TE OGH 2011/1/28 6Ob258/10z

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Veröffentlicht am 28.01.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen K***** P*****, geboren am 2. Juli 2008, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Magistrats der Stadt Innsbruck, Amt für Jugend und Familie, 6020 Innsbruck, Ing. Etzel-Straße 5, vertreten durch Mag. Julia Lang, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. September 2010, GZ 54 R 86/10h-18, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 4. Juni 2010, GZ 3 PS 214/09y-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die minderjährige K***** ist das uneheliche Kind der M***** P*****, der Vater ist unbekannt. Die Mutter ist alkoholkrank.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. 12. 2009 wurde der Mutter die Obsorge „im Teilbereich Pflege und Erziehung sowie gesetzliche Vertretung im besagten Teilbereich“ entzogen und dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen. Ein Antrag der mütterlichen Großmutter F***** Z*****, ihr die Obsorge für K***** zu übertragen, wurde (im Ergebnis) nicht berücksichtigt, allerdings wurde der mütterlichen Großmutter die Obsorge für die Halbgeschwister K*****s, nämlich für den 1995 geborenen M***** und den 2003 geborenen S*****, zur Gänze übertragen; aufgrund des fortgeschrittenen Alters der (mütterlichen) Großeltern und des erhöhten Betreuungsaufwands für ein Kind im Alter K*****s sei aus kinderpsychologischer Sicht eine Pflegefamilie für diese die geeigneste Lösung, weil sie so einen besseren Start ins Leben und die Chance erhalte, eine gesunde und unbelastete Entwicklung zu erleben. Zu diesem Zeitpunkt lebte K***** im Landeskinderheim A***** (bereits seit September 2008).

Nachdem das Rekursgericht diese Entscheidung des Erstgerichts, die jedoch von der Großmutter nicht angefochten worden war, bestätigt hatte, beantragte die Großmutter - nunmehr rechtsfreundlich vertreten - die Übertragung der Obsorge „im Teilbereich Pflege und Erziehung“ für K*****. Sie habe Besuchskontakt mit dem Kind und sei auch körperlich und geistig in der Lage, dessen Betreuung zu bewerkstelligen. Die Unterbringung eines Kindes bei den Großeltern sei einer Fremdunterbringung vorzuziehen.

Das Erstgericht wies, ohne die Mutter oder den Jugendwohlfahrtsträger dem Verfahren beizuziehen, diesen Antrag zurück. Eine Obsorgeregelung könne im Hinblick auf § 176 ABGB nur geändert werden, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, also besonders wichtige Gründe vorlägen und die Änderung dringend geboten sei; ein Pflegeplatzwechsel solle grundsätzlich vermieden werden.

Das Rekursgericht entzog die Obsorge für K***** dem Jugendwohlfahrtsträger und übertrug sie der Großmutter; den Revisionsrekurs dagegen erklärte es für nicht zulässig.

In der Sache selbst führte das Rekursgericht nach Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung, zu welcher es neben der Großmutter und dem Jugendwohlfahrtsträger auch eine bereits im Vorverfahren tätig gewesene kinderpsychologische Sachverständige, nicht jedoch die Mutter beigezogen hatte, aus, die Sachverständige habe keine konkreten Hinweise auf eine Gefährdung von K***** bei einer Obsorgeübertragung an die Großmutter aufzuzeigen vermocht; vielmehr mache die Großmutter „ganz im Gegenteil“ den Eindruck, als ob sie sich der Verantwortung vollkommen bewusst sei und sich auch sehr gut überlegt habe, ob die Übertragung „für sie auch machbar“ sei. Ihre Verhältnisse hätten sich gegenüber der ersten Beschlussfassung durch den Bezug einer größeren Wohnung verbessert. Da Großeltern Vorrang gegenüber einer Obsorgeübertragung an den Jugendwohlfahrtsträger hätten, sei die Obsorge für K***** der Großmutter zu übertragen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Die im Revisionsrekurs geltend gemachte Nichtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts liegt nicht vor. Der Jugendwohlfahrtsträger wurde zur mündlichen Rekursverhandlung geladen, eine Vertreterin hat daran auch teilgenommen und Stellung genommen. Das rechtliche Gehör wurde somit nicht verletzt.

2. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 28. 12. 2009 wurde der Mutter K*****s nicht die gesamte Obsorge entzogen, sondern lediglich im Teilbereich Pflege und Erziehung sowie hinsichtlich der gesetzlichen Vertretung im besagten Teilbereich; insoweit wurde die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen. Das Rekursgericht entzog mit der angefochtenen Entscheidung nunmehr jedoch dem Jugendwohlfahrtsträger „die Obsorge“ und übertrug sie der mütterlichen Großmutter; davon ist offensichtlich auch das Erstgericht bei seinem Beschluss nach § 44 Abs 1 AußStrG ausgegangen und hat dieser Obsorgeübertragung vorläufige Verbindlichkeit zuerkannt.

Aufgrund der Beschlusslage war die Mutter teilobsorgeberechtigt, die Entscheidung des Rekursgerichts greift somit auch in ihre Rechte ein. Die Mutter war allerdings nicht zur mündlichen Rekursverhandlung geladen worden, sie nahm daran auch nicht teil, der angefochtene Beschluss wurde ihr nicht zugestellt. Bereits unter diesem Gesichtspunkt kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.

3. Dem Argument des Erstgerichts, der mütterlichen Großmutter sei im ersten Obsorgeverfahren die Übertragung der Obsorge rechtskräftig verweigert worden, seitdem hätten sich die Umstände nicht geändert, ist schon allein deshalb nicht zu folgen, weil zum Zeitpunkt der damaligen Beschlussfassung das Kind noch im Landeskinderheim A***** lebte, mit 1. 8. 2010 jedoch zu den Pflegeeltern A***** und M***** N***** gekommen ist; diese streben - wie aus im Akt erliegenden Anträgen ersichtlich - einen ständigen Aufenthalt K*****s bei ihnen an. Aufgrund der Beschlüsse des Rekursgerichts (angefochtene Entscheidung) und des Erstgerichts über die vorläufige Verbindlichkeitserklärung dieses Obsorgebeschlusses hält sich das Kind nunmehr hingegen (wohl) bei den mütterlichen Großeltern auf.

Bei dieser Aktenlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich seit den letzten, die Obsorgeregelung für K***** betreffenden Entscheidungen keine Änderungen im Sachverhalt ergeben hätten. Diese sind aber auch noch im Revisionsrekursverfahren wahrzunehmen, wenn sie das Kindeswohl betreffen (vgl RIS-Justiz RS0048056, RS0106313, RS0122192).

4. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in einem insoweit durchaus vergleichbaren Fall unter Rückgriff auf ständige Rechtsprechung ausgeführt (8 Ob 14/10g), zentrales Leitziel im Kindschaftsrecht und daher auch im Obsorgeverfahren sei das Kindeswohl. Dies werde etwa in § 176b ABGB betont, wonach in die elterliche Obsorge nur soweit eingegriffen werden darf, wie dies zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich sei. Die Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger dürfe gemäß § 213 ABGB nur erfolgen, wenn sich dafür nicht Verwandte oder andere nahestehende oder sonst geeignete Personen finden lassen. Die Eltern, Großeltern und Pflegeeltern hätten auch nach § 145 ABGB Vorrang vor Dritten. Der Jugendwohlfahrträger sollte vom Gericht daher nur subsidiär mit der Obsorge betraut werden. In Entsprechung des Grundsatzes der Familienautonomie sollte den Familienmitgliedern die Obsorge so lange gewahrt bleiben, als sich das mit dem Kindeswohl verträgt.

Der erkennende Senat tritt diesen Überlegungen bei, die auch dann zu gelten haben, wenn zwar der Jugendwohlfahrtsträger mit Teilen der Obsorge betraut ist, nunmehr jedoch eine geeignete Person aus dem genannten Personenkreis sich um die Obsorge bemüht.

5. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren die aktuelle Lebenssituation von K***** zu ermitteln und unter Beiziehung sämtlicher Beteiligter, also auch der Mutter, der Großeltern und des Jugendwohlfahrtsträgers, eine dem Wohl K*****s Rechnung tragende Obsorgeentscheidung zu treffen haben; die (neuerliche) Beiziehung der Sachverständigen wird dabei wohl unerlässlich sein. Außerdem wird sich das Erstgericht mit der Betreuungsfähigkeit der mütterlichen Großeltern eingehend auseinander zu setzen haben; bislang haben die Vorinstanzen dazu keinerlei konkrete Feststellungen getroffen. Dass eine 53jährige Frau nicht in der Lage sein sollte, ein (wenn auch kleineres) Kind zu betreuen, entspricht nicht allgemeinen Erfahrungssätzen.

Im Hinblick auf den bisherigen Verfahrensverlauf und das - offensichtliche - mehrfache Hin- und Herreißen K*****s (Mutter, Landeskinderheim, Pflegeeltern, Großeltern) erinnert der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang daran, dass nunmehr § 13 Abs 2 AußStrG die bestmögliche Wahrung des Kindeswohls auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht stipuliert; dazu gehört aber auch eine zügige Verfahrensführung in Obsorgeangelegenheiten, sind doch Betreuungswechsel tunlichst zu vermeiden.

Textnummer

E96281

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00258.10Z.0128.000

Im RIS seit

04.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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