TE OGH 2011/1/27 2Ob197/10z

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Veröffentlicht am 27.01.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Robert Schuler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Fuchshuber LL.M., Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie die auf deren Seite beigetretene Nebenintervenientin B***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 77.659,40 EUR sA über die Rekurse der beklagten Partei sowie der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. Juni 2010, GZ 4 R 60/10w-25, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 7. Dezember 2009, GZ 15 Cg 63/09f-19, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin sind jeweils schuldig, der klagenden Partei die mit jeweils 2.071,08 EUR (darin 345,18 EUR USt) bestimmten Kosten der jeweiligen Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden nur als Beklagte bezeichnet) war Subunternehmerin der Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden nur als Klägerin bezeichnet), die ein Wohn- und Geschäftszentrum errichtete. Die Klägerin begehrt 77.659,40 EUR sA mit der Behauptung, das Gewerk der Beklagten sei mangelhaft gewesen, die Schadensbehebung koste den Klagsbetrag. Der Anspruch sei nicht verjährt, weil der Haftpflichtversicherer der Beklagten unter laufender Einbindung derselben wiederholt in deren Namen befristete Verjährungsverzichtserklärungen abgegeben habe. Die Klage sei vor Ablauf der letzten diesbezüglichen Befristung eingebracht worden.

Die Beklagte wandte Verjährung ein. Der Verjährungsverzicht sei nicht von der Beklagten, sondern von deren Haftpflichtversicherer abgegeben worden. Von der letzten im Verfahren maßgeblichen Verjährungsverzichtserklärung des Haftpflichtversicherers habe die Beklagte keine Kenntnis gehabt, weshalb sie der Beklagten nicht zurechenbar sei. Allfällige Mängel seien nicht von der Beklagten zu vertreten.

Der Nebenintervenientin, die beim Gewerk der Beklagten involviert war, wurde von der Beklagten für den Fall von deren Unterliegen im Prozess die Geltendmachung von Regressansprüchen angedroht. Die Nebenintervenientin brachte sinngemäß vor, das Gewerk der Beklagten sei mangelfrei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab, weil die Verjährungsverzichtserklärungen des Haftpflichtversicherers der Beklagten dieser nicht zurechenbar seien.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen müsse sich die Beklagte die von ihrem Haftpflichtversicherer abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen zumindest kraft Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Die von der Klägerin erhobene Replik der Arglist auf den Verjährungseinwand der Beklagten sei daher berechtigt, sodass sich die Beklagte auf Verjährung nicht wirksam berufen könne.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage, ob und inwieweit sich ein Versicherungsnehmer Erklärungen seines Haftpflichtversicherers außerhalb der KFZ-Haftpflichtversicherung zurechnen lassen müsse, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle und dieser Frage Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Aufhebungsbeschluss erhobenen Rekurse der Beklagten und der Nebenintervenientin sind unzulässig.

Die Zurückweisung eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss wegen des Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz iVm § 528a ZPO).

Abgesehen von der - hier nicht vorliegenden - Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (vgl § 27 KHVG) existieren im Privatversicherungsrecht grundsätzlich keine vom allgemeinen Zivilrecht abweichenden gesetzlichen Vorschriften dazu, inwiefern rechtsgeschäftliche Erklärungen des Versicherers hinsichtlich eines allenfalls zu deckenden Schadenersatzanspruchs gegenüber dem Anspruchswerber auch dem Versicherungsnehmer zurechenbar sind (vgl 7 Ob 150/10z). Dies ist im Einzelfall (von - hier nicht relevierten - Versicherungsbedingungen abgesehen) nach allgemeinem Vollmachtsrecht zu beurteilen. Das gilt auch für die Beurteilung, ob eine Anscheinsvollmacht bzw Rechtsscheinvollmacht vorliegt (8 Ob 77/00g = RIS-Justiz RS0020251 [T22] = RS0019609 [T9]). Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung, hier liege (zumindest) eine der Beklagten zurechenbare Anscheinsvollmacht ihres Haftpflichtversicherers vor (weshalb auch die Beklagte an dessen Verjährungsverzichtserklärungen gebunden seien), würde daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage darstellen, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Haftpflichtversicherer der Beklagten gegenüber der Klägerin insgesamt vier Mal jeweils ausdrücklich im Namen ihres Versicherungsnehmers auf den Einwand der Verjährung bis zu einem bestimmten kalendermäßig bezeichneten Tag verzichten werde. Die Abgabe der ersten Verjährungsverzichtserklärung war mit dem kaufmännischen Leiter der Beklagten abgesprochen, dieser war mit dem Verjährungsverzicht einverstanden. Nach der ersten Verjährungsverzichtserklärung fanden Gespräche zwischen dem Klagevertreter und dem kaufmännischen Leiter der Beklagten statt. Dabei wurde auch über die Frage der Verjährung gesprochen, wobei der kaufmännische Leiter der Beklagten erklärte, dass derartige Gespräche mit dem Haftpflichtversicherer geführt werden müssten, dass es allerdings auch einen Selbstbehalt gäbe. In der Folge wies einer der Geschäftsführer der Beklagten den Klagevertreter bei einem Gespräch darauf hin, dass „die Versicherung“ für die Liquidierung zuständig sei und ein Angebot mit einem Betrag von 35.000 EUR im Raum stehe. Von Seiten der Beklagten gab es dabei keine Zusagen, Zahlungen zu leisten oder auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Die zweite, dritte und vierte Verjährungsverzichtserklärung des Haftpflichtversicherers waren nicht mit der Beklagten abgesprochen.

Das Berufungsgericht führte dazu aus, die Feststellung, die zweite und dritte Verjährungsverzichtserklärung sei mit den Organen der Beklagten nicht abgesprochen gewesen, sei überschießend, da dieser Feststellung kein entsprechendes Vorbringen der Beklagten zugrunde liege. Daraus folge, dass die ersten drei Verjährungsverzichtserklärungen des Haftpflichtversicherers der Beklagten infolge wirksamer Vertretung zuzurechnen seien. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Beklagte ihrem Haftpflichtversicherer auch ausdrücklich Vollmacht zur Erteilung eines weiteren (vierten, für die Frage der Verjährung des Anspruchs hier maßgeblichen) Verjährungsverzichts erteilt habe. Insoweit habe der Haftpflichtversicherer vollmachtslos bzw in Überschreitung der Vollmacht gehandelt. Die Beklagte habe aber bei den Gesprächen ihre vertretungsbefugten Organe mit dem Klagevertreter über die Schadensregulierung stets darauf hingewiesen, dass derartige Gespräche mit ihrem Haftpflichtversicherer geführt werden müssten, der für die Liquidierung zuständig sei. Damit habe sie unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, ihr Haftpflichtversicherer sei von ihr bevollmächtigt, in ihrem Namen eine Schadensliquidierung mit der Klägerin zu vereinbaren. Somit habe sie den Anschein geschaffen, dass der Haftpflichtversicherer auch zur Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen für die Beklagte bevollmächtigt sei. Nach drei rechtswirksamen Verjährungsverzichtserklärungen habe die Klägerin darauf vertrauen dürfen, dass auch die vierte Verjährungsverzichtserklärung durch eine entsprechende Vollmacht der Beklagten gedeckt sei. Die Beklagte müsse sich daher die vierte, hier maßgebliche Verjährungsverzichtserklärung zumindest kraft Anscheinsvollmacht zurechnen lassen.

Eine Anscheinsvollmacht (Vollmacht wegen Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den (im Verhalten des Vollmachtgebers) begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken (RIS-Justiz RS0019609 [T7]).

Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts sind im Licht dieser Rechtsprechung insbesondere angesichts der festgestellten Erklärungen der Vertreter der Beklagten gegenüber dem Klagevertreter vertretbar und stellen jedenfalls keine auffallende Fehlbeurteilung dar, die vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden müsste.

Auch die Rechtsmittel der Beklagten und der Nebenintervenientin werfen keine erheblichen Rechtsfragen auf:

Die Beklagte bringt im Rekurs vor, nicht einmal die Klägerin bzw der Klagevertreter selbst sei von einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht insbesondere hinsichtlich der letzten Verjährungsverzichtserklärung ausgegangen. Der Klagevertreter habe nämlich in der mündlichen Streitverhandlung vom 5. 11. 2009 trotz Aufforderung durch das Gericht kein entsprechendes Vorbringen erstattet und auch anlässlich seiner Zeugeneinvernahme nichts in diese Richtung ausgesagt. Es sei daher auch nicht nachvollziehbar, wie jemand gutgläubig sein solle, der nicht einmal selbst daran glaube.

Die Beklagte wird dazu auf die Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen, wonach das Klagsvorbringen, der Haftpflichtversicherer der Beklagten habe in deren Namen laufend Verjährungsverzichtserklärungen abgegeben, auch die Behauptung impliziere, dass auch die letzte Verjährungsverzichtserklärung in (wirksamer) Vertretung der Beklagten abgegeben worden sei und sich diese daher diese Verzichtserklärung zurechnen lassen müsse.

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der regelmäßig keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042828).

Die referierte Auslegung des Klagsvorbringens durch das Berufungsgericht dahingehend, die Klägerin behaupte implizit auch eine Vollmacht des Haftpflichtversicherers, für die Beklagte Verjährungsverzichtserklärungen abzugeben, ist ebenfalls durchaus vertretbar.

Auch die Nebenintervenientin beschäftigt sich in ihrem Rekurs ähnlich wie die Beklagte mit der Auslegung des Klagsvorbringens und wird daher auf die Ausführungen zum Rekurs der Beklagten verwiesen.

Mangels erheblicher Rechtsfragen waren die Rekurse zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO (RIS-Justiz RS0123222). Der Streitgenossenzuschlag steht nicht zu, weil hinsichtlich der beiden Rekursbeantwortungen jeweils nur ein Gegner gegenübersteht.

Schlagworte

9 Vertragsversicherungsrecht,

Textnummer

E96361

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00197.10Z.0127.000

Im RIS seit

04.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

07.11.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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