TE OGH 2011/7/18 6Ob135/11p

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Veröffentlicht am 18.07.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Wels zu FN ***** eingetragenen „S*****“ ***** GmbH mit dem Sitz in *****, über den Revisionsrekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers H***** S*****, beide vertreten durch Dr. Franz Hitzenberger ua Rechtsanwälte in Mondsee, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 23. Mai 2011, GZ 6 R 66/11k-9, womit der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 12. April 2011, GZ 29 Fr 1309/11m-5, teilweise abgeändert, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Am 18. 3. 2011 erließ das Erstgericht wegen Nichteinreichung des Jahresabschlusses zum 31. 12. 2009 Zwangsstrafverfügungen. Dagegen erhob der Geschäftsführer namens der Gesellschaft und im eigenen Namen Einspruch mit der Begründung, dass aus ihm unerklärlichen Gründen die Firmenbucheingabe vom 10. 6. 2010 von der EDV nicht an das Firmenbuch weitergeleitet worden sei. Da das auf dem Exemplar ausgedruckte Datum 10. 6. 2010 nicht rückdatiert werden könne, sei damit erwiesen, dass die Firmenbucheingabe tatsächlich am 10. 6. 2010 erstellt worden sei.

Das Erstgericht verhängte im ordentlichen Verfahren Zwangsstrafen von je 1.400 EUR mit der Begründung, dass bei der Online-Einreichung des Jahresabschlusses auf wirksame Weise zu kontrollieren sei, ob die Übermittlung tatsächlich zu Stande gekommen sei. Daher habe der Geschäftsführer nicht alles in seiner Macht Stehende getan, um seiner Offenlegungspflicht nachzukommen. Da der Geschäftsführer bereits frühere Jahresabschlüsse verspätet offengelegt habe, sei die Zwangsstrafe mit je 1.400 EUR festzusetzen, was sich noch in der unteren Hälfte des gesetzlichen Strafrahmens bewege.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es die Strafe mit je 700 EUR festsetzte. Die Erstellung des Jahresabschlusses ohne Einreichung zum Firmenbuchgericht reiche noch nicht zur Erfüllung der im § 277 UGB normierten Offenlegungspflicht hin. Dass der Jahresabschluss zum Zeitpunkt der Rekursentscheidung bereits vorgelegt worden sei, ermögliche dem Rekursgericht keine Aufhebung der Zwangsstrafe, weil nach § 283 Abs 6 UGB eine verhängte Zwangsstrafe auch dann zu vollstrecken sei, wenn die Bestraften ihrer Pflicht nachkämen. Gegen die Verfassungsgemäßheit der Neuregelung des Zwangsstrafenverfahrens in § 283 UGB durch das BudgetbegleitG 2011 bestünden keine Bedenken. Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs, in denen dieser Mindeststrafen in einfachen Gesetzen als verfassungswidrig qualifiziert habe, beträfen wesentlich anders gelagerte Fälle.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zum neuen Zwangsstrafenverfahren nach § 283 UGB idF des BudgetbegleitG 2011 noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 71 Abs 3 AußStrG iVm § 15 FBG).

2.1. Gemäß § 277 Abs 1 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften die in den §§ 277 bis 279 UGB angeführten Unterlagen spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag beim Firmenbuchgericht zur Offenlegung einzureichen.

2.2. Nach § 283 Abs 2 UGB idF BudgetbegleitG 2011 ist, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgte, mit Strafverfügung eine Zwangsstrafe von je 700 EUR zu verhängen, und zwar über den Geschäftsführer (§ 283 Abs 1 UGB) sowie über die Gesellschaft selbst (§ 283 Abs 7 UGB).

2.3. Gegen die Strafverfügung steht der Einspruch offen; nach rechtzeitiger Erhebung eines Einspruchs hat das Firmenbuchgericht im ordentlichen Verfahren über die Verhängung einer Zwangsstrafe zu entscheiden.

3. Soweit die Revisionsrekurswerber die Nichteinhaltung der verfahrensrechtlichen Garantien des Art 6 MRK rügen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass die Verweisung des Zwangsstrafenverfahrens in das Außerstreitverfahren sicherstellt, dass den Anforderungen des Art 6 MRK entsprochen wird. Nach § 15 FBG sind nämlich im Firmenbuchverfahren - und damit auch im Zwangsstrafenverfahren - die allgemeinen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes anzuwenden (6 Ob 41/08k uva). Dessen § 18 sieht aber - jedenfalls fakultativ - die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor, wenn das Gericht dies zur Beschleunigung des Verfahrens, Erhebung des Sachverhalts oder Erörterung von Rechtsfragen für zweckmäßig erachtet (6 Ob 41/08k uva). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist aber keineswegs zwingend (6 Ob 109/07h uva). Insbesondere bei eher technischen Fragestellungen hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Durchführung einer Verhandlung nicht in jedem Fall für erforderlich (vgl dazu Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 89 mwN). Weshalb im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung unter den Prämissen des § 18 AußStrG vom Erstgericht durchgeführt werden hätte müssen (vgl dazu G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer, FBG § 24 Rz 22), legen die Revisionsrekurswerberinnen nicht dar (6 Ob 41/08k uva). Im Übrigen haben die Revisionsrekurswerberinnen weder in erster noch in zweiter Instanz die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt (vgl 6 Ob 109/07h uva).

4.1. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung waren die Vorinstanzen auch nicht zur amtswegigen Durchführung weiterer Ermittlungsschritte gehalten. Zwar hat nach § 16 Abs 1 AußStrG das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt werden. Andererseits haben die Parteien vollständig und wahrheitsgemäß alle ihnen bekannten, für die Entscheidung des Gerichts maßgebenden Tatsachen und Beweise vorzubringen bzw anzubieten (§ 16 Abs 2 AußStrG).

4.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Gericht nicht gehalten, jeden denkbaren, aber überhaupt nicht behaupteten Sachverhalt zu erforschen (RIS-Justiz RS0043368; Fucik/Kloiber, AußStrG § 16 Rz 1). Im vorliegenden Fall stand die Nichteinreichung des Jahresabschlusses fest. Die Revisionsrekurswerber haben im Verfahren vor den Vorinstanzen trotz Hinweises auf die bei fehlerhaften Eingaben erfolgende Rückmeldung kein weiteres Vorbringen erstattet. Zutreffend hat bereits das Rekursgericht darauf verwiesen, dass die Eingaben der Revisionsrekurswerber offen lassen, wer zu welchem Zeitpunkt überhaupt einen Übermittlungsversuch vorgenommen haben soll. Vielmehr beschränkte sich das Vorbringen der Revisionsrekurswerber im Wesentlichen darauf, die Bilanz rechtzeitig erstellt zu haben; diese sei „von der EDV nicht entsprechend an das Firmenbuch weitergeleitet worden“.

4.3. Es ist Sache der Geschäftsführer, durch zweckentsprechende Organisationsmaßnahmen in ihrem Geschäftsbereich für eine rechtzeitige Erfüllung ihrer handelsrechtlichen Offenlegungspflichten zu sorgen (6 Ob 33/09k). Daraus ergibt sich aber, dass bei der Online-Einreichung des Jahresabschlusses auf wirksame Weise zu kontrollieren ist, ob die Übermittlung auch tatsächlich zustandegekommen ist. Dies setzt als Mindesterfordernis die Einsichtnahme in ein entsprechendes Übermittlungsprotokoll voraus. Dass dies erfolgt sei, haben die Revisionsrekurswerberinnen trotz Hinweises durch das Erstgericht auch in ihrem Rekurs nicht vorgebracht. Zudem hätten sich die Revisionsrekurswerberinnen nach der behaupteten Online-Übermittlung noch vergewissern können, dass die Einreichung im Firmenbuch durch Eintragung im Firmenbuch vollzogen wurde. Völlig zutreffend gingen daher die Vorinstanzen vom Vorliegen eines Verschuldens der Geschäftsführerin aus.

5.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des Zwangsstrafenverfahrens nach § 283 UGB keine Bedenken (6 Ob 41/08k; 6 Ob 64/08t; RIS-Justiz RS0113284, RS0113285, RS0113286, RS0113089).

5.2. Daran hat auch die Einführung einer Mindeststrafe von 700 EUR (§ 283 Abs 3 UGB) und der Verhängung von Strafen gegen die Gesellschaft und den Geschäftsführer (§ 283 Abs 7 UGB) durch das BudgetbegleitG 2011 nichts geändert.

5.3. Zutreffend verwies schon das Rekursgericht darauf, dass die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs, in denen dieser Mindestgeldstrafen in einfachen Gesetzen als verfassungswidrig qualifiziert hat, wesentlich anders gelagerte Fälle, etwa Mindeststrafen von 1.000 EUR bzw 5.000 EUR im FremdenpolizeiG (VfGH G 53/10), den Ausschluss des Absehens von der Strafe im ArtenhandelsG 1998 (VfGH G 238/09), eine Mindeststrafe von 20.000 EUR im GüterbeförderungsG (VfGH G 121/02, G 181/01 ua) und im GelVerkG (VfGH G 143/02 ua) sowie unklare und unbestimmte Verwaltungsstrafbestände im Abfallwirtschaftsgesetz (VfGH vom 16. 3. 2000, G 312/97) betrafen. Mit diesen Fällen ist die Bestimmung des § 283 UGB aber nicht vergleichbar.

5.4. Die Mindeststrafe orientiert sich an der bisherigen Spruchpraxis der Firmenbuchgerichte, die vielfach auch bei Erstverstößen Strafen von 700 EUR verhängten (vgl die Nachweise bei G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer FBG § 24 Rz 51). Der Gesetzgeber musste dem Umstand Rechnung tragen, dass viele Unternehmen die Bestimmungen über die Bilanzpublizität nicht einhalten. Nach einer Studie der Arbeiterkammer Wien haben nur 58 % der Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten ihren Jahresabschluss 2008 rechtzeitig beim Firmenbuch eingereicht. Lediglich 37 % halten sich konsequent in drei aufeinanderfolgenden Jahren an die gesetzliche Offenlegungspflicht. Einige große Unter-nehmen haben Jahresabschlüsse bis zu viereinhalb Jahre zu spät eingereicht (Gahleitner/Ginner/Naderer/Oberrauter/ Zuckerstätter, Offenlegungspflicht von Jahresabschlüssen, Februar 2010, http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d117/ Offenlegungspflicht_von_Jahresabschluessen.pdf). Diese Zahlen wurden im Wesentlichen von der Bundesministerin für Justiz in Beantwortung zweier parlamentarischer Anfragen bestätigt (24. GP 5233/AB vom 8. 7. 2010 und 24. GP 6226/AB vom 25. 10. 2010). Dieses eklatante Vollzugsdefizit gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen rechtfertigt, dass der Gesetzgeber hier eine Mindeststrafe von 700 EUR vorsieht, wobei die Höhe der Strafe jedenfalls der typischen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Gesellschaften und ihren Organen angemessen Rechnung trägt. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof etwa im AusländerschäftigungsG aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen auch eine Mindeststrafe von 2.500 EUR (VfGH G 156/08), bei Verstößen gegen AbfallwirtschaftsG von 3.630 EUR (VfGH G 197/04) und bei vorsätzlichem Zuwiderhandeln eine Mindeststrafe von 20.000 EUR im Gasöl-SteuerbegünstigungsG als verfassungskonform angesehen (VfGH G 102/96).

5.5. Zudem hatte schon nach bisheriger Rechtsprechung die Strafverhängung typischerweise eher schematisch und aufgrund objektiver Kriterien zu erfolgen, ohne dass es einer näheren Feststellung über die Vermögenslage der Geschäftsführer bedurfte (6 Ob 182/07v; 6 Ob 89/08v ua). Im Übrigen ist dem Revisionsrekurs auch nicht ansatzweise zu entnehmen, weshalb die Verhängung einer Strafe von ohnedies bloß 700 EUR den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Revisionsrekurswerberinnen nicht Rechnung tragen sollte. Dazu kommt, dass - worauf das Erstgericht bereits zutreffend hingewiesen hat - der Geschäftsführer bereits in der Vergangenheit mehrfach Jahresabschlüsse nicht rechtzeitig eingereicht hat.

6.1. Dass Strafen sowohl gegen die Gesellschaft als auch gegen die Geschäftsführer verhängt werden können, stellt keine unzulässige Doppelbestrafung dar. Entgegen der von den Revisionsrekurswerberinnen vertretenen Auffassung trifft die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Offenlegung der Bilanz grundsätzlich die Gesellschaft selbst (4 Ob 229/08t), auch wenn im Hinblick auf die ursprünglich nur gegenüber den Geschäftsführern vorgesehene Möglichkeit der Verhängung von Zwangsstrafen § 277 UGB die diesbezügliche Handlungspflicht den Geschäftsführern auferlegt.

6.2. Die mehrfache Verhängung von Geldstrafen ist in diesem Fall bloß Folge des Umstands, dass mehrere handlungspflichtige Rechtssubjekte den sie nach dem Gesetz treffenden Pflichten nicht nachkamen. Von der im Revisionsrekurs behaupteten unsachlichen Differenzierung zwischen Gesellschaft mit einem und mit mehreren Geschäftsführern kann daher keine Rede sein.

7. Damit erweist sich der angefochtene Beschluss aber als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.

Schlagworte

Gruppe: Handelsrecht,Gesellschaftsrecht,Wertpapierrecht

Textnummer

E98158

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00135.11P.0718.000

Im RIS seit

08.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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