TE OGH 2010/4/21 7Ob266/09g

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Veröffentlicht am 21.04.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. September 2009, GZ 5 R 90/09f-13, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Mai 2009, GZ 22 Cg 86/08b-8, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.743,64 EUR (darin enthalten 601,25 EUR an USt und 1.234 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte verwendet Versicherungsvertrags-formulare mit folgenden zwei Klauseln:

„Die angeführte Jahresprämie beinhaltet die Steuer und einen Rabatt von 20 % für eine 10-jährige Vertragsdauer, dessen Rückerstattung der Versicherer bei vorzeitiger Vertragsauflösung verlangen kann.

Bei der Berechnung der Jahresprämie wurde ein Dauerrabatt von 20 % (das sind bei einer Jahresprämie von xxxx EUR jährlich xxxx EUR) berücksichtigt, dessen Rückerstattung der Versicherer bei vorzeitiger Vertragsauflösung verlangen kann.“

Die Beklagte schloss unter Zugrundelegung dieser beiden Klauseln zahlreiche Verträge mit Konsumenten ab und verwendet sie auch als Basis für Dauerrabattrückforderungen bei vorzeitigen Kündigungen durch Konsumenten.

Der Kläger erhebt eine Verbandsklage und beantragt, die Beklagte schuldig zu erkennen, die Verwendung der beiden Klauseln im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (in der Folge auch: AGB), die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelege, und/oder in Vertragsformblättern zu unterlassen und sich auf die Klauseln zu berufen, soweit diese unzulässig vereinbart worden seien. Weiters wurde ein Urteilsveröffentlichungsbegehren gestellt. Die Klauseln seien gröblich benachteiligend im Sinn von § 879 Abs 3 ABGB. Der Dauerrabatt, den der Konsument bei vorzeitiger Vertragsauflösung zurückzahlen müsse, sei umso höher, je länger der Vertrag bis zur Kündigung durch den Konsumenten bestanden habe. Es komme daher zu der widersinnigen Konstellation, dass ein Versicherter nach vier Jahren viermal 20 % der Jahresprämie zu bezahlen habe, nach neun Jahren jedoch neun Mal 20 % der Jahresprämie. Somit belaste den Versicherungsnehmer eine vorzeitige Vertragsauflösung nach neun Jahren um mehr als das Doppelte als bei einer Vertragsauflösung nach vier Jahren. Dies sei sachlich nicht gerechtfertigt und widerstrebe dem Sinn des Prämienrabatts. Die einmaligen Kosten wie Vermittlungsprovision und Abschlusskosten seien auf die gesamte Vertragsdauer aufzuteilen. Gerechtfertigt sei nur eine Forderung, die sich an der Summe der noch nicht amortisierten Kosten orientiere, weshalb die Rückzahlung an den Versicherer mit der Vertragsdauer sinken müsse. Das zwingende Kündigungsrecht nach § 8 Abs 3 VersVG werde durch die Klauseln weitgehend ausgehöhlt und in den letzten beiden Jahren der vereinbarten Laufzeit vollständig entwertet, weil der Versicherungsnehmer dann bei einer vorzeitigen Kündigung mehr zahlen müsste als wenn der Vertrag die vereinbarten zehn Jahre aufrecht bliebe. Die zweite Klausel verstoße auch gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG, weil dem Verbraucher nicht offen gelegt werde, dass eine Auflösung des Vertrags ein oder zwei Jahre vor Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Laufzeit aus den vorhin genannten Gründen für ihn ein schlechtes Geschäft sein könnte. Das Zusammenrechnen der jeweils bis zur Vertragsauflösung gewährten Dauerrabatte gehe nicht eindeutig aus der Klausel hervor. In der ersten Klausel bleibe auch unklar, ob beim Dauerrabatt von der Brutto- oder der Nettoprämie ausgegangen werde.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die vertragliche Vereinbarung der Dauerrabattrückvergütung sei nach § 8 Abs 3 VersVG ausdrücklich zulässig. § 879 Abs 3 ABGB sei nicht anwendbar, weil die Dauerrabattklauseln eine Hauptleistung festlegten. Sie regelten die Prämienhöhe nach vorzeitiger Kündigung. Sollte man die Anwendbarkeit des § 879 Abs 3 ABGB bejahen, so seien die Klauseln jedenfalls nicht gröblich benachteiligend. Die Rückforderung der Prämie stelle den bereits erhaltenen wirtschaftlichen Vorteil dar. Zudem lukriere der Konsument einen Zinsvorteil durch die Stundung der Prämie. Die Beklagte gewähre nur in Verbindung mit bestimmten Vertragslaufzeiten Rabatte. Eine Einschränkung der Gestaltung der Prämien als entscheidendes Wettbewerbsmittel stelle einen Eingriff in die Privatautonomie der Beklagten dar. Eine Limitierung der Dauerrabattrückvergütung auf einmalige Kostenbestandteile würde sich letztlich zum Nachteil des Konsumenten auswirken, weil dieser nur weniger Rabatte erhielte. Die Klauseln seien überdies transparent. Es mache keinen Unterschied, ob von einer Brutto- oder Nettoprämie ausgegangen werde. Ein Verstoß nach § 6 Abs 3 KSchG liege nicht vor. Die Höhe des Rabatts ergebe sich eindeutig aus den Klauseln und werde in der zweiten Klausel sogar betragsmäßig genannt. Dass Versicherungsverträge erst im neunten Jahr gekündigt würden, sei für weniger als 1 % der Verträge der Fall.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausnahmen von der in § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle - die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten - seien möglichst eng zu verstehen. Die Dauerrabattrückvergütung unterliege als Nebenleistung der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB. Die Klauseln seien auch gröblich benachteiligend, weil das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers nach § 8 Abs 3 VersVG durch die überproportional hohe Rückforderung der Prämiennachlässe de facto untergraben werde, sei doch für den Konsumenten eine Kündigung nach neun Jahren teurer als das Festhalten am Versicherungsvertrag. Weil die Kündigung wirtschaftlich unrentabel sei, binde sie den Konsumenten über Gebühr. Für die Beklagte sei die Höhe der Dauerrabattrückvergütung nicht zu rechtfertigen, es gebe kein schutzwürdiges rechtliches oder wirtschaftliches Interesse, es handle sich vielmehr um eine „Strafe“ für die vorzeitige Kündigung. Die Höhe der Dauerrabattrückvergütung habe einen Ausgleich der Interessen des Versicherers und des Versicherungsnehmers zu bewerkstelligen. Der Versicherte solle keinen wirtschaftlichen Vorteil aus seiner Kündigung ziehen, er solle aber auch keinen ungebührlich hohen wirtschaftlichen Verlust hinnehmen müssen.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil in eine gänzliche Klagsabweisung ab. § 879 Abs 3 ABGB bezwecke nur die Inhaltskontrolle vertraglicher Nebenrechte, nicht aber die Einigung über Waren oder die sonst vertragstypischen Leistungen und das Entgelt. Die Hauptleistung des Versicherten sei die Bezahlung der Prämie. Die beanstandeten Klauseln beträfen gerade die Pflicht des Versicherten zur Prämienzahlung und damit seine Hauptleistung, sodass § 879 Abs 3 ABGB nicht zur Anwendung kommen könne. Selbst wenn man die gegenteilige Ansicht vertrete, seien die Klauseln nicht gröblich benachteiligend. Der Versicherungsnehmer verliere bei Anwendung der beiden Klauseln im Fall der Kündigung nur den Vorteil, der ihm eingeräumt worden sei. Ihm verbleibe immerhin noch der Vorteil, einen Teil der Prämie erst deutlich später bezahlt zu haben. Eine Verzinsung schulde er nach den Klauseln nicht. Dass die Nachzahlung des Versicherungsnehmers größer sei, wenn der Vertrag länger gedauert habe, liege daran, dass sein Vorteil bei einem länger dauernden Vertrag auch größer sei, weil er eben bereits mehrere Jahre hindurch pro Jahr den Dauerrabatt in Anspruch genommen habe. Dass die Kündigung zum Ablauf des neunten Versicherungsjahres für den Versicherungsnehmer teurer sei als das Fortsetzen des Vertrags bis zum Ende des 10. Vertragsjahres, führe noch zu keiner gröblichen Benachteiligung. Es könne dem Versicherungsnehmer zugemutet werden, in dieser speziellen Konstellation den Ablauf des Versicherungsvertrags abzuwarten. Die Bestimmungen seien auch nicht unklar oder unverständlich im Sinn von § 6 Abs 3 KSchG. Ob die 20 % vom Brutto- oder Nettobetrag errechnet würden, mache keinen Unterschied. Die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Kündigung des Vertrags werde dem Versicherungsnehmer unmissverständlich klar gemacht. Es könne ihm zugemutet werden, sich selbst zu überlegen, ob für ihn eine vorzeitige Vertragsauflösung zu bestimmten Zeitpunkten wirtschaftlich sinnvoll sei oder nicht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob Prämienrabattrückforderungs-klauseln die Hauptleistung oder eine Nebenleistung im Sinn des § 879 Abs 2 ABGB beträfen.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Ist der Versicherungsnehmer Verbraucher, so kann er ein Versicherungsverhältnis, das er für eine Dauer von mehr als drei Jahren eingegangen ist, zum Ende des dritten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von einem Monat schriftlich kündigen. Eine allfällige Verpflichtung des Versicherungsnehmers zum Ersatz von Vorteilen, besonders Prämiennachlässen, die ihn wegen einer vorgesehenen längeren Laufzeit des Vertrags gewährt worden sind, bleibt unberührt (§ 8 Abs 3 VersVG). Das Kündigungsrecht nach § 8 Abs 3 VersVG ist auf Verbraucher im Sinne des KSchG zu beschränken, weil einem Unternehmer zugesonnen werden kann, dass er die Tragweite langfristiger vertraglicher Bindungen richtig einschätzt (RIS-Justiz RS0112255).

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit Prämienrabattnachforderungen beschäftigt und die Zulässigkeit einer darauf abzielenden Vereinbarung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer bejaht. Die Nachforderungsvereinbarung muss allerdings nach § 869 ABGB bestimmt sein (7 Ob 295/98b, 7 Ob 7/01g, 7 Ob 146/03a, 7 Ob 227/06t).

Im Gegensatz zu jenen Klauseln, die in den genannten Vorentscheidungen zu beurteilen waren, erfüllen die vorliegenden Klauseln dieses Bestimmtheitserfordernis nach § 869 ABGB. In der ersten Klausel wird festgehalten, dass ein 20%iger Rabatt für eine 10-jährige Vertragsdauer gewährt wird, in der zweiten Klausel wird die Höhe sowohl der Jahresprämie als auch des Rabatts mit einem Betrag in EUR genannt. Der Versicherungsnehmer kann die Höhe der Rückforderung bei Kündigung des Versicherungsvertrags vor Ablauf der vereinbarten Laufzeit problemlos durch Multiplikation des Rabattbetrags mit der Summe der Vertragsjahre bis zur Kündigung errechnen. Da demnach die Klauseln als bestimmt und als vereinbart anzusehen sind, stellt sich die Frage, ob sie einer Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB zu unterziehen sind, bejahendenfalls, ob sie dieser standhalten.

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Nach ständiger Rechtsprechung ist die Ausnahme von der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB - die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten - möglichst eng zu verstehen und soll auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben (RIS-Justiz RS0016908, RS0016931). Dazu gehören die in § 885 ABGB genannten „Hauptpunkte“, somit diejenigen Bestandteile eines Vertrags, die die Parteien vereinbaren müssen, damit überhaupt ein hinreichend bestimmter Vertrag zustandekommt (4 Ob 112/04f, 7 Ob 15/10x). Nicht dazu gehören hingegen etwa Bestimmungen, die die Preisberechnung in allgemeiner Form regeln oder die die vertragstypische Leistung in allgemeiner Form näher umschreiben. Daraus ergibt sich, dass nicht schon jede die Hauptleistung betreffende Vertragsbestimmung der Kontrolle entzogen ist (RIS-Justiz RS0016931). Deshalb gehören auch nicht zur Ausnahme von der Inhaltskontrolle Bestimmungen darüber, in welcher Form eine Preisanpassung bei geänderten Marktverhältnissen erfolgt (5 Ob 138/09v mwN, 10 Ob 145/05d). In diesem Sinn hat die von der Beklagten zitierte Entscheidung 9 Ob 15/05d zu Klausel 15 ausgesprochen, dass die Vereinbarung zum „Normaltarif“ und zum „Eiltarif“ die Hauptleistung betrifft.

Im vorliegenden Fall wird die Prämie von vornherein (unter Berücksichtigung des Prämienrabatts) mit einer bestimmten Höhe vereinbart. Damit wird die Höhe der Hauptleistung abschließend festgelegt. Die Dauerrabattnachzahlungsvereinbarung wird nur für den Fall aktuell, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag vor Ablauf der vereinbarten Laufzeit kündigt. Der Oberste Gerichtshof hat ausgesprochen, dass die Verpflichtung zur Rückzahlung unter einer Resolutivbedingung im Sinn der §§ 707 und 897 ABGB steht. Eine Bedingung ist ein künftiges ungewisses Ereignis, von dessen Eintritt der Erklärende oder die Vertragsparteien Rechtsfolgen abhängig machen (RIS-Justiz RS0012685). Die Vereinbarung der vorliegenden Bedingung (vorzeitige Kündigung) wird als eine das Geschäft ergänzende Nebenbestimmung angesehen (7 Ob 227/06t, 7 Ob 146/03a). Mit den Klauseln wird nicht die Hauptleistungspflicht selbst, sondern es werden die Folgen der vorzeitigen Vertragsauflösung festgelegt. Sie betreffen daher Nebenbestimmungen und unterliegen damit der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB. Auch Schauer, § 8 Abs 3 VersVG und Dauerrabatt, in VR 97, 65; Rami, Dauerrabatt und Versicherungsvertragsrecht, in VR 1998, 91 und Vonkilch, Zur Dauerrabattrückforderung im Versicherungsvertragsrecht, in VR 2000, 118 gehen (ohne weitere Begründung) davon aus, dass die Rückforderungsvereinbarungen der Inhaltskontrolle unterliegen.

Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, ist jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt (§ 879 Abs 3 ABGB). Durch diese Bestimmung wurde - wie in den einschlägigen Entscheidungen formuliert wird - ein eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes „bewegliches System“ geschaffen (RIS-Justiz RS0016914). Sie wendet sich vor allem gegen den Missbrauch der Privatautonomie durch das Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen durch den typischerweise überlegenen Vertragspartner bei Verwendung von AGB und Vertragsformblättern. Das Motiv des Gesetzgebers, insbesondere auf AGB (und Vertragsformblätter) abzustellen, liegt in der zwischen den Verwendern von AGB und deren Vertragspartnern typischerweise anzutreffenden Ungleichgewichtslage. Der mit den AGB konfrontierte Vertragspartner ist in seiner Willensbildung eingeengt und muss sich zumeist den AGB fügen oder in Kauf nehmen, dass ihm der Verwender den Vertragsabschluss verweigert (7 Ob 78/06f mwN). Ein Abweichen vom dispositiven Recht wird unter Umständen schon dann eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB sein können, wenn sich für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung ergibt. Sie ist jedenfalls anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in auffallendem Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht, wenn also keine sachlich berechtigte Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm des nachgiebigen Rechts vorliegt (RIS-Justiz RS0016914). Die sachliche Rechtfertigung einer Preis- bzw Zinsänderungsklausel beispielsweise zielt darauf ab, das ursprüngliche subjektive Äquivalenzverhältnis möglichst exakt beizubehalten (10 Ob 145/05d). Nachteile können durch zweckkongruente günstige Nebenbestimmungen ausgeglichen werden (6 Ob 253/07k).

Im Rahmen der Verbandsklage hat die Auslegung der Klauseln im kundenfeindlichsten Sinn zu erfolgen (RIS-Justiz RS0016590). Im Verbandsprozess ist auch keine Rücksicht auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel zu nehmen, es kann also keine geltungserhaltende Reduktion stattfinden (RIS-Justiz RS0038205).

Mit der hier zu beantwortenden Frage des zulässigen Inhalts einer ausreichend bestimmten Dauerrabattrückforderungsvereinbarung haben sich Schauer, Rami und Vonkilch  (je aaO) auseinandergesetzt.

Vonkilch vertritt pauschal die Ansicht, dass die Hürde des § 879 Abs 3 ABGB - außer in krassen Fällen - der vertraglichen Vereinbarung einer Dauerrabattvereinbarung im Allgemeinen nicht entgegen stehen werde. Schließlich lasse der Gesetzgeber sogar für den Fall der vorzeitigen Verbraucherkündigung durch die Regelung des § 8 Abs 3 VersVG ausdrücklich erkennen, dass er in der bloßen Rückerstattung von Vorteilen, die ersichtlich einzig im Hinblick auf eine längere Vertragsdauer gewährt worden seien, im Allgemeinen keine gröbliche Benachteiligung des Versicherungsnehmers erblicke.

Schauer kommt aufgrund einer dem vorliegenden Rechtsfall vergleichbaren Klausel zu dem Ergebnis, dass es dem Versicherer durch die Ausgestaltung von Dauerrabattvereinbarungen in der Tat möglich sei, das Kündigungsrecht des § 8 Abs 3 VersVG zwar nicht abzubedingen, aber seine Ausübung in einem solchen Maß mit wirtschaftlichen Nachteilen zu verbinden, dass das Ziel des Gesetzes, die Vertragsbindung für den Versicherungsnehmer abzuschwächen, auf diese Weise unterlaufen werden könnte. Der wirtschaftliche Druck, das Kündigungsrecht nicht auszuüben, werde umso größer, je länger der Vertrag bereits gedauert habe. Der Rabattverlust werde auch umso höher, je höher der im Verhältnis zur tarifmäßigen Normalprämie gewährte Rabatt ausfalle. Dies lege nahe, nach normativen Schranken für die Zulässigkeit von Dauerrabattvereinbarungen vor dem Hintergrund des § 8 Abs 3 VersVG zu suchen. Für eine Lösung sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Interesse des Versicherungsnehmers sei klar, es liege im Schutz seines Auflösungsinteresses. Das Interesse des Versicherers sei weniger eindeutig. Dies erkennt Schauer unter Hinweis auf die Materialien zur VersVG-Nov 1994 („... der naturgemäß geringere Verwaltungsaufwand ... die Kalkulation einer etwas geringeren Prämie [erlaubt]“) in durch die langfristigen Verträge bestimmten kalkulatorischen Kostenvorteilen. Diese - und nur diese - könnten zum Gegenstand einer wirksamen Dauerrabattvereinbarung gemacht werden. Bei der Kalkulation der Prämie lege der Versicherer eine Gewinnspanne sowie bestimmte Kostenfaktoren zugrunde. Unter den Kostenfaktoren gebe es solche, die in jeder Versicherungsperiode in derselben Höhe anfielen; und andere, die in den einzelnen Versicherungsperioden in ungleichmäßiger Höhe entstünden, insbesondere solche, die sich pro Vertrag nur ein einziges Mal ergäben (wie die Vertragsabschlusskosten). Kündige der Versicherungsnehmer vor dem Ablauf des der Prämienkalkulaton zugrundeliegenden Zeitraums, so solle der Versicherer die Möglichkeit haben, bereits angefallene, aber noch nicht durch Prämien hereingebrachte Kostenanteile - aber eben nur diese - nachträglich zu verlangen. Diese Lösung führe mit zunehmender Vertragsdauer nicht zu einer steigenden, sondern umgekehrt zu einer sinkenden Belastung des Versicherungsnehmers durch den Rabattverlust. Je länger der Vertrag bereits bestanden habe, desto höher seien die durch die bezahlten Prämien bereits entrichteten Kostenanteile und desto geringer falle der an den Versicherer zu leistende Betrag aus. Dies schließe aus, dass durch die Vereinbarung einer bestimmten Rabatthöhe willkürlich ein zu Gunsten des Versicherers verfallender Betrag festgelegt werden könne. Durch die Beschränkung auf kalkulatorische Kostenvorteile werde ein objektiv nachprüfbares Kriterium als Grenze für Dauerrabatte eingeführt. Der Versicherungsnehmer stehe bei seiner vorzeitigen Vertragskündigung dann so, wie er gestanden hätte, wenn der Vertrag von vornherein nur für die tatsächliche Laufzeit geschlossen worden wäre.

Dem tritt Rami entgegen. Aus dem Wortlaut des § 8 Abs 3 VersVG leitet er ab, dass sich die rechnerische Höhe des Vorteils aus einem Vergleich mit den vom Versicherer für kürzere Vertragslaufzeiten verwendeten Tarifen ergäbe. Für eine quantitative Schranke gebe der Gesetzeswortlaut nichts her. Der von Schauer aus den Erläuternden Bemerkungen abgeleitete Wertungsgesichtspunkt sei sehr zweifelhaft. Vielmehr werde dort zum Ausdruck gebracht, dass es dem Versicherer unbenommen bleibe, weiterhin langfristig Rabatte zu gewähren und damit die Nichtausübung des Kündigungsrechts durch den Versicherungsnehmer zu honorieren. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Treuerabattvereinbarungen im Zusammenhang mit § 8 Abs 3 VersVG eine Sonderbehandlung erfahren müssten. Die Dauerrabattabrede sei für den Versicherungsnehmer in jedem Fall von Vorteil: Werde der Vertrag vorzeitig aufgelöst, so habe der Versicherungsnehmer nicht mehr zurückzuzahlen als denjenigen Betrag, den er bei Nichtvereinbarung eines Dauerrabatts ohnehin zu bezahlen gehabt hätte. Er lukriere aber immerhin einen Zinsenvorteil. Erreiche der Vertrag jedoch die vereinbarte Laufzeit, so bleibe dem Versicherungsnehmer bei dem von Schauer gewählten Beispiel ein Gewinn in der Höhe von zwei Jahresprämien. Die von Schauer dargelegte Erschwernis des Kündigungsrechts sei bei richtiger Betrachtungsweise rein psychologischer Natur. Das Ergebnis, dass der Versicherer im Anwendungsbereich des § 8 Abs 3 VersVG nur seine aus der längeren Laufzeit erzielbaren kalkulatorischen Kostenvorteile zum Gegenstand einer Dauerrabattvereinbarung machen könne, könne weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift abgeleitet werden. Versicherer und Versicherungsnehmer seien bei derartigen Abreden nur durch die allgemeinen zivilrechtlichen Grenzen (Sittenwidrigkeit etc) beschränkt. Der Versicherer dürfe seinen Dauerrabattabreden natürlich keinen fingierten, sondern nur seinen tatsächlich verwendeten Normaltarif zugrundelegen.

Der Senat hat erwogen:

§ 8 Abs 3 VersVG regelt nicht, nach welchen Kriterien die Prämienrückvergütung zu berechnen ist. Er legt aber fest, dass der Versicherungsnehmer (nur) zum Ersatz von „Vorteilen“ verpflichtet werden kann, die ihm aufgrund der vereinbarten längeren Laufzeit zuteil wurden.

Die Beklagte legt ihrer Rechtsansicht, dass es für den Versicherungsnehmer nicht gröblich benachteiligend sei, wenn die Höhe des rückzuzahlenden Dauerrabatts unabhängig von der tatsächlichen Vertragsdauer mit jährlich demselben Betrag vereinbart sei, offenbar § 9 VersVG zu Grunde. Danach ist eine Versicherungsperiode, falls nicht die Prämien nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen sind, der Zeitraum eines Jahres. Die Beklagte geht dann davon aus, dass nach vorzeitiger Vertragsauflösung zu fingieren sei, sie hätte immer wieder nur einen 1-Jahres-Vertrag abgeschlossen. Nicht anders kann die Ansicht verstanden werden, dass der erlangte „Vorteil“ des Versicherungsnehmers mit jedem aufrechten Vertragsjahr größer wird. Diese Fiktion entspricht aber nicht den Tatsachen, weil der Vertrag für die schon „abgediente“ Dauer bestanden hat und der Beklagten auch die Vorteile aus dieser (längeren) Vertragsdauer zukamen (etwa bezüglich Vertragsabschlusskosten, vgl die Ausführungen von Schauer aaO) und der Versicherungsnehmer für diesen Zeitraum vertragstreu war. Die Beklagte berücksichtigt nicht, dass auch sie - selbst nach ihrem Vorbringen - einen (vielleicht geringeren) Dauerrabatt auch für eine kürzere als 10-jährige Vertragsdauer gewährt, den sie nach den Klauseln dem Kündigenden vorenthält. Der nach der tatsächlichen Laufzeit vom Versicherungsnehmer „verdiente“ Rabatt kommt nach den Klauseln ausschließlich dem Versicherer zu. Die sich darüber hinweg setzende Argumentation von Rami und des Berufungsgerichts, der Versicherungsnehmer könne deshalb nicht benachteiligt sein, weil er nur das bezahlen müsse, was er sich vorhin erspart habe, greift zu kurz. Der „Vorteil“, den der Versicherungsnehmer nach § 8 VersVG herauszugeben hat, kann nur der Betrag sein, der ihm im Hinblick auf die vorzeitige Kündigung und damit kürzere Vertragszeit ungerechtfertigterweise an „Mehr“ als Rabatt während der Laufzeit zugekommen ist. Es ist also die Rabattsituation für die tatsächliche und die vereinbarte Vertragsdauer zu vergleichen und nicht für die vereinbarte Vertragslaufzeit und eine Laufzeit, die (egal wie lang sie letztlich auch sein mag) nie zu einem Dauerrabatt führen würde, wie dies die inkriminierten Klauseln vorsehen. Ein wegen der tatsächlichen Vertragsdauer „verdienter“ Rabatt ist kein (ungerechtfertigt erlangter) „Vorteil“, sondern entspricht den Vertragsgegebenheiten. Wird der Versicherungsnehmer durch die Klauseln verpflichtet, unabhängig von der tatsächlichen Laufzeit für jedes Versicherungsjahr den gleichen, dem ursprünglich vereinbarten Rabatt entsprechenden Betrag zurückzuzahlen, bedeutet dies, dass er bei längerer tatsächlicher Vertragsdauer statt eines geringeren einen höheren Betrag zahlen muss. Zum Beispiel müsste er bei Kündigung im neunten Versicherungsjahr neun Mal den auf den 20%igen Rabatt entfallenden Betrag zahlen und damit mehr als bei Abstandnahme von der Kündigung bis Vertragsende. Dies zeigt besonders drastisch, dass der Versicherungsnehmer - gemessen an der tatsächlichen Vertragsdauer - hier eben nicht nur den ihm zugekommenen „Vorteil“, das ist das (gemessen an der tatsächlichen Vertragsdauer) „Zuviel an Rabatt“, zurückzahlen muss, sondern einen pauschalierten Betrag, der in Fällen langer Vertragsdauer den „Vorteil“ nach § 8 VersVG übersteigt und im Ergebnis Strafcharakter hat. Dies wird nicht dadurch aufgewogen, dass dem Versicherungsnehmer ein (geringer) Zinsvorteil zugutekommt, weil er nicht von vornherein die entsprechende (höhere) Prämie jährlich entrichtete. Darüber hinaus unterlaufen die Klauseln - wie schon dargelegt - wegen der ansteigenden Höhe des rückzahlbaren Betrags in den letzten Jahren der vereinbarten Vertragsdauer aus wirtschaftlicher Sicht das gesetzlich dem Konsumenten eingeräumte Kündigungsrecht. Eine sachliche Rechtfertigung für die Benachteiligung des Konsumenten insgesamt liegt nicht vor.

Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass Klauseln, die eine Dauerrabattrückvergütung mit gleich bleibenden jährlichen Beträgen vorsehen, sodass der rückforderbare Betrag mit längerer Vertragsdauer steigt statt sinkt, § 8 Abs 3 VersVG widersprechen, weil sie insbesondere bei relativ langer Vertragsdauer einerseits den herauszugebenden „Vorteil“ übersteigen und andererseits das gesetzliche Kündigungsrecht des Konsumenten mit wirtschaftlichen Mitteln untergraben. Die Klauseln widersprechen mangels sachlicher Rechtfertigung dem Verbot der Benachteiligung des Versicherungsnehmers gemäß § 879 Abs 3 ABGB. Da im Verbandsprozess keine geltungserhaltende Reduktion stattzufinden hat und der „kundenfeindlichste“ Anwendungsfall der Klauseln der Entscheidung zugrundezulegen ist, sind weitere Ausführungen zur Berechnung des rückforderbaren Dauerrabatts entbehrlich.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Der Einheitssatz für die Revision beträgt 50 % und nicht 60 %.

Schlagworte

9 Vertragsversicherungsrecht,Gruppe: Konsumentenschutz,Produkthaftungsrecht

Textnummer

E93976

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0070OB00266.09G.0421.000

Im RIS seit

24.06.2010

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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