TE OGH 2011/7/26 1Ob108/11f

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Veröffentlicht am 26.07.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Edgar B*****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Grohs Hofer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 49.920 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2011, GZ 4 R 126/10v-27, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Februar 2010, GZ 48 Cg 56/10k-20, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf „A***** AG, *****“ berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.999,44 EUR (darin enthalten 333,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Aus dem Firmenbuch (FN *****) ist ersichtlich, dass die Firma der beklagten Partei nunmehr A***** AG lautet und ihr Sitz *****, ist. Ihre Bezeichnung ist nach § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen.

II. Über Auftrag des Klägers erwarb die Rechtsvorgängerin der beklagten Bank im Dezember 2006 für diesen Wertpapiere. Der Kläger hatte sich für das Produkt „mit 100 % Kapitalgarantie“ nach Studium eines entsprechenden Werbefolders der Bank entschieden. Die Emittentin war im Werbefolder angegeben, die Garantiegeberin nicht. Beide Unternehmen sind mittlerweile insolvent.

Der Kläger begehrt die Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübertragung der von ihm erworbenen Wertpapiere, in eventu a) die Zahlung der Differenz zum Verkaufserlös, b) den Ersatz des Schadens aus einem unter dem Ankaufspreis liegenden Erlös und c) die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Schäden, die ihm aus dem Ankauf der Zertifikate entstünden.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt.

Das Berufungsgericht wies das Hauptbegehren und die Eventualbegehren ab.

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs maßgebend (RIS-Justiz RS0112921; vgl auch RS0112769). Dieser hat sich zwischenzeitig in mehreren Entscheidungen mit dem auch im vorliegenden Verfahren entscheidungswesentlichen Werbefolder auseinandergesetzt und dabei zu den auch hier maßgeblichen Fragen Stellung genommen. Andere erhebliche Rechtsfragen werden nicht aufgezeigt.

2. Der in der Revision erhobene Vorwurf, das Berufungsurteil sei mangels nachvollziehbarer Begründung (insbesondere zur ordnungsgemäßen Veröffentlichung der Prospekte) nichtig (§ 477 Abs 1 Z 9 ZPO), ist nicht berechtigt. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung entweder gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie nicht überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0007484). Das ist hier nicht der Fall. Unverständlich ist der weitere Vorwurf, das Berufungsgericht hätte dem Kläger nicht ermöglicht, sich zu den Anspruchsgrundlagen Gewährleistung und Arglist zu äußern, was den Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO verwirkliche. Dem Kläger stand ja die Möglichkeit offen, in seiner Berufungsbeantwortung (auch) zu diesen Themen Stellung zu nehmen. Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit und der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 und 4 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

3. Zu der - dem Zulassungsausspruch zu Grunde gelegten - Rechtsfrage, ob der klagende Anleger unrichtig informiert wurde, weil er von der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei nicht auf die Gefahr der Insolvenz der Emittentin oder der Garantin hingewiesen worden sei, hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in der einen gleichgelagerten Parallelfall betreffenden Entscheidung 4 Ob 20/11m (ihr folgend: 7 Ob 29/11g; 8 Ob 148/10p; 1 Ob 71/11i ua) Stellung genommen. Die ablehnende Besprechung von Graf (ecolex 2011, 506) geht naturgemäß nicht von den konkreten Umständen des nunmehr zu entscheidenden Falls aus. Er verneinte die Verpflichtung, den Anleger über das (zum Kaufzeitpunkt bloß theoretische) allgemeine Insolvenzrisiko aufzuklären. Mangels Verletzung von Aufklärungspflichten sei das auf Irrtum und Schadenersatz gestützte Begehren unberechtigt.

4. Zum angeblichen Irrtum über die Person des Garanten, den der Kläger geltend macht, gelangte der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 4 Ob 176/10a = ÖBA 2011/1705, 265 = ZFR 2011/42, 89 = ecolex 2011/141, 343 [krit Horak] (dieser folgend 4 Ob 20/11m) zum Ergebnis, aus dem von der beklagten Partei zu vertretenden Werbefolder sei nicht zu schließen gewesen, dass diese selbst Garantin des beworbenen Produkts wäre. Dass die im Werbefolder erwähnte 100%ige Kapitalgarantie nicht in dem vom Kläger angestrebten Sinn Vertragsinhalt wurde, hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen (4 Ob 20/11m; 5 Ob 56/11p).

5. Verwirklicht hat sich das Insolvenzrisiko, über das die Bank nach gesicherter Rechtsprechung nicht aufzuklären hatte. Soweit sich der Kläger darüber hinaus auf eine Verletzung von Aufklärungspflichten (insbesondere nach § 4 Kapitalmarktgesetz [KMG] und §§ 11 ff Wertpapieraufsichtsgesetz [WAG] alt) beruft, ist ihm entgegenzuhalten, dass diese behaupteten Unterlassungen und daraus allenfalls resultierende Fehlvorstellungen ohnehin nicht schlagend geworden sind.

6. Der in der Revision behauptete Widerspruch zwischen dem Werbefolder und dem Kapitalmarktprospekt (§ 4 Abs 3 Satz 2 KMG), aus dem der Kläger Schadenersatzansprüche im Sinne der Prospekthaftung nach § 11 KMG ableitet, spielt ebenfalls keine Rolle, weil sich im konkreten Fall nur das Insolvenzrisiko verwirklicht hat. Die Ausführungen zur Prospekthaftung nach § 11 KMG sind außerdem schon deshalb nicht überzeugend, weil Abs 1 leg cit nur die Haftung für Angaben im KMG-Prospekt oder Börseprospekt regelt (8 Ob 38/11p mit Hinweis auf Lorenz in Zib/Russ/Lorenz, KMG § 11 Rz 3), nicht aber für die hier zu beurteilenden Angaben im Werbefolder, die den Kläger nach seiner, vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach abgelehnten Auffassung irregeführt haben sollen.

7. Mit den Fragen der behaupteten Verletzung der Prospektpflicht, der Veröffentlichung des KMG-Prospekts sowie des Rücktrittsrechts des Anlegers hat sich der Oberste Gerichtshof mittlerweile ebenfalls in Parallelverfahren befasst. Dabei ging er (ausführlich begründet) von einer ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Prospektveröffentlichung im Sinn des § 10 Abs 3 KMG aus, was das (auch hier geltend gemachte) Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 1 KMG ausschließe (8 Ob 38/11p; 5 Ob 56/11p).

8. Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage ist somit bereits hinreichend beantwortet. Sonstige Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zeigt der Kläger nicht auf.

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

Textnummer

E98097

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0010OB00108.11F.0726.000

Im RIS seit

02.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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