TE AsylGH Erkenntnis 2011/10/24 C7 256671-2/2008

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Veröffentlicht am 24.10.2011
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Spruch

C7 256671-2/2008/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Filzwieser-Hat als Vorsitzende und den Richter Mag. Felseisen als Beisitzer über die Beschwerde desXXXX, StA. Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.09.2007, FZ. 04 08.475-BAS, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt. Der Beschwerdeführer stellte am 22.04.2004 einen Asylantrag in Österreich und wurde am 10.11.2004 sowie nach Zurückverweisung gemäß § 66 Abs. 2 AVG durch den seinerzeitigen Unabhängigen Bundesasylsenat (aufgrund des Umstandes, dass die Einvernahme nicht durch das zur Entscheidung berufene Organ des Bundesasylamtes erfolgte) am 25.07.2007 und am 07.08.2007 beim Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, der PPP nahe zu stehen, Schiit und Mitglied der Partei Tehrik-e-Islami zu sein und deshalb Probleme mit Sunniten und der Polizei in Pakistan gehabt zu haben. Als Bescheinigungsmittel legte er ein Schulzeugnis vom 30.06.2000, einen Parteiausweis vom 25.05.2004, einen undatierten Polizeibericht sowie ein Schreiben einer Partei vom 22.03.2004 vor.

 

2. Mit Bescheid vom 24.09.2007 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1997 ab.

 

Begründend wurde ausgeführt, dass die Angaben des Beschwerdeführers, abgesehen von den Datumsangaben zu den gegen ihn angeblich erfolgten Übergriffen, äußerst vage und widersprüchlich gewesen seien. Auch wäre seine Behauptung, dass seine Partei keine politischen Ziele verfolge, unglaubwürdig, da die Tehrik-e-Islami politisch sehr aktiv sei und es als unglaubhaft anzusehen wäre, dass eine Unterorganisation keinerlei politische Ziele verfolge. Der vorgelegte Polizeibericht sei mit Sicherheit als Fälschung zu qualifizieren, da derartige interne Berichte nicht an die Betroffenen ausgefolgt werden würden. Ebenso sei das Schreiben der Partei fragwürdig und könne nicht als Beweis für eine Verfolgung des Beschwerdeführers gewertet werden. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer keine Identitätsdokumente vorgelegt.

 

3. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht.

 

II. Der Asylgerichtshof hat wie folgt erwogen:

 

1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der AsylGH, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

Das Bundesasylamt hat sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinreichend auseinandergesetzt und erweist sich die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde als grob mangelhaft. So erfolgte weder eine hinreichend detaillierte Befragung des Beschwerdeführers zu den vorgebrachten Problemen und Ereignissen, insbesondere zu den erwähnten Versammlungen und den Festnahmen durch die Polizei, noch eine nähere nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vorgelegten Beweismitteln bzw. eine Erörterung derselbigen mit dem Beschwerdeführer und damit keine präzise Erfassung des Sachverhaltes, wodurch sich aber das Bundesasylamt auch die Möglichkeit nahm, eine schlüssige Beweiswürdigung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit zu treffen. Die dargelegten Unglaubhaftigkeitselemente können nicht als ausreichend bzw. derart schwerwiegend erachtet werden, dass in diesem individuellen Fall die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abschließend angenommen werden könnte. Auch ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage das Bundesasylamt den vorgelegten Polizeibericht "mit Sicherheit als Fälschung" qualifizierte.

 

Es wäre also Aufgabe des Bundesasylamtes gewesen, zunächst mit dem Beschwerdeführer und allenfalls mit anderen dem Bundesasylamt als Spezialbehörde in Asylverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln den vom Beschwerdeführer behaupteten Sachverhalt so präzise als möglich zu erfassen und eine schlüssige Beweiswürdigung (inklusive einer Würdigung der Bescheinigungsmittel) sowie eine begründete rechtliche Beurteilung vorzunehmen, und wird dies nunmehr im fortzusetzenden Verfahren durch das Bundesasylamt nachzuholen sein.

 

3. Im Übrigen ist im Hinblick auf die allfällige Ausweisung des Beschwerdeführers auch eine ausführliche Befragung des Beschwerdeführers zu seinem Privat- und Familienleben notwendig.

 

4. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Verwaltungsbehörde - fehlende Feststellungen, qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, qualifiziert mangelhafte Würdigung der Beweismittel - hat diese jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt das Prozedere der Verwaltungsbehörde somit gegen die von § 28 AsylG 1997 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 28 AsylG 1997 bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat das Bundesasylamt in diesem Verfahren missachtet.

 

5. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren des Bundesasylamts mit den unter Punkt 2 oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich vom Bundesasylamt durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit Oktober 2007 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war; aufgrund der Schwere der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens ist die Anwendung des § 66 Abs 2 AVG jedoch im vorliegenden Fall dennoch gerechtfertigt.

 

6. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an das Bundesasylamt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesasylamt wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Schlagworte
Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
08.11.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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