TE OGH 2009/2/26 1Ob22/09f

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.2009
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Tamara K*****, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den *****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. September 2008, GZ 48 R 230/08s-U-47, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 27. Juni 2008, GZ 24 P 29/05k-U-42, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den Antrag des Obersten Gerichtshofs vom 17. Dezember 2008, AZ 7 Ob 223/08g, eine Wortfolge in § 42 sowie § 43 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2007/76, als verfassungswidrig aufzuheben, unterbrochen.

Text

Begründung:

Die Minderjährige lebt seit 12. 12. 2007 bei ihrem Vater, dem auch die Obsorge rechtskräftig übertragen wurde. Am 14. 5. 2008 beantragte der Unterhaltssachwalter, ihre Mutter ab 1. 2. 2008 zur Leistung eines vorläufigen Unterhalts in Höhe von monatlich 130,90 EUR sowie zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 120 EUR zu verpflichten. Die Mutter beziehe Kinderbetreuungsgeld von 805,80 EUR monatlich und leiste keinen Unterhalt für die Minderjährige. Sie habe vier weitere Sorgepflichten, nämlich für den am 5. 7. 1993 geborenen K*****, für die am 15. 9. 2003 geborene F*****, für den am 21. 1. 2005 geborenen P***** und für die am 25. 12. 2007 geborene J*****. Die Mutter äußerte sich zum Unterhaltsfestsetzungantrag, trotz Aufforderung nach § 17 AußStrG, nicht.

Das Erstgericht wies sowohl den Antrag auf Gewährung vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO als auch jenen, die Mutter zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 120 EUR zu verpflichten, ab. Das von der Mutter bezogene Kinderbetreuungsgeld und der Zuschuss dazu stellten kein eigenes Einkommen der Mutter dar. Mangels Unterhaltsbemessungsgrundlage könne daher keine Unterhaltsverpflichtung auferlegt werden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung aus den vom Erstgericht angestellten Überlegungen und ließ den Revisionsrekurs mangels Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur geltenden Fassung des § 42 KBGG zu.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen, die das Kinderbetreuungsgeld in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen sehen will.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Das Verfahren über den Revisionsrekurs ist von Amts wegen zu unterbrechen.

Der 7. Senat des Obersten Gerichtshofs beantragte mit Beschluss vom 17. 12. 2008, AZ 7 Ob 223/08g, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG), in § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 die Wortfolge „noch des beziehenden Elternteils" und § 43 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2007/76 als verfassungswidrig aufzuheben, hilfsweise in § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 die Wortfolge „noch des beziehenden Elternteils" als verfassungswidrig aufzuheben. Nach ständiger Rechtsprechung seien auch öffentlich-rechtliche Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Demgemäß habe der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass das nach dem KBGG idF BGBl I 2001/103 bezogene Kinderbetreuungsgeld, das an die Stelle des Karenzgelds getreten sei, ebenso als Einkommen zu gelten habe und nicht zu einer Verkürzung der gesetzlichen Unterhaltspflichten des beziehenden Elternteils führe. Weiters vertrete der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass jener Elternteil, der seine Unterhaltsverpflichtung Kindern aus zweiter Ehe durch deren vollständige Betreuung im Haushalt erbringt, seine Lebensverhältnisse derart gestalten müsse, dass er sowohl seiner Geldalimentationspflicht als auch seiner Betreuungspflicht angemessen nachkommen könne. Die Unterhaltsansprüche von Kindern seien grundsätzlich gleichrangig. Es laufe dem Gleichheitsgrundsatz zuwider, wenn der Unterhaltspflichtige seinen Kindern aus zweiter Ehe volle Unterhaltsleistung in Form häuslicher Betreuung zuteil werden lasse, während er den Kindern aus erster Ehe den Geldunterhalt unter Berufung auf seine Einkommenslosigkeit verwehre.

Der Bestand der angefochtenen Wortfolge in § 42 KBGG ist auch im vorliegenden Fall präjudiziell, wäre doch im Fall der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof das von der Mutter bezogene Kinderbetreuungsgeld als deren Einkommen zu betrachten, was auf ihre Unterhaltspflicht gegenüber der beim Vater befindlichen Minderjährigen Auswirkungen entfaltete.

Gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG kann das Verfahren ganz oder zum Teil von Amts wegen oder auf Antrag unterbrochen werden, wenn eine Vorfrage über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses den Gegenstand eines anderen anhängigen oder eines von Amts wegen einzuleitenden Verfahrens vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde bildet, die Lösung der Vorfrage im anhängigen Verfahren nicht ohne einen erheblichen Verfahrensaufwand möglich und mit der Unterbrechung keine unzumutbare Verzögerung verbunden ist.

Der Zweck dieser Bestimmung - widersprechende Entscheidungen im Sinne der Einheit der Rechtsordnung zu verhindern - trifft im vorliegenden Fall zu (vgl 4 Ob 42/02h, 1 Ob 224/08k), wenngleich eine Unterbrechung wegen eines vor dem Verfassungsgerichtshof anhängigen präjudiziellen Verfahrens nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Mit der Unterbrechung ist auch keine unzumutbare Verfahrensverzögerung verbunden. Dies gilt auch für den Antrag auf Gewährung eines vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO. Zwar soll diese Bestimmung dazu dienen, minderjährigen Kindern, von denen in den meisten Fällen anzunehmen ist, dass sie vermögenslos oder einkommenslos und daher auf den gesetzlichen Unterhalt zur Sicherung ihrer materiellen Existenz angewiesen sind, ein vereinfachtes Verfahren zur raschen Erledigung eines gewissen, an die Familienbeihilfe gekoppelten Mindestbetrags zu ermöglichen und damit eine finanzielle Existenzgrundlage für das Kind zu sichern (RIS-Justiz RS0097430). Allerdings stellt der in § 382a Abs 2 EO erwähnte Grundbetrag der Familienbeihilfe nur eine Höchstgrenze dar, die keinesfalls ausschließt, dass - etwa bei geringerer Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen - auch die Gewährung vorläufigen Unterhalts in geringerer Höhe verlangt und zuerkannt werden kann (1 Ob 576/93; 7 Ob 508/96; 2 Ob 556/88). Zumal die Mutter lediglich Kinderbetreuungsgeld bezieht und sonst kein Einkommen hat, vielmehr noch Sorgepflichten für vier weitere Kinder, ist davon auszugehen, dass nur - wenn überhaupt - ein geringer Unterhaltsbetrag zuerkannt werden könnte, dessen allfälliger verspäteter Zuspruch die Minderjährige in keine unzumutbare Situation bringt, zumal amtsbekanntermaßen der Verfassungsgerichtshof den vom Obersten Gerichtshof gestellten Aufhebungsantrag vordringlich zu erledigen beabsichtigt. Nachdem es eine unsachliche Verschiedenbehandlung darstellte, würde der Verfassungsgerichtshof im Fall der Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen die Wirkung der Aufhebung nicht über den Anlassfall hinaus erstrecken (vgl 4 Ob 42/02h), ist das Verfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Anfechtung durch den Senat 7 des Obersten Gerichtshofs zu unterbrechen.

Anmerkung

E902351Ob22.09f

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00022.09F.0226.000

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten