TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/6 2000/01/0232

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Veröffentlicht am 06.03.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §3;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des J O in W, geboren am 21. Dezember 1981, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Juni 2000, Zl. 216.697/0-V/15/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Ausspruches nach § 8 AsylG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsbürger des Sudan und am 20. Dezember 1999 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Bei einer ersten Einvernahme durch das Bundesasylamt am 21. Dezember 1999 gab er gemäß der im Akt erliegenden Niederschrift an, dass er in Juba/Sudan geboren worden und römisch-katholischen Glaubens sei; er gehöre der Volksgruppe "LUDUN" an, seine Muttersprache sei ebenfalls "LUDUN". Bei der fortgesetzten Einvernahme durch das Bundesasylamt am 26. Jänner 2000 erstattete der Beschwerdeführer - wiederum gemäß der im Akt erliegenden Niederschrift und wie bei der ersten Befragung vom 21. Dezember 1999 in englischer Sprache - folgende Angaben:

"Ich gehöre dem Stamm LUDUN an, meine Eltern starben, als ich noch sehr klein war. Ich ging dann in die Kirche, wo ich aufgewachsen bin, deswegen spreche ich nur englisch. Ich kann nicht schreiben und nur etwas lesen (in der Folge werden die Angaben des AW phonetisch in die NS augenommen)

Ich lebte in Juba, in der Kirche mit dem Namen "Asambos of God".(Assembly of God?). Ich bin römisch-katholisch.

F: Wie kamen Sie von Juba nach Österreich?

A: Der Meister brachte mich nach Kenia, der Meister der Kirche, sein Name ist Aman (AW buchstabiert den Namen und schreibt ihn mit den Fingern auf die Tischplatte)

F: Warum können Sie den Namen buchstabieren, wollen Sie nicht

lesen und schreiben können.

A: Ich versuche es ein wenig.

Auf weiteres Befragen gebe ich an, dass wir durch den Busch

nach Kenia gingen, ich kenne den Ort nicht.

F: Wie lange gingen Sie?

A: Viele Tage, mehr als eine Woche, aber nicht 2 Wochen.

An diesem unbekannten Ort brachte er mich zu einem Platz, wo es Schiffe gab und übergab mich einem Mann.

F: Von Juba bis zu diesem Schiff gingen Sie zu Fuß?

A: Ja, wir sind nur gegangen, doch manchmal machten wir auch Pause, denn wir waren 3 Kinder in Begleitung des Meisters, ich kenne die Namen der anderen Kinder nicht.

F: Bis zu diesem Schiff gingen Sie etwas mehr als 1 Woche?

A: Vielleicht war es auch länger als 1 Woche.

F: Durch welche Orte gingen Sie?

A: Das habe ich nicht gefragt.

F: Wieso kennen sie die Namen der anderen Kinder nicht, waren Sie

mit diesen doch über eine Woche zusammen?

A: Ich kannte sie von der Kirche nicht, weil die Kirche sehr groß ist und sich jeder wo anders aufhält, ich lernte sie erst auf dem Weg nach Kenia kennen.

An diesem mir unbekannten Ort wurde ich Leuten übergeben, die am Schiff arbeiten. Ich wurde in einen Raum am Schiff gebracht, dort gaben sie mir zu essen. Ich wurde 2 Personen übergeben, auf Befragen gebe ich an, dass ich deren Namen nicht kenne.

F: Wie genau gelangten Sie in den Raum?

A: Wir gingen Stufen hinunter. Der Raum war sehr klein, ich war alleine dort. Ich war dort viele Tage.

Anfang Dezember 1999, genau weiß ich es nicht, ging ich an Bord des Schiffes, Juba habe ich im Oktober 1999 verlassen.

V: Ihre Zeitangaben stimmen nicht überein, wollen Sie in weniger als 2 Wochen bei dem Schiff gewesen sein.

A: Ich musste warten, bis ich auf das Schiff gehen konnte, da das Schiff nicht gleich abgelegt hatte. Ich musste in der Nähe des Schiffes warten, einen Monat und einige Tage.

F: Wo waren Sie in dieser Zeit untergebracht?

A: In einem geparkten Schiff. Das war ein Schiff, das nicht mehr gefahren wird. Dort waren auch Leute, die auf diesem Schiff arbeiteten. Ich war dort in einem Raum untergebracht, aus dem ich nicht hinausgekommen bin. Die 2 Leute, denen mich mein Meister übergab, versorgten mich.

Auf Befragen gebe ich an, dass ich nie Kontrollen hatte, ich habe mich nicht bewegt.

Mit dem anderen Schiff fuhr ich dann viele Tage, ich weiß aber nicht, wielange. Ich weiß nicht, wo ich dann ankam. Dann bin ich von den 2 Leuten einem Mann mit einem LKW übergeben worden, dann fuhren wir viele Tage mit dem LKW, dann wurde ich einem Transportmittel übergeben, das mich hierher bringen sollte, es stand TAXI darauf.

F: Wie lange fuhren Sie mit dem LKW?

A: Lange Zeit. Ich weiß es nicht, aber es waren viele Tage.

F: Wo sind die anderen 2 Kinder, die mit Ihnen flüchteten?

A: Wir wurden einzeln übergeben, von den anderen Kindern weiß ich nichts.

F: Zählen Sie von 1-10 in Ludun.

A: Das kann ich nicht, ich spreche nur englisch.

F: Wo liegt Juba?

A: Im Südsudan.

F: Nennen Sie weitere Städte im Südsudan.

A: Ich kenne nur wenige, Maraka und Daraba.

F: Maraka?

A: Ja.

F: In welcher Provinz liegt Juba?

A: Provinz? Das verstehe ich nicht.

F: Erzählen Sie über Juba.

A: Ich weiß nichts darüber.

F: Warum wissen Sie nichts über Juba?

A: Ich weiß nicht, was Sie wissen wollen. Ich bin nie herumgegangen.

F: Wie meinen Sie das?

A: Ich war nur in der Kirche, wegen des Krieges. Der Meister

sagte mir, ich soll nicht herumgehen.

F: Wo haben Sie sich den ganzen Tag aufgehalten?

A: In der Kirche, dort wurde ich unterrichtet.

F: Was wurde unterrichtet?

A: Wie man ein bisschen lesen und schreiben kann.

F: Währung des Sudan?

A: Ich habe nie Geld verwendet.

V: Deswegen müssen Sie trotzdem die Währung kennen.

A: Das wurde mir nie unterrichtet.

F: Wann ist die Regenzeit im Südsudan?

A: Das weiß ich nicht, das wurde mir auch nicht unterrichtet.

F: Gab es keine Fenster in der Kirche, um zu wissen, wann die Regenzeit ist, muss man nicht in der Schule gewesen sein.

A: Ich habe nie aus dem Fenster gesehen.

F: Welche Gewässer gibt es in Juba?

A: Da gibt es das Rote Meer.

F: In Juba gibt es das Rote Meer?

A: Ja.

F: Haben Sie es auch gesehen?

A: Nein, aber das wurde mir unterrichtet.

F: Was ist die Dreifaltigkeit?

A: Dreifaltigkeit? Ich weiß nicht, was das sein kann.

F: Nennen sie die 10 Gebote.

A: Ich weiß nur, dass man nicht stehlen soll. Man soll nicht Ehebruch begehen, ich wurde zwar unterrichtet, doch ich habe es vergessen.

F: Wie starb Jesus Christus?

A: Am Kreuz. Wir sind unterrichtet worden, dass das wegen unserer

Sünden war.

F: Wer hat Jesus verraten?

A: Judas.

F: Wer ist Judas?

A: Er ist ein Jünger.

F: Wie viele Jünger hatte Jesus?

A: 12.

F: Nennen Sie deren Namen.

A: James, John, Peter, Judas, ich kenne nicht alle.

F: Nennen Sie die christlichen Feiertage.

A: Ostern glaublich im April, da geht es darum, wie Jesus gestorben und gekreuzigt wurde, sonst kenne ich keine christlichen Feiertage.

F: Sie kennen ansonsten keine christlichen Feiertage?

A: Nein.

F: Nationalfeiertag in Sudan?

A: Ich kenne nur den Dezember, wo sich die Christen freuen,

und Ostern kenne ich auch.

F: Was ist im Dezember, worüber freuen sich die Christen?

A: Sie zeigen uns nur Bilder von Jesus Christus, erzählen uns von ihm uns seinen Jüngern.

F: Erklären Sie den Ablauf einer christlichen Messe in der Kirche.

A: Wir wurden das zwar unterrichtet, doch ich habe das Buch nicht mitgebracht, in dem das steht, und so habe ich es mittlerweile vergessen.

F: Waren Sie nicht selber bei Messen?

A: Nein, die anderen waren dabei.

F: Warum waren Sie nicht bei Messen?

A: Weil ich nicht alles über die Bibel wusste, so darf man nicht

in die Messe.

F: Wie heisst der Staatspräsident vom Sudan?

A: Hassan Omar A1-Bashir.

F: wann ist der Nationalfeiertag des Sudan?

A: Das weiß ich nicht.

F: Welche Stämme/ethischen Gruppen gibt es im Südsudan?

A: Meinen Sie die Sprachen, die gesprochen werden? Die Moslems

sprechen arabisch, die Christen englisch.

F: Welche Sprachen gibt es noch im Sudan?

A: Das weiß ich nicht, weil ich meine Eltern verloren habe,

als ich noch klein war.

F: Welchem Stamm gehören Sie an?

A: Ich spreche Kri...englisch. Ich verstehe Stamm nicht.

F: Was ist Ludun?

A: Mein Dorf.

F: Was meinen Sie mit Ihrem Dorf?

A: Ein Dorf ist ein Dorf. Es gibt um Juba herum Dörfer, der Meister sagte mir, ich komme aus Ludun.

V: Sie gaben an, in Juba geboren zu sein.

A: Das sagte mir alles der Meister.

V: Jeder Afrikaner gehört einem Stamm oder einer ethischen

Gruppe an, welcher gehören Sie an.

A: Es hat mir niemand gesagt.

F: Welchen Stämmen gehörten die anderen Leute in der Kirche an?

A: Wir wurden nur unterrichtet, wir haben niemanden gefragt, zu welchem Stamm er gehört.

F: Nennen Sie die anderen Leute der Kirche namentlich.

A: Das weiß ich nicht.

F: Warum kennen Sie die anderen Leute in der Kirche nicht

namentlich?

A: Ich habe sie nicht gefragt.

V: Ihren Angaben ist nicht zu entnehmen, dass Sie in einer Kirche

gelebt haben und auch nicht, dass Sie aus dem Sudan kommen.

A: Ich bin aus dem Sudan.

F: Wollen sie der NS etwas hinzufügen?

A.: Nein."

Mit Bescheid vom 13. März 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 und 4 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Sudan gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es führte aus, dass dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit zu versagen sei. Hervorzuheben sei, dass seine Aussage, er spreche lediglich Englisch und sei keiner afrikanischen Sprache bzw. Lokalsprache mächtig, "gänzlich jeglicher Erfahrung der Asylbehörde" widerspreche; die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe bzw. einem Volksstamm und damit einhergehend die Beherrschung der einschlägigen Sprache sei von zentraler sozialer Bedeutung in jedem afrikanischen Land. Es könne (daher) nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger des Sudan sei. Es könne (weiter) nicht festgestellt werden, dass er in einer christlichen Kirche aufgewachsen sei und welche Staatsangehörigkeit er tatsächlich besitze. Angesichts dieser Beweiswürdigung sei sein Asylantrag abzuweisen. Was den Ausspruch nach § 8 AsylG anlange, so seien die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 FrG bereits beim Abspruch über das Asylbegehren geprüft und verneint worden. Nachdem der Beschwerdeführer nicht einmal seine Staatsangehörigkeit (Sudan) habe glaubhaft machen können, sei es ihm auch nicht möglich gewesen, eine vom Staat Sudan ausgehende oder von diesem gebilligte individuelle und konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Todesstrafe iS des § 57 Abs. 1 FrG darzulegen. Auch ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass im Sudan keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen sei, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre. In Ermangelung entsprechender Anhaltspunkte und entsprechenden Vorbringens habe diesbezüglich von weiteren Ermittlungen Abstand genommen werden können.

In der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass seine Angaben zum Teil unvollständig oder sogar falsch protokolliert worden seien; erst infolge Übersetzung durch seinen Rechtsvertreter sei er nunmehr in der Lage, auf - in der Berufung jedoch nicht näher dargestellte - Fehler im Protokoll hinzuweisen. Dem Bundesasylamt sei weiter vorzuwerfen, dass es zur zentralen Frage der Staatsangehörigkeit keinerlei weitere Beweismittel bemüht habe, obwohl er (der Beschwerdeführer) ohne Dokumente in das Bundesgebiet eingereist sei und es daher zu diesem Punkt einer eingehenderen Nachprüfung bedurft hätte. Ein weiterer schwerer Verfahrensfehler liege darin, dass bezüglich der Gründe, die zum Verlassen des Sudan geführt hätten, überhaupt keine Fragen gestellt worden seien. Vielmehr sei er (der Beschwerdeführer) ausschließlich mit Fragen zum Thema seiner Staatsangehörigkeit konfrontiert worden, die er auf Grund von Verständnisschwierigkeiten nicht korrekt habe beantworten können; seine Muttersprache sei nämlich nicht Englisch, sondern Ludun, außerdem sei nicht darauf Rücksicht genommen worden, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Einreise erst 17 Jahre alt gewesen und schon sehr jung seine Eltern verloren hätte. Der Verhandlungsleiter habe dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben, seine Erlebnisse im Sudan zu schildern und habe Kenntnisse des Landes vorausgesetzt, die von einem Minderjährigen, der zudem in einem Dorf abseits größerer Städte aufgewachsen sei, nicht erwartet werden könnten. Es werde daher beantragt, eine neuerliche Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetsch für die Sprache "Ludun" durchzuführen.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2000 wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 und 4 AsylG ab; zugleich sprach er "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG aus, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan sei zulässig. Die belangte Behörde verwies zunächst darauf, dass der Beschwerdeführer der für den 6. Juni 2000 anberaumten mündlichen Berufungsverhandlung, in deren Zuge er ausführlich zu seiner Staatsangehörigkeit und seinen Fluchtgründen hätte befragt werden sollen, trotz ordnungsgemäßer und rechtzeitiger Ladung unentschuldigt ferngeblieben sei. Auf Grund des Ermittlungsverfahrens könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger des Sudan sei oder im Sudan seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt gehabt bzw. dieses Land auf die von ihm dargelegte Weise verlassen habe. Nicht festgestellt werden könne demzufolge, dass er im Sudan Verfolgungshandlungen aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund ausgesetzt gewesen sei.

Sie schließe sich - so die belangte Behörde weiter - sowohl der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Beweiswürdigung als auch der von dieser vorgenommenen rechtlichen Beurteilung vollinhaltlich an und erkläre die entsprechenden Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides zum Bestandteil ihres Berufungsbescheides. Im Einzelnen sei auszuführen, dass das Berufungsvorbringen, wonach "Ludun" und nicht Englisch die Muttersprache des Beschwerdeführers sei, zu den Ergebnissen seiner erstinstanzlichen Befragung, in deren Verlauf er u.a. die Aufforderung, in dieser Sprache zu zählen, mit "das kann ich nicht, ich spreche nur Englisch" beantwortet habe, in Widerspruch stehe; darüber hinaus sei festzuhalten, dass die Existenz einer Stammessprache "Ludun" trotz Einsicht in entsprechendes Dokumentationsmaterial ("ETHNOLOGUE-Languages of the World") nicht habe nachgewiesen werden können, was dem Vertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vorgehalten worden sei. Des weiteren habe der Beschwerdeführer im Zuge seiner erstinstanzlichen Befragung Grundkenntnisse zu seinem angeblichen Heimatland nicht einmal ansatzweise nachweisen können, wobei die Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen keine Schulbildung vorausgesetzt hätte. Der im Hinblick darauf entstandene Eindruck, dass die von ihm behauptete Staatsangehörigkeit nicht den Tatsachen entspreche, sei noch durch eine völlig unglaubwürdige Schilderung seines Fluchtweges verstärkt worden; dass er in weniger als zwei Wochen zu Fuß vom Südsudan an die Meeresküste Kenias gelangt sein solle, könne unter Zugrundelegung der geographischen Verhältnisse nach den Grundsätzen allgemeiner Lebenserfahrung nicht nachvollzogen werden. Aus den genannten Gründen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aus dem Sudan stamme, sein tatsächliches Herkunftsland habe er nicht benannt. Die mangelnde Mitwirkung des Beschwerdeführers am Verfahren habe sich auch darin manifestiert, dass er trotz ordnungsgemäßer Ladung durch seinen Rechtsvertreter unentschuldigt von der Berufungsverhandlung ferngeblieben sei. Rechtlich ergebe sich, dass die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG gegeben seien; da der Beschwerdeführer ganz offensichtlich nicht aus dem Sudan komme, könne dieser Staat nicht Verfolgerstaat iS des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention sein, weshalb eine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers durch den sudanesischen Staat nicht in Betracht komme. Sein Asylantrag entbehre daher schon deshalb jeder relevanten Grundlage und sei infolgedessen als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Es werde weiters die Auffassung vertreten, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, im Sudan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Da er nicht einmal seine Herkunft aus dem Sudan habe glaubhaft machen können, sei auch eine individuell-konkrete, von diesem Staat geduldete Bedrohung des Beschwerdeführers jedenfalls auszuschließen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Der Beschwerdeführer behauptet nicht mehr, dass sein erstinstanzliches Vorbringen falsch protokolliert worden sei. Er macht jedoch geltend, dass die belangte Behörde die Anforderungen an die "Glaubhaftmachung" im Asylverfahren überspannt habe; auf Grund seiner Religionszugehörigkeit und der Tatsache, dass er sich geweigert habe, der Armee der SPF ("Sudan Peoples Front") beizutreten, um gegen Christen zu kämpfen, habe er das Vorliegen asylrelevanter Verfolgungsgefahr hinreichend dargetan.

Mit diesem Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer, dass die Asylbehörden schon seiner Darstellung, er sei sudanesischer Staatsangehöriger, keinen Glauben geschenkt haben. Die Schlüssigkeit der zu diesem Ergebnis führenden Beweiswürdigung vermag die Beschwerde nicht zu erschüttern. Richtig ist zwar, dass bei Befragung eines Asylwerbers die Lebensumstände im behaupteten Herkunftsstaat zu berücksichtigen sind, sodass objektiv unrichtigen Zeitangaben und fehlenden Kenntnissen gegebenenfalls nur bedingte Indizwirkung zukommen kann. Wenn der Beschwerdeführer, der behauptet aus Juba zu stammen, allerdings wie im vorliegenden Fall die Frage, welche Gewässer es in Juba gebe, mit "Das Rote Meer" beantwortete und über die Regenzeit im Südsudan nicht Bescheid wusste, weil er darüber "nicht unterrichtet" worden sei und weil er in der Kirche, in der er sich stets aufgehalten habe, nie aus dem Fenster gesehen habe, so erscheint die Schlussfolgerung der belangten Behörde betreffend die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers unbedenklich. Hinzu kommt der mit Recht ins Treffen geführte Umstand, dass die Existenz der behaupteten Stammessprache des Beschwerdeführers "Ludun" auf Basis des von der belangten Behörde herangezogenen "Sprachenverzeichnisses" - gegen dessen Verwertung sich die Beschwerde nicht ausspricht und welches 142 Sprachen für den Sudan auflistet, darunter solche, die bloß von einigen hundert Menschen gesprochen werden - nicht festgestellt werden konnte. Der von der Beschwerde in diesem Zusammenhang unter Berufung auf die amtswegige Ermittlungspflicht geltend gemachte Verfahrensfehler, die belangte Behörde habe es unterlassen, diesbezüglich eine Anfrage "zB. an den Österreichischen Botschafter/Konsul im Sudan" zu stellen, liegt nicht vor, weil für eine derartige Anfrage angesichts des unbestritten gebliebenen "Sprachenverzeichnisses" jedenfalls im Hinblick auf die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, er beherrsche die Sprache "Ludun" selbst nicht und könne nicht von 1-10 zählen, kein Anlass bestand. Dem Beschwerdeführer wäre es unbenommen geblieben, im Verwaltungsverfahren selbst einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen; zu einem amtswegigen Vorgehen in diese Richtung war die belangte Behörde hier jedoch nicht verpflichtet (vgl. sinngemäß die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), zu § 39 AVG, E 32. und E 121., zitierte hg. Judikatur).

Aus den §§ 6 und 7 AsylG ergibt sich iVm § 3 leg. cit., dass ein Asylwerber zur Begründung seines Asylantrages konkret darzulegen hat, weshalb die für ihn asylrelevante Bedrohungssituation in welchem konkreten Staat verwirklicht sei. Die Angaben zur Bestimmung des "Herkunftsstaates" gemäß § 1 Z 4 AsylG sind essentieller Bestandteil der darzustellenden Bedrohungssituation. Von da her ist es aber nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die Asylbehörden wie im vorliegenden Fall schon auf Grund der evidenten Unrichtigkeit der Angaben über den Herkunftsstaat das Vorbringen zu einer Bedrohungssituation als offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechend beurteilen und ohne "sonstigen Hinweis" für eine Verfolgung in einem tatsächlichen Herkunftsstaat daher den Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG als gegeben erachten, ohne ergänzend die mit der wahrheitswidrigen Behauptung eines bestimmten Herkunftsstaates verbundenen und auf diesen bezogenen "Fluchtgründe" - denen dann keine Asylrelevanz zukommen kann - zu erheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0106). Im Zusammenhang mit dem Asylbegehren erweist sich damit auch der Vorwurf, dem Beschwerdeführer sei nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt worden, vor der belangten Behörde seine Fluchtgründe zu schildern, als nicht berechtigt.

Nach dem Gesagten ist die Abweisung des Asylantrags des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet, soweit sie auf § 6 Z 3 AsylG gestützt wurde, nicht zu beanstanden. Ob sie rechtens auch auf Z 4 leg. cit. gegründet werden konnte, weil der Beschwerdeführer an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitgewirkt habe, bedarf im Hinblick darauf keiner weiteren Untersuchung. Soweit die Beschwerde den bekämpften Bescheid in seinem Ausspruch betreffend das Asylbegehren anficht, war sie daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Was den Ausspruch nach § 8 AsylG anlangt, so hat die belangte Behörde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers ausdrücklich nur "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG festgestellt. Auch in der Begründung dieses Bescheidabspruches hat sie - durch Verwendung der spezifischen verba legalia - offenbar lediglich auf § 57 Abs. 1 FrG Bezug genommen. Geht man im Hinblick darauf davon aus, dass die belangte Behörde § 57 Abs. 2 leg. cit. nicht in ihre Beurteilung miteinbezogen habe, so wäre der vorliegende Bescheid insoweit aus den im hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0397, dargelegten Gründen - im Einzelnen wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das genannte Erkenntnis verwiesen - mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Erstreckt man hingegen den Verweis der belangten Behörde auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid auch auf die dortige Begründung zu § 57 Abs. 2 FrG, so haftet ihm deshalb eine inhaltliche Rechtswidrigkeit an, weil die dann verwiesenen rechtlichen Ausführungen, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 FrG sei bereits zu Spruchpunkt I. (Asyl) geprüft und verneint worden, im Hinblick auf die Abweisung des Asylantrages mangels Herkunft des Beschwerdeführers aus dem Sudan auf einer Verkennung der Rechtslage beruhten (siehe dazu das schon erwähnte hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0106). In seinem Ausspruch nach § 8 AsylG war der vorliegende Bescheid daher in jedem Fall gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. März 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000010232.X00

Im RIS seit

24.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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