TE OGH 2010/5/19 6Ob31/10t

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Veröffentlicht am 19.05.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. K***** K*****, gegen die beklagte Partei K***** R*****, vertreten durch Dr. Kurt Hirn, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 16.308,24 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 25. November 2009, GZ 5 R 177/09b-9, womit der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 9. Oktober 2009, GZ 24 Cg 65/09d-4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Zahlungsbefehl wird der Beklagte näher wie folgt umschrieben: „Beschäftigung: Gf Fa. B*****, geb.: *****.“

Der antragsgemäß erlassene Zahlungsbefehl, der am Kuvert den Beklagten nur namentlich mit Adresse ohne weitere Angaben bezeichnet, wurde am 15. 7. 2009 von Maria R*****, der Mutter des Beklagten, als Mitbewohnerin an der Abgabestelle übernommen.

Nachdem kein fristgerechter Einspruch eingelangt war, erteilte das Erstgericht am 31. 8. 2009 die Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls.

In der Folge beantragte der Beklagte die „Aufhebung der Vollstreckbarkeit“ des Zahlungsbefehls und die Zustellung desselben und erhob den Einspruch gegen den Zahlungsbefehl. Maria R***** habe keine Postvollmacht des Beklagten, der vor dem aufgrund des Zahlungsbefehls eingeleiteten Exekutionsverfahren vom Zahlungsbefehl nichts gewusst habe. Seine Mutter sei davon ausgegangen, dass das übernommene Stück an ihren Gatten mit gleichem Namen wie der Beklagte gerichtet gewesen sei. Der Beklagte habe den Zahlungsbefehl nicht übernommen.

Diese Angaben wurden von Maria R***** mit eidesstattlicher Erklärung bestätigt.

Das Erstgericht hob die Vollstreckbarkeitsbestätigung auf. Es ging in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass die Mutter des Beklagten den Zahlungsbefehl übernommen und den Beklagten darüber nicht informiert hat, und hielt in rechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen gemäß § 7 Abs 3 EO für gegeben.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und wies den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ab. Da nach § 106 Abs 1 ZPO in der (anzuwendenden) Fassung BGBl I 2009/52 Klagen auch an einen Ersatzempfänger zugestellt werden könnten, liege eine gültige Zustellung vor. Wenn der Ersatzempfänger das Schriftstück der Partei nicht aushändige, berechtige dies nur zur (nicht beantragten) Wiedereinsetzung. An der Inanspruchnahme des Beklagten bestehe durch die in der Klage vorgenommene (bereits dargestellte) Konkretisierung kein Zweifel.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, da Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu § 106 Abs 1 ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl I 2009/52, noch nicht vorlägen.

Im Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses bringt der Beklagte vor, er wohne zwar im selben Haus wie seine Mutter, nicht aber in derselben Wohnung, geschweige denn im selben Hausverband, weshalb seine Mutter keine taugliche Ersatzempfängerin sei.

Der Kläger beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des jedem Abänderungsantrag (in eventu) innewohnenden Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Das Rekursgericht hat keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt: Mit dem Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde § 106 ZPO dahingehend geändert, dass für Klagen und Schriftstücke, die wie Klagen zuzustellen sind, die verpflichtende Eigenhandzustellung abgeschafft wurde und stattdessen die Zustellung einer Klage an den Ersatzempfänger zulässig ist.

Der Ersatzempfänger ist (seit Inkrafttreten des ZustG mit 1. März 1983 unverändert in der Stammfassung, BGBl 1982/200) in § 16 Abs 2 ZustG umschrieben. Weder das Rekursgericht noch der Revisionsrekurswerber haben in diesem Zusammenhang eine für die Entscheidung des vorliegenden Falls relevante, vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortete Rechtsfrage (etwa zum Ersatzempfänger oder zur Ersatzzustellung) aufgezeigt.

2. Dennoch zeigt das Rechtsmittel eine mögliche Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf.

2.1. Dem erstmals im Revisionsrekurs erstatteten Tatsachenvorbringen steht im amtswegigen Verfahren zur Überprüfung einer Zustellung das Neuerungsverbot nicht entgegen (RIS-Justiz RS0108589 [T3]; RS0006957 [T8]).

Gemäß § 2 Z 4 ZustG ist (im hier maßgeblichen Zusammenhang) unter der Abgabestelle die Wohnung oder sonstige Unterkunft zu verstehen. Würde man das im Revisionsrekurs erstattete Vorbringen zugrundelegen, hätten der Beklagte und seine Mutter nicht dieselbe Abgabestelle, weil sie nicht in derselben Wohnung wohnten, weshalb die Mutter des Beklagten keine taugliche Ersatzempfängerin iSd § 16 Abs 2 ZustG wäre und die Zustellung nichtig wäre. In einem Zweifamilienhaus sind nur jene Personen Ersatzempfänger, die in derselben Wohnung wie der Empfänger wohnen (Stumvoll in Fasching/Konecny2 ErgBd [2008] § 16 ZustG Rz 17, vgl 7 Ob 247/97t).

Zu diesen Umständen fehlen Feststellungen.

2.2. Selbst unter Außerachtlassung des neuen Vorbringens im Revisionsrekurs stünde die Gültigkeit der Zustellung nicht fest: Aus der Bezeichnung des „Empfängers“ einer Sendung muss zweifelsfrei erkennbar sein, für wen sie bestimmt ist. Fehlt eine solche hinreichende Individualisierung, weil zufolge Namensgleichheit und identer Anschrift die angeführten Merkmale auf mehrere Personen zutreffen, so hat weder die Hinterlegung einer solchen Sendung noch die Verweigerung ihrer Annahme die Wirkung einer Zustellung (VwGH 87/02/0038 = ÖJZ 1988, 570; vgl Stumvoll in Fasching/Konecny2 ErgBd [2008] § 5 ZustG Rz 6; derselbe aaO § 20 Rz 13).

Diese Fälle einer unwirksamen Zustellung im Fall von Namensgleichheit und identer Adresse sind um den hier vorliegenden Fall der Zustellung an den Ersatzempfänger zu erweitern, es wäre denn, das zuzustellende Stück wäre dem Empfänger (hier dem Beklagten) tatsächlich zugekommen (§ 7 ZustG), was hier aber nicht der Fall war.

Dass an derselben Adresse wie der Beklagte auch dessen gleichnamiger Vater wohnt, wurde von den Vorinstanzen nicht festgestellt und vom Kläger auch nicht zugestanden.

2.3. Da zur abschließenden Beurteilung der Gültigkeit der Zustellung die aufgezeigten entscheidungsrelevanten Feststellungen fehlen, war die Sache zur Ergänzung der notwendigen Feststellungen an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E94140

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0060OB00031.10T.0519.000

Im RIS seit

08.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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