TE OGH 2010/1/19 10Ob42/09p

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Veröffentlicht am 19.01.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Susanna E*****, geboren am 25. Dezember 2005, und Sarah E*****, geboren am 13. Oktober 2008, beide: *****, beide vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für den 21. Bezirk, Am Spitz 1, 1210 Wien), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. April 2009, GZ 48 R 76/09w, 48 R 77/09t-U38, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 2. Februar 2009, GZ 1 P 200/07z-U25, und 1 P 200/07z-U26, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Beschlüsse des Erstgerichts wiederhergestellt werden.

Text

Begründung:

Die am 25. 12. 2005 geborene Susanna und die am 13. 10. 2008 geborene Sarah sind die Töchter von C***** E***** und I***** E*****. Deren Ehe ist seit 28. 4. 2009 rechtskräftig geschieden. Die Minderjährigen leben bei ihrer obsorgeberechtigten Mutter in Wien und sind - wie diese - österreichische Staatsbürger. Der Vater ist nigerianischer Staatsbürger und wurde am 15. 3. 2008 nach Nigeria abgeschoben. Sein derzeitiger Aufenthalt ist unbekannt.

Mit Beschlüssen vom 2. 2. 2009 gewährte das Erstgericht den Kindern für die Zeit vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2011 antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG von derzeit monatlich je 127 EUR. Mangels hinreichender Anhaltspunkte könne ein Unterhaltstitel nicht geschaffen werden. Der Unterhaltsschuldner sei infolge unbekannten Aufenthalts nicht erreichbar. Aufgrund der Aktenlage bestünden keine Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit. Der Anspruch der Kinder gemäß § 4 Z 2 UVG sei in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG zu bejahen.

Das Rekursgericht änderte diese Beschlüsse über Rekurs der Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, dahin ab, dass es den Minderjährigen für die Zeit vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2011 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der Höhe von jeweils monatlich 50 EUR gewährte und das Mehrbegehren auf Gewährung der Unterhaltsvorschüsse in der vollen Höhe des Richtsatzes gemäß § 6 UVG abwies. Dem Einwand des Bundes, dass die Voraussetzungen nach § 4 Z 2 UVG nicht erfüllt seien, erkannte es keine Berechtigung zu. Nach der Aktenlage fehlten im vorliegenden Fall Anhaltspunkte dafür, dass sich für den zum Zeitpunkt der Abschiebung nach Nigeria (15. 3. 2008) einkommens- und vermögenslosen Vater diese Situation bis zum 1. 1. 2009 nicht geändert hätte, dass er also nach wie vor nicht in der Lage wäre, seinen (Unterhalts-)Verpflichtungen nachzukommen. Ein Beweisdefizit oder Zweifel über die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners machten die Unfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu einer Unterhaltsleistung nicht „offenbar" (iSd § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG); vielmehr wären positive Beweise für die Leistungsunfähigkeit erforderlich, die nach ständiger Rechtsprechung der Bund hätte erbringen müssen.

Da sich der Vater (laut Angaben der Mutter) nach seiner Abschiebung schon seit einigen Monaten in Nordafrika aufhalte und daher anzunehmen sei, dass er sich dort in irgendeiner Form (sei es als Hilfsarbeiter) habe etablieren können, müsse auch angenommen werden, dass er zur Unterhaltsleistung - grundsätzlich in geringer Höhe - in der Lage sei. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Nordafrika könne jedoch nicht davon gesprochen werden, dass ein gleiches Einkommen wie in Österreich zu erzielen sei. Die Einschränkungsbestimmung des § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG zwinge nach dem Grundsatz, dass auch ein pauschalierter Vorschuss den Umfang der konkreten Unterhaltspflicht nicht übersteigen sollte, zu einer entsprechenden Einschränkung der Richtsatzquote. Daher sei nur ein Vorschussbetrag von 50 EUR je Kind als gerechtfertigt anzusehen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zulässig sei, weil keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob dem vorschusswerbenden Kind „in jedem Fall" einer dem Grunde nach anzunehmenden Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ein Anspruch auf volle Richtsatzvorschüsse nach § 6 Abs 2 UVG zukomme, also ohne Rücksicht darauf, ob diese mit einer potentiellen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners korrelierten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss „ersatzlos zu beheben" (also die Beschlüsse des Erstgerichts wiederherzustellen).

Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien als Vertreter des Bundes, die Mutter als Zahlungsempfängerin und der durch einen Abwesenheitskurator vertretene Vater als Unterhaltsschuldner ließen den Revisionsrekurs unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich ist, zulässig und auch berechtigt.

Die Revisionsrekurswerber vertreten den Standpunkt, eine Einschränkung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG habe - außer bei Eigeneinkommen der Minderjährigen - nicht zu erfolgen.

Dazu wurde erwogen:

Nach § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse dann zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags überhaupt oder, falls der Exekutionstitel im Sinn des § 3 Z 1 UVG, gerechnet vom Zeitpunkt der Erlassung, älter als drei Jahre ist und die Erhöhung des Unterhaltsbeitrags aus Gründen auf der Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, „außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande". Nach den Ausführungen in der RV (276 BlgNR XV. GP 9) zur diesbezüglichen Neufassung soll es damit in Zukunft genügen, dass der Unterhaltsanspruch nicht bemessen bzw nicht erhöht werden kann: Künftighin sollen bei Fehlen eines Titels oder bei Unmöglichkeit seiner Aufwertung Vorschüsse nur dann verweigert werden, wenn der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften „offenbar" zu einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande ist; daraus ergebe sich, dass Vorschüsse gewährt werden sollen, wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthalts ist oder Ungewissheit über seine Lebensverhältnisse herrscht.

Nach der zitierten Bestimmung sind Unterhaltsvorschüsse also - unter anderem - auch dann zu gewähren, wenn - wie hier - die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung nicht imstande. Solche Richtsatzvorschüsse knüpfen nicht an eine konkret feststellbare Unterhaltspflicht an, sondern beruhen auf einheitlichen Pauschalbeträgen.

Hier hat der Unterhaltsschuldner - nach der Aktenlage - in Österreich im Jahr 2005 zunächst bei der MA 48 als Taglöhner gearbeitet und war nach Verbüßung einer Haftstrafe (vom 17. 3. 2006 bis 4. 10. 2007) bis zu seiner Abschiebung (im März 2008) durchgehend als Küchengehilfe am Flughafen Schwechat tätig. An seiner grundsätzlichen Leistungsfähigkeit bestehen daher keine Zweifel.

Nach ständiger Rechtsprechung gilt auch für diesen Fall der - das UVG allgemein beherrschende - Grundsatz, dass die Vorschussleistung aus öffentlichen Mitteln nur an die Stelle der vom Unterhaltspflichtigen geschuldeten, wenn auch betraglich noch nicht festgesetzten Leistung zu treten hat (RIS-Justiz RS0076258). Mag auch das UVG aus sozialpolitischen Erwägungen geschaffen worden sein, so handelt es sich doch bei den Vorschüssen um keine Sozialleistung des Staates, sondern um die vorläufige Erfüllung der Unterhaltspflicht durch einen Dritten (1 Ob 531/95 mwN). Demgemäß wurde in der eben zitierten Entscheidung neuerlich darauf hingewiesen, dass die Richtsatz-Quoten des § 6 Abs 2 UVG auch in den Fällen des § 4 Z 2 letzter Halbsatz UVG keine absoluten, sondern nur Höchstsätze (RIS-Justiz RS0076263) sind.

Demgegenüber sprechen die Entscheidungen 1 Ob 503/91 und 4 Ob 547/92 (= RIS-Justiz RS0076149) davon, dass der Unterhaltsvorschuss nach § 4 Z 2 UVG zwingend nach den pauschalen, in § 6 Abs 2 UVG angeführten ASVG-Sätzen ohne Rücksicht auf die potentielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu bestimmen ist. Auch diese - in der Zulassungsbegründung zitierte - weitere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf aber nicht dahin (miss-)verstanden werden, dass der Unterhaltsvorschuss gemäß § 4 Z 2 UVG „in jedem Fall" zwingend nach den pauschalen Richtsätzen des § 6 Abs 2 UVG zu bestimmen und die potentielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners keinesfalls zu berücksichtigen wäre; auch diesen Entscheidungen, die über Fälle mit fehlendem „positiven Beweis" hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners abgesprochen haben, ist nämlich (im Sinn der - vom Rekursgericht zutreffend wiedergegebenen - ebenfalls ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs) zu entnehmen, dass für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Z 2 UVG der Bund beweispflichtig ist: Ein Beweisdefizit oder Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit des Unterhaltsschuldners zu einer - allenfalls höheren - Unterhaltsleistung nicht „offenbar" (im Sinn des letzten Halbsatzes leg cit) und stehen daher der Bevorschussung [in voller Höhe] nicht entgegen (1 Ob 503/91; 4 Ob 547/92; RIS-Justiz RS0076273).

Zur Höhe der Vorschüsse nach § 4 Z 2 UVG ist daher klarzustellen, dass die Richtsätze des § 6 Abs 2 UVG (auch) für diese Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG nicht generell als feste Sätze sondern als Obergrenzen anzusehen sind (Neumayr in Schwimann³ I § 4 UVG Rz 50), wobei jedoch bei Zweifeln über das Ausmaß der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners jeweils eine Vorschussgewährung in voller Höhe der Richtsätze zu erfolgen hat.

In einem Fall, in dem - wie hier - der Umfang einer dem Grunde nach bestehenden Leistungsfähigkeit des geldunterhaltspflichtigen Vaters nicht zweifelsfrei feststeht, sind die Unterhaltsvorschüsse also in voller Höhe der Richtsätze des § 6 Abs 2 UVG zu gewähren und wären vom Rekursgericht somit nicht zu reduzieren gewesen. In Stattgebung des Revisionsrekurses der Kinder, dem im Ergebnis Berechtigung zukommt, sind daher die Beschlüsse des Erstgerichts wieder herzustellen.

Textnummer

E92984

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00042.09P.0119.000

Im RIS seit

18.02.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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