TE OGH 2009/7/23 13Os64/09z

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Veröffentlicht am 23.07.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Thomas F***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 3. September 2008, GZ 38 U 26/08h-7, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit nach § 458 Abs 3 StPO in gekürzter Form ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Favoriten wurde Thomas F***** des Vergehens der Sachbeschädigung schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit zugleich gefasstem Beschluss wurde vom Widerruf einer zum AZ 183 BE 5/05a des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Entlassung aus einer zum AZ 122 Hv 66/03z dieses Gerichts verhängten Freiheitsstrafe abgesehen, jedoch nach § 494a Abs 6 StPO die Probezeit verlängert. Der Akt über die frühere Verurteilung, nicht aber der des Vollzugsgerichts, war zuvor eingesehen worden. Jenem war (noch) nicht zu entnehmen, dass das Vollzugsgericht die bedingte Entlassung mit Beschluss vom 20. August 2008 rechtskräftig für endgültig erklärt hatte (§ 48 Abs 3 erster Satz StGB). Der Akt des Vollzugsgerichts hätte darüber Aufschluss gebracht.

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur folgendes aus:

Der vom Bezirksgericht Favoriten am 3. September 2008 zu GZ 38 U 26/08h-13 gefasste Beschluss auf Absehen vom Widerruf der Thomas F***** „zum Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu AZ 122 Hv 66/03z vom 5. November 2004" gewährten bedingten Entlassung unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre gemäß § 494a Abs 6 StPO steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Diesem Beschluss stand nämlich die - seit 8. August 2008 in Rechtskraft erwachsene - Entscheidung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 4. August 2008, GZ 183 BE 5/05a-13, entgegen, mit der die ursprünglich bedingt erfolgte Entlassung aus der zu AZ 122 Hv 66/03z des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verhängten Freiheitsstrafe für endgültig erklärt worden ist.

Dem Bezirksrichter blieb die endgültige bedingte Entlassung nur deshalb verborgen, weil er es unterlassen hatte, vor Beschlussfassung auch den Akt des Vollzugsgerichtes, AZ 183 BE 5/05a des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, beizuschaffen und in diesen Einsicht zu nehmen. Diese Vorgangsweise wäre im Hinblick auf den im Zeitpunkt der Entscheidung des Bezirksgerichtes Favoriten bereits rund fünf Monate zurückliegenden, aus der Strafregisterauskunft ON 3 ersichtlichen Ablauf der Probezeit und die damit höchst naheliegende Möglichkeit einer zwischenzeitig beschlossenen endgültigen Entlassung aus der Freiheitsstrafe notwendig gewesen, um die Voraussetzungen für die beantragte Verlängerung der Probezeit umfassend abzuklären. Dies umso mehr, als das über eine endgültige Strafnachsicht erkennende Vollzugsgericht nicht zu einer unverzüglichen Verständigung von der endgültigen Strafnachsicht zum Akt AZ 122 Hv 66/03z des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verpflichtet war und vom Verfahren AZ 38 U 26/08h des Bezirksgerichtes Favoriten mangels entsprechender Verständigung durch die Staatsanwaltschaft oder das Bezirksgericht Favoriten keine Kenntnis haben konnte.

Zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen der aufgezeigten Gesetzesverletzungen für den Verurteilten ist die Aufhebung des Beschlusses auf Verlängerung der Probezeit geboten (§ 292 letzter Satz StPO).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sind Urteile, Beschlüsse oder sonstige Vorgänge eines Strafgerichts, welche auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruhen (§ 23 Abs 1 StPO). Soweit das Gericht von objektiv unrichtigen Tatumständen ausgeht, handelt es nur dann gesetzwidrig, wenn die tatsächliche Entscheidungsgrundlage aufgrund eines rechtlich mangelhaften Verfahrens zustande gekommen oder mit formalen Begründungsmängeln behaftet ist. Ist die Ermittlung des Sachverhalts nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien rechtlich nicht zu beanstanden, liegt keine Gesetzwidrigkeit vor. Stellt sich nachträglich heraus, dass der vom Strafgericht rechtens zugrunde gelegte Sachverhalt nicht der wahren Sachlage entsprach, liegt kein Rechtsfehler vor, weil auch die weitere Rechtsanwendung nur in Relation zu dem ihr zugrunde gelegten Sachverhalt richtig oder falsch sein kann. Als Rechtsbehelf in derartigen Fällen kommt analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 Abs 1 Z 2 StPO in Betracht (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 15-18). Das ist seit Jahren ständige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0117416).

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde im Verhältnis zu dem der Probezeitverlängerung zugrunde gelegten Sachverhalt eine Verletzung des „im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatzes der Rechtskraft" erblickt, übersieht sie nach dem Gesagten, dass die Tatsache der für endgültig erklärten Entlassung dem Bezirksgericht Favoriten im Zeitpunkt der Probezeitverlängerung unbekannt war, sodass dieses im Verhältnis zu dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt keinem Rechtsirrtum unterlegen ist.

Einen Begründungsmangel macht die Generalprokuratur nicht geltend. Soweit sie als gesetzwidrig bekämpft, dass das Bezirksgericht Favoriten neben den Akten über die frühere Verurteilung nicht auch jene über die bedingte Entlassung eingesehen hat, bringt sie - aus einer Ex-post-Betrachtung als zielführend erkannte - Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte in Anschlag, ohne eine planwidrige Lücke in § 494a Abs 3 StPO, dem das Bezirksgericht in Betreff verlangter Einsichtnahme in die Akten über die frühere Verurteilung entsprochen hat, zu behaupten. Daher scheitert die Nichtigkeitsbeschwerde auch in dieser Richtung. Dass nach Ablauf der Probezeit getroffene Entscheidungen über diejenigen des § 494a Abs 3 StPO hinausgehenden Verfahrenskautelen zu genügen hätten, wird behauptet, aber nicht dem Gesetz entnommen.

Bleibt anzumerken, dass es einer klarstellenden Beseitigung (§ 362 Abs 1 Z 1 StPO analog) des - ohnehin wirkungslosen, weil hinsichtlich eines nicht (mehr) existenten Entscheidungsgegenstands (einer infolge endgültiger Entlassung [mit sog Tatbestandswirkung] als erfüllt anzusehenden Bedingung der Entlassung) ergangenen - Verlängerungsbeschlusses nicht bedarf (eingehend: Jerabek in WK-StPO § 494a Rz 13 f; zuletzt: 11 Os 10/09v, EvBl 2009/70, 470).

Textnummer

E91469

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0130OS00064.09Z.0723.000

Im RIS seit

22.08.2009

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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