TE OGH 2011/9/20 4Ob109/11z

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Veröffentlicht am 20.09.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** Liegenschaftsverwertungsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Köb, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. J***** H*****, 2. Dr. R***** L*****, beide vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG, Rechtsanwälte in Wien, 3. Ing. G***** K*****, vertreten durch Dr. Roman Schiessler, Rechtsanwalt in Wien, Nebenintervenient auf Seiten der beklagten Parteien Mag. Arch. Ing. H***** L*****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte Gesellschaft mbH, Rechtsanwälte in Wien, wegen Beseitigung (Streitwert 7.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Mai 2011, GZ 15 R 74/11d-118, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Februar 2011, GZ 54 Cg 59/06b-112 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig, also ohne vorherige Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, Änderungen einschließlich Widmungsänderungen iSd § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg nach allgemeinen Grundsätzen petitorisch mit Klage nach § 523 ABGB auf Beseitigung der Änderung und Wiederherstellung des früheren Zustands sowie gegebenenfalls auf Unterlassung künftiger Änderungen vorgehen (Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht § 16 WEG Rz 59; 3 Ob 148/10a mwN; RIS-Justiz RS0083156).

2. Vom Streitrichter ist in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens (3 Ob 148/10a; RIS-Justiz RS0083156 [T1, T20]).

3. Nicht eigenmächtig handelt, wer die Zustimmung der Miteigentümer eingeholt hat. Die Verpflichtung anderer Miteigentümer aus einer Vereinbarung, der Änderung einzelner Objekte oder allgemeiner Teile der Liegenschaft zuzustimmen, ergibt sich aus den im Vertrag festgelegten Grenzen und nicht nach den Grundsätzen des Miteigentums oder des Wohnungseigentums (vgl 4 Ob 552/90). Sind einer derartigen Vereinbarung die Grenzen baulicher Veränderungen nicht ausdrücklich zu entnehmen und ergeben sie sich auch nicht aus der dem Erklärungsgegner erkennbaren Absicht des Erklärenden, dann können jedoch die für die rechtsgestaltende Entscheidung solcher Streitigkeiten unter Miteigentümern und Wohnungseigentümern bestehenden Regeln als Mittel ergänzender Auslegung herangezogen werden, um den Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) entspricht (RIS-Justiz RS0083047).

4.1. Unbestrittenermaßen hat die Klägerin - als Miteigentümerin - den Bauführern die Zustimmung zum Ausbau des Dachgeschoßes und später auch zur Überdachung des Lichthofes (im Zuge des nachträglichen Einbaus eines Lifts) erteilt. Strittig ist lediglich, welche Bauführungsmaßnahmen die Klägerin zu dulden hat. Der Umfang dieser Duldungspflicht richtet sich primär nach den zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen (1 Ob 144/02m).

4.2. Dazu steht fest, dass die Erst- und der Zweitbeklagte (die später eine der drei im Dachgeschoß errichteten Wohnungen an den Drittbeklagten verkauft haben) im Dezember 1996 von der Klägerin die den Dachboden betreffenden Miteigentumsanteile erwarben. Die Parteien des Kaufvertrags hielten fest, dass es sich in natura um einen rohen Dachboden handelt, für den eine Baugenehmigung zur Errichtung von drei Wohnungen vorliegt; der Ausbau des Dachgeschoßes erfolgt allein durch die Käufer und auf deren Kosten. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Dachbodenausbau nach dem baupolizeilich bewilligten Plan zu erfolgen habe; der Hinweis im Kaufvertrag auf die Baugenehmigung erfolgte nur zur Darstellung der bestehenden Situation. Einem zweiten Planwechsel im Februar 1997 stimmten sämtliche Miteigentümer mit ihrer Unterschrift zu. Die Erst- und der Zweitbeklagte gingen davon aus, dass sie den Dachboden nach Gutdünken ausbauen könnten, so wie sie auch die Baupläne nach Gutdünken hatten erstellen und ändern lassen, weil deren Details die übrigen Miteigentümer weder berührte noch interessierte, sofern nur ordentlich gebaut wurde. Sie hatten keinen Anlass zu zweifeln, dass die anderen Miteigentümer Änderungen im Zuge des Dachbodenausbaus gegenüber den Plänen akzeptieren würden. So erklärte die Klägerin vor Fertigstellung des Dachbodenausbaus niemals, dass die Bauführer an die Einreichpläne im Detail gebunden seien und sie mit keinerlei Abweichungen einverstanden sei.

4.3. Der Dachbodenausbau entspricht nach Fertigstellung nicht im Detail dem Bauplan laut zweitem Planwechsel, weil dieser Plan in genau dieser Form nicht ausführbar war. Ursache dafür war, dass im Plan die Außenmaße des Dachgeschoßes um 17 cm bzw 28 cm von den Naturmaßen abwichen, dass der Plan die Dicke der Vorsatzschalen nicht berücksichtigte und die Wandstärken durchgehend zu gering auswies; in einer Wohnung war im Plan die Fläche infolge legasthenischer Verwechslung unrichtig angegeben.

Die notwendigen Änderungen bei Ausführung des Plans führten dazu, dass der Deckenaufbau in natura nun insgesamt besser ist als im Plan. Die tatsächlich gebaute Nutzfläche der Wohnungen und Terrassen im Dachgeschoß liegt in Summe unter der im Plan ausgewiesenen.

Die baulichen Änderungen gegenüber dem Plan (ua Vergrößerung einer in einem Wohnraum eingebauten Galerie; zusätzlicher offener Kamin; statt dem begehbaren Flachdach mit Trockenrasen laut Plan wurde ein nicht als Terrasse benütztes Gründach - mit Wasseranschluss, Steckdosen und Beleuchtungskörper zur Pflege - errichtet, dies zwecks Verbesserung des Wärmeschutzes und angenehmerem Mikroklima; statt Gaupen drei zusätzliche Dachflächenfenster, aber insgesamt immer noch weniger Dachflächenfenster als im ersten Planwechsel ausgewiesen) sind geringfügig, nicht konsenswidrig und verursachen keine erhöhten Wartungs- oder Erhaltungsleistungen. Die Zustimmung der Klägerin zur Überdachung des Lichthofs stand unter der Bedingung, dass die Entlüftung des Hofs sichergestellt sein muss; die ausgeführte Konstruktion ermöglicht, dass nach oben steigende Luft entweichen kann. Die gesamte Bauführung ist für das Haus nicht nachteilig.

5. Das Berufungsgericht ist von den aufgezeigten Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn es im Rahmen der gebotenen Vertragsauslegung nach den Umständen des Einzelfalls zum Ergebnis gelangte, die Abweichungen zwischen Plan und Ausführung seien jedenfalls soweit durch die Zustimmung der Klägerin zum zweiten Planwechsel gedeckt, als sie ihre Ursache in einer notwendigen Anpassung an tatsächliche bauliche Gegebenheiten hatten. Nach ergänzender Vertragsauslegung hätten die Bauführer aber auch insofern nicht eigenmächtig, weil mit vorab erteilter Zustimmung der Klägerin, gehandelt, als die Abweichungen vom Plan nach den Grundsätzen des § 16 Abs 2 WEG 2002 (§ 13 Abs 2 WEG 1975) genehmigungsfähig seien. Solches treffe auf die restlichen geltend gemachten Abweichungen vom Plan zu, die weder das Haus schädigten noch dessen äußere Erscheinung oder sonst ins Gewicht fallende schutzwürdige Interessen der anderen Wohnungseigentümer beeinträchtigten.

6. Die Auslegung des Umfangs einer Zustimmungserklärung eines Wohnungseigentümers zu beabsichtigten baulichen Maßnahmen unter Einbeziehung allgemeiner Teile der Liegenschaft hängt immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und berührt damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage. Gleiches gilt für die Interessenabwägung im Rahmen der - als Mittel ergänzender Auslegung herangezogenen - Grundsätze des § 16 Abs 2 WEG 2002 (§ 13 Abs 2 WEG 1975) zur Genehmigungsfähigkeit baulicher Veränderungen (vgl RIS-Justiz RS0083309, RS0109643), die dem Richter angesichts der in diesen Bestimmungen mehrfach enthaltenen unbestimmten Gesetzesbegriffen im Streitfall einen erheblichen Ermessensspielraum einräumt (vgl Vonkilch aaO Rz 14 mwN).

Textnummer

E98430

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00109.11Z.0920.000

Im RIS seit

06.10.2011

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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