TE OGH 2009/12/1 16Ok10/09

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Veröffentlicht am 01.12.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Vogel und Dr. E. Solé sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Bauer und Dr. Haas als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1. Bundeskartellanwalt, Wien 1, Schmerlingplatz 11, und 2. Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerinnen 1. H***** B***** KG, *****, 2. „B*****" ***** GesmbH & Co KG, *****, beide vertreten durch Dr. Volker Meinberg, Rechtsanwalt in Hamburg, und Dr. Johannes Willheim, Rechtsanwalt in Wien, und 3. P***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Ernst Blanke, Dr. Christoph Gernerth Mautner Markhof, Rechtsanwälte in Hallein, wegen Feststellung und Abstellung, über den Rekurs der Erst- und der Zweitantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 27. Jänner 2009, GZ 26 Kt 17, 18, 27, 28/07-38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs als Rekursgericht in Kartellrechtssachen vom 15. Juli 2009, 16 Ok 6/09, wird in seinem Punkt 1. aufgehoben.

II. Dem Rekurs der Erst- und der Zweitantragsgegnerin wird nicht Folge gegeben.

III. Der Schriftsatz der Erst- und der Zweitantragsgegnerin vom 6. November 2009 wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

I. Zur Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses:

Mit Beschluss vom 15. Juli 2009 wurde der Rekurs der Erst- und der Zweitantragsgegnerin wegen Verspätung zurückgewiesen, weil er erst einen Tag nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim Erstgericht überreicht worden war.

Nunmehr haben die Erst- und die Zweitantragsgegnerin nachgewiesen, dass sie das Rechtsmittel bereits am Tag davor und somit innerhalb der Rechtsmittelfrist mittels Fax dem Erstgericht übermittelt hatten.

Die Annahme der Verspätung hat sich damit nachträglich als unrichtig herausgestellt. Solchen Umständen hat der Oberste Gerichtshof bisher in analoger Anwendung der §§ 419 Abs 1, 522 Abs 1 ZPO durch Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses Rechnung getragen (RIS-Justiz RS0062267). Das gilt auch für Verfahren nach dem Außerstreitgesetz (2 Ob 208/08i) und damit auch für das Kartellverfahren (§ 38 KartG).

II. In der Sache selbst:

Was den festgestellten Sachverhalt, das Vorbringen der Parteien und die Entscheidung des Erstgerichts betrifft, wird auf die Vorentscheidung des Obersten Gerichtshofs als Kartellobergericht vom 15. Juli 2009, 16 Ok 6/09, verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Erst- und der Zweitantragsgegnerin, der nunmehr inhaltlich zu behandeln ist, ist nicht berechtigt.

1. Zur Mangelhaftigkeit:

1.1. Die Rechtsmittelwerberinnen machen als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, das Erstgericht habe sich mit den tatsächlichen Verhältnissen des Vertriebs von Presseerzeugnissen über den Einzelhandel in Österreich und einem umfassenden Tatsachenvorbringen dazu nicht ausreichend auseinandergesetzt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor. Das Erstgericht hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ausreichend dargelegt, weiterer Feststellungen bedurfte es nicht, wie sich im Folgenden aus der Behandlung der Rechtsrüge ergibt.

2. Zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung:

2.1. Die Rekurswerberinnen bekämpfen die Auffassung des Kartellgerichts, die zwischen ihnen und der Drittantragsgegnerin geschlossene Vereinbarung beinhalte „Kernbeschränkungen" iSd Art 81 Abs 1 EG. Sie machen geltend, im Anwendungsbereich des Art 81 Abs 1 EG gebe es bei vertikalen Wirtschaftsbeziehungen jedenfalls keine Kernbeschränkungen, die unabhängig von ihren Auswirkungen auf den Markt verboten wären.

2.2. Die von den Rekurswerberinnen dafür ins Treffen geführte Literaturstelle (Amato/Gonzalez Diaz in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht Bd 1 Art 81 Abs 1 EG Rz 116) stützt diese Rechtsansicht nicht. Zwar schreiben die Autoren (ebenso Gonzalez Diaz in der aktuellen 2. Auflage des Kommentars) in Rz 117, man könne im Gegensatz zu horizontalen Kernbeschränkungen nicht generell sagen, dass vertikale Kernbeschränkungen immer per se, dh ohne Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf den relevanten Markt, in den Anwendungsbereich des Art 81 Abs 1 EG fielen. Obwohl der Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen angenommen habe, dass bestimmte vertikale Gebietsbeschränkungen per se wettbewerbswidrig sind, habe er in anderen offenbar angedeutet, dass die gleichen Beschränkungen möglicherweise nicht unter Art 81 Abs 1 EG fallen, wenn ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht spürbar sind.

Aus diesen Ausführungen kann keineswegs abgeleitet werden, dass, wie die Rekurswerberinnen geltend machen, vertikale Wettbewerbsbeschränkungen nicht ohne Rücksicht auf ihre Auswirkungen wettbewerbswidrig sein könnten.

2.3. Die herrschende Lehre geht davon aus, dass aufgrund der dem EG-Kartellrecht zugewiesenen Marktintegrationsfunktion auch bestimmte vertikale Beschränkungen, wie zB Vereinbarungen mit absolutem Gebietsschutz, die auf die Abschottung nationaler Märkte abzielen, oder Einschränkungen der Preisbildungsfreiheit, als Kernbeschränkungen gelten, die Art 81 Abs 1 EG, nunmehr Art 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV, auch dann unterliegen, wenn schädliche Marktwirkungen nicht nachweisbar sind (vgl Eilmannsberger in Streinz EUV/EGV Art 81 EG Rz 39 und 150 ff). So gelten Preisbindungen der zweiten Hand, bei denen der Abnehmer und Weiterverkäufer sich gegenüber dem Lieferanten verpflichtet, in Verträgen mit den eigenen Abnehmern bestimmte Preise zu verlangen, unabhängig von der Feststellung ihrer Marktwirkung als verboten (Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art 81 EG Rn 347; Bechtold/Brinker/Posch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art 81 EG Rz 81 und 83).

Auch die Verordnung (EG) Nr 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Art 81 Abs 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (VertGVO) schließt in Erwägungsgrund 10 und Art 4 ua Vereinbarungen, die die Beschränkung der Möglichkeiten des Käufers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen, und Beschränkungen des Gebiets oder des Kundenkreises beinhalten, von der generellen Freistellung aus. Letztlich geht auch die in diesem Zusammenhang ergangene Mitteilung der Kommission - Leitlinien für vertikale Beschränkungen (LLVert) - in ihrem Erwägungsgrund 10 davon aus, dass bei Vorliegen von Kernbeschränkungen das Verbot des Art 101 Abs 1 AEUV grundsätzlich anzuwenden ist.

2.4. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen daher nicht vor.

2.5. Die Rekurswerberinnen meinen weiters, dass die Drittantragsgegnerin kein Unternehmer auf dem Markt für den Handel mit Presseerzeugnissen sei. Werde sie aber auf einem bestimmten Markt und solchen, die damit in naher Verbindung stehen, nämlich vor- und nachgelagerten Märkten, überhaupt nicht selbstständig unternehmerisch tätig, könne sie nicht Partei einer Vereinbarung nach Art 81 Abs 1 EG sein.

2.6. Vertikale Vereinbarungen sind Absprachen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Stufen der Erzeugungs- oder Produktionskette tätig sind. Sie betreffen in erster Linie den Vertrieb von Waren (Eilmannsberger aaO Rz 146; Zimmer aaO Rz 301 f; vgl auch die Definition des Vertikalverhältnisses in Art 2 der VertGVO).

Das Pressegrosso, also der Vertrieb von Presseerzeugnissen, ist grundsätzlich ein dem Markt der Erzeugung und dem Handel mit Presseerzeugnissen nachgelagerter Markt.

Ob die Drittantragsgegnerin auf diesem Markt des Pressegrossos im konkreten Fall wirtschaftlich selbstständig tätig wird, oder diese Marktstufe quasi „entfällt", weil ihre Tätigkeit nicht selbstständig erfolgt, sondern den Rekurswerberinnen zuzurechnen ist, wird noch zu untersuchen sein (unten Punkt 2.12 ff).

Allein dass die Drittantragsgegnerin nicht auf dem Markt der Rekurswerberinnen für den Handel mit Presseerzeugnissen tätig ist, schließt das Vorliegen einer Vereinbarung iSd Art 101 Abs 1 AEUV nicht aus. Diese Auslegung der Rekurswerberinnen verbietet sich schon deshalb, weil ansonsten vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen, die daher regelmäßig auf verschiedenen Märkten tätig werden, nie dem Kartellverbot unterfallen könnten.

Auch die in diesem Zusammenhang geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.

2.7. Zur Frage der Beschränkung des Wettbewerbs legen die Rekurswerberinnen dar, dass gedanklicher Hintergrund dieses Tatbestandsmerkmals das sogenannte Selbstständigkeitspostulat sei. Sei ein Unternehmen auf einem bestimmten Markt aber nur in Hilfsfunktion tätig, könne seine unternehmerische Selbstbestimmungsfreiheit nicht eingeschränkt werden.

2.8. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt grundsätzlich schon dann vor, wenn die wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten aller oder einzelner der an einer unternehmerischen Maßnahme Beteiligten beschränkt werden. Bei wettbewerbsbeschränkenden Handlungen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Marktstufen tätig werden, ist es nicht erforderlich, dass sich die Wettbewerbsbeschränkung bei jedem Unternehmen und auf jeder Marktstufe auswirkt. Vertikale Absprachen unterliegen dem gleichen Verbotstatbestand wie horizontale Abreden (Eilmannsberger aaO Rz 147; Wollmann in Mayer, Komm zu EU und EG-Vertrag, Art 81 EG 43).

Zur Frage, ob die Drittantragsgegnerin eine reine Hilfsfunktion für Dritte ausübt, siehe die Ausführungen ab Punkt 2.12.

2.9. Im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels legen die Rekurswerberinnen dar, dass ihr umfangreiches faktisches Vorbringen vom Erstgericht nicht beachtet worden sei. Die angenommene Per-se-Verbotseignung bestimmter Vereinbarungsinhalte sei der vom Erstgericht zitierten Rz 88 der Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art 81 und 82 des EG-Vertrags (LLBeeintr) nicht zu entnehmen, sondern auf Basis objektiver, tatsächlich zu ermittelnder Umstände zu beurteilen.

2.10. Richtig ist, dass in Rz 88 der LLBeeintr davon die Rede ist, dass vertikale Vereinbarungen, die das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats erfassen bzw Vereinbarungen, bei denen sich Unternehmen auf eine Preisbindung der zweiten Hand oder eine vertikale Preisbindung einigen, direkte Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten haben können und den Warenverkehr in der selben Weise beeinträchtigen können wie horizontale Kartelle.

Beim Kriterium der Zwischenstaatlichkeit handelt es sich allerdings um eine Kollisionsnorm, die keine wettbewerbsrechtliche Bewertung der Absprache treffen, sondern die Frage beantworten soll, ob es angemessen ist, den Sachverhalt nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen (Wollmann aaO Rz 68 und 72; Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 14 Art 81 Abs 1 EG Rz 262 f; Eilmannsberger aaO Rz 28). Die Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten liegt aber bereits vor, wenn eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme unter Berücksichtigung der Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt, dass sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflusst, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Markts nachteilig sein könnte (Bechtold/Brinker/Posch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art 81 EG Rz 102). Es kommt daher nicht darauf an, ob der zwischenstaatliche Handel tatsächlich beeinträchtigt wurde. Entscheidend ist nur, ob die Absprache hiezu geeignet ist, ob sie also potenziell den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten beeinflussen kann. Bei Preisbindungen der zweiten Hand geht die Kommission in der Praxis davon aus, dass eine Per-se-Eignung der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vorliegt, weil das Preisniveau im betreffenden Staat künstlich verändert wird (Wollmann aaO Rz 83).

Bedenkt man im konkreten Fall, dass das Pressegrosso - wie auch die Rekurswerberinnen zugestehen - ein natürliches Monopol ist und in Österreich nur von einem weiteren Betreiber angeboten wird, dass der Marktanteil der Drittantragsgegnerin etwa ein Drittel beträgt und ihr der Vertrag mit den Rekurswerberinnen das gesamte Bundesgebiet zur ausschließlichen Belieferung zuweist, liegt die Eignung bzw potenzielle Möglichkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels auch ohne weitere Sachverhaltsfeststellungen und Beweiserhebungen auf der Hand.

2.11. Der EuGH hat eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels bei einem „nicht unerheblichen Marktanteil" bejaht, wobei ein solcher ab 5 % regelmäßig als ausreichend angesehen wurde (Rehbinder aaO Rz 280). Die LLBeeintr legen Schwellenwerte, bis zu denen eine Handelsbeeinträchtigung verneint wird, in Form der sogenannten NAAT-Regel (non appreciable affectation of trade) fest. Danach ist eine vertikale Vereinbarung grundsätzlich nicht geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, wenn der gemeinsame Marktanteil der Parteien auf keinem von der Vereinbarung betroffenen relevanten Markt innerhalb der Gemeinschaft 5 % und der Jahresumsatz des Lieferanten mit den von der Vereinbarung erfassten Waren in der Gemeinschaft nicht den Betrag von 40 Millionen EUR überschreitet (Rz 51 LLBeeintr).

Hier beträgt der Marktanteil der Drittantragsgegnerin nach den Feststellungen 33 %. Auch wenn der Umsatz der Lieferantinnen, also der Rekurswerberinnen, mit den von der Vereinbarung betroffenen Waren nicht explizit festgestellt wurde, liegen somit die Voraussetzungen der NAAT-Regel keinesfalls vor.

Die Leitlinien entfalten zwar keine Bindungswirkung, sondern bilden lediglich eine gewisse Orientierungshilfe. Weder aus den erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen noch aus den Argumenten des Rekurses ergeben sich jedoch ausreichende Anhaltspunkte, die gegen die aufgrund des Marktanteils und des das gesamte Bundesgebiet umfassenden Tätigkeitsbereichs zu bejahende spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels sprechen, sodass es einer weiteren Prüfung der tatsächlichen Umstände nicht bedurfte.

2.12. Zum Absatzmittler:

Zentrales Argument der Rekurswerberinnen ist, dass die Drittantragsgegnerin auf dem Markt für den Handel mit Presseerzeugnissen keine Absatzmittlerin, sondern lediglich ein Hilfsorgan der Verlage sei. Vereinbarungen solcher Hilfsorgane, die aufgrund der konkreten Bedingungen, unter denen sie ihre Tätigkeit für ihren Geschäftsherrn ausüben, nicht als selbstständige Unternehmen zu qualifizieren sind, seien auch nicht tatbestandsmäßig iSd Art 81 Abs 1 EG. Die österreichischen Pressegrossisten seien in die Absatzorganisation von Presseerzeugnissen durch Abwicklung der physischen Auslieferung eingebunden und handelten nicht selbst mit Presseerzeugnissen. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise werde deutlich, dass die Drittantragsgegnerin ihre speziellen Logistikleistungen ausschließlich gegenüber ihren Kunden, den Verlagen, erbringe und keine Geschäftsabschlüsse für diese mit den Einzelhändlern vermittle. Die Drittantragsgegnerin sei daher keine Absatzmittlerin. Weder die Tatsache, dass nach dem Liefervertrag die Drittantragsgegnerin im Auftrag der Zweitantragsgegnerin die Einzelhändler als „ihre Abnehmer" bezeichne, noch die Tatsache, dass sie das Eigentum an den ausgelieferten Presseerzeugnissen behalte, rechtfertige ihre rechtliche Qualifikation als Absatzmittlerin oder eine Qualifikation ihrer Tätigkeit als selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit im Handel mit Presseerzeugnissen.

2.13. Handelsvertreter sind grundsätzlich selbstständige Kaufleute und als solche zweifelsfrei Unternehmer, die im Wettbewerb mit anderen Absatzmittlern ihre Dienstleistungen auf dem Markt für die Leistungen von Absatzmittlern anbieten. Insoweit kann die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf sie nicht zweifelhaft sein (Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 14 Art 81 EG Rz 30). Im vertikalen Verhältnis zu ihren Auftraggebern kommt es aber für die Frage der Abgrenzung auf die Risikoverteilung zwischen dem Absatzmittler und dem Geschäftsherrn an. Art 101 AEUV findet grundsätzlich keine Anwendung, wenn der Vertreter keine oder nur geringe Risken in Bezug auf die vermittelten Geschäfte und in Bezug auf die geschäftsspezifischen Investitionen für das betreffende Geschäftsfeld trägt. Die genannte Bestimmung ist dagegen auf die Beziehung des Absatzmittlers zum Geschäftsherrn anwendbar, wenn Ersterer einen nennenswerten Teil des Absatzrisikos trägt (Emmerich aaO Rz 258 f).

Zum Argument der Rekurswerberinnen, die Drittantragsgegnerin vermittle keine Geschäftsabschlüsse für die Rekurswerberinnen mit den Einzelhändlern, ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichts, dass die Drittantragsgegnerin zur vollständigen Erfassung und Belieferung aller für das einzelne Vertriebsobjekt in Frage kommenden Wiederverkäufer verpflichtet ist und die Zeitschriften im eigenen Namen, wirtschaftlich betrachtet aber auf fremde Rechnung, verkauft (Erstentscheidung S 33). Im Verhältnis zu den Einzelhändlern kommt ihr ein Dispositionsrecht zu, indem sie die Entscheidung trifft, welcher Einzelhändler mit welchen Produkten in welcher Auflagenzahl beliefert wird. Der Grossist führt in diesem Belieferungssystem de facto die Auswahl der Verkaufsstellen durch (Erstentscheidung S 35).

2.14. Ob die Drittantragsgegnerin auf dem Markt für den Handel mit Presseerzeugnissen ausschließlich Hilfsfunktionen für die Rekurswerberinnen ausübt und ihr daher das sogenannte „Handelsvertreterprivileg" zugute kommt, hängt, wie bereits in der Entscheidung vom 15. Juli 2009 dargelegt, maßgebend von der Verteilung des Risikos ab, das über jenes der geringeren Provisionseinnahmen wegen schlechter Vermittelbarkeit des betreffenden Angebots hinausgeht.

2.15. Die Prüfung der dazu von der Judikatur des EuGH und des EuG herausgearbeiteten Kriterien ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls durchzuführen. Dafür reicht im vorliegenden Fall der festgestellte Inhalt der Verträge. Welche weiteren von den Rekurswerberinnen angebotenen Beweise dazu aufgenommen hätten werden müssen, legen auch die Rekurswerberinnen nicht dar. Der bloße Verweis auf andere Schriftsätze reicht in diesem Zusammenhang ebenso wenig aus wie an allen anderen Stellen des Rechtsmittels (RIS-Justiz RS0043616; RS0007029).

2.16. Zur Beurteilung der konkreten Risikoverteilung wurde bereits im Beschluss vom 15. Juli 2009 Stellung genommen. Die Zurverfügungstellung des Logistiknetzes ist sowohl für die Verteilung der Presseprodukte der Rekurswerberinnen als auch für die Abwicklung der Remission von zentraler Bedeutung und müsste, würde dafür nicht ein Pressegrossist herangezogen werden, von den Rekurswerberinnen selbst erbracht und finanziert werden. Für die Beurteilung der Frage, ob der „Zukauf" dieser Leistungen von der Drittantragsgegnerin diese zu einem Hilfsorgan der Rekurswerberinnen macht oder nicht, sind daher die Kosten für die Bereitstellung dieses Logistiknetzwerks entgegen den Rekursausführungen dem Markt, auf dem die Rekurswerberinnen tätig werden, zuzuordnen und können nicht auf einen anderen Markt - zB jenen des Pressegrossos - quasi „ausgelagert" werden. Auch dass die Kosten für diese Dienstleistung durch die fixe Handelsspanne der Grossisten, mit der ihre Leistungen abgegolten werden, abgedeckt sind, ändert an der Notwendigkeit der Betrachtung der Risikoverteilung nichts. Andernfalls könnte die Selbstständigkeit eines Absatzmittlers nur dann bejaht werden, wenn er mit dieser Tätigkeit Verluste erzielte.

Dass die Drittantragsgegnerin die von ihr angebotenen Logistikdienstleistungen auch dadurch finanziert, dass sie das Pressegrosso für weitere Verlage abwickelt, spricht nicht dagegen, die Frage der Selbstständigkeit der Drittantragsgegnerin bzw Ausübung einer reinen Hilfsfunktion im Verhältnis zu den Rekurswerberinnen anhand der Risikoverteilung in der konkreten Vertragsbeziehung zu beurteilen. Wenn die Frage, ob ein Handelsvertreter für einen oder mehrere Auftraggeber handelt, für die Unterscheidung zwischen dem „echten" und dem „unechten" Handelsvertreter unwesentlich ist (Bechtold/Brinker/Posch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht Art 81 EG Rz 55), bedeutet dies umgekehrt, dass der Unternehmer durch die Ausgestaltung des Vertrags mit einem Auftraggeber als Hilfsorgan zu qualifizieren sein kann und im Verhältnis zu einem anderen Auftraggeber dagegen nicht.

2.17. Zur von den Rekurswerberinnen aufgeworfenen Frage der Quantifizierung der Risikoverteilung wird auf die Erwägungen im Beschluss vom 15. Juli 2009 verwiesen. Schon das dort dargelegte Risiko der Transportkosten für unverkauft bleibende Exemplare als auch das der Drittantragsgegnerin überbundene Delkredere-Risiko führt in Summe gesehen dazu, dass nicht von bloß unbedeutenden oder nur geringen überbundenen Risken gesprochen werden kann. Die Frage der Investitionen in die Logistik und das Lager ist daher nicht mehr entscheidungswesentlich.

2.18. Zur Relevanz einer „Eingliederung" des Absatzmittlers in das Absatzsystem des Herstellers wurde ebenfalls schon in der Entscheidung vom 15. Juli 2009 Stellung genommen.

III. Nach ständiger Rechtsprechung steht jeder Partei nur eine Rechtsmittelschrift zu. Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig (RIS-Justiz RS0041666). Der Schriftsatz der Rekurswerberinnen vom 6. November 2009 war daher zurückzuweisen.

Für eine Vorlage an den EuGH besteht aus den bereits in der Entscheidung vom 15. Juli 2009 dargelegten Erwägungen kein Anlass. Auch zur darüber hinaus relevierten Frage der „Marktbezogenheit des Unternehmensbegriffs" iSd Art 101 Abs 1 AEUV ist dies nicht notwendig. Dass die Partner einer Kartellabsprache keineswegs auf dem selben Markt tätig sein müssen, ergibt sich bereits aus der Textierung des Art 101 Abs 1 AEUV. Jede andere Sicht würde - wie bereits unter 2.6. erwähnt - vertikale Absprachen immunisieren.

Schlagworte

Pressegrosso II,

Textnummer

E92845

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0160OK00010.09.1201.000

Im RIS seit

31.12.2009

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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