TE OGH 2011/8/30 10Ob50/11t

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Veröffentlicht am 30.08.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. B*****, vertreten durch Mag. Gernot Faber und Mag. Christian Kühteubl, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei B***** GmbH,*****, vertreten durch Dr. Alfred Steinbuch, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wegen Feststellung (Feststellungsinteresse: 10.000 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. Februar 2011, GZ 18 R 298/10t-11, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 7. September 2010, GZ 12 C 254/10t-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist niedergelassener Arzt und Eigentümer eines Wohnhauses, in dem sich auch seine Ordinationsräume befinden. Die beklagte Partei betreibt ein Wärmeversorgungsunternehmen. Im Herbst 2007 übergab die Repräsentantin der beklagten Partei dem Kläger einen Mustervertrag eines Wärmelieferungsübereinkommens. Der Vertrag wurde auf Wunsch des Klägers dahin abgeändert, dass die Vertragsdauer von 15 auf 10 Jahre reduziert wurde. Im August 2008 kam es zum Vertragsabschluss. Der Vertrag lautet auszugsweise wie folgt:

5.2. Wärmepreis

5.2.2. Der Arbeitspreis beträgt

Cent 5,50 pro kWh excl. 20 % Mwst. abgenommene Wärmemenge

5.3. Wertsicherung

Das WVU ist berechtigt, den Wärmepreis entsprechend des Verbraucherindex, in der Gliederung nach COICOP-Gruppe 04 (Wohnung, Wasser, Energie)- untergliedert in Punkt 04.05 Strom, Gas und andere Brennstoffe, veröffentlicht durch das österreichische statistische Zentralamt, anzupassen. Ausgangsbasis für die Wertsicherungsberechnung ist die im Jänner 2006 verlautbarte Indexzahl. Preisänderungen werden erst ab einer Höhe von 3 % wirksam.

Die Preise bleiben während der Heizsaison unverändert und werden im Fall des Über - und Unterschreitens des 3 % Spielraums jeweils für die kommende Heizperiode angepasst.

...“

Die Indexierung und das Vergleichsmonat „Jänner 2006“ sind im Vertrag in der gleichen Schrift und Schriftgröße dargestellt. Der Verbraucherpreisindex 2005 COICOP 4, Punkt 5 „Elektrizität Gas und andere Brennstoffe“ lautete im Jänner 2006 auf 103,2; im August 2008 auf 120,3 und im Jänner 2009 auf 117,2. Die Repräsentantin der beklagten Partei wies den Kläger nicht darauf hin, dass zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits ein deutlich höherer Wert als zum im Vertrag genannten Vergleichsmonat bestand. In den ersten fünf Monaten der Vetragslaufzeit (von August bis Dezember 2008) bezahlte der Kläger einen Arbeitspreis von 5,5 Cent pro kWh; mit Jänner 2009 wurden die Preise entsprechend Pkt 5.3. des Vertrags erhöht.

Der Kläger begehrt die Feststellung, die beklagte Partei habe kein Recht, gemäß Pkt 5.3. des Wärmelieferungsvertrags eine Wertsicherung des Wärmepreises mit einem Zeitpunkt vorzunehmen, der vor Vertragsabschluss liege.

Er brachte zusammengefasst vor, die beklagte Partei habe ihm mit Schreiben vom 15. 4. 2009 mitgeteilt, dass für den Zeitraum Jänner 2006 bis Dezember 2008 eine Indexerhöhung von 103,2 auf 117,3 - sohin um 13,66 % - eingetreten sei, sodass für den Abrechnungszeitraum, vom 17. 2. 2009 bis 31. 12. 2009 der Wärmepreis um diesen Prozentsatz steigen werde (AS 7). Die beklagte Partei habe damit eine Indexanpassung für einen Zeitraum vorgenommen, in dem noch kein Vertrag bestanden habe. Er sei darüber getäuscht worden, dass der Wärmepreis bereits zum Zeitpunkt der Vertragsunterfertigung erheblich höher gewesen sei, als in Punkt 5.2.2. des Vertrags angeführt. Er habe die im Jänner 2006 geltenden Indexzahlen nicht kennen können und sei darauf auch nicht hingewiesen worden. Da das Wesen einer Indexanpassung darin liege, den zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns vereinbarten Preis pro futuro werthaltig zu erhalten, sei es unzulässig und sittenwidrig, ein Ausgangsmonat für die Berechnung der Indexanpassung heranzuziehen, welches Jahre vor dem Abschluss des Energielieferungsvertrags liege. Infolge Vertragsabschluss im August 2008 könne nur dieser Monat Ausgangsbasis für die Indexanpassung sein.

Die beklagte Partei wendete im Wesentlichen ein, sie versorge in der Region zahlreiche Kunden mit Wärme. Da sämtliche Abnehmer einer Region denselben Wärmepreis bezahlen sollten, sei in allen Verträgen dieselbe Wertsicherungsklausel, insbesondere auch dieselbe Ausgangsbasis vereinbart worden. Auch im vorliegenden Fall sei diese Vertragsgestaltung gewählt worden, weil in der Region bereits viele Verträge lange zuvor abgeschlossen worden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da die inkriminierte Klausel weder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen noch in Vertragsformblättern verwendet worden sei, sei § 864a ABGB nicht anzuwenden. Es sei auch keiner der Tatbestände des § 871 ABGB erfüllt.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts in ein klagestattgebendes Urteil ab. Liege eine bedenkliche Klausel vor, seien die Voraussetzungen des § 864a ABGB auch von Amts wegen zu prüfen. Das Vorbringen der beklagten Partei, wonach in allen von ihr geschlossenen Wärmelieferungsübereinkommen die gleiche Wertsicherungsklausel, insbesondere auch die gleiche Ausgangsbasis vereinbart werde, könne nur in dem Sinn verstanden werden, dass die Wertsicherungsklausel seitens der beklagten Partei nicht verhandelbar gewesen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die Klausel Bestandteil eines Vertragsformblatts sei. Die Klausel erweise sich als solche ungewöhnlichen Inhalts, weil die Überschrift „Wertsicherung“ darauf hindeute, dass lediglich die Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung in Zukunft erhalten bleiben solle, die Klausel im vorliegenden Fall jedoch tatsächlich einen für den Kunden massiven, sprunghaften und überraschenden Anstieg des Preises bewirke. Dieser Umstand sei für die Vertreter der beklagten Partei vorhersehbar gewesen; ebenso, dass ein Kunde nach den Umständen mit einem derartigen Preisanstieg nicht rechnete bzw zu rechnen brauchte. Dennoch sei lediglich auf die Indexsicherung als solche hingewiesen worden, nicht aber ausdrücklich darauf, dass ein vor Vertragsabschluss gelegener Zeitpunkt als Ausgangsbasis der Indexsicherung gewählt worden sei. Zudem sei weder auf die bereits eingetretene Erhöhung aufmerksam gemacht worden, noch darauf, dass in Kürze mit einer ungewöhnlichen Preissteigerung zu rechnen sei. Die Klausel enthalte unter der Überschrift „Wertsicherung“ in Wirklichkeit eine Preiserhöhung. Da alle in § 864a ABGB normierten Kriterien erfüllt seien, werde die Klausel nicht Vertragsbestandteil.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur rückwirkenden Anpassung des Entgelts mittels Indexklauseln fehle und eine Vielzahl von Verträgen mit der inkriminierten Klausel bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts - an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist - nicht zulässig.

1. Gemäß § 864a ABGB werden Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die ein Vertragspartner verwendet hat, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nicht zu rechnen brauchte, es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen.

1.1. Der Entwurf des § 864a ABGB nannte zur Illustration als Beispiel eine Klausel, die einen vor der betreffenden Vertragserklärung liegenden Berechnungsstichtag für eine Wertsicherung vorsieht. Im Hinblick auf die Kritik der Lehre, es komme bei der Beurteilung, ob eine Klausel ungewöhnlich sei, jeweils darauf an, um welche Art von Vertrag es sich handle und wie die Sachumstände lägen, wurde die beispielsweise Nennung in der Folge als entbehrlich gestrichen (Krejci in Krejci/Schilcher/Steininger, Konsumentenschutzgesetz 51; Rummel in Rummel, ABGB3 § 864a Rz 5).

1.2. Schon aus der Entstehungsgeschichte des § 864a ABGB ergibt sich somit, dass die Beurteilung, ob die Vordatierung einer Wertsicherung unter dessen Voraussetzungen fällt, immer eine solche des Einzelfalls ist. Auch nach der Rechtsprechung hängt die Qualifikation einer Klausel als überraschend und ungewöhnlich jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0014646 [T7]). Nach Ansicht des Justizausschusses sei freilich bei Vordatierung einer Wertsicherung die Subsumierbarkeit unter § 864a ABGB im Regelfall zu bejahen (Rummel aaO).

2. Die für die Lösung des Falls maßgeblichen, von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze zu § 864a ABGB lassen sich wie folgt zusammenfassen:

§ 864a ABGB dient der Geltungskontrolle von von einem Vertragsteil verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern (Bollenberger in KBB, ABGB3 § 864a Rz 9). Als „Verwender“ von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern iSd § 864a ABGB gilt derjenige, der sie in den Verhandlungsprozess einbringt (Graf in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON 1.00, § 864a Rz 36). Als objektiv ungewöhnlich werden solche Klauseln erachtet, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweichen, mit denen dieser also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte; der Klausel muss ein Überrumpelungseffekt innewohnen (RIS-Justiz RS0014646). Bei Beurteilung der Nachteiligkeit sind jene Rechtspositionen, die dem Vertragspartner ohne die ungewöhnliche Klausel zugebilligt werden, mit jenen zu vergleichen, die ihm unter Miteinbeziehung der ungewöhnlichen Klausel zukommen. Nachteilig ist ua jene überraschende Klausel, die eine dem Vertragspartner prima facie im Vertrag gewährte Rechtsposition wieder ganz oder teilweise zurücknimmt (Krejci, Über „ungewöhnliche“ Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern, ÖJZ 1981, 150, 155).

3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die maßgebliche Bestimmung des Vertrags halte der Geltungskontrolle des § 864a ABGB nicht stand, steht mit diesen Grundsätzen in Einklang. Die beklagte Partei hat sich - wie sie selbst vorbringt - eines von ihr vorformulierten Mustervertrags bedient, in dessen Pkt 5.3. zwecks Erreichung einer einheitlichen Preisgestaltung für alle Kunden der betreffenden Region der Index Jänner 2006 als Ausgangsbasis der Wertsicherung enthalten ist. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die beklagte Partei habe die Klausel iSd § 864a ABGB „verwendet“, stellt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Dies trifft auch auf die weitere Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu, eine Klausel in einem Wärmelieferungsvertrag, die schon nach wenigen Monaten Laufzeit infolge Heranziehung eines weit vor Vertragsabschluss liegenden Index als Ausgangsbasis eine fast 14%ige Preissteigerung enthalte, sei ungewöhnlich und entspreche angesichts der Überschrift „Wertsicherung“ nicht der Erwartungshaltung eines durchschnittlichen Kunden. Die Nachteiligkeit der überraschenden Klausel ist auch nicht allein deshalb zu verneinen, weil der Kläger einen gleich hohen Preis wie alle anderen Kunden in derselben Region bezahlen soll. Die für den Kläger nachteiligen Folgen ergeben sich vielmehr aus einem Vergleich der Rechtsposition, die ihm ohne die Klausel Pkt 5.3. (bzw unter Zugrundelegung einer dem Vertragsabschluss zeitlich nahe gelegenen Indexzahl) zukäme, mit jener Rechtsposition, die er unter Miteinbeziehung der Klausel hat. Wie bereits das Berufungsgericht erkannt hat, ergibt dieser Vergleich, dass die Vordatierung der Wertsicherung in Pkt 5.3. auf eine verdeckte, erhebliche Erhöhung des in Pkt 5.2.2. vereinbarten Arbeitspreises hinausläuft, die sich auf die gesamte Vertragsdauer auswirkt.

Dass die Repräsentantin der beklagten Partei den Kläger auf die Vordatierung der Wertsicherung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht hingewiesen hat, steht fest.

4.1. In der Nichtaufnahme von Beweisen zur Frage des Vorliegens von Vertragsformblättern erblickt die Revisionswerberin einen Mangel des Berufungsverfahrens. Rechtliche Feststellungsmängel sind aber mit Rechtsrüge geltend zu machen (RIS-Justiz RS0043304). Die von § 864a ABGB vorausgesetzte Verwendung der Klausel in einem Vertragsformblatt ergibt sich zudem schon aus dem eigenen Vorbringen der beklagten Partei.

4.2. Auch mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob die von der beklagten Partei gewählte Ausgangsbasis für die Indexberechnung im Hinblick auf das Motiv einer einheitlichen Preisgestaltung „gerechtfertigt“ sei, wird keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aufgezeigt. Die Frage, ob eine Vertragsbestimmung ungewöhnlichen Inhalt hat bzw nachteilig iSd § 864a ABGB ist, ist keine Frage des Verfahrensrechts, sondern eine solche des materiellen Rechts.

Da weder das Berufungsgericht noch die beklagte Partei eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, sondern sich die Revisionsausführungen auf nicht erhebliche Rechtsfragen beschränken, war mit einer Zurückweisung der Revision vorzugehen (RIS-Justiz RS0042779; RS0102059).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E98395

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0100OB00050.11T.0830.000

Im RIS seit

05.10.2011

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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