TE OGH 2009/6/9 5Ob20/09s

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Veröffentlicht am 09.06.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Siegmund K*****, vertreten durch Dr. Herbert Felsberger und Dr. Sabine Gauper-Müller, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Michael S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Fink und andere, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 24. November 2008, GZ 1 R 269/08s-9, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 6. Juni 2008, GZ 14 C 188/08h-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur Ergänzung des Berufungsverfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte ist Mieter eines im Eigentum des Klägers stehenden Einfamilienhauses, bestehend aus vier Zimmern, Küche, Bad, WC und Nebenräumen, einem Nebengebäude und einer dazugehörigen Gartenfläche. Der vereinbarte Mietzins beträgt 800 EUR monatlich und ist jeweils bis zum 5. des Monats im Vorhinein zu entrichten. Der Beklagte bezahlte die vereinbarten Mietzinse - mit Ausnahme des Monats Dezember 2007 - durchwegs verspätet. Bereits mit Schreiben vom 29. 10. 2007 forderte der Kläger den Beklagten auf, den Mietzins jeweils zum Fünften eines jeden Monats im Voraus zu zahlen, da andernfalls umgehend rechtliche Schritte eingeleitet würden. Im Jänner 2008 kam es zu einem Gespräch zwischen den beiden Parteien, in dem der Beklagte um Stundung der Jänner-Miete ersuchte und der Beklagte eine Zahlung bis Ende Jänner 2008 gewährte. Von Seiten des Klägers wurde ausdrücklich, wie auch in den Vormonaten, darauf hingewiesen, dass er auf pünktliche Zahlung Wert lege. Der Kläger hat selbst die Zahlungsrückstände immer wieder mündlich beim Beklagten eingemahnt.

In der am 7. März 2008 beim Erstgericht eingelangten Mietzins- und Räumungsklage erklärte der Kläger die vorzeitige Vertragsauflösung gemäß § 1118 ABGB wegen Verzugs des Beklagten mit den Mietzinsen für Februar und März 2008. Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte ein, er habe mit dem Kläger vereinbart, dass er für Februar und März 2008 keinen Zins zahlen müsse, sondern mit den von ihm bezahlten Kosten einer Heizungsreparatur kompensieren dürfe. Am 3. April 2008 bezahlte der Beklagte die Mietzinse für Februar und März 2008, am 8. April 2008 den Zins für den laufenden Monat.

Das Erstgericht gab ausgehend von den oben wiedergegebenen Feststellungen dem auf das Räumungsbegehren eingeschränkten Klagebegehren statt. Die vom Beklagten behauptete Aufrechnungsvereinbarung habe es nicht gegeben. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 33 Abs 2 und 3 MRG könne der Beklagte die Räumung auch nicht durch Nachzahlung der bei Klagseinbringung offenen Beträge vor dem nächsten Zinstermin abwenden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verwarf die gegen die Feststellung, der Kläger habe den Beklagten immer wieder mündlich gemahnt, gerichtete Beweisrüge des Beklagten und billigte im Ergebnis die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Voraussetzung der Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB sei, dass mindestens ein Mietzins nach gehöriger Mahnung nicht bis zum nächstfolgenden Zinstermin bezahlt wurde. Einen nach dieser Gesetzesstelle qualifizierter Zahlungsrückstand habe der Beklagte zwar nur bezüglich des Mietzinses für Februar 2008 aufgewiesen, weil die für März und April 2008 fälligen Beträge jeweils noch vor dem nächstfolgenden Zinstermin entrichtet wurden. Es stehe aber fest, dass der Kläger die Mietzinse immer wieder, also auch im Februar 2008, eingemahnt habe. Eine besondere Form oder eine ausdrückliche Nachfristsetzung sei dafür nicht erforderlich gewesen, weil dem Beklagten der Ernst der Lage nach der anwaltlichen Mahnung im Oktober 2007 und den wiederholten Äußerungen des Klägers, auf pünktliche Zahlung Wert zu legen, bewusst sein habe müssen. Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht mangels erheblicher Rechtsfrage für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsverfahren an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet.

Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung einen Wegfall der Beschwer des Beklagen geltend gemacht, weil dieser den Bestandgegenstand mittlerweile freiwillig geräumt übergeben habe. Nach ständiger Rechtsprechung fehlt das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels auch noch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS-Justiz RS0002495). Im Streitverfahren ist für die Entscheidung maßgeblich, ob der Klagsanspruch zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz berechtigt war. Eine danach erfolgte Klaglosstellung durch Erfüllung hat außer Betracht zu bleiben (RIS-Justiz RS0041770 [T41]; EvBl 1981/101 S 321). Die Entscheidung über das vorliegende Räumungsbegehren umfasst insbesondere die Vorfrage, ob die Auflösung des Bestandverhältnisses rechtswirksam erfolgte. Es ist für das Rechtsverhältnis der Streitteile nicht nur von theoretisch-abstrakter Bedeutung, ob der Beklagte den Bestandgegenstand nach der Auflösungserklärung titellos benützt hat oder bis zur behaupteten freiwilligen Räumung als Mieter darüber verfügungsberechtigt war. Von einem mangels Beschwer unzulässigen Rechtsmittel kann daher keine Rede sein.

Die Revision ist im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Unzutreffend ist die Rüge des Revisionswerbers, das Berufungsgericht sei von der ständigen Rechtsprechung abgewichen, wonach eine Mahnung vor Fälligkeit des Mietzinses nicht zur vorzeitigen Vertragsauflösung berechtige. Eine solche Aussage ist der angefochtenen Entscheidung keineswegs zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung vielmehr die Feststellung zugrundegelegt, dass der Beklagte sehr wohl (auch) hinsichtlich des Zahlungsrückstands im Monat Februar 2008 mündlich gemahnt wurde.

Der Revision ist allerdings zuzugestehen, dass diese für die rechtliche Beurteilung wesentliche Feststellung eindeutig über den vom Berufungsgericht übernommenen erstinstanzlichen Sachverhalt hinausgeht. Die Feststellung des Erstgerichts, der Kläger habe „selbst die Zahlungsrückstände immer wieder mündlich beim Beklagten eingemahnt" ist - sowohl isoliert als auch im Zusammenhang mit den übrigen Urteilsausführungen gelesen - undeutlich. Nicht nur ist der Inhalt der festgestellten Mahnungen unbestimmt, es bleibt vor allem unklar, ob wenigstens eine Mahnung tatsächlich im relevanten Zeitraum, nämlich nach dem Fälligkeitstag der Februarmiete (5. Februar) und vor dem nächsten Fälligkeitstermin (5. März 2008) ausgesprochen wurde. Zutreffend hat das Berufungsgericht daher erkannt, dass eine Ergänzung dieser Feststellungen für die rechtliche Beurteilung unerlässlich ist.

Zur bloßen Untermauerung einer Feststellung des Erstgerichts darf das Berufungsgericht auch auf weitere Beweisergebnisse verweisen oder bisher nicht ins Treffen geführte Argumente gebrauchen (RIS-Justiz RS0043021). Es bildet ebenfalls noch keinen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz, wenn das Berufungsgericht aus einer Tatsachenfeststellung des Erstgerichts einen logisch zwingenden Schluss zieht, der - wenn auch unausgesprochen - bereits dem Ersturteil zugrunde liegt (RIS-Justiz RS0043093).

Im vorliegenden Fall lässt die erstinstanzliche Feststellung, der Kläger habe den Beklagten immer wieder gemahnt, aber keineswegs logisch zwingend den Schluss zu, dass er dies gerade auch in den entscheidungsrelevanten vier Wochen getan hat. Es genügt auch nicht, wenn - wie in der Revisionsbeantwortung argumentiert wird - die Beweisergebnisse, vor allem die in erster Instanz bereits abgelegte Parteienaussage des Klägers, die fehlende Feststellung tragen hätten können, weil es nicht um eine bloße Untermauerung erstinstanzlicher Beweiswürdigung, sondern um die Begründung einer neuen, zusätzlichen Tatsachenfeststellung geht. Will das Berufungsgericht über den erstinstanzlichen Sachverhalt hinaus weitere Feststellungen treffen, ist es selbst zur Beweisergänzung verpflichtet, andernfalls verletzt es die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 503 ZPO Rz 129; RIS-Justiz RS0043057; RS0043176; RS0043193; RS0043461).

Betreffen die ergänzten Feststellungen einen für die Entscheidung wesentlichen Umstand, stellt die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes auch eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (Fasching in Fasching/Konecny2 Einl II/1 Rz 49).

Das Berufungsgericht wird seiner neuerlichen Entscheidung daher präzise Feststellungen zum Zeitpunkt und Inhalt allfälliger Mahnungen des Februarmietzinses zu Grunde zu legen haben, die aufgrund einer unmittelbaren Beweisaufnahme gewonnen wurden. Ob es diese unter Bedachtnahme auf § 496 Abs 3 ZPO selbst durchführen kann, obliegt der Entscheidung des Berufungsgerichts.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E91147

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0050OB00020.09S.0609.000

Im RIS seit

09.07.2009

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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