TE OGH 2010/9/1 3Ob142/10v

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Veröffentlicht am 01.09.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Unterbringungssache der A***** H*****, vertreten durch Dr. Erna Lang-Hartl, Patientenanwältin, VertretungsNetz Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle Wagner-Jauregg-Krankenhaus, diese vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zulässigkeit einer besonderen Heilbehandlung (§ 36 UbG), über den Revisionsrekurs der Patientenanwältin gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 26. April 2010, GZ 35 R 11/10f-30, womit der Rekurs der Patientenanwältin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 5. März 2010, GZ 29 Ub 16/10p-16, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Patientin war am 14. Jänner 2010 unfreiwillig in der Landesnervenklinik untergebracht. Es lag eine depressive Symptomatik sowie Demenz von mittel- bis höhergradigem Ausmaß vor. Überdies war die Patientin auch psychotisch. Dies bewirkte, dass sie nicht mehr ausreichend Nahrung und Flüssigkeit aufnahm.

Der Abteilungsleiter beantragte die gerichtliche Genehmigung einer Elektrokrampftherapie als besondere Heilbehandlung iSd § 36 Abs 2 UbG. Es bestehe keine Behandlungsalternative. Es sei davon auszugehen, dass die Patientin auf die Elektrokrampftherapie gut anspreche, eine medizinische Kontraindikation bestehe nicht.

Das Erstgericht genehmigte die beantragte besondere Heilbehandlung im Ausmaß von vorläufig vier derartigen Anwendungen und erkannte dem dagegen von der Patientenanwältin angemeldeten Rekurs aufschiebende Wirkung zu. Die Elektrokrampftherapie könne die bestehende depressive Symptomatik günstig beeinflussen, die seit mehreren Wochen vordergründig vorhanden sei und bisher keine wesentliche Änderung trotz Behandlung mit zwei verschiedenen Antidepressiva gezeigt habe. Die Behandlung mit der Elektrokrampftherapie sei eine Therapieoption, eine absolute Indikation liege aber nicht vor. Die Patientin sei austherapiert, medikamentös könne man nicht mehr unternehmen, als bereits unternommen worden sei.

Nach Fassung des Genehmigungsbeschlusses wurde die Patientin am 19. März 2010 in den offenen Bereich der Landesnervenklinik verlegt, worauf das Erstgericht noch am selben Tag die Einstellung des Unterbringungsverfahrens beschloss.

Das Rekursgericht wies den gegen den Genehmigungsbeschluss erhobenen Rekurs der Patientenanwältin zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob der Rekurs gegen die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung, die bislang nicht durchgeführt worden sei, weiter zulässig sei, auch wenn das Unterbringungsverfahren zwischenzeitig eingestellt worden sei.

Noch vor Durchführung der erstinstanzlich genehmigten Behandlung sei die Betroffene in den offenen Bereich verlegt und das Unterbringungsverfahren eingestellt worden. Die Behandlung könne daher im vorliegenden Verfahren nicht mehr durchgeführt werden. Damit sei aber die Frage der Zulässigkeit der Elektrokrampftherapie im gegebenen Zusammenhang nur mehr eine rein theoretische, sodass die Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung des erhobenen Rechtsmittels weggefallen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Rekurszurückweisung erhobene Revisionsrekurs der Patientenanwältin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Auch für Rechtsmittel im Außerstreitverfahren gilt die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses (RIS-Justiz RS0006598). Das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS-Justiz RS0002495). Die Beschwer muss zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels vorliegen und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041770).

Im vorliegenden Fall ist die Rekurslegitimation der Patientin (des Patientenanwalts) in Ansehung einer besonderen Heilbehandlung zu beurteilen, deren Genehmigung in einem Unterbringungsverfahren beantragt wurde, das infolge Verlegung der Patientin in den offenen Bereich der Anstalt mittlerweile eingestellt worden ist. Ungeachtet der erstinstanzlichen Genehmigung wurde die besondere Heilbehandlung aber infolge Rekurserhebung gegen den Genehmigungsbeschluss nicht durchgeführt.

In Fällen, in denen mit Gerichtsbeschluss das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit berührt wird, hat der davon in seinen Rechten Beeinträchtigte auch noch nach Aufhebung der freiheitseinschränkenden Maßnahme weiterhin ein rechtliches Interesse an der Feststellung, ob die Freiheitsbeschränkung zu Recht erfolgte (1 Ob 549/91 = RZ 1991, 282 ua; RIS-Justiz RS0071267). Die vom Staat in den §§ 35 bis 37 UbG gewährten Rechtsschutzeinrichtungen sind im Lichte der Bestimmungen der Art 3 und 13 MRK dahin auszulegen, dass derjenige, der behauptet, in dem in Art 3 MRK festgelegten Recht auf Achtung der Menschenwürde verletzt zu sein, auch noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahmen - also auch noch nach Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Unterbringung - ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob die an ihm vorgenommene Behandlung zu Recht erfolgte (2 Ob 512/92 ua; RIS-Justiz RS0074575). Die gerichtliche Kontrolle ärztlicher Behandlungen ohne oder gegen den Willen des untergebrachten Kranken hat auch noch stattzufinden, wenn die Unterbringung zwischenzeitig beendet worden ist. Das Rechtsmittelinteresse dauert daher auch noch nach Beendigung der Unterbringung und Behandlung fort (3 Ob 263/07h).

Hier geht es aber nicht um die (nachträgliche) Beurteilung der Unterbringung oder eines sonstigen Eingriffs in die körperliche Integrität, der bereits stattgefunden hat, noch andauert oder dessen weitere oder neuerliche Zulässigkeit für den Patienten auch nachträglich noch von Bedeutung sein kann, sondern um eine ursprünglich vorgesehene, dann aber nicht durchgeführte Heilbehandlung. Ob ihre Durchführung rechtmäßig gewesen wäre oder nicht, ist von rein theoretisch-abstrakter Bedeutung, zumal sie tatsächlich nicht durchgeführt wurde und das Unterbringungsverfahren, in dem sie geplant war, mittlerweile beendet ist. Die Zulässigkeitsbeurteilung ist auch für eine allfällige in der Zukunft stattfindende neuerliche Unterbringung der Patientin ohne Bedeutung, weil in einem neuen Unterbringungsverfahren die besondere Heilbehandlung neuerlich genehmigt werden müsste. In diesem Fall wären die Voraussetzungen für die Genehmigung nach der dann gegebenen Sachlage neu zu beurteilen, eine (nachträgliche) Beurteilung der Sachlage zu einem früheren Zeitpunkt in einem bereits abgeschlossenen Unterbringungsverfahren hätte für das zukünftige Genehmigungsverfahren keine Auswirkung. Die von der Revisionsrekurswerberin gewünschte Analogie zur Rechtsmittellegitimation des Abteilungsleiters, dem bei der nachträglichen Beurteilung von Grundrechtseingriffen, die tatsächlich stattgefunden haben, ein Feststellungsinteresse und damit Beschwer zuerkannt wurde, muss hier schon daran scheitern, dass die geplante und genehmigte Heilbehandlung und damit der Grundrechtseingriff nicht stattgefunden hat.

Da das Rekursgericht zutreffend vom Fehlen des Rechtsschutzinteresses der Patientin für die Rekurserhebung ausging, musste dem gegen die Zurückweisung des Rekurses gerichteten Revisionsrekurs ein Erfolg versagt bleiben.

Textnummer

E94975

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00142.10V.0901.000

Im RIS seit

29.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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