TE OGH 2010/6/1 10ObS18/10k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.06.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zbigniew W*****, vertreten durch Mag. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Oktober 2009, GZ 7 Rs 13/09x-83, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. September 2008, GZ 13 Cgs 74/05z-79, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 11. 8. 1947 geborene Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 10. 2004) insgesamt 16 Beitragsmonate als Malerhelfer, 68 Beitragsmonate als angelernter Maler und Anstreicher und 58 Beitragsmonate als Elektrohelfer erworben. Darüber hinaus hat der Kläger zufolge seiner zwischen August 1991 und Dezember 2002 nebenberuflich ausgeübten Hausbesorgertätigkeit 14 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben (die übrigen „Hausbesorgerzeiten“ überschneiden sich mit den Tätigkeiten als Malerhelfer, als Maler und Anstreicher und als Elektrohelfer). Solcherart liegen beim Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag insgesamt 156 Beitragsmonate der Pflichtversicherung vor.

Der Kläger, der in Polen zunächst Jus studiert hatte und 1990 nach Österreich kam, begann in Österreich als Malerhelfer zu arbeiten. Für diese Beschäftigung wies er gewisse Vorkenntnisse auf, weil er bereits im Alter von 14 bis 19 Jahren zu Hause bei seinem Vater, einem Malermeister, ausgeholfen hatte.

Konkret war der Kläger zunächst vom 3. 9. 1990 bis 2. 12. 1990 und sodann vom 18. 3. 1991 bis 31. 7. 1991 bei der Firma P***** in P***** als Malerhelfer beschäftigt. Dieses Unternehmen wurde von der Firma G***** übernommen und der Kläger verrichtete sodann von September bis November 1991 dort Malerhelferarbeiten. Die Tätigkeit blieb im Wesentlichen die gleiche wie zuvor bei der Firma P*****.

Ab September 1991 war der Kläger bei der Firma Sch***** beschäftigt. Auch dabei handelte es sich um ein kleines, von Vater und Sohn (beide gelernte Maler und Anstreicher) betriebenes Unternehmen; der Kläger war dort der einzige Arbeiter. Er lernte unter anderem auch das Anbringen von Stuckleisten bzw Stuckverzierungen sowie von Wärmeschutz. Bei diesem Arbeitgeber waren im Rahmen von Generalsanierungen auch Fußböden zu verlegen. Der Kläger verrichtete seine Arbeiten hauptsächlich in Wohnungen, Außenarbeiten waren etwa beim Wärmeschutz oder bei Dachrinnenanstrichen erforderlich. Der Kläger arbeitete hauptsächlich entweder mit dem Vater oder Sohn der Inhaber, nur ausnahmsweise alleine. Diese Tätigkeit verrichtete er im Wesentlichen bis November 1994.

Es ist nicht genau feststellbar, zu welchem Zeitpunkt der Kläger sämtliche Kenntnisse und Fertigkeiten eines angelernten Malers und Anstreichers beherrschte. Es ist frühestens nach 3 Monaten seiner Tätigkeit bei der Firma Sch***** davon auszugehen, dass der Kläger diese Kenntnisse und Fertigkeiten besaß.

Vor dem 1. 6. 1992 hat der Kläger auf die beschriebene Weise 16 Monate der Pflichtversicherung als Malerhelfer erworben.

Im Zeitraum vom 1. 6. 1992 bis 13. 8. 1995 war der Kläger nicht nur bei der Firma Sch*****, sondern kurzzeitig bei der Firma R***** und bei der Firma G***** als Maler und Anstreicher beschäftigt. In diesem Zeitraum erwarb er 36 Pflichtversicherungsmonate als angelernter Maler und Anstreicher.

In der Zeit zwischen Dezember 1995 und Oktober 2000 verrichtete der Kläger Arbeiten als Elektrohelfer bei der Firma B***** in P*****. Dabei mussten hauptsächlich Stemmarbeiten verrichtet werden, so etwa Leitungsschlitze für Kabelverlegungen gestemmt werden. Dem Kläger oblag das Aufstemmen und nachfolgende Zugipsen. Er war meistens mit einem Elektriker in einer Arbeitspartie eingesetzt. Auch bei diesen Arbeiten nahm er Vorarbeiten wie etwa das Abdecken von Boden und Möbeln selbst vor. Der Kläger hat als Elektrohelfer 58 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben.

Ab 19. 2. 2001 war der Kläger bis zum 14. 3. 2004 als angelernter Maler und Anstreicher bei den Firmen G***** und R***** GmbH beschäftigt. Dabei führte er im Wesentlichen selbstständig Arbeiten durch, wobei ihm mitunter ein oder zwei Lehrlinge beigegeben wurden. Kundenkontakte nahm jedoch der Betriebsinhaber wahr. Bei der Firma R***** arbeitete der Kläger im Rahmen größerer Arbeitspartien beim Ausmalen von Wohnhäusern sowie auch einmal einer Flugzeughalle.

Zu einer Tätigkeit als Maler und Anstreicher ist der Kläger nicht mehr in der Lage, aus berufskundlicher Sicht bestehen auch keine qualifizierten Verweisungsmöglichkeiten.

Außerhalb eines Berufsschutzes ist der Kläger aufgrund des ihm verbliebenen Leistungskalküls noch verweisbar auf die Tätigkeiten eines Adressenverlagsarbeiters sowie Museumsaufsehers, Portiers- und Schrankenwärters. Diese Tätigkeiten kommen in ausreichender Anzahl auf dem österreichischen Arbeitsmarkt vor.

In der Zeit zwischen August 1991 und Dezember 2002 war der Kläger auch als Hausbesorger im Wohnhaus der Familie P***** in P***** tätig. Dieses Haus hat über dem Erdgeschoß zwei Stockwerke. Die neben dem Haus auf dem Grund befindliche Malerwerkstätte und Garage wurde von den jeweiligen Arbeitern der Firma P***** gereinigt. Die Hausbesorgertätigkeit selbst erstreckte sich auf die Reinigung des Gehsteigs, die dabei vor allem im Winter anfallenden Schneeräumungsarbeiten sowie die Reinigung des Wohnhauses samt dem Putzen der Gangfenster. Ferner hatte der Kläger gelegentlich im Wiesen- und Gebüschbereich Gras zu mähen. Gelegentlich waren auch Keller- und Dachbodenreinigungen erforderlich. Der Kläger verrichtete seine Tätigkeit als Hausbesorger entweder am Wochenende oder mitunter nach seiner regulären Arbeitszeit ab 17:00 Uhr. Das Kehren und Waschen der Stiege, welches der Kläger wöchentlich vornahm, dauerte zumindest 4 Stunden. Beim Reinigen der Fenster war jedenfalls nicht von mehr als einem Arbeitstag auszugehen, dies bezogen auf einen ganzen Monat. Die Fenster waren nämlich einmal monatlich zu reinigen, die Stiege einmal in der Woche zu waschen.

Mit Bescheid vom 31. 1. 2005 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung der Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 10. 2004 ab.

Ein Berufsschutz iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG infolge der Tätigkeit als angelernter Maler bestehe mangels Vorliegens einer ausreichenden Zahl entsprechender Beitragsmonate nicht. Selbst bei für ihn günstigster Betrachtung komme der Kläger lediglich auf 68 von 156 Beitragsmonaten in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag. Die Tätigkeiten eines Malerhelfers (16 Monate), eines Elektrohelfers (58 Monate) und eines Malers/Anstreichers seien auch nicht als „eine Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 ASVG zu werten, sodass dem 1947 geborenen Kläger insgesamt auch nicht der Tätigkeitsschutz dieser Bestimmung zugute komme.

Die Tätigkeit des Klägers als Hausbesorger stelle keine Tätigkeit im Sinne eines Kernbereichs dar, weil sie vom Kläger nur als Nebenbeschäftigung ausgeübt worden sei, welche gegenüber den von ihm während dieses Zeitraums gleichzeitig hauptberuflich ausgeübten Tätigkeiten eines Malers und Anstreichers, Malerhelfers und Elektrohelfers in den Hintergrund rücke. Die Hausbesorgertätigkeit könne daher im günstigsten Fall nur einer iSd § 255 Abs 4 ASVG ausgeübten Tätigkeit nicht entgegenstehen, insoweit sie nämlich mit dem Kernbereich anderer Tätigkeiten übereinstimme. Insgesamt sei aber das Vorliegen eines solchen Kernbereichs bzw „einer Tätigkeit“ für die Maler- und Eletrohelfertätigkeiten schon verneint worden.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (infolge Verneinung eines Tätigkeitsschutzes als Hausbesorger nach § 255 Abs 4 ASVG) erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.

              Dem Kläger sei zwar beizupflichten, dass § 255 Abs 4 ASVG grundsätzlich nicht zwischen Haupt- und Nebentätigkeiten unterscheide. Ebenso wie § 253d Abs 1 ASVG aF stelle § 255 Abs 4 ASVG insbesondere für die Frage des Tätigkeitsschutzes nicht auf das Ausmaß der Tages- oder Wochenarbeitszeit in dieser Beschäftigung ab. Die in diesem Zusammenhang zur Vorgängerbestimmung ergangene Judikatur sei daher insofern grundsätzlich weiterhin anwendbar. Für die Frage des Tätigkeitsschutzes sei folglich nicht entscheidend, ob die Tätigkeit als Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung ausgeübt worden sei und welches Entgelt der Kläger dafür erhalten habe (vgl zur Rechtslage vor dem SVÄG 2000 etwa 10 ObS 257/01v). Es sei daher nicht grundsätzlich auszuschließen, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit als Hausbesorger in den Genuss des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG komme, auch wenn er diese Tätigkeit nur im Rahmen einer Nebenbeschäftigung ausgeübt habe.

              Allerdings sei alleine daraus noch nichts für die Frage gewonnen, ob dies auch dann zu gelten habe, wenn ein Versicherter mehrere Tätigkeiten nebeneinander zur gleichen Zeit ausgeübt habe, von denen eine sowohl in finanzieller, zeitlicher als auch arbeitsumfänglicher Sicht von stark untergeordneter Bedeutung sei. Nach der Rechtsprechung zu den Vorgängerbestimmungen bilde bei Vorliegen von zwei Beschäftigungsverhältnissen die Gesamttätigkeit des Versicherten mit der Summe ihrer Merkmale jenen Rahmen, der Beurteilungsgrundlage für den Tätigkeitsschutz sei. Dieses Abstellen auf das Gesamtbild der Tätigkeit (also auch der gleichzeitig ausgeübten Tätigkeiten) habe zur Folge, dass sich einerseits ein Versicherter nicht auf eine seinem medizinischen Leistungskalkül noch entsprechende untergeordnete (Teil-)Tätigkeit verweisen lassen müsse, dass aber andererseits dem Versicherten allein durch den Umstand, dass er eine solche untergeordnete Teiltätigkeit aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls nicht mehr erfüllen könne, noch kein Tätigkeitsschutz zugute komme.

Diese ältere Rechtsprechung könne auch auf § 255 Abs 4 ASVG übertragen werden, zumal nach ständiger Rechtsprechung unter dem Begriff der „einen“ Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht nur eine einzige (einheitliche) Tätigkeit zu verstehen sei, sondern bei mehreren ausgeübten Tätigkeiten - unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den sogenannten Kernbereich) - sehr ähnliche Tätigkeiten zu einer Tätigkeit zusammenzufassen seien (RIS-Justiz RS0117063). Mit der Einführung des § 255 Abs 4 ASVG sei nicht beabsichtigt gewesen, einen die Invaliditätspension eröffnenden Tätigkeitsschutz für jede Art von Nebenbeschäftigungen zu begründen, die - verglichen mit der gleichzeitig ausgeübten Hauptbeschäftigung - in zeitlicher, finanzieller und arbeitsumfänglicher Hinsicht völlig in den Hintergrund treten.

Da die Tätigkeit des Klägers als Hausbesorger verglichen mit seinen während dieses Zeitraums ebenfalls ausgeübten Tätigkeiten als Maler- bzw Elektrohelfer nach den Feststellungen in jeder Hinsicht untergeordnet geblieben sei, sei diese Tätigkeit unter dem Gesamtbetrachtungsaspekt nicht geeignet, einen Tätigkeitsschutz und somit letztendlich unter Berücksichtigung der Verweisbarkeit des Klägers einen Anspruch auf Invaliditätspension zu begründen.

Die Revision sei zulässig, da seit dem SVÄG 2000 höchstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob bei gleichzeitiger Ausübung mehrerer Tätigkeiten auch eine Tätigkeit, die im Vergleich zu den sonst in diesem Zeitraum gleichzeitig ausgeübten Tätigkeiten sowohl in zeitlicher und finanzieller als auch in arbeitsumfänglicher Sicht wesentlich in den Hintergrund trete, den Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG allein begründen könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Zum Revisionsgrund der „Aktenwidrigkeit“:

Der Kläger moniert unter diesem Revisionsgrund die Unvollständigkeit der Wiedergabe der erstgerichtlichen Verfahrensergebnisse in Bezug auf den Erwerb von (nur) 14 Beitragsmonaten aus der Tätigkeit als Hausbesorger; tatsächlich sei er von August 1991 bis Dezember 2002 als Hausbesorger bei der Familie P***** tätig gewesen; die (nur) 14 Beitragsmonate resultierten aus der Überschneidung mit den sonstigen Tätigkeiten als Malerhelfer, als Maler und Anstreicher und als Elektrohelfer.

Die gerügte „Aktenwidrigkeit“ liegt nicht vor, weil die Feststellungen der Tatsacheninstanzen ganz klar in diesem Sinn zu verstehen sind (und auch so verstanden wurden, bliebe doch sonst die auf § 255 Abs 4 ASVG konzentrierte rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts im luftleeren Raum).

2. Zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung:

2.1. Auf die ausführlichen Darlegungen in der Revision, dass der Kläger die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension unter Bedachtnahme auf die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 erfülle, ist mangels Relevanz für das Revisionsverfahren nicht einzugehen. So war etwa die Frage der Erfüllung der Wartezeit in keiner Phase des sozialgerichtlichen Verfahrens strittig.

2.2. In Bezug auf Berufsschutz und Tätigkeitsschutz (aus der Revision geht nicht klar hervor, ob der Kläger einen Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG oder einen Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG für sich in Anspruch nimmt) splittet der Kläger in der Revision die einzelnen von ihm ausgeübten Tätigkeiten auf und nimmt folgende Berechnung vor:

- Tätigkeit als Malerhelfer: 16 Beitragsmonate;

- Tätigkeit als angelernter Maler und Anstreicher: 68 Beitragsmonate;

- Tätigkeit als Elektrohelfer: 58 Beitragsmonate;

- Tätigkeit als Hausbesorger: 137 Beitragsmonate, davon 14 Beitragsmonate nur Hausbesorgertätigkeit und 123 Beitragsmonate überschneidend mit anderen Tätigkeiten; bemerkt wird, dass die Hausbesorgertätigkeit nach dem HbG immer der Vollversicherung unterlegen sei.

Hätte er nur die Tätigkeit als Hausbesorger ausgeübt, lägen in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 137 „Kalendermonate“ vor, was einen Anspruch auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG begründen würde.

Hätte der Kläger nur als Malerhelfer bzw als Maler und Anstreicher gearbeitet, stünden 68 Beitragsmonaten mit qualifizierter Tätigkeit 16 Beitragsmonate als Malerhelfer gegenüber, sodass auch hier der Anspruch auf Invaliditätspension (in diesem Fall nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG) zu bejahen wäre.

Nur die 58 „Monate“ der Beschäftigung als Elektrohelfer hätten die Anwendung des § 255 Abs 3 ASVG ausgelöst.

Insgesamt stehe das Verhältnis von berufsgeschützten zu nicht berufsgeschützten Tätigkeiten 2 : 1. Bei dieser Konstellation sei es nicht gerecht, die Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG zu verneinen, sondern die Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen.

Der Berufsschutz sei auch auf der Grundlage folgender Berechnung zu bejahen:

Der Kläger habe insgesamt 156 „Monate“ erworben. Rechne man davon die 16 Monate als Malerhelfer und die 58 Monate als Elektrohelfer ab, so würden sich 82 „Monate“ geschützter Tätigkeiten ergeben, also mehr als die Hälfte der Beitragsmonate in den 15 Jahren vor dem Stichtag. Nur bei Nichtberücksichtigung der Pflichtversicherung als Hausbesorger sei das Verhältnis der ungelernten zu den angelernten Monaten 74 : 68. Es gebe keine Bestimmung im ASVG, dass bei Bestehen von mehreren Pflichtversicherungen nebeneinander bei der Prüfung der besonderen Anspruchsvoraussetzungen nach dem Billigkeitsprinzip vorgegangen werden müsse und eine Beschäftigung mit geringerem Entgelt, die der Pflichtversicherung unterliege, aus dem Prüfverfahren auszuschließen sei. Da er keine der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausgeübten Tätigkeiten mehr verrichten könne, sei der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension zu bejahen.

3. Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen.

3.1. In Bezug auf den Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG haben die Vorinstanzen zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nur in 68 Beitragsmonaten, also in weniger als der Hälfte der insgesamt 156 Beitragsmonate aus diesem Zeitraum, im angelernten Beruf als Maler und Anstreicher tätig war. Die Tätigkeit als Hausbesorger ist nicht als Tätigkeit in einem erlernten oder angelernten Beruf anzusehen (RIS-Justiz RS0084727).

Somit erfüllt der Kläger die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für die Invaliditätspension nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG nicht.

3.2. Offen bleibt demnach noch die Frage, ob dem Kläger unter Einbeziehung seiner im Zeitraum von August 1991 bis Dezember 2002 (in der Regel nebenberuflich mit geringerem Arbeitsumfang) verrichteten Tätigkeit als Hausbesorger in den Genuss des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG gelangt.

Nach § 255 Abs 4 ASVG gilt ein Versicherter, der das 57. Lebensjahr vollendet hat, als invalid, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.

3.3. § 255 Abs 4 ASVG stellt auf Kalendermonate der Ausübung der Tätigkeit und nicht auf Beitragszeiten ab, weshalb es ohne Bedeutung ist, dass der Kläger rein aus dieser Tätigkeit lediglich 14 Beitragsmonate erworben hat. Auch die wirksame Beitragsentrichtung ist keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 255 Abs 4 ASVG (RIS-Justiz RS0122063).

3.4. Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, dass § 255 Abs 4 ASVG nicht nach der Höhe des vom Versicherten für seine Tätigkeit erzielten Entgelts oder nach dem Ausmaß der Tages- oder Wochenarbeitszeit für diese Beschäftigung (Vollzeitbeschäftigung oder Teilzeitbeschäftigung) differenziert (so auch 10 ObS 257/01v = RIS-Justiz RS0085103 [T1] zum insoweit vergleichbaren § 253d ASVG).

3.5. Die Rechtsprechung legt an das Kriterium der „einen Tätigkeit“ keine allzu strengen Maßstäbe an und versteht das Wort „eine“ nicht als Zahlwort. Vielmehr können mehrere, unter Bedachtnahme auf die wesentlichen Tätigkeitselemente (den „Kernbereich“) sehr ähnliche Tätigkeiten zu „einer Tätigkeit“ zusammengefasst werden (10 ObS 352/02s = SSV-NF 16/136; RIS-Justiz RS0117063).

Diese „eine“ Tätigkeit, in ihrer Gesamtheit betrachtet, stellt die Grundlage für die in einem zweiten Schritt vorzunehmende Beurteilung zumutbarer Änderungen dar. Erst in diesem zweiten Schritt können Teiltätigkeiten der bisherigen Tätigkeit als zumutbare Verweisungsberufe „herausgelöst“ werden, sofern sie in der früheren „einen“ Tätigkeit nicht nur eine untergeordnete Rolle spielten (RIS-Justiz RS0100022 [T13]).

Es liegt daher nahe, dass auch dann, wenn mehrere Tätigkeiten parallel ausgeübt werden, für die Charakterisierung der „einen Tätigkeit“ die Gesamttätigkeit maßgeblich ist. Auch diesbezüglich ist es zu keiner Änderung gegenüber der Rechtslage vor dem SVÄG 2000 gekommen: Zu den Vorgängerbestimmungen wurde vom Oberlandesgericht Wien als damals in Sozialrechtssachen letztinstanzlich entscheidenden Gericht bereits vertreten, dass die Gesamttätigkeit die Grundlage für die Beurteilung einer möglichen Verweisbarkeit bildet (31 R 210/83 = SSV 23/92: „Summe der Arbeiten“ bei einem Arbeitgeber; 34 R 130/84 = SSV 24/93: parallele Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter und Hausbesorger).

3.6. Unter dieser Prämisse war der Kläger in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag - setzt man nur aus Gründen der Vereinfachung Kalendermonate der Tätigkeitsausübung und Beitragsmonate gleich -

- in 16 „Monaten“ als Malerhelfer sowie als Malerhelfer und Hausbesorger,

- in 68 „Monaten“ als angelernter Maler und Anstreicher, kombiniert mit Hausbesorgertätigkeit,

- in 58 „Monaten“ als Elektrohelfer, kombiniert mit Hausbesorgertätigkeit, und

- in 14 „Monaten“ nur als Hausbesorger tätig.

Bei Charakterisierung der Gesamttätigkeit lag der zeitliche und arbeitsumfängliche Schwerpunkt der „kombinierten“ Tätigkeit ganz eindeutig bei der Nicht-Hausbesorgertätigkeit. Es ist daher nicht möglich, aus der umfänglich nur zu einem kleinen Teil gleichen Tätigkeit (nämlich als Hausbesorger) abzuleiten, dass nun die Tätigkeit als Elektrohelfer und Hausbesorger (58 Monate) zusammen mit der Tätigkeit als Maler(-gehilfe) und Hausbesorger als „eine Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 ASVG angesehen werden könnten. Vielmehr kommt der Kläger weiterhin auf höchstens 84 Kalendermonate (16 + 68) „einer“ Tätigkeit im maßgeblichen Zeitraum von 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag. Damit erfüllt er die besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht und ist nach § 255 Abs 3 ASVG verweisbar.

4. Der Revision muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die in dieser Gesetzesstelle geforderten Voraussetzungen, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder behauptet noch sind sie aus der Aktenlage erkennbar.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E94221

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00018.10K.0601.000

Im RIS seit

16.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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