TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/14 S1 400054-1/2008

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Veröffentlicht am 14.07.2008
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Spruch

S1 400.054-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. FILZWIESER als Einzelrichter über die Beschwerde des I.A., geb. 00.00.1982, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.05.2008, Zl. 08 02.895 EAST West, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

2. Die Beschwerdevorlage beim nunmehrigen Asylgerichtshof erfolgte am 08.07.2008.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (nunmehr AsylG idF BGBL. I Nr. 4/2008) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art 18 Abs 7 Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in der Berufung - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

2.1.2.1. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderlassung (26.05.2008) musste der Erstbehörde notorisch bekannt sein, dass UNHCR sich in einem Positionspapier vom 15.04.2008 gegen die Überstellung von Asylwerbern nach der Dublin II VO nach Griechenland ausgesprochen hat. Daher kommt dem Vorbringen des nunmehrigen Beschwerdeführers in Griechenland von der Polizei misshandelt und an einer Asylantragsstellung gehindert worden zu sein, eine qualifizierte Relevanz zu. Die angenommene Unglaubwürdigkeit dieses Vorbringens des Beschwerdeführers wird seitens der Erstbehörde jedoch nur mit einem Verweis auf die dortigen Länderfeststellungen begründet, was aber schon deshalb zu kurz greift, als der Großteil dieser Feststellungen aus 2005/2006 datiert und auch eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit der angeführten UNHCR-Position (oder etwa dem Bericht von NOAS, Norvegian Helsinki Committee und Greek Helsinki Monitor vom 09.04.2008 "A gamble with the rights of asylum-seekers in Europe, Greek asylum-policy and the Dublin II regulation") nicht stattfindet. Unter diesem Gesichtspunkt kann die vorliegende Entscheidung mangels geeigneter sachverhaltsmäßiger Grundlagen zur Beurteilung der Notwendigkeit eines Selbsteintritts im vorliegenden Einzelfall keinen Bestand haben (siehe schon ähnlich UBAS 05.05.2008, 318.977-1/2E-XV/53/08).

 

Der Asylgerichtshof vertritt dabei im Einklang mit der Ansicht der Europäischen Kommission (siehe Pressemitteilung vom 09.04.2008) und dem englischen Court of Appeal (EWCA Civ 464) nicht die Ansicht, dass die derzeitige Erkenntnislage den Schluss rechtfertigt, dass in allen Dublin II-Fällen in Bezug auf Griechenland pauschal das Selbsteintrittsrecht ausgeübt werden muss. Die notwendige Einzelfallprüfung macht es aber im gegenständlichen Fall erforderlich, zunächst den Berufungswerber näher zu den von ihm behaupteten Schwierigkeiten während seines bisherigen Aufenthaltes in Griechenland zu befragen und sodann diese Aussagen auf deren Glaubwürdigkeit zu prüfen (auch unter dem Aspekt, dass die griechischen Behörden im vorliegenden Fall noch überhaupt keine Mitteilung an österreichische Behörden übersandt haben). Weiters werden, zu den hier entscheidungsrelevanten Punkten (wie oben erörtert), geeignete weitere Erhebungen einzuholen sein, wozu auch eine Stellungnahme der griechischen Behörden (allenfalls auch Zusicherungen im konkreten Fall) zweckmäßig erscheinen könnte. Es mag durch eine solche Anfrage auch möglich sein, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen des Berufungswerbers zu seinen tatsächlichen Erfahrungen in Griechenland zu überprüfen. Dem Ergebnis einer solchen Stellungnahme Griechenlands wird wahrscheinlich erhöhtes Gewicht zukommen können. Jedenfalls ohne die solcherart bezeichneten Erhebungen kann aber aus Sicht des Asylgerichtshofes aus den dargestellten Gründen nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden.

 

Festzuhalten ist weiters, dass zu Konsultationen mit den zur Vollziehung der Dublin II VO betrauten ausländischen Behörden das Bundesasylamt zuständig ist und nicht der Asylgerichtshof (diesbezüglich verbietet sich ein Tätigwerden des Asylgerichtshofes auch schon aus Art 22 Abs 1 Dublin II VO, weil der Asylgerichtshof nicht unter die aufgrund dieser Bestimmung der Europäischen Kommission genannten Behörden fällt).

 

2.2. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Behördenpraxis, Glaubwürdigkeit, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Rechtsschutzstandard, Selbsteintrittsrecht
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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