TE OGH 2010/9/14 10Ob48/10x

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Veröffentlicht am 14.09.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Y***** S***** Y*****, geboren am *****, und A***** Y*****, geboren am *****, beide vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur, Jugendwohlfahrt, 8600 Bruck an der Mur, Dr. Theodor Körner Straße 34), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 11. Mai 2010, GZ 2 R 140/10b, 2 R 141/10z-56, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 19. März 2010, GZ 5 PU 194/10b-42, und GZ 5 PU 194/10b-42a, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die beiden Minderjährigen sind die Töchter von Seda und Ishak Y*****, österreichische Staatsbürger und leben mit ihrer Mutter in Österreich. Der in der Türkei geborene Vater hat seine Beschäftigung in Österreich zum 28. 7. 2006 gekündigt und nach den Angaben der Mutter im August 2006 den gemeinsamen Haushalt verlassen. Sein Aufenthalt ist ihr unbekannt; er könnte sich unter anderem in Deutschland, in Australien oder in der Türkei aufhalten.

Mit Beschlüssen vom 16. 3. 2007 gewährte das Erstgericht den Kindern Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in Richtsatzhöhe bis zum 31. 1. 2010. Die Beschlüsse blieben unbekämpft.

Am 19. 3. 2010 beantragten die Kinder, die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG ab dem 1. 2. 2010 weiter zu gewähren, weil weder ein Aufenthaltsort noch ein Dienstgeber des Vaters bekannt sei.

Das Erstgericht gab den Anträgen statt.

Das Rekursgericht gab den dagegen erhobenen Rekursen des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, nicht Folge. Es bestehe zwar eine Obliegenheit des Kindes zu ernstlichen Bemühungen um einen Unterhaltstitel, bei objektiver Voraussicht nach der Aktenlage von vornherein praktisch aussichtslose Versuche einer Titelschaffung müssten aber nicht unternommen werden. Zur Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Vorschüsse müsse aber in der Folge zumindest versucht werden, die derzeitigen Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners über Amtsstellen und die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland ermitteln zu lassen. Anderenfalls liege ein von Amts wegen wahrzunehmender Grund für die Weitergewährung von Vorschüssen vor. Die vorgelegten Meldeanfragen vom Dezember 2008 und März 2010 sowie die Dienstgeberabfragen vom Dezember 2008, November 2009 und März 2010 in Österreich, die ergebnislos geblieben seien, seien vor dem Hintergrund der Entscheidung 6 Ob 589/90 ausreichende Erhebungen. Im Anlassfall könne im Unterbleiben des Versuchs, über österreichische Vertretungsbehörden in der Türkei oder über türkische Amtsstellen ermitteln zu lassen, wo sich der Vater aufhalte und was er arbeite, keine Obliegenheitsverletzung der Minderjährigen erblickt werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 589/90 die Möglichkeit offen gelassen habe, das weitere Unterbleiben derartiger Erhebungen ohne triftigen Grund doch als Obliegenheitsverletzung zu beurteilen. Dieser Frage komme auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung vom Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) mangels Vorliegens einer iSd § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Der Rechtsmittelwerber macht geltend, auch wenn dem Jugendwohlfahrtsträger von vornherein nicht bekannt gewesen sein sollte, ob es in der Türkei oder in Australien vergleichbare Systeme zur Erfassung von Melde- oder Sozialversicherungsdaten gebe, so wäre es innerhalb von drei Jahren zumutbar gewesen, Auskünfte bei den österreichischen Vertretungsbehörden einzuholen, ob derartige Daten dort erfasst werden - zutreffendenfalls - bei welchen Behörden oder Stellen in diesen Ländern derartige Informationen eingeholt werden könnten.

Eine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage wird damit nicht aufgezeigt.

Nach der im Anlassfall maßgebenden Fallgruppe des § 4 Z 2 UVG soll ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss dann bestehen, wenn „die Festsetzung des Unterhaltsbeitrags überhaupt … nicht gelingt“, also die Schaffung eines Unterhaltstitels zugunsten des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsschuldner nicht möglich ist; dann ist die Vorschussgewährung nur ausgeschlossen, wenn der Unterhaltsschuldner nach seinen Kräften offenbar zu einer, also zu irgendeiner wenngleich nur geringfügigen Unterhaltsleistung nicht imstande ist. Für die Leistungsunfähigkeit ist der Bund beweispflichtig (RIS-Justiz RS0076273). Leistungsunfähigkeit des Unterhaltspflichtigen macht der Rechtsmittelwerber nicht geltend. Der Umstand, dass Aufenthalt und Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners derzeit unbekannt sind, hindert eine Bevorschussung nicht, soll doch gerade in einem solchen Fall der Vorschuss nach dem Willen des Gesetzgebers gewährt werden (4 Ob 119/97x).

Auch im Ausnahmefall des § 4 Z 2 UVG hat das Kind alles Zumutbare zur Unterhaltsfestsetzung zu unternehmen. Die Unterlassung zumutbarer Bemühungen wäre auch im Fall einer Entscheidung über den Antrag auf Weitergewährung nach § 18 UVG von Amts wegen als Rechtsmissbrauch aufzugreifen. Bei objektiver Voraussicht von vornherein nach der Aktenlage praktisch aussichtslose Versuche einer Unterhaltsfestsetzung sind vom vorschusswerbenden oder -beziehenden Kind oder von seinem gesetzlichen Vertreter nicht zu fordern, sodass das Unterbleiben solcher Bemühungen einer Vorschussgewährung nach § 4 Z 2 UVG nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0076105; vgl RIS-Justiz RS0076140; RS0076100). Die Weitergewährung der Vorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG setzt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs daher nicht voraus, dass in jedem Fall zumindest ein Versuch der Unterhaltsfestsetzung vom Unterhaltsberechtigten unternommen wurde (6 Ob 589/90).

Die Frage, ob von einem Rechtsmissbrauch wegen Unterbleibens von Bemühungen zur Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner dann gesprochen werden kann, wenn unversucht gelassen wurde, den derzeitigen Aufenthalt eines im Ausland befindlichen Unterhaltsschuldners und - so weit wie möglich - auch seine derzeitigen Lebensverhältnisse durch die österreichischen Vertretungsbehörden oder durch deren Vermittlung durch entsprechende Amtsstellen im Aufenthaltsstaat des Unterhaltsschuldners ermitteln zu lassen, ist eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage, der deshalb in der Regel keine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Bedeutung zukommt (vgl 6 Ob 589/90).

Wenn das Rekursgericht ersichtlich davon ausgegangen ist, dass im Anlassfall nach dessen Umständen das Unterbleiben von Bemühungen zur Ermittlung des Aufenthalts des Unterhaltsschuldners im Ausland keine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG bedeutet, so ist dies vor dem Hintergrund der Entscheidung 6 Ob 589/90 nicht korrekturbedürftig, zumal der Rechtsmittelwerber nicht darlegt, dass nach der Aktenlage die Annahme eines von vornherein praktisch aussichtslosen Versuchs einer Unterhaltsfestsetzung, die das Rekursgericht offenkundig seiner Entscheidung zugrunde legte, verfehlt ist.

Schlagworte

Gruppe: Zivilrechtsfragen - Menschenrechte,Grundfreiheiten

Textnummer

E95282

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0100OB00048.10X.0914.000

Im RIS seit

05.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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