TE OGH 2011/7/18 6Ob77/11h

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Veröffentlicht am 18.07.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** P*****, vertreten durch die Sachwalterin E***** P*****, diese vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. T***** R*****, wegen Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Jänner 2011, GZ 14 R 208/10a-24, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. September 2010, GZ 11 Cg 96/09g-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der damals 19-jährige Kläger wurde als Insasse eines PKW bei einem Verkehrsunfall am 30. 7. 1993 schwer verletzt. Das Alleinverschulden am Unfall traf den Lenker des PKW, in dem der Kläger gesessen war. Der durch seine Mutter vertretene Kläger beauftragte den beklagten Rechtsanwalt ab 22. 2. 1994 mit der Betreibung der aus dem Verkehrsunfall entstandenen Schadenersatzansprüche. Aus einem nervenärztlichen Gutachten vom 20. 12. 1995, das auch dem Beklagten bekannt war, ergibt sich unter anderem, dass bis zum 20. 12. 1995 eine bleibende Pflegebedürftigkeit des Klägers bestehe und auch nicht damit zu rechnen sei, dass sich in den nächsten Jahren daran maßgeblich etwas ändere. Der Haftpflichtversicherer des PKW, in dem der Kläger mitgefahren war, gab am 11. 7. 1996 ein Anerkenntnis der vollen Haftung für künftige unfallbedingte Schäden aus dem Unfall, beschränkt auf die Deckungssumme von 20 Mio S, ab.

Der Beklagte nahm keinen Kontakt mit dem Lenker und dem Halter des PKW, in dem der Kläger mitgefahren war, auf und unternahm keinen Versuch, eine außergerichtliche Anerkennung der Schadenersatzansprüche von Halter und Lenker zu erreichen. Er forderte weder einen Verjährungsverzicht von diesen ein noch betrieb er eine gerichtliche Feststellung. Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass mit der Versicherungssumme im Regelfall das Auslangen gefunden werde und bei Lenker und Halter nach seiner Erfahrung üblicherweise nichts zu holen sei. Dies drückte er auch gegenüber der Sachwalterin des Klägers aus, als er sagte, „er habe noch nie einen Akt gehabt, in dem nach der Versicherungssumme noch Halter oder Lenker herangezogen worden seien“.

Das Vertretungsverhältnis zum Beklagten wurde am 28. 5. 1999 aufgelöst.

Mit einer am 3. 3. 2000 beim Bezirksgericht Neusiedl eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung der Haftung von Halter und Lenker zur ungeteilten Hand für alle zukünftigen Schadenersatzansprüche des Klägers aus dem Unfall. Der Beklagte trat dem Verfahren als Nebenintervenient auf Klagsseite bei. Nach dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht haften Halter und Lenker zur ungeteilten Hand für alle zukünftigen Schadenersatzansprüche des Klägers aus dem Unfall bis zu einer Gesamtsumme von 20 Mio S. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren, es werde festgestellt, Halter und Lenker würden für alle über 20 Mio S hinausgehenden zukünftigen Schadenersatzansprüche haften, wurde abgewiesen. Das Landesgericht Eisenstadt führte im Berufungsurteil aus, die Verjährungsfrist für eine Feststellungsklage gegen Halter und Lenker habe grundsätzlich mit dem Unfalltag zu laufen begonnen. Das Anerkenntnis des Versicherers habe die Verjährung für zukünftige Schäden nur im Umfang der Deckungssumme unterbrochen. Da sich das vom Haftpflichtversicherer abgegebene Anerkenntnis nur auf den Haftungsumfang von 20 Mio S bezogen habe, sei nicht ersichtlich, weshalb daraus darüber hinausgehende Ansprüche des Klägers gegen Halter und Lenker abgeleitet werden könnten. Die Vergleichsverhandlungen mit dem Versicherer mögen allenfalls auch gegen den Versicherten wirken, dies könne aber grundsätzlich für den Versicherten nur innerhalb der Grenzen der Haftpflicht des Versicherers gelten. Selbst wenn man Zahlungen des Versicherers bis Mai 1999 als konkludente Fortsetzung von Vergleichsgesprächen ansähe, wäre die am 3. 3. 2000 eingebrachte Klage wegen eingetretener Verjährung verspätet. Lenker und Halter hafteten also nur bis zur Höhe der Versicherungssumme im Rahmen der Solidarverpflichtung.

Am 4. 10. 2004 standen von der Pauschalversicherungssumme nach Abzug der bisher geleisteten Zahlungen von 516.175,49 EUR noch 937.281,19 EUR zur Verfügung. Die Aufteilung der verbliebenen Haftungssumme erfolgte nach einer Besprechung mit Vertretern der Wiener Gebietskrankenkasse und der Pensionsversicherungsanstalt am 25. 2. 2004 schließlich quotenmäßig dergestalt, dass insgesamt 12,3 % an die Pensionsversicherung und 6,7 % an die Wiener Gebietskrankenkasse zur Deckung der Direktansprüche geleistet wurden; der Kläger selbst sollte insgesamt 81 % erhalten. Diese Aufteilung und Auszahlung an den Kläger wurde sachwalterschaftsbehördlich genehmigt.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle zukünftigen Schadenersatzansprüche des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 30. 7. 1993 insoweit, als diese zukünftigen Schadenersatzansprüche bei Lenker und Halter bzw allfälligen Rechtsnachfolgern einbringlich gemacht hätten werden können.

Der Kläger brachte vor, die Verjährung der Ansprüche gegen Halter und Lenker über die Versicherungssumme hinaus sei deshalb eingetreten, weil es der Beklagte trotz seines Wissens um die umfassenden Schadenersatzansprüche des Klägers schuldhaft unterlassen habe, innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist die Haftung von Halter und Lenker für die zukünftigen Schadenersatzansprüche des Klägers entweder im Vergleichsweg oder gerichtlich zu sichern.

Der Beklagte wendete ein, im Zeitpunkt des Endes des Bevollmächtigungsverhältnisses mit 28. 5. 1999 seien hinsichtlich der vorhandenen Versicherungssumme von 20 Mio S erst ca 2,5 Mio S ausbezahlt gewesen. Ein Deckungskonkursproblem habe sich nicht gestellt. In den ersten Jahren nach dem Unfall habe berechtigte Hoffnung auf Besserung des Zustands des Klägers bestanden. Bisher seien auch nur 16.200.000 S ausbezahlt worden, womit vom Kläger und vom Halter noch 3.800.000 S gefordert werden könnten. Der Kläger habe nach dem Ende des Bevollmächtigungsverhältnisses zum Beklagten weiterhin einen Haftungsfonds über 20 Mio S gegenüber Halter und Lenker besessen. Das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht stünde dem nicht im Weg, weil dieses nur eine Solidarschuld von Halter und Lenker festgestellt habe, die nicht durch Zahlungen des Haftpflichtversicherers gemindert würde. Die Ablaufhemmung habe am 21. 9. 1999 geendet. Sie habe solange Bedeutung gehabt, bis der spätere Rechtsfreund des Klägers den Einwand eines Deckungskonkurses durch den Versicherer im Sommer 1999 veranlasst habe. Den Beklagten treffe daher kein Verschulden.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus: Stelle sich einem Rechtsanwalt die Frage, ob er zur Vermeidung eines Schadens seines Mandanten eine Maßnahme zu treffen habe, die keinen Nachteil mit sich bringen könne, dann habe er diese Maßnahme zu ergreifen, auch wenn sie - aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht - möglicherweise nicht notwendig sei. Sei es auch nur möglich, dass ein Anspruch verjähre, dann habe der Rechtsanwalt, soferne damit keine Nachteile für seinen Mandanten verbunden seien, zur Vermeidung der Verjährung erforderliche Maßnahmen zu treffen, selbst wenn bei nicht eindeutiger Rechtslage die Ansicht vertretbar wäre, die Verjährung könne ohnedies nicht eintreten. Im Sinne dieser Rechtsprechung falle dem Beklagten ein Pflichtverstoß dahingehend zur Last, dass er den Kläger als seinen Klienten einem unnötigen Risiko dadurch ausgesetzt habe, dass er nicht die sichere Variante, nämlich die Erwirkung eines Anerkenntnisses oder eines Feststellungsurteils, gewählt habe.

Das Berufungsgericht billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts und ließ erst über Antrag des Beklagten nachträglich die Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO zu, weil zur Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts im Zusammenwirken mit einem Sachwalterschaftsrichter unter den hier relevanten Aspekten der drohenden Anspruchsverjährung ohne Erwirkung eines Feststellungsurteils oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die vom Berufungsgericht formulierte Rechtsfrage ist nicht erheblich: Dass im vorliegenden Fall, in dem für den Kläger ein Sachwalter bestellt ist und daher auch das Pflegschaftsgericht involviert ist, bei vorwerfbarem schadensstiftendem Fehlverhalten des Pflegschaftsrichters ein Amtshaftungsanspruch gegen die Republik Österreich bestehen könnte, ändert an den Sorgfaltspflichten des vom Betroffenen bzw dessen Sachwalter beauftragten Rechtsanwalts nichts. Eine allfällige Amtshaftung träte neben die Haftung des hier beklagten bevollmächtigten Vertreters des Betroffenen, woraus sich eine Solidarhaftung ergäbe (vgl 3 Ob 79/10d). Ein Entfall oder eine Minderung der Haftung des Beklagten wäre damit aber nicht verbunden.

Auch der Beklagte zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Er bringt vor, es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Formulierung des Spruchs eines Feststellungsurteils derart, dass für zukünftige Schäden bis zu einem bestimmten Betrag zu haften sei, im Sinn einer Anrechnung (auch) in der Vergangenheit vom (Haftpflicht-)Versicherer erbrachter Leistungen verstanden werden müsse.

Der Revisionswerber kann diesbezüglich auf die völlig zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden. Dieses wies darauf hin, dass das Landesgericht Eisenstadt im zitierten Berufungsurteil in den Entscheidungsgründen ohne jeden Zweifel zum Ausdruck gebracht habe, dass die Haftung von Lenker und Halter bis zur Gesamtsumme von 20 Mio S deckungsgleich mit der Haftung des Versicherers mit der Versicherungssumme in eben dieser Höhe zu verstehen sei und dass allfällig bereits erfolgte Zahlungen an den Kläger oder (im Wege der Legalzession) an die Sozialversicherungsträger in diese Versicherungssumme einzurechnen bzw von ihr abzuziehen seien.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung wird das Ausmaß der Bindungswirkung zwar nur durch den Urteilsspruch bestimmt, doch sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen (RIS-Justiz RS0043259; RS0041331). Bei der hier vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung des zitierten Urteils des Landesgerichts Eisenstadt handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die das Berufungsgericht im Sinne der zitierten Rechtsprechung gelöst hat und die keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung darstellt (RIS-Justiz RS0044088).

Die Revisionsausführungen zur Ablauf- und Fortlaufhemmung der Verjährungsfrist sind irrelevant. Der Revisionswerber kann diesbezüglich auf die zutreffenden, auf die Entscheidungen RIS-Justiz RS0038719 gestützte Rechtsansicht des Erstgerichts verwiesen werden: Selbst wenn bei anderer vertretbarer Rechtsansicht argumentiert werden könnte, die Ansprüche des Klägers gegen Lenker und Halter über die Versicherungssumme von 20 Mio S hinaus wären im Zeitpunkt der Beendigung des Vollmachtsverhältnisses des Klägers mit dem Beklagten noch nicht verjährt gewesen, so wäre der Beklagte dennoch gehalten gewesen, entsprechende Schritte zu setzen und unter Umständen die Klage bereits zu einem Zeitpunkt einzubringen, in dem mit Sicherheit dieser Anspruch gegen Lenker und Halter nicht verjährt gewesen wäre, also spätestens drei Jahre nach dem Unfall (§ 1489 ABGB).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

 

Textnummer

E98000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00077.11H.0718.000

Im RIS seit

24.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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