TE OGH 2009/5/12 10ObS11/09d

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Veröffentlicht am 12.05.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Filiyet G*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Michael Bereis, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2008, GZ 7 Rs 144/08k-8, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 23. Juli 2008, GZ 32 Cgs 128/08k-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird mit dem Auftrag, das Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen, an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 31. 1. 2008 (dem Sachwalter der Klägerin zugestellt am 11. 2. 2008) lehnte die beklagte Partei den Antrag der am 14. 9. 1962 geborenen Klägerin vom 6. 11. 2007 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Mit der gegen diesen Bescheid fristgerecht (am 9. 5. 2008) erhobenenen Klage begehrt die durch ihren Sachwalter vertretene Klägerin die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension. Das Erstgericht stellte die Gleichschrift der Klage am 26. 5. 2008 der beklagten Partei mit dem Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung zu. Letztere wurde am 5. 6. 2008 überreicht.

Neben der Verfügung, die Klagebeantwortung an den Klagevertreter zuzustellen, erteilte das Erstgericht diesem am 11. 6. 2008 den Auftrag, binnen 2 Wochen die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klage vorzulegen. Die (elektronische) Zustellung dieses Auftrags erfolgte am 13. 6. 2008.

Nach fruchtlosem Verstreichen der gesetzten Frist wies das Erstgericht mit Beschluss vom 23. 7. 2008 die Klage zurück, weil trotz Verbesserungsauftrags „und Zuwarten über die Dauer eines Monats" keine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung bei Gericht eingelangt sei.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Dabei ging es auch noch von folgenden, offenbar in zweiter Instanz erhobenen Umständen aus:

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 1. 12. 2006, GZ 21 P 36/06v-16, wurde der nunmehrige Klagevertreter gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter für die Klägerin mit dem Auftrag bestellt, folgenden Kreis von Angelegenheiten zu besorgen (§ 273 Abs 3 Z 2 ABGB [idaF]): Finanzielle Angelegenheiten, Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie Vertretung vor Gerichten, Ämtern, Behörden und privaten Vertragspartnern.

Am 23. 6. 2008 beantragte der [nunmehrige] Klagevertreter im Verfahren 21 P 36/06v des Bezirksgerichts Meidling (unter anderem) die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der vorliegenden Klage sowie den Zuspruch einer Entschädigung von 780,36 EUR aus den Einnahmen der Klägerin im Gesamtbetrag von 15.612,76 EUR an ihn als Sachwalter. Mit Beschluss vom 7. 7. 2008 (ON 29) bestimmte das Pflegschaftsgericht (unter anderem) die Entschädigung des Sachwalters antragsgemäß mit 780,36 EUR und ermächtigte ihn, diesen Betrag aus den Mitteln der Klägerin zu entnehmen. Mit Beschluss vom 31. 7. 2008 (ON 34) genehmigte das Pflegschaftsgericht die Klage.

In seiner Rechtsbeurteilung schloss sich das Rekursgericht mit folgender Begründung der Rechtsansicht des Erstgerichts an:

Zum einen habe die Klägerin eine Ausnahme vom grundsätzlichen Erfordernis der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung (weil die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe vorlägen) in erster Instanz weder in der Klage noch etwa in Erwiderung des erstgerichtlichen Auftrags behauptet. Daher handle es sich „dabei" um eine unzulässige und im Rekursverfahren unbeachtliche Neuerung.

Zum anderen habe der Sachwalter in seinem Antrag an das Pflegschaftsgericht vom 23. 6. 2008 ein Entgelt für die darin angeführten Leistungen nicht nur begehrt, sondern auch in voller Höhe zugesprochen erhalten. Davon, dass sich aus der Klagsführung für die Klägerin kein Kostenrisiko ergeben könne, sei daher selbst dann nicht auszugehen, wenn sich - nachträglich - herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Klägerin vorgelegen seien.

Da die Klage gemäß § 67 Abs 2 iVm § 65 Abs 1 Z 1 ASGG binnen drei Monaten nach Zustellung des ablehnenden Bescheids, hier also bis zum 11. 5. 2008 einzubringen gewesen sei, habe das Erstgericht im Verbesserungsauftrag zu Recht gemäß § 85 Abs 2 ZPO eine Frist gesetzt. Die Klage sei zutreffend zurückgewiesen worden, weil die pflegschaftsbehördliche Genehmigung zum Zeitpunkt des Ablaufs der eingeräumten Frist (am 27. 6. 2008) weder erteilt gewesen noch vorgelegt worden sei. Ergänzend werde angemerkt, dass die Dauer der Verbesserungsfrist nicht Gegenstand des Rekursverfahrens sei; ein Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung sei nicht gestellt worden.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufzutragen; hilfsweise wird die Zurückverweisung des Verfahrens „zur Verbesserung" begehrt.

Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei, über den gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter zu entscheiden war, ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht, und auch berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, dass bei der Prüfung der Prozessvoraussetzung nach § 6 ZPO - nach gesicherter Rechtsprechung, von der abgewichen worden sei (SZ 11/19; SZ 49/17; JBl 1957, 131; 510) - der Amtswegigkeits- und Untersuchungsgrundsatz gelte. Das Rekursgericht hätte sich daher nicht auf das Neuerungsverbot berufen dürfen, sondern - auch ohne Hinweis im Rekurs - die von der Rechtsmittelwerberin zitierte Entscheidung 6 Ob 258/06v „aufgreifen" und einen Verbesserungsauftrag zur Prüfung der Voraussetzungen für Bewilligung der Verfahrenshilfe (im vollen Umfang) erteilen müssen. Weiters erklärte der Klagevertreter im Revisionsrekurs, „hiemit verbindlich" auf seine Prozesskostenersatzforderung gegenüber der Klägerin zu verzichten. Dieser Verzicht sei ebenfalls bis zum Eintritt der Rechtskraft der Klagszurückweisung möglich und verstoße, auch wenn er erst in zweiter oder dritter Instanz erklärt werde, nicht gegen das Neuerungsverbot; die ZPO spreche sich nämlich im Fall des § 6 ZPO für eine Heilung oder Sanierung aus, die in jeder Instanz möglich sein solle. Außerdem habe das Rekursgericht übersehen, dass nach Punkt 3 des zitierten Beschlusses des Pflegschaftsgerichts vom 1. 12. 2006, GZ 21 P 36/06v-16, die Kosten des Pflegschaftsverfahrens vom Bund zu tragen seien. Daraus ergebe sich im Sinn des Untersuchungs- und Amtswegigkeitsgrundsatzes ein ausreichender Hinweis auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Verfahrenshilfe im vollen Umfang.

Dazu wurde Folgendes erwogen:

Zum Erfordernis der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klage im sozialgerichtlichen Verfahren liegt eine Reihe von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs vor (10 ObS 86/97p6 Ob 258/06v; 6 Ob 210/07m), wonach eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG - zufolge der besonderen Kostentragungsvorschriften - einen pflegebefohlenen Kläger nicht mit Prozesskosten belastet. Ein eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung erforderndes Prozessrisiko könne daher nur im Entlohnungsanspruch des Vertreters des Pflegebefohlenen liegen. Ein derartiges Risiko bestehe jedoch nicht, wenn kein Honoraranspruch des einschreitenden Rechtsanwaltes zu erwarten sei, etwa weil dieser für die Mutter (und nicht den Minderjährigen selbst) einschreite (so im Fall 10 ObS 86/97p) oder der Kläger aufgrund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe erfülle (6 Ob 258/06v). Eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung der Klage sei aber auch dann nicht erforderlich, wenn der Sachwalter gegenüber dem Pflegschaftsgericht bindend erkläre, für die Prozessführung keine Belohnung zu beanspruchen (RIS-Justiz RS0107440 [T2] = 6 Ob 210/07m). In der letztgenannten, das Außerstreitverfahren zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen betreffenden Entscheidung wurde allerdings auch ausgesprochen, dass die erst im Rekurs erklärte Bereitschaft des Sachwalters, unentgeltlich tätig zu werden, vom Rekursgericht im Hinblick auf § 49 Abs 2 AußStrG nicht mehr zu berücksichtigen sei.

Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof dazu folgenden Standpunkt vertreten (1 Ob 211/08y vom 25. 11. 2008):

Bedenkt man, dass in dem durch das SWRÄG 2006 neu geschaffenen § 284b ABGB neben der Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen bei Geschäften des täglichen Lebens ausdrücklich auch eine Befugnis zur Erhebung von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen, Ansprüchen auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie Gebührenbefreiungen und anderen Begünstigungen eingeführt wurde, ist (jedenfalls nunmehr) auch im Sachwalterschaftsbereich davon auszugehen, dass die Durchsetzung solcher Ansprüche samt der dazu erforderlichen Klagsführung, sofern sich nicht in Ausnahmefällen komplexere Rechtsfragen stellen, dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb einer besachwalteten Person zuzurechnen ist und sie daher schon aus diesem Grund einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht bedarf.

Einer Bezugnahme auf die auf die Gefahr einer finanziellen Belastung der betroffenen Person - unter Berücksichtigung der Möglichkeit, Verfahrenshilfe zu erlangen - abstellende Judikatur (RIS-Justiz RS0107440, vgl auch 6 Ob 210/07m) bedarf es daher in der Regel in diesem Zusammenhang nicht (mehr), ebensowenig der Bedachtnahme auf die Rechtsprechung, wonach ein tarifmäßiger Entlohnungsanspruch des Rechtsanwalts als Sachwalter - unabhängig davon, ob ein Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe gestellt oder schon bewilligt wurde - nur dann besteht (EFSlg 104.532 = 6 Ob 237/03a), wenn ein anderer Sachwalter sich eines Rechtsanwalts hätte bedienen müssen (vgl auch EFSlg 104.528).

Die vom Rechtsmittel dargelegte, angebliche „Judikaturdivergenz" zwischen Arbeits- und Sozialgerichten einerseits und Pflegschaftsgerichten andererseits, die es einer unter Sachwalterschaft stehenden Person unmöglich mache, Bescheide eines Sozialversicherungsträgers zu bekämpfen, weil die vom Prozessgericht geforderte Klagegenehmigung vom Pflegschaftsgericht nicht erteilt werde, besteht nicht:

Die Entscheidung, ob eine in Aussicht genommene Klagsführung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, obliegt den Pflegschaftsgerichten und nicht den Prozessgerichten. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 7 Ob 130/57 (RIS-Justiz RS0048044) ausgesprochen hat, ist das Prozessgericht an einen rechtskräftigen Beschluss des Pflegschaftsgerichts, das die Erteilung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klageführung für nicht notwendig erachtet, gebunden. Das Prozessgericht hat gemäß § 7 Abs 1 ZPO lediglich bei einem nicht beseitigten Mangel der Prozessfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung oder der Ermächtigung zur Prozessführung die Nichtigkeit des vom Mangel betroffenen Verfahrens durch Beschluss auszusprechen. Nach Abs 2 leg cit kann dieser Ausspruch jedoch nicht erfolgen, wenn ihm in Ansehung des Grundes der Nichtigkeit eine von einem inländischen Gericht gefällte, bindende Entscheidung entgegensteht. Eine dennoch erfolgte Klagszurückweisung durch die Arbeits- und Sozialgerichte stünde daher im Widerspruch zur geltenden Rechtslage (vgl OLG Wien, 10 Rs 118/06f und 10 Rs 55/06s).

Ob die hier zu beurteilende Klage - im Hinblick auf die besonderen Umstände dieser Sozialrechtssache oder in Anbetracht der zitierten aktuellen Rechtsprechung - überhaupt einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte, muss jedoch nicht weiter geprüft werden; nach ständiger Rechtsprechung ist ein (allfälliger) diesbezüglicher Mangel der besonderen Ermächtigung zur Prozessführung nämlich in jeder Lage des Verfahrens, somit auch im Rechtsmittelverfahren, von Amts wegen wahrzunehmen (10 ObS 135/06k mwN) und kann auch nachträglich, also auch (noch) im Rechtsmittelverfahren, behoben werden (RIS-Justiz RS0035373).

Der Verweis des Gerichts zweiter Instanz auf das - grundsätzlich auch im Rekursverfahren geltende - Neuerungsverbot ist somit verfehlt, weil Tatsachen und Beweismittel, die - wie hier - jederzeit von Amts wegen zu beachtende Umstände (Prozessvoraussetzungen udgl) betreffen, dem § 482 ZPO naturgemäß nicht unterliegen können (Kodek in Rechberger³ § 482 ZPO Rz 3 mwN; RIS-Justiz RS0042091 [T2]; RS0108589; RS0119356; jüngst: 5 Ob 275/08i).

Demnach hat das Rekursgericht lediglich seine - nach ständiger Rechtsprechung bestehende - amtswegige Prüfungspflicht erfüllt, wenn es erhob, dass die pflegschaftsgerichtliche Klagegenehmigung am 31. 7. 2008 erteilt wurde. Da sie nunmehr unstrittig vorliegt, ist ein (allenfalls) bestehender Mangel der besonderen Ermächtigung zur Prozessführung bereits saniert. Damit erweist sich der angenommene Zurückweisungsgrund aber jedenfalls als nicht (mehr) berechtigt.

In Stattgebung des Revisionsrekurses der Klägerin sind die Beschlüsse der Vorinstanzen daher ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht ist die Fortführung des Verfahrens über die Klage aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E90888

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00011.09D.0512.000

Im RIS seit

11.06.2009

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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