TE OGH 2011/2/17 13Os138/10h

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Veröffentlicht am 17.02.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kirnbauer als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Predrag R***** und einen Beschuldigten wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 012 Hv 157/09g des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 14. Jänner 2010 (ON 61) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher und des Beschuldigten Ismet S***** zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 012 Hv 157/09g des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 14. Jänner 2010 (ON 61) § 202 Abs 1 FinStrG iVm § 31 Abs 1 StPO und § 53 Abs 4 FinStrG.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Einzelrichter (§ 31 Abs 1 StPO) des Landesgerichts für Strafsachen Wien die Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 16. Dezember 2009, festzustellen, dass dem Landesgericht für Strafsachen Wien die Ahndung der dem Beschuldigten Ismet S***** angelasteten Taten als Finanzvergehen nicht zukomme (ON 1 S 29), aufgetragen.

Text

Gründe:

Am 16. Dezember 2009 brachte die Staatsanwaltschaft gegen Predrag R***** eine auf Verurteilung wegen (richtig:) jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach §§ 37 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 lit a FinStrG und der Monopolhehlerei nach § 46 Abs 1 lit a FinStrG gerichtete Anklage (ON 57) ein und begehrte gleichzeitig unter Bezugnahme auf den Abschlussbericht der Finanzstrafbehörde (ON 56) die Feststellung, dass dem Gericht die Ahndung dem Ismet S***** angelasteter Taten als Finanzvergehen nicht zukomme (ON 1 S 29).

Mit Beschluss vom 14. Jänner 2010 (ON 61) stellte das Landesgericht für Strafsachen Wien als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 5 StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG) - in Ablehnung des Begehrens der Staatsanwaltschaft - fest, dass das Gericht „gem § 53 Abs 4 FinStrG zur Ahndung der Ismet S*****, geb. 21. 3. 1960, zur Last gelegten Finanzvergehen zuständig“ sei. Auf der Sachverhaltsebene ging der Senat davon aus, dass Ismet S***** von Predrag R***** 56.000 Zigaretten zollunredlicher Herkunft übernommen habe (ON 61 S 3).

Die Generalprokuratur erhob gegen diesen Beschluss die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und begründete diese wie folgt:

Gemäß § 202 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2007/44, in Kraft getreten am 1. Jänner 2008, hat die Staatsanwaltschaft, wenn sie überzeugt ist, dass die Gerichte zur Ahndung einer Tat als Finanzvergehen nicht zuständig seien (§ 53), die Entscheidung „des Gerichts“ - vormals „der Ratskammer des Gerichts“ (§ 202 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2007/44) - über die Zuständigkeit (zur Ahndung der Tat als Finanzvergehen) einzuholen. Diese Beschlussfassung fällt somit - mangels einer Sonderbestimmung im Finanzstrafgesetz (§ 195 Abs 1 FinStrG) jedenfalls für Ermittlungsverfahren ab dem 1. Jänner 2008 - nicht in die Kompetenz des Landesgerichts als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 5 StPO iVm § 516 Abs 2 dritter Satz StPO). Insbesondere bietet die bezeichnete Übergangsbestimmung keine Grundlage hiefür, weist doch Abs 2 dritter Satz des § 516 StPO lediglich in Ansehung „sonstiger Anträge“ - die sich nicht auf zum 31. Dezember 2007 bei Gericht anhängige Vorerhebungen beziehen -, „Entscheidungen und Beschwerden“ die nach der früheren Rechtslage der Ratskammer zustehende Kompetenz nunmehr dem Landesgericht als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 5 StPO) zu, das nach den neuen Verfahrensbestimmungen vorzugehen hat (Jerabek, WK-StPO § 516 Rz 4). Damit wird jedoch keine generelle Zuständigkeit für nunmehr ex lege „dem Gericht“ und gerade nicht mehr „der Ratskammer“ obliegende Entscheidungen begründet, sondern werden - dem Wesen einer Übergangsbestimmung inhärent - lediglich die vom zweiten Satz des § 516 Abs 2 StPO nicht erfassten Fälle geregelt (z.B. Antrag auf Einleitung einer Voruntersuchung [Subsidiarantrag] nach § 48 Abs 1 StPO a.F.). Die Entscheidung der Zuständigkeitsfrage im Rahmen des bereits nach § 91 StPO geführten Ermittlungsverfahrens wurde demnach von einem insoweit nicht zuständigen Spruchkörper getroffen.

Darüber hinaus erweist sich der - entgegen der Bestimmung des § 202 Abs 3 erster Satz FinStrG den Antrag der Staatsanwaltschaft bloß abweisende - Beschluss rechtsfehlerbehaftet. Die getroffenen marginalen Feststellungen, Predrag R***** habe vorsätzlich eine Menge von 30.635 Stangen Zigaretten, „hinsichtlich welcher zuvor ein Schmuggel begangen wurde“, an sich gebracht und „zu seinem oder eines anderen Vorteil vorsätzlich die den Vorschriften über das Tabakmonopol enthaltenen Ge- oder Verbote in Bezug auf den Handel mit Monopolgegenständen verletzt“, und habe unter anderem Ismet S***** zu seinen „Abnehmern“ gehört, welcher „eine Menge von 56.000 Zigaretten übernommen“ habe, wobei „sich der Wertbetrag hinsichtlich dieser Zigaretten auf Euro 9.660,-“ belaufe, ohne darzulegen, aus welchen Gründen (§ 202 Abs 3 zweiter Satz FinStrG) die - für Bestimmungstäter und sonstige Tatbeteiligte im Sinn des § 11 zweiter und dritter Fall FinStrG geltende - objektive Konnexität zwischen den Taten des Predrag R***** (als unmittelbarem Täter) und jenen des Ismet S***** gegeben sein könnte, lassen eine rechtliche Beurteilung des Inhalts nicht zu, dass dem Gericht die Ahndung der Taten des Ismet S***** zukomme (§ 202 Abs 3 erster Satz FinStrG) zumal (vorsätzliche oder fahrlässige) Hehlerei vom objektiven Konnexitätsbegriff des § 53 Abs 4 FinStrG nicht mitumfasst ist. Bloße Rechtsausführungen genügen diesem Erfordernis nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

(1) Gemäß § 202 Abs 1 FinStrG hat die Staatsanwaltschaft die Entscheidung „des Gerichts“ über die Zuständigkeit einzuholen, wenn sie überzeugt ist, dass die Gerichte zur Ahndung einer Tat als Finanzvergehen nicht zuständig seien (§ 53 FinStrG). Über den zur Entscheidung berufenen Spruchkörper sagt das Finanzstrafgesetz nichts, womit nach § 195 Abs 1 FinStrG die Bestimmungen der Strafprozessordnung gelten.

Im Ermittlungsverfahren zu treffende Entscheidungen fallen nach § 31 Abs 1 StPO dem Einzelrichter zu, sofern § 31 Abs 5 StPO - wie hier - keine Ausnahme anordnet. § 516 Abs 2 StPO ist mit Blick auf den Zeitpunkt der Antragstellung (16. Dezember 2009) ohne Belang. Ebenso wenig kommt ein Umkehrschluss aus der Tatsache, dass § 31 Abs 1 StPO im Ermittlungsverfahren zu treffende Gerichtsentscheidungen aufzählt, in Betracht, weil die StPO generell keine Sonderbestimmungen für das Finanzstrafverfahren enthält (vgl demgegenüber den Dritten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des FinStrG).

Die in der Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, ein Beschluss nach § 202 FinStrG sei vom Vorsitzenden des Schöffengerichts zu fassen (Seiler/Seiler, FinStrG² § 202 Rz 1), ist verfehlt, weil das Hauptverfahren gemäß § 210 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG erst durch das Einbringen der Anklage beginnt, womit eine Entscheidung des nur für das Hauptverfahren zuständigen Schöffengerichts (§ 196a FinStrG, vgl auch § 31 Abs 3 StPO) und solcherart auch seines Vorsitzenden (§ 32 Abs 3 StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG) vor diesem Zeitpunkt ausscheidet. Eine Zuständigkeitsentscheidung des Vorsitzenden des Schöffengerichts kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Anklage bereits eingebracht ist und die Staatsanwaltschaft außerhalb der Hauptverhandlung Entsprechendes begehrt (§ 212 Abs 1 FinStrG).

Dass in der gegenständlichen Strafsache gegen Predrag R***** bereits Anklage erhoben worden ist, vermag die Kompetenzlage nicht zu ändern, weil das Verfahren in Bezug auf Ismet S***** (mangels Anklageerhebung) im Ermittlungsstadium verblieb.

(2) Gemäß § 202 Abs 3 zweiter Satz FinStrG hat das Gericht in dem nach § 202 Abs 3 erster Satz FinStrG zu fassenden Beschluss darzulegen, aus welchen Gründen es die gerichtliche Zuständigkeit annehme oder ablehne. Wesentliches Element der Beschlussbegründung sind die Sachverhaltsannahmen, aus denen sodann die entsprechenden rechtlichen Schlüsse abzuleiten sind (§ 86 Abs 1 vierter Satz StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG). Das Landesgericht für Strafsachen Wien stützt die Annahme gerichtlicher Kompetenz auf § 53 Abs 4 FinStrG (ON 61 S 5), wonach die Zuständigkeit des Gerichts zur Ahndung von Finanzvergehen des Täters auch dessen Zuständigkeit zur Ahndung von Finanzvergehen der anderen vorsätzlich an der Tat Beteiligten begründet, ohne darzulegen, aus welchem Grund das Ismet S***** unterstellte Handeln Bestimmung oder sonstiger Beitrag (§ 11 zweiter oder dritter Fall FinStrG) zum Predrag R***** zur Last gelegten Ansichbringen oder Verhandeln geschmuggelter Zigaretten begründen könnte.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Hehler nur bis zum 31. Dezember 1985 von der Konnexitätsbestimmung des § 53 Abs 4 erster Satz FinStrG mitumfasst waren. Danach wurden sie durch Art I Z 10 lit b der FinStrG-Novelle 1985 BGBl 1985/571 gezielt aus dieser ausgenommen, weil - nach den Gesetzesmaterialien (EBRV 668 BlgNR 16. GP 14) - der Vorteil einer gemeinsamen Führung der Verfahren wegen selbst geringfügigster Hehlereien mit jenen gegen die Vortäter durch den Nachteil des größeren (schöffengerichtlichen) Verfahrensaufwands überwogen wird (13 Os 156/09d).

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen geeignet sind, zum Nachteil des Beschuldigten Ismet S***** zu wirken, war deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E96742

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0130OS00138.10H.0217.000

Im RIS seit

10.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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