TE OGH 2010/3/24 9ObA133/09p

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Veröffentlicht am 24.03.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits-und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** P*****, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Detlef Frank Bock, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.173,20 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. September 2009, GZ 10 Ra 75/09m-38, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 20. Oktober 2008, GZ 11 Cga 61/08g-27, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Rekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

B e g r ü n d u n g :

              Der Kläger beantragte innerhalb der Berufungsfrist gegen das klageabweisende Urteil des Erstgerichts unter Vorlage eines ausgefüllten Vermögensbekenntnisses die Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe. Er ließ zwar zunächst offen, ob er die Verfahrenshilfe im vollen Umfang oder nur für bestimmte Begünstigungen begehrt, führte jedoch ausdrücklich einen namentlich näher genannten Rechtsanwalt mit der Beifügung „Wunschanwalt, wenn möglich“ an. Das Erstgericht stellte den Verfahrenshilfeantrag zur Verbesserung binnen 14 Tagen zurück, und zwar durch Angabe, in welchem Umfang die Verfahrenshilfe begehrt werde und durch Vorlage der Kontoauszüge der letzten drei Monate. Der Verbesserungsauftrag wurde dem Klagevertreter am 27. 2. 2009 zugestellt. Mit der erst am 19. 3. 2009 zur Post gegebenen Bekanntgabe teilte der Klagevertreter dem Erstgericht unter Berufung auf die vom Kläger erteilte Prozessvollmacht mit, dass die Verfahrenshilfe im vollen Umfang begehrt werde, und legte gleichzeitig Kontoauszüge vor. Das Erstgericht wies den Antrag des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe mangels fristgerechter Verbesserung ab. Dieser Beschluss wurde dem Klagevertreter am 27. 3. 2009 zugestellt und blieb unangefochten. Am 5. 5. 2009 gab der Kläger eine anwaltlich gefertigte Berufung gegen das Ersturteil zur Post und bekräftigte hierin, dass die Abweisung der Verfahrenshilfe am 10. 4. 2009 in Rechtskraft erwachsen sei, sodass die durch den Verfahrenshilfeantrag unterbrochene Rechtsmittelfrist gemäß § 73 Abs 2 iVm § 464 Abs 3 ZPO mit Rechtskraft des Abweisungsbeschlusses neu zu laufen begonnen habe. Das Erstgericht schloss sich dieser Rechtsauffassung an, hob die in der Zwischenzeit erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Ersturteils gemäß § 7 Abs 3 EO von Amts wegen wieder auf und legte die Berufung dem Berufungsgericht vor.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als verspätet zurück. Die Unterbrechungswirkung zufolge Beantragung der Verfahrenshilfe innerhalb der Berufungsfrist trete nur bei einer Abweisung der Verfahrenshilfe ein. Sei hingegen der Antrag für eine meritorische Erledigung gar nicht geeignet, weil er trotz Verbesserungsauftrags an nicht oder nicht fristgerecht behobenen Formfehlern leide, dann sei mit einer Zurückweisung dieses Antrags vorzugehen. Diesfalls habe auch eine rechtzeitige Antragstellung keine fristverlängernde Wirkung. Da dem Verfahrenshilfeantrag des Klägers nicht zu entnehmen gewesen sei, in welchem Umfang die Verfahrenshilfe begehrt werde, habe das Erstgericht zu Recht einen Verbesserungsauftrag erteilt, dem aber vom Kläger nicht fristgerecht entsprochen worden sei. Die abweisende Entscheidung des Erstgerichts über den Verfahrenshilfeantrag sei daher in eine Zurückweisung umzudeuten; das Erstgericht habe sich nur in der Entscheidungsform vergriffen. Der Kläger könne sich daher nicht auf die Unterbrechungswirkung seines Verfahrenshilfeantrags berufen.

Gegen die Zurückweisung der Berufung durch das Berufungsgericht richtet sich der vorliegende Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Eine Gleichschrift dieses Rekurses wurde über Auftrag des Obersten Gerichtshofs samt ausdrücklichem Hinweis, dass die Rekursbeantwortungsfrist 14 Tage beträgt, durch das Erstgericht am 23. 2. 2010 an den Beklagtenvertreter zur allfälligen Erstattung einer Rekursbeantwortung zugestellt. Diese wurde in der Folge auch elektronisch eingebracht, allerdings erst am 15. 3. 2010, sohin nach Fristablauf (§ 521a ZPO idF Art  II Z 15 iVm Art XIV Abs 2 ZVN 2009, BGBl I 2009/30). Die verspätete Rekursbeantwortung der Beklagten ist deshalb zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs gegen den im Berufungsverfahren ergangenen Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde, ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig (RIS-Justiz RS0042770, RS0098745); er ist auch berechtigt.

Gemäß § 464 Abs 3 ZPO beginnt für eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei, die innerhalb der Berufungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Berufungsfrist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses.

Das Berufungsgericht erkannte zutreffend, dass es für die Rechtzeitigkeit der Berufung darauf ankommt, ob der Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe, der die Unterbrechung der Berufungsfrist bewirkt haben soll, (richtigerweise) abzuweisen oder zurückzuweisen war, stellt doch § 464 Abs 3 ZPO ausdrücklich auf einen „abweisenden“ Beschluss ab. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist jedoch der den Verfahrenshilfeantrag des Klägers abweisende Beschluss des Erstgerichts nicht in eine Zurückweisung umzudeuten. Wie der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang - der Auffassung von M. Bydlinski (in Fasching/Konecny² II/1 § 73 Rz 5) folgend - bereits klargestellt hat, ist der Verfahrenshilfeantrag im Fall der Nichtvorlage eines Vermögensbekenntnisses trotz gerichtlichen Verbesserungsauftrags nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen (3 Ob 130/05x; RIS-Justiz RS0120073; Kodek in Rechberger, ZPO³ § 464 Rz 4 ua). Die Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses hindert nämlich eine meritorische Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag nicht. Die Zurückweisung des Verfahrenshilfeantrags wäre eine unangemessen harte Reaktion (3 Ob 130/05x ua), insbesondere wenn man berücksichtigt, dass selbst eine mutwillige oder aussichtslose Prozessführung den Antrag nicht unzulässig, sondern bloß unberechtigt erscheinen lässt (M. Bydlinski in Fasching/Konecny² II/1 § 73 Rz 5 ua). Dies hat um so mehr für den Fall zu gelten, wenn die Partei - wie im vorliegenden Fall - ohnehin ein Vermögensbekenntnis vorlegt und lediglich dem gerichtlichen Verbesserungsauftrag zur Ergänzung durch Vorlage von Kontoauszügen verspätet nachkommt (3 Ob 130/05x ua).

Auf die Verspätung des Klägers bezüglich der Vorlage der Kontoauszüge hat das Berufungsgericht jedoch die Umdeutung der Abweisung des Verfahrenshilfeantrags in eine Zurückweisung ohnehin nicht gestützt, sondern argumentiert, dass der Verfahrenshilfeantrag des Klägers für eine meritorische Erledigung deshalb nicht geeignet gewesen sei, weil ihm trotz erstgerichtlichen Verbesserungsauftrags nicht zu entnehmen gewesen sei, in welchem Umfang die Verfahrenshilfe begehrt werde. Diese Überlegung trifft jedoch im vorliegenden Fall nicht zu. Richtig ist zwar, dass der Kläger im Verfahrenshilfeantrag bei Verwendung des ZPForm 1 - mangels Streichung des „Nichtzutreffenden“ - zunächst offen ließ, ob er die Verfahrenshilfe im vollen Umfang oder für bestimmte Begünstigungen begehre. Wie aber schon erwähnt, fügte der Kläger in jenen Bereich des Formulars, in dem die von der Partei gewünschten Begünstigungen anzuführen sind, ausdrücklich den Namen eines Rechtsanwalts mit der Beifügung „Wunschanwalt, wenn möglich“ ein. Der Kläger hat damit zwar nicht alle Zweifel bezüglich des begehrten Umfangs der Verfahrenshilfe beseitigt, aber jedenfalls - einer meritorischen Erledigung durchaus zugänglich - klargestellt, dass er im Rahmen der beantragten Verfahrenshilfe die vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts iSd § 64 Abs 1 Z 3 ZPO wünscht.

Daraus folgt, dass die abweisende Entscheidung des Erstgerichts - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht in eine Zurückweisung des Verfahrenshilfeantrags umzudeuten ist. Dem Kläger kommt gemäß § 464 Abs 3 ZPO die Unterbrechung der Berufungsfrist durch die von ihm im Rahmen des gestellten Verfahrenshilfeantrags beantragte Beigebung eines Rechtsanwalts zugute. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Berufungsfrist (erst) mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses (§ 464 Abs 3 ZPO).

Die Berufung wurde daher vom Kläger rechtzeitig erhoben. Seinem Rekurs ist deshalb Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E93675

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00133.09P.0324.000

Im RIS seit

28.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

18.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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