine ausreichenden Beiträge oder Zuschläge zu leisten (vgl Kirchbacher/Presslauer in WK² § 153d Rz 18).

S***** R***** haftet somit aufgrund seiner Verurteilung nach § 153d StGB lediglich nach § 67 Abs 10 ASVG für die noch nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge der R***** Limited. Ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme auf zivilgerichtlichem oder verwaltungsbehördlichem Weg besteht nicht (VwGH vom 12.12.2000, 98/08/0191).

Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin hat der Versicherungsträger auch im Falle einer Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG einen Rückstandsausweis zu Lasten des Haftenden auszustellen (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG, 62. Erg-Lfg, 422/1), es erfolgt also auch hier die Eintreibung im Verwaltungswege (§ 64 Abs 1 ASVG). Zu prüfen war demgemäß die von der Beschwerdeführerin unter Berufung auf die Judikatur (RIS-Justiz RS0111939) aufgestellte Behauptung, ihr würde aus der Verurteilung des S***** R***** wegen § 153d StGB überdies ein privatrechtlicher Anspruch im Sinne einer weiteren schadenersatzrechtlichen Anspruchs-grundlage zustehen. In der Entscheidung 1 Ob 50/99f bejahte der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs für eine Klage auf Zahlung der einer GmbH als Dienstgeberin aufgelaufenen Rückstände an Sozialversicherungsbeiträgen gegen den Geschäftsführer der GmbH, der wegen des Vergehens der (damals) fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB in Bezug auf diese GmbH verurteilt worden war. Der Oberste Gerichtshof führte dazu aus, trotz der Möglichkeit der Einbringung nach § 67 Abs 10 ASVG im Verwaltungswege stehe der Sozialversicherung auch der ordentliche Rechtsweg offen, weil es sich bei § 159 StGB um eine allgemeine Gläubigerschutzbestimmung handle, die einen weiteren Anspruch (neben dem sozialversicherungsrechtlichen des § 67 Abs 10 ASVG) gegen den Geschäftsführer auf Zahlung der Beitragsrückstände begründe. In der Entscheidung 2 Ob 222/04t manifestierte sich die den ordentlichen Rechtsweg eröffnende weitere Anspruchsgrundlage in einer Bürgschaft des Geschäftsführer für die Beitragsrückstände einer GmbH gegenüber dem Sozialversicherungsträger.

Der Verwaltungsgerichtshof zieht in seinem Erkenntnis vom 12.12.2000, 98/08/0191, die Trennlinie zwischen der (im Verwaltungsweg geltend zu machenden) Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG und der Haftung nach anderen, auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machenden schadenersatzrechtlichen Ansprüchen, in der Frage, ob der Geschäftsführer gegen spezifisch sozialversicherungsrechtliche oder andere, ganz allgemein dem Gläubigerschutz dienende Verpflichtungen verstoßen hat (so auch im Ergebnis 1 Ob 50/99f).

Dies führt zur Frage, ob ein Verstoß gegen § 153d Abs 3 StGB ebenfalls geeignet ist, eine weitere Anspruchsgrundlage (neben § 67 Abs 10 ASVG) zur Geltendmachung der Beitragsrückstände gegen den Geschäftsführer S***** R***** zu begründen.

Der Straftatbestand des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigunggesetz nach § 153d StGB wurde mit dem Sozialbetrugsgesetz BGBl I Nr 152/2004 eingeführt, um eine aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Besonderheiten bestehende Strafbarkeitslücke zu schließen. Für den „klassischen" Betrug im Sinne des § 146 StGB bedarf es nämlich einer Täuschung, die zu einem Irrtum beim Getäuschten führt. Aufgrund dieses Irrtums tätigt der Getäuschte sodann eine Vermögensverfügung, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt. Die schädigende Vermögensverfügung muss somit entscheidend auf einer Täuschung beruhen. Aus diesem Grund kann es infolge Fehlens eines Kausalzusammenhangs zwischen Täuschung und Vermögensschaden bei den meisten Fällen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen nicht zur Strafbarkeit nach §§ 146 ff StGB kommen. Die Sozialversicherung erbringt ihre Leistungen nämlich nicht, weil jemand bei ihr als Dienstnehmer gemeldet wird, sondern aufgrund ihrer gesetzlichen Leistungspflicht; dies freilich unter der Voraussetzung, dass tatsächlich ein Beschäftigungs- und damit Versicherungsverhältnis vorliegt (§ 33 ASVG). Um diese durch die Betrugsstruktur bedingte Strafbarkeitslücke zu schließen, wurde die Bestimmung des § 153d StGB geschaffen (Reindl-Krauskopf, Sozialbetrug aus strafrechtlicher Sicht, RdA 2008, 389; 390 f).

Bei der Pflicht etwa eines Geschäftsführers, sich entsprechend den im § 153d StGB normierten Verpflichtungen zu verhalten, handelt es sich somit um eine spezifisch sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung. Die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs und damit eines Privatbeteiligtenanschlusses ist demgemäß zu verneinen.

Der Beschwerde war somit ein Erfolg zu versagen.

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW0068817Bs377.08b

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2009:0170BS00377.08B.0325.000

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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