TE Vfgh Beschluss 2010/12/15 G68/10 ua

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Veröffentlicht am 15.12.2010
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Index

24 Strafrecht
24/01 Strafgesetzbuch

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
GleichbehandlungsG
StGB §283 Abs1
VfGG §18, §62 Abs1

Leitsatz

Individualanträge auf teilweise Aufhebung des Verhetzungstatbestandesim Strafgesetzbuch wegen fehlenden Schutzes aufgrund ihrer sexuellenOrientierung diskriminierter Gruppen sowie von Bestimmungen desGleichbehandlungsgesetzes unzulässig; keine Beeinträchtigung derRechtsposition der Antragsteller; keine ausreichende Darlegung derBedenken im Einzelnen

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit ihren auf Art140 B-VG gestützten Anträgen begehren die Antragsteller die Aufhebung der Wortfolge "im Inland bestehende Kirche oder Religionsgesellschaft oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat" in §283 Abs1 des Strafgesetzbuches, BGBl. 60/1974, idF BGBl. I 762/1996; in eventu des §283 Abs1 des Strafgesetzbuches, BGBl. 60/1974, idF BGBl. I 762/1996; in eventu §283 des Strafgesetzbuches, BGBl. 60/1974, idF BGBl. I 762/1996, zur Gänze, wegen Verfassungswidrigkeit.

Darüber hinaus begehren die Antragsteller die Aufhebung der §§30 bis 40i des Gleichbehandlungsgesetzes, BGBl. 66/2004 idF BGBl. I 98/2008; in eventu die §§30 bis 36, §§38 bis 39 und §§40a bis 40h des Gleichbehandlungsgesetzes, BGBl. 66/2004 idF BGBl. I 98/2008, wegen Verfassungswidrigkeit.

2. §283 Srafgesetzbuch (im Folgenden: StGB), idF BGBl. I 762/1996 lautet:

"Verhetzung

§283. (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, zu einer feindseligen Handlung gegen eine im Inland bestehende Kirche oder Religionsgesellschaft oder gegen eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, zu einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich gegen eine der im Abs1 bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht."

3. Die Antragsteller behaupten die Verletzung ihrer Rechte gemäß Art3, 8 und 14 EMRK, Art2 StGG sowie Art7 B-VG. Zur Begründung ihres Antrages führen die Antragsteller - auf das Wesentliche zusammengefasst - Folgendes aus:

Die Antragsteller seien homosexuell. Der Bundesgesetzgeber verweigere ihnen den besonderen gesetzlichen Schutz gegen Verhetzung und Diskriminierung auf Grund ihrer sexuellen Orientierung, den er anderen "traditionellen Hauptopfergruppen" gewähre. Die Antragsteller liefen auf Grund ihrer gelebten Homosexualität laufend Gefahr, Opfer von Verhetzung und Diskriminierung zu werden. Die Verhetzung bliebe aber straflos und es könnten keine Schadenersatzansprüche vor Gericht wegen Diskriminierungen außerhalb des Arbeitsplatzes geltend gemacht werden.

Es bestehe aber eine grundrechtliche Verpflichtung, homo- und bisexuelle Menschen als traditionell besonders verwundbare Gruppe (die auch eine Hauptzielgruppe des nationalsozialistischen Terrors war) aktiv vor Diskriminierung zu schützen. Gemäß der Rechtsprechung des EGMR habe der Staat nicht nur die Pflicht, Diskriminierung selbst zu unterlassen, sondern sie aktiv zu beseitigen. Die EMRK gewähre nicht nur negative Rechte gegen Staatseingriffe, sondern auch positive Rechte auf Schutz der Konventionsrechte auch Privaten gegenüber.

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung in der sie mit näherer Begründung die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Anträge begehrt. Für den Fall der Aufhebung der Bestimmungen des Gleichbehandlungsgesetzes stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

5. Die Antragsteller erstatteten eine Gegenäußerung.

6. Die Anträge sind nicht zulässig:

6.1. Zu §283 StGB:

Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten (nachteiligen) Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).

Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation im Normenprüfungsverfahren ist also, dass die angefochtene Norm nicht bloß faktische Wirkungen zeitigt, sondern die Rechtssphäre der betreffenden Person berührt, also in deren Rechtssphäre eingreift und diese im Falle ihrer Rechtswidrigkeit verletzt. Anfechtungsberechtigt ist demnach nur ein Rechtsträger, an oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (vgl. VfSlg. 11.369/1987, 13.869/1994, 14.274/1995, 15.390/1998).

Mit ihrem Vorbringen vermögen die Antragsteller nicht darzutun, dass ihre Rechtsposition durch die angefochtene Gesetzesbestimmung unmittelbar betroffen wird. Die Anfechtung einer eine bestimmte Personengruppe begünstigende Regelung durch andere, dadurch allenfalls faktisch benachteiligte Personen ist unzulässig, weil diese nicht Normadressat sind (vgl. VfSlg. 15.665/1999) und ein Eingriff in ihre Rechtssphäre daher von vornherein ausgeschlossen ist.

6.2. Zum Gleichbehandlungsgesetz:

Kraft §62 Abs1 VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken "im einzelnen darzulegen". Es ist daher Prozessvoraussetzung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art140 Abs1 B-VG, dass sich aus dem Inhalt des Antrages eine Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der aufzuhebenden Normen im Einzelnen sprechenden Bedenken ergibt (VfSlg. 8594/1979, 11.610/1988).

Im Übrigen kommt es bei der Prüfung der Prozessvoraussetzungen für die Durchführung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art140 B-VG auch darauf an, ob sich aus dem Inhalt des Antrages eine Darlegung der im Einzelnen gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes seinem ganzen Inhalt nach oder einer bestimmten Gesetzesstelle sprechenden Bedenken ergibt (VfSlg. 8700/1979). Ein Gesetzesprüfungsantrag, der sich - wie der hier vorliegende - auf mehrere näher bezeichnete Bestimmungen eines Gesetzes richtet, muss auch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit aller dieser Bestimmungen darlegen (vgl. VfSlg. 7593/1975, 12.464/1990, 13.140/1992, 17.768/2006). Diese Voraussetzung wird durch den vorliegenden Antrag nicht erfüllt.

Das Fehlen solcher Darlegungen stellt nicht ein bloßes Formgebrechen, sondern einen inhaltlichen Mangel des Antrages dar, der einer Verbesserung nach §18 VfGG nicht zugänglich ist.

7. Die Anträge waren daher schon aus diesen Gründen gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Im Übrigen ist es den Antragstellern zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten und in einem Rechtsstreit die Bedenken gegen die präjudiziellen Bestimmungen vorzubringen.

Schlagworte

Homosexualität, Minderheiten, Strafrecht, Gleichbehandlung, VfGH /Individualantrag, VfGH / Bedenken, VfGH / Mängelbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2010:G68.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2011
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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