TE OGH 2011/7/6 3Ob3/11d

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Veröffentlicht am 06.07.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj D***** B*****, geboren am 25. Mai 1995 und der mj I***** B*****, geboren am 25. Jänner 2000, wegen Besuchsrechts der Mutter Z***** B*****, vertreten durch Mag. Georg Strommer, Rechtsanwalt in Wien, und wegen Auftrags an den Vater gemäß § 176 ABGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des obsorgeberechtigten Vaters D***** B*****, vertreten durch Dr. Michael Günther, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. November 2010, GZ 48 R 264/10v-208, womit über Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 5. Juli 2010, GZ 8 Ps 142/10s-200, in seinem Punkt 5. bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang der dem Vater auferlegten Verpflichtung, für eine geeignete Psychotherapie für beide Kinder Sorge zu tragen und dem Gericht darüber bis 15. September 2010 Bericht zu erstatten, ersatzlos aufgehoben.

Kosten für die Revisionsrekursbeantwortung werden nicht zugesprochen.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern der am 25. Mai 1995 geborenen D***** und der am 25. Jänner 2000 geborenen I***** wurde 2006 aus dem Alleinverschulden des Vaters geschieden.

In dem seit Juni 2005 anhängigen Pflegschaftsverfahren stellten zunächst beide Eltern den Antrag auf Alleinobsorge.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2007 (Band I ON S85) entzog das Erstgericht der Mutter einstweilen die Obsorge und übertrug sie einstweilen dem Vater. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Der bisherige Verlauf des Pflegschaftsverfahrens ist dadurch gekennzeichnet, dass die Eltern zunächst wechselseitig schwere Vorwürfe erhoben: Gegenüber der Mutter stand in der Vergangenheit der Vorwurf im Raum, sie übe an den Kindern körperliche Gewalt aus und verhalte sich lieblos. Der Vater soll zu einer starken Instrumentalisierung der Kinder gegen die Mutter neigen.

Im ersten im Verfahren eingeholten psychologischen Gutachten vom 18. November 2005 (Band I ONS-12) gelangt die Gutachterin zum Ergebnis, dass die zwischen den Eltern bestehende Konfliktsituation für die Kinder eine massive Belastung darstelle; die Berichte der Kinder seien im Hinblick auf die gegen die Mutter erhobenen Vorwürfe, die Kinder physisch und zumindest D***** auch psychisch misshandelt zu haben, so detailliert und im Wesentlichen übereinstimmend, dass ein Verdacht auf Misshandlung bestehe.

Ein vom Erstgericht eingeholtes kinderpsychiatrisches Sachverständigengutachten vom 24. August 2006 (Band I ONS-48) gelangt zum Schluss, dass beide Mädchen nach der Trennung der Eltern einem Loyalitätskonflikt ausgesetzt seien; Hinweise auf tatsächlich schwerwiegende Misshandlungen durch die Mutter lägen nicht vor; der Verlust und die Abwesenheit der Mutter würde zu einem emotionalen Ausnahmezustand führen.

Aus einer Stellungnahme des die Familie betreuenden Sozialarbeiters (Band I ONS-59) vom 6. Oktober 2006 geht ebenfalls die massive Belastung der Kinder durch die zwischen den Eltern bestehenden Konflikte hervor. Für den Fall einer Erhöhung des auf die Kinder ausgeübten Drucks wurde eine befristete Fremdunterbringung in Form eines Krisenaufenthalts vorgeschlagen.

Die kinderpsychiatrische Sachverständige gab in der Tagsatzung am 11. Oktober 2006 (Band I ONS-61) an, dass die familiäre Konfliktsituation für die Kinder eine Gefährdung darstelle. Insbesondere eine - damals im Raum stehende - Rückkehr der Mutter in die Wohnung wurde als eskalationsfördernd gewertet. Die Sachverständige befürwortete eine Unterbringung im Krisenzentrum, weil sich beide Elternteile nur eingeschränkt erziehungsfähig erwiesen.

Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2007 (Band I ONS-88) teilte der Vater mit, dass er - in Entsprechung eines rechtskräftigen erstgerichtlichen Auftrags vom 2. Februar 2007 (Band I ONS-85) - im Oktober und November des Jahres die Familienberatungsstelle aufgesucht habe (s auch Band II ONS-113).

Mit Beschluss vom 17. April 2007 (Band I ONS-96) bestellte das Erstgericht für die Dauer des Obsorge- und Besuchsrechtsverfahrens für die Kinder einen Kinderbeistand (Umbestellung Band I ONS-99: zum „Auslaufen“ des Projekts aus finanziellen Gründen s Band II ONS-130 und ONS-140, S 10).

Im Zusammenhang mit der endgültigen Obsorgeentscheidung beauftragte das Erstgericht erneut die bereits im Verfahren tätig gewordene kinderpsychiatrische Sachverständige mit der Erstattung eines Gutachtens. Der Gutachtenserstattung liegt eine (offenbar einmalige) Untersuchung der Kinder am 5. Dezember 2007 zugrunde. Im Gutachten vom 28. Mai 2008 (Band II ONS-124) kommt die Sachverständige zum Ergebnis, dass es den Eltern bislang offenbar nicht gelungen sei, eine am Wohl der Kinder orientierte Umgangsform miteinander zu entwickeln. Die Eltern instrumentalisierten die Kinder weiterhin für ihre eigenen Bedürfnisse. Die Ablehnung der Mutter erscheine „aufgesetzt“. Die Sachverständige empfahl eine vorübergehende Unterbringung der Kinder in einem Krisenzentrum und wies - ohne nähere Begründung - auf „sexuelle Auffälligkeiten“ bei D***** hin. Ferner hielt sie eine gezielte psychotherapeutische Behandlung beider Kinder für erforderlich.

Der Kinderbeistand berichtete am 24. Juni 2008 (Band II ONS-130), dass sich die Situation gebessert habe, D***** nehme psychologische Beratung in der Schule in Anspruch, ihr „leicht hysterisch pubertäres“ Verhalten entspreche ihrem Alter, der Vater habe sich verändert, er suche oft das Gespräch. I***** sei lebendiger geworden.

In der vor der endgültigen Obsorgeentscheidung abgehaltenen Tagsatzung am 18. September 2008 (Band II ONS-140) wurde mit der kinderpsychiatrischen Sachverständigen das Gutachten erörtert; ferner wurden die Erziehungsberaterin, der Kinderbeistand, die Volksschullehrerin von I*****, die Hauptschullehrerin von D*****, der die Familie betreuende Diplomsozialarbeiter und die Kinderärztin einvernommen.

Der bestellte Kinderbeistand und die Kinderärztin gaben an, keine Beobachtungen in Richtung „sexueller Auffälligkeiten“ betreffend D***** gemacht zu haben. Der Kinderbeistand verwies anlässlich der Tagsatzung darauf, dass die Kinder Angst davor hätten, vom Vater weg zu müssen. Die Kinderärztin erachtete die Kinder als gut untergebracht, zufrieden und glücklich. Beide Lehrerinnen beurteilten die Kinder als verlässliche Schülerinnen.

Die Sachverständige gab anlässlich der Erörterung der in ihrem Gutachten beschriebenen „sexuellen Auffälligkeiten“ an, dass es diesbezüglich an sich keine eindeutigen Symptome gebe, diese habe es aber offensichtlich nicht gegeben (?), es gebe daher keinen eindeutigen Hinweis auf sexuellen Missbrauch „und stellt dies in diesem Zusammenhang kein Hauptproblem dar“ (S 5 des Protokolls), bei D***** spiele das Thema Sexualität „im Inneren eine größere Rolle“, als man dies für eine 13-jährige annehmen könne. Die Sachverständige meinte anlässlich der Gutachtenserörterung wörtlich (S 8 des Protokolls): „Es mag wohl sein, dass ein Verbleib der Kinder beim Vater derzeit die beste Lösung ist, aber eigentlich ist sie dann doch noch die schlechteste.“

Der Diplomsozialarbeiter sprach sich gegen eine Unterbringung in einem Krisenzentrum aus. Die Situation habe sich in den letzten zwei Jahren stabilisiert und sei entspannt.

Er berichtete ferner am 4. November 2008 (Band II ONS-150), dass er bei einem Hausbesuch im Haushalt des Vaters alle Haushaltsmitglieder angetroffen habe; die 1983 geborene Cousine des Vaters wohne im Haushalt. Der Diplomsozialarbeiter fasste seinen Bericht damit zusammen, dass beide Kinder entspannt und zugänglich wirken und der Einfluss der väterlichen Cousine als positiv einzustufen sei, weil sie keine Mutter ersetzen müsse und damit kein Loyalitätskonflikt im Bezug auf eine neuerliche Annäherung (gemeint: der Kinder) an die Mutter bestehe.

Mit Beschluss vom 22. November 2008 (Band II ONS-152) entzog das Erstgericht der Mutter die Obsorge und betraute damit den Vater allein. In seiner ausführlichen begründeten Entscheidung beurteilte es die Mutter als emotional instabil und nur eingeschränkt erziehungsfähig. Der Vater ist hingegen nach der Einschätzung des Erstgerichts geeignet, die Kinder zu versorgen. Er wird durch die väterliche Cousine unterstützt, an der beide Kinder hängen. Der Vater ist nach einer in Anspruch genommenen Erziehungsberatung nun auch bemüht, den Kindern einen Zugang zur Mutter zu ermöglichen.

Das Rekursgericht gab dem von der Mutter erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 12. Mai 2009 nicht Folge (Band II ONS-159).

Das für die Entscheidung im Besuchsrechtsverfahren eingeholte familienpsychologische Sachverständigengutachten vom 26. November 2009 (Band II ONS-169) hält bei beiden Kindern eine längerfristige Psychotherapie für indiziert. Eine Begründung dafür findet sich für I***** nicht: Neben einem Hinweis darauf, dass I***** „im Ausdruck gehemmt sei“, sich aber zur Mutter „ohne Worte“ eine emotional gute Beziehung zeige (S 33 des Gutachtens) verweist die Gutachterin lediglich darauf, dass auch bei I***** „wie bereits in sämtlichen Vorgutachten und Befunden seit 2005 gefordert“ eine längerfristige Psychotherapie indiziert sei. Eine „diesbezügliche Abwehrhaltung des Vaters“ stelle eine Kindeswohlgefährdung dar.

In der Tagsatzung vom 10. Februar 2010 (Band II ONS-185) trafen die Eltern - nach Rückziehung eines Antrags auf Regelung des Besuchsrechts hinsichtlich der damals bereits über 14 Jahre alten D*****, die sich gegen Besuchskontakte mit der Mutter ausgesprochen hatte - eine Regelung dahin, dass die Mutter, beginnend mit 13. Februar 2010, das Recht hat, I***** alle zwei Wochen am Samstag von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr zu sehen. Der Vater verpflichtete sich in dem Vergleich (Punkt 4), für eine Psychotherapie beider Kinder Sorge zu tragen und bis Mitte März dem Gericht darüber Bericht zu erstatten. Dieser Vergleich wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

Am 25. März 2010 (Band II ONS-188) beantragte die Mutter ein erweitertes Besuchsrecht für I***** im Ausmaß von jeweils Freitag 18:00 Uhr bis zum folgenden Sonntag 18:00 Uhr jede zweite Woche, beginnend mit 30. April 2010.

Mit Schriftsatz vom 1. April 2010 (Band II ONS-190) teilte der Vater mit, dass seine Kinder „psychiatrische“ Hilfe in Anspruch nehmen würden. Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2010 (Band II ONS-197) legte er einen entsprechenden psychotherapeutischen Bericht vor, der sich insbesondere mit der Frage einer Erweiterung des Besuchsrechts der Mutter gegenüber I***** befasst und eine Ausdehnung der Besuchszeit nicht befürwortet.

In der vor dem Erstgericht abgehaltenen Tagsatzung am 17. Juni 2010 (Band II ONS-198, AS 475 ff) wurden beide Eltern einvernommen. Der ebenfalls anwesende Zeuge Univ.-Prof. Dr. K***** G*****, ein Pädagoge mit psychotherapeutischer Ausbildung, bei dem I***** zu vier Behandlungen war, gab an, die Kinder bräuchten seiner Einschätzung nach keine Psychotherapie, sondern ein klares Umfeld.

Nach Aufhebung einer vom Erstgericht mit Beschluss vom 5. Juli 2010 (Band III ONS-200) getroffenen erweiterten Besuchsrechtsregelung durch das Rekursgericht ist über den Antrag der Mutter, ihr für I***** ein erweitertes Besuchsrecht einzuräumen, vom Erstgericht noch zu entscheiden.

Mit dem nun angefochtenen Punkt 5 der Entscheidung über die Erweiterung des Besuchsrechts der Mutter verpflichtete das Erstgericht überdies den Vater, für eine geeignete Psychotherapie für beide Kinder Sorge zu tragen und dem Gericht darüber bis 15. September 2010 Bericht zu erstatten. Das Erstgericht traf ua folgende Feststellungen:

„Die Mutter übte nun ihr Besuchsrecht zu I***** verlässlich jeden zweiten Samstag von 13 Uhr bis 18 Uhr aus. ... Die Besuchskontakte sind im Großen und Ganzen reibungslos verlaufen. ...

Derzeit gibt es nach wie vor sehr große Spannungen zwischen den Kindeseltern. Sie scheinen nach wie vor beide nicht in der Lage zu sein, ihre Interessen und Konflikte von den Kindern abzukoppeln.

Beide Kinder waren bei einer psychologischen Beratung, zunächst beide gemeinsam bei zwei Terminen, anschließend war I***** allein bei weiteren zwei Terminen.

Diese Beratung wurde von Univ.-Prof. Dr. K***** G***** vorgenommen, der Pädagoge mit psychotherapeutischer Ausbildung ist, jedoch keine psychiatrische Ausbildung und keine Ausbildung zum klinischen Gesundheitspsychologen hat. Entgegen dem am 10. 2. 2010 geschlossenen Vergleich, in dem sich der Vater verpflichtete, für die Psychotherapie von beiden Kindern Sorge zu tragen, haben beide Kinder bis dato noch keine Psychotherapie erhalten. Um die Konflikte mit den Eltern zu lösen und aufarbeiten zu können, ist es aber essentiell, dass beide Kinder die Möglichkeit erhalten, eine geeignete Psychotherapie durchzuführen ...“.

Die dem Vater aufgetragene Verpflichtung, für die Psychotherapie der Mädchen Sorge zu tragen, begründete das Erstgericht rechtlich damit, dass eine Psychotherapie für beide Mädchen nach wie vor äußerst sinnvoll erscheine.

Über Rekurs des Vaters bestätigte das Rekursgericht diesen erstgerichtlichen Auftrag mit der Begründung, bei beiden Kindern sei nach den eingeholten Gutachten eine längerfristige Psychotherapie indiziert. Das Erstgericht habe sich zutreffend der Meinung der Sachverständigen angeschlossen, weil weder die Kinder noch deren Eltern in der Lage seien, darüber zu entscheiden, ob eine Psychotherapie notwendig sei oder nicht. Auch die (vom Vater aufgeworfene) Frage der Therapiekosten dürfe kein Hindernis darstellen, den Kindern die erforderliche Therapie zukommen zu lassen.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, in dem er zusammengefasst geltend macht, dass Rechtsprechung dazu fehle, ob jemandem, der nicht über die entsprechenden Mittel verfüge, aufgetragen werden könne, Psychotherapie für seine Kinder zu bezahlen. Im Übrigen berief er sich darauf, dass sich durch den Akt „wie ein roter Faden“ ziehe, dass die Sachverständigen, die die beiden Kinder kaum und nur vor langer Zeit gesehen hätten, der festen Überzeugung seien, dass sie besser als das gesamte Umfeld der Kinder beurteilen könnten, ob die Kinder Psychotherapie bräuchten oder nicht. Univ.-Prof. Dr. K***** G***** verfüge über eine psychotherapeutische Ausbildung. Der Vater sei der von ihm anlässlich der Besuchsrechtsvereinbarung übernommenen Verpflichtung, die Kinder psychotherapeutisch behandeln zu lassen, dadurch nachgekommen, dass sie von diesem behandelt worden seien. Selbst wenn weder Eltern noch Kinder in der Lage seien, zu entscheiden, ob die Kinder einer Psychotherapie bedürften, müsse das ebenso für eine Sachverständige gelten, die die Kinder ein einziges Mal und nicht allein gesehen habe und die auf ein anderes Gutachten, in der der persönliche Kontakt zwischen der Gutachterin und den Kindern bereits dreieinhalb Jahre zurückgelegen sei, verweise.

Mit dem Revisionsrekurs legte der Vater ein Schreiben der zum damaligen Zeitpunkt 15 ½ jährigen D***** vor, in welchem sie sich gegen eine psychotherapeutische Behandlung ausspricht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist schon deshalb zulässig, weil die Vorinstanzen die bereits eingetretene selbständige Verfahrensfähigkeit der im Mai 1995 geborenen D***** ebenso wenig wie die Bestimmung des § 146c ABGB beachteten. Im Übrigen bedarf es einer Auseinandersetzung damit, ob bzw unter welchen Voraussetzungen § 176 Abs 1 ABGB Grundlage dafür sein kann, einem obsorgeberechtigten Elternteil den Auftrag zu einer psychotherapeutischen Behandlung des Kindes zu erteilen.

In Entsprechung des Beschlusses des Senats vom 22. März 2011 stellte das Erstgericht eine Rekursentscheidung samt Rechtsmittelbelehrung an D***** zu. D***** beteiligte sich am Revisionsrekursverfahren nicht.

Die Mutter beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

1. Das Erstgericht nahm die dem Vater auferlegte Verpflichtung, für eine psychotherapeutische Behandlung der Kinder Sorge zu tragen, in den Spruch seiner Entscheidung auf. Diesem erkennbar auf § 176 Abs 1 ABGB gestützten Auftrag des Erstgerichts kommt nicht bloß der Charakter einer Mitteilung über den Inhalt der den obsorgeberechtigten Vater treffenden Pflichten zu; nur im letzteren Fall läge kein mit Rechtsmitteln bekämpfbarer Beschluss des Erstgerichts vor (RIS-Justiz RS0106917; 2 Ob 254/09f).

2. Wie bereits im Beschluss des Senats vom 22. März 2011 ausgeführt, ist die am 25. Mai 1995 geborene D***** iSd § 104 Abs 1 AußStrG im Verfahren über Pflege und Erziehung oder über das Recht auf persönlichen Verkehr selbständig verfahrensfähig.

2.1 Die eigene Verfahrensfähigkeit mündiger Minderjähriger ist auf den persönlichen Bereich im Pflegschaftsverfahren - vor allem auf Obsorge- und Besuchsrechtsregelungen - beschränkt (7 Ob 209/05v). Der dem obsorgeberechtigten Vater erteilte Auftrag gründet sich auf § 176 Abs 1 ABGB (s 1.) und betrifft daher diesen Bereich.

2.2 Überdies bezieht sich der Auftrag auf eine psychotherapeutische Behandlung, die nach herrschender Auffassung entweder unmittelbar (Haidenthaller, Die Einwilligung Minderjähriger in medizinische Behandlungen, RdM 2001, 163, [164]; Stormann in SchwimannI § 146c ABGB Rz 2) oder zumindest analog (Barth in Klang³ § 146c ABGB Rz 5 mH auf die Materialien; Stabentheiner in Rummel3, 1. ErgBd § 146c ABGB Rz 2; Weitzenböck in Schwimann, ABGB-TaKomm § 146c Rz 3) dem § 146c Abs 1 ABGB zu unterstellen ist.

2.3 Das einsichts- und urteilsfähige Kind kann - abgesehen von hier nicht vorliegender Gefahr im Verzug (Abs 3) - eine Einwilligung in eine Behandlung gemäß § 146c Abs 1 ABGB nur selbst erteilen. Zweifel an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit (vgl dazu Barth in Klang³ § 146c ABGB Rz 22) der mittlerweile 16-jährigen D***** bestehen nach der Aktenlage nicht. Ein Auftrag an den obsorgeberechtigten Vater, sein einsichts- und urteilsfähiges Kind einer Behandlung zu unterziehen, die dessen Einwilligung bedarf, die aber - hier aktenkundig - nicht erteilt wird, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil ein Therapeut ohne eine entsprechende Einwilligung eine Behandlung nicht vornehmen darf und der erteilte Auftrag daher nach dem derzeitigen Verfahrensstand sinnlos wäre.

3. Aber auch in Ansehung der mj I***** ist der Revisionsrekurs berechtigt:

3.1 Gesetzliche Grundlagen

3.1.1 Unter der Überschrift „Entziehung oder Einschränkung der Obsorge“ regelt § 176 Abs 1 ABGB idF des KindRÄG 2001 (BGBl I 2000/135):

„Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entziehen. Im Einzelfall kann das Gericht auch eine gesetzlich erforderliche Einwilligung oder Zustimmung ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen.“

Abs 2 legt entsprechende Antrags- bzw Anregungsrechte fest. Abs 3 bestimmt, dass die gänzliche oder teilweise Entziehung der Pflege und Erziehung oder der Verwaltung des Vermögens des Kindes die Entziehung der gesetzlichen Vertretung in dem jeweiligen Bereich mit einschließt; die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen kann für sich allein entzogen werden, wenn die Eltern oder der betreffende Elternteil ihre übrigen Pflichten erfüllen.

3.1.2 In den §§ 176b und 137a ABGB kommt der Grundsatz der „Familienautonomie“ gegenüber Eingriffen des Staats zum Ausdruck: Danach darf durch eine Verfügung nach § 176 ABGB das Gericht die Obsorge nur so weit beschränken, als dies zur Sicherung des Wohls des Kindes nötig ist (Entziehung der Obsorge als ultima ratio - vgl Thunhart in Klang3 §§ 176, 176b ABGB Rz 4 f; Weitzenböck in Schwimann3 I § 176b ABGB Rz 1 f; RIS-Justiz RS0048736).

3.1.3 Bereits § 176 Abs 1 ABGB idF BGBl I 1977/403 sah vor, dass das Gericht die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen hat. Die Materialien zu dem ursprünglichen Gesetzesvorschlag  - der in dem hier interessierenden Punkt von den Änderungen im Justizausschuss nicht betroffen war - halten dazu fest (ErlRV 60 BlgNR 14. GP 34), dass diese sehr bewegliche Entscheidungsmöglichkeit noch durch eine weitere Vorsorge (gemeint: die „nötigen Verfügungen“) ergänzt wird. Dass hier nur mit einer Generalklausel gearbeitet werden könne, werde jedem Einsichtigen klar sein. Das Leben verlange wegen seiner Vielgestaltigkeit eine allgemeine Lösung.

3.1.4 § 176 Abs 1 ABGB idF des KindRÄG 2001 übernahm im Wesentlichen die Regelung über die zur Sicherung des Wohls des Kindes nötigen Verfügungen. Die Materialien zum KindRÄG 2001 (ErlRV 296 BlgNR 21. GP 64) verweisen darauf, dass klargestellt werde, dass „das Gericht die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen hat, von denen einige beispielhaft genannt werden. ...“

3.2 Mit dem klaren Gesetzeswortlaut des § 176 Abs 1 ABGB in Einklang ist bei Gefährdung des Kindeswohls die Obsorge für das Kind gänzlich oder teilweise zu entziehen. Ferner können gesetzliche Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen, ersetzt werden. Schließlich hat nach der Rechtsprechung - vom Gesetzgeber durch die Einführung des § 107 Abs 2 AußStrG ausdrücklich gebilligt - das Gericht bei akuter Gefährdung des Kindes auch vorläufige Maßnahmen zu ergreifen (vgl dazu und zum Verhältnis solcher Maßnahmen zur Kompetenz des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 215 Abs 1 ABGB Thunhart in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 57 ff).

3.2.1 Eine (teilweise) Entziehung der Obsorge wollte das Erstgericht mit seinem Auftrag erkennbar nicht verfügen. Auch eine vorläufige Maßnahme wurde nicht angeordnet.

3.2.2 Zwar kann die Einwilligung der Eltern in eine Heilbehandlung - worunter aus den zu 2.2 dargelegten Gründen auch eine psychotherapeutische Behandlung zu zählen ist - unter bestimmten Umständen ersetzt werden. Das gilt aber nur für die Zustimmung eines Elternteils. Verweigern hingegen beide Elternteile (oder wie im Anlassfall der allein obsorgeberechtigte Elternteil) die Behandlung, so reicht es nicht aus, wenn das Gericht die Zustimmung ersetzt: Das Gericht kann den Behandlungsvertrag nicht selbst für das Kind schließen (Thunhart in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 52 f; s auch 6 Ob 215/05v iFamZ 2006/5 - keine Ersetzung einer Rechtshandlung des gesetzlichen Vertreters; zur Klarstellung durch das KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135, dass die Pflege und Erziehung sowie die Vermögensverwaltung auch die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen umfasst s ErlRV 296 BlgNR 21. GP 51). Vielmehr müsste das Gericht - wenn das Unterbleiben der Behandlung eine Gefährdung des Kindes bewirken würde - in diesem Umfang die Obsorge entziehen (Weitzenböck in Schwimann³ I § 176 ABGB Rz 42 mwN; Thunhart in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 53).

3.3 Zu prüfen bleibt daher, ob der vom Erstgericht erteilte Auftrag - von den Vorinstanzen erkennbar so verstanden - unter die in § 176 Abs 1 ABGB angesprochenen „nötigen Verfügungen“ subsumiert werden kann.

3.3.1 Nach herrschender Auffassung bietet § 176 Abs 1 ABGB eine Rechtsgrundlage dafür, dem Obsorgeberechtigten konkrete Aufträge oder Auflagen zu erteilen (Stabentheiner in Rummel³, 1. Ergbd § 176 ABGB Rz 7 mwN; Thunhart in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 54, 56; Deixler-Hübner in ABGB-ON 1.00 § 176 Rz 14 jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). In älteren Entscheidungen wurde etwa der Auftrag an die Mutter, sich mit dem Kind in regelmäßigen Abständen einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen (7 Ob 792/79 EFSlg 35.985) ebenso als zulässige „Auflage“ beurteilt wie die Bindung der Zulässigkeit der Übersiedlung des Kindes in das Ausland an die Zustimmung des Pflegschaftsgerichts (7 Ob 615/78 = RIS-Justiz RS0047906) oder die Abnahme des Reisepasses (5 Ob 595/84 EFSlg 45.901). Als zulässig erachtet wurde in der zweitinstanzlichen Rechtsprechung beispielsweise der Auftrag, eine Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen (LGZ Wien 45 R 129/98y EFSlg 87.027) bzw dafür zu sorgen, dass das Kind einen Kindergarten besucht (LGZ Wien 43 R 146/05x EFSlg 110.869).

3.3.2 Die in anderen Entscheidungen vertretene Auffassung, dass die aus der Obsorge erfließenden Befugnisse unter den Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB zum Wohl des Kindes in Teilbereichen eingeschränkt werden können und in diesem Umfang ein Sachwalter bestellt werden kann (Sachwalterbestellung jeweils des Jugendwohlfahrtsträgers für Angelegenheiten des Schulbesuchs sowie der ärztlichen und therapeutischen Betreuung - 1 Ob 57/97g; für alle Fragen der religiösen Kindererziehung sowie für die Zustimmung zu allen mit Bluttransfusionen verbundenen medizinischen Behandlungen - 1 Ob 601/95) lassen sich nicht mehr auf die heutige Rechtslage übertragen, weil nach Aufhebung des § 145b ABGB aF, des § 176a ABGB und der Beseitigung des Instituts der Vormundschaft durch das KindRÄG 2001 kein „Sachwalter“ oder Vormund zu bestellen, sondern schlicht nach den §§ 187 ff ABGB eine andere Person mit diesem (Teil-)Bereich der Obsorge zu betrauen ist (Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechtsänderungsgesetzes 2001, ÖJZ 2001, 530 [534 f]; Weitzenböck in Schwimann3 I § 176 ABGB Rz 39).

3.3.3 Nach Abschaffung der Erziehungsaufsicht durch den Gesetzgeber mit dem KindRÄG 1989, BGBl 1989/162 und dem JWG 1989, BGBl 1989/161, kann die Zulässigkeit der Anordnung von „Aufsichtsmaßnahmen“ auch nicht auf § 176 Abs 1 ABGB gestützt werden. Für eine präventiv angeordnete Aufsicht über den Obsorgeberechtigten fehlen gesetzliche Voraussetzungen (6 Ob 639/95 RZ 1996/65).

3.3.4 Verbote und Aufträge an den Obsorgeberechtigten greifen grundsätzlich in das elterliche Obsorgerecht ein (Weitzenböck in SchwimannI § 176 ABGB Rz 44; Barth in Klang³ § 137a ABGB Rz 5). Das gilt auch dann, wenn das Gericht - wie hier - nicht die Obsorge selbst gänzlich oder teilweise entzieht, aber dem Obsorgeberechtigten inhaltliche Vorschriften darüber macht, wie die Obsorge auszuüben ist.

3.3.5 Im Anlassfall liegt ein Eingriff in das Obsorgerecht des Vaters darin, dass das Gericht diesem nicht nur eine psychotherapeutische Behandlung der Kinder auftrug, sondern die vom Vater bereits freiwillig ergriffenen entsprechenden Maßnahmen (Betreuung durch einen Pädagogen mit psychotherapeutischer Ausbildung) erkennbar für nicht ausreichend erachtete und dadurch auch zumindest indirekt in die Auswahlentscheidung des Vaters, welche Person mit welcher Qualifikation er mit der Behandlung betrauen will, eingriff.

3.3.6 Diese Vorgangsweise steht nicht nur in einem gewissen Spannungsverhältnis mit der Überschrift des § 176 („Entziehung oder Einschränkung der Obsorge“), sondern vor allem damit, dass dem Obsorgeberechtigten im Rahmen seines Obsorgerechts die Art und Weise, wie er dieses Recht ausübt, im Hinblick auf Art 8 EMRK solange selbst zu überlassen ist, als nicht wegen einer sonst gegebenen Gefährdung des Kindes Maßnahmen des Gerichts erforderlich werden. Ein konkreter Auftrag („Auflage“), mag er auch noch so zielführend erscheinen, schreibt vor, wie die Obsorge auszuüben ist. Die Entscheidung aber, auf welche Art der Obsorgeberechtigte das Wohl des Kindes sicherstellen möchte, muss grundsätzlich ihm selbst überlassen bleiben (Thunhart in Klang3 §§ 176, 176b ABGB Rz 55). Welche Pflege und Erziehung dem Wohl des Kindes am besten entspricht, ist nicht ohne Weiteres objektivierbar und hängt maßgeblich von individuellen Wertvorstellungen ab (Thunhart, Können Eltern gegen ihren Willen zur Zusammenarbeit mit außergerichtlichen Institutionen gezwungen werden? iFamZ 2011, 139 [142]).

3.3.7 Ohne Gefährdung des Kindeswohls und eine dadurch bedingte Notwendigkeit der Änderung eines bestehenden Zustandes kommt eine Verfügung nach § 176 Abs 1 ABGB - und zwar unabhängig davon, ob sie eine (Teil-)Entziehung der Obsorge oder eine „Auflage“ mit inhaltlichen Vorgaben über die Ausübung des Obsorgerechts ausspricht - jedenfalls nicht in Betracht (6 Ob 639/95 RZ 1996/65; 8 Ob 2282/96p EFSlg 81.139; RIS-Justiz RS0085168; anders nur für den damit nicht vergleichbaren Fall der Ersetzung der Einwilligung oder Zustimmung gemäß § 176 Abs 1 Satz 3 ABGB - vgl 2 Ob 195/07a iFamZ 2008/67 [Thoma-Twaroch]), auch wenn sie gemessen an den Wertvorstellungen des Gerichts und/oder eines bestellten Sachverständigen zweckmäßig bzw sinnvoll wäre. Eine „Obervormundschaft“ (vgl Weitzenböck in SchwimannI § 176 ABGB Rz 42) des Pflegschaftsgerichts sieht das Gesetz nicht vor. Mit der hier zu beurteilenden Problemstellung vergleichbar unterliegt nun nach dem Konzept des Sachwalterrechts-Änderungsgesetzes 2006 (SWRÄG 2006; BGBl I 2006/92) auch die Tätigkeit des Sachwalters zwar gerichtlicher Überwachung, für eine allgemeine „Weisungsbefugnis“ des Gerichts gegenüber dem Sachwalter besteht jedoch im Rahmen der Personensorge keine Rechtsgrundlage (3 Ob 81/11z mwN). Das gilt umso mehr für die elterlichen Rechte, die in den Schutzbereich des Art 8 EMRK fallen.

3.3.8 Eine offenkundige Gefährdung des Kindeswohls, die eine Änderung des bestehenden Zustandes erfordert (vgl RIS-Justiz RS0085168), kann zwar nicht nur in Beziehung auf die physische Gesundheit (zB Verwahrlosung; Gefahr körperlicher Schädigung durch unterlassene Heilbehandlung oder Gewaltausübung durch wen immer - RIS-Justiz RS0106311), sondern auch in Beziehung auf eine massive Beeinträchtigung des psychischen Wohls des Kindes (8 Ob 2282/96p EFSlg 81.139 mwN) verwirklicht sein. Bloße Beziehungsschwierigkeiten des Kindes zum obsorgeberechtigten Elternteil (RIS-Justiz RS0006981) rechtfertigen jedoch ebenso wie die typischen, mit einer Trennung verbundenen familiären Konflikte jedenfalls dann keine Maßnahmen des Pflegschaftsgerichts, wenn nicht feststeht, dass andernfalls eine irrevisible, das Kindeswohl massiv beeinträchtigende psychische Störung mit Krankheitswert zu befürchten ist. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass nach derzeitigen psychologischen Erkenntnissen etwa eine psychotherapeutische Behandlung von „Scheidungskindern“, die durch die elterlichen Konflikte belastet sind, oftmals empfehlenswert ist. Nicht alles jedoch, was an Erziehungs- oder Behandlungsmaßnahmen nach dem jeweiligen - im Übrigen keineswegs als gesichert oder unstrittig zu bezeichnenden - Wissensstand optimal wäre, kann obsorgeberechtigten Eltern nach § 176 Abs 1 ABGB aufgetragen werden. Das ergibt sich aus dem zu 3.3.6 dargelegten Grundsatz der Erziehungsautonomie der Eltern, in die nur bei tatsächlicher derzeitiger oder in Zukunft zu erwartender Gefährdung der physischen oder psychischen Gesundheit des Kindes durch Verfügungen nach § 176 Abs 1 Satz 1 und 2 ABGB (für den Fall der Gefahr im Verzug vgl die in § 215 Abs 1 ABGB vorgesehenen Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers) eingegriffen werden darf. Die  - keineswegs immer leicht zu beantwortende - Frage, ob durch eine bestimmte Situation bereits eine Gefährdung des Kindes gegeben ist, kann nicht allgemeingültig beurteilt werden, sondern hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erst durch ihre Gewichtung erkennen lassen, ob eine Gefahr für das Kind objektiviert ist oder ob etwa bloße Erziehungsdefizite vorliegen, die für die Entwicklung des Kindes zwar nicht förderlich sind, aber noch kein Ausmaß erreichen, das ein Eingreifen erforderlich machen würde.

3.3.9 Liegen keine Indizien für eine Gefährdung des Kindeswohls vor, sondern scheint dem Gericht lediglich ein bestimmtes Verhalten des Obsorgeberechtigten zweckmäßig, kann es - im Sinne einer durchaus wünschenswerten Kooperation zwischen Pflegschaftsgericht und Eltern - unverbindliche Empfehlungen oder Hinweise auf Therapieangebote geben, nicht aber mit einem verbindlichen Auftrag etwa eine bestimmte Behandlung oder eine bestimmte Erziehungsmaßnahme auftragen. Unter diesem Gesichtspunkt ist jedenfalls nach derzeit geltender Rechtslage die Zulässigkeit eines verbindlichen Auftrags an den Obsorgeberechtigten, eine Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen (LGZ Wien EFSlg 87.027) oder dafür zu sorgen, dass das Kind einen Kindergarten besucht (LGZ Wien EFSlg 110.869), in Zweifel zu ziehen (zur Erziehungsberatung ebenso Thunhart, iFamZ 2011, 142).

3.4 Überträgt man die zu 3.3 dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall, ist der dem Vater erteilte Auftrag auch in Ansehung der mj I***** ersatzlos aufzuheben, ohne dass es eines näheren Eingehens auf seine grundsätzliche Zulässigkeit ohne gleichzeitige Teilentziehung der Obsorge bedürfte (die Zulässigkeit eines Auftrags zur medizinischen Behandlung und seine Durchsetzbarkeit mit Zwangsmitteln bejahend Thunhart, iFamZ 2011, 141; dagegen spricht allerdings, dass bei einer unmittelbar erforderlichen medizinischen Behandlung ein „Abwarten“, ob sich der Obsorgeberechtigte dem Auftrag fügt, problematisch ist, weil eine Durchsetzung des Auftrags jedenfalls nicht in der Form möglich ist, dass das Gericht selbst den Behandlungsvertrag schließt - vgl 3.2.2):

3.4.1 Die erstgerichtlichen Feststellungen gehen zwar von nach wie vor bestehenden Spannungen zwischen den Eltern aus, lassen aber im Übrigen nur erkennen, dass zur Aufarbeitung der Konflikte der Kinder mit den Eltern eine Psychotherapie „essentiell“ wäre, was das Erstgericht - wie sich aus seiner rechtlichen Beurteilung ergibt - unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der eingeholten Gutachten lediglich als „sinnvoll“ verstand.

3.4.2 Auch sonstige Anhaltspunkte dafür, dass eine psychotherapeutische Behandlung der mj I***** wegen einer bereits bestehenden (oder drohenden zukünftigen) Gefährdung ihrer psychischen Gesundheit unabdingbar ist, bestehen nach der derzeitigen Aktenlage unter Berücksichtigung des vom Erstgericht sehr sorgfältig geführten Beweisverfahrens im Hinblick auf die Angaben des Kinderbeistands, des Diplomsozialarbeiters, der Lehrerin, der Kinderärztin und des Pädagogen, der I***** psychotherapeutisch betreute und des Verhaltens des Vaters, der Erziehungsberatung in Anspruch nahm und für eine psychotherapeutische Behandlung beider Kinder bei einem Pädagogen Sorge trug, nicht. So geht aus einem Bericht des Diplomsozialarbeiters - der die Situation in der Vergangenheit zunächst als massiv belastend für die Kinder beurteilte - hervor, dass nunmehr beide Kinder entspannt wirken; der Einfluss der väterlichen Cousine sei positiv. Nach Erstattung des familienpsychologischen Gutachtens vom 26. November 2009, das I***** zwar als „im Ausdruck gehemmt“, beschreibt, ihr jedoch eine emotional gute Beziehung zur Mutter attestiert und - bezogen auf I***** - ohne nähere Begründung zum Schluss gelangt, auch bei ihr sei „wie bereits in sämtlichen Befunden und Vorgutachten seit 2005 gefordert“ eine längerfristige Psychotherapie indiziert, ließ der Vater in Entsprechung einer von ihm freiwillig übernommenen Verpflichtung I***** bei einem Pädagogen mit psychotherapeutischer Ausbildung behandeln.

3.4.3 Die nicht näher begründete, letztlich im Wesentlichen mit der tatsächlich äußerst konfliktbeladenen Situation 2005 (!) bejahte Notwendigkeit einer Behandlung I*****s im familienpsychologischen Sachverständigengutachten ist schon mangels Aktualität der Stellungnahme nicht geeignet, eine Gefährdung I*****s nahe zu legen.

3.4.4 Aktenkundig ist ferner, dass derzeit auch die Ausübung des Besuchsrechts durch die Mutter ohne größere Schwierigkeiten funktioniert; der Vater ist nach der Erziehungsberatung nun auch bemüht, I***** einen Zugang zur Mutter zu ermöglichen (vgl Beschluss des Erstgerichts vom 22. November 2008 - Band II ON S 152). Lediglich der von der Mutter beantragten Ausweitung des Besuchsrechts steht er skeptisch gegenüber. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern derzeit das psychische Wohl I*****s ohne  - weitere - psychotherapeutische Behandlung ernstlich gefährdet sein sollte.

3.5 Daraus folgt zusammengefasst, dass Punkt 5 des erstgerichtlichen Beschlusses insgesamt ersatzlos zu beheben ist, ohne dass es auf die im Revisionsrekurs thematisierte Kostenproblematik in Ansehung der dem obsorgeberechtigten Vater aufgetragenen psychotherapeutischen Behandlung ankäme.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 107 Abs 3 AußStrG.

Textnummer

E98106

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0030OB00003.11D.0706.000

Im RIS seit

07.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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