TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/16 E7 259394-0/2008

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Veröffentlicht am 16.07.2008
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Spruch

E7 259.394 -0/2008-10E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des D. Z., geb. 1983, St.A. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09. März 2005, AZ. 04 08.629-BAS, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 06.06.2007 und 13.02.2008 zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von D. Z. in die Russische Föderation nicht zulässig ist.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, wird D. Z. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.07.2009 erteilt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF) reiste am 22.04.2004 gemeinsam mit seiner Gattin D. T. und seinem mj. Sohn D. M. illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 23.03.2004 im Gefolge seiner Festnahme einen Asylantrag gemäß § 3 AsylG. Seine Gattin D. T., geb. 1985, und sein mj. Sohn D. M., geb. 2003, stellten jeweils Asylerstreckungsanträge gem. § 10 AsylG 1997 idF BGBl. 126/2002. In Österreich am 26.09.2004 nachgeboren wurde ein weiterer Sohn des BW namens D. S. E., für den im Familienverfahren gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG idF BgBl. 101/2003 ein Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt wurde.

 

2. Am 28.02.2005 wurde der BF an der Außenstelle Salzburg des Bundesasylamtes erstinstanzlich in russischer Sprache einvernommen.

 

Im Zuge dessen gab er neben seinen og. Personalien an, er sei russischer Staatsangehöriger, Tschetschene, Moslem und verheiratet.

 

Als Identitäts- bzw. sonstige Dokumente legte er vor:

 

nationaler Führerschein (B, C), ausgestellt 2001 in Grosny

 

Heiratsurkunde (Kopie), ausgestellt 2002 in Grosny

 

Abschlußzeugnis (Hauptschule) v. 2002, Grosny

 

Bestätigung über Hauszerstörung, ausgest. 1995, Justizministerium

 

Bestätigung städt. Krankenhaus Nr.4 v. 2003

 

Diese Dokumente wurden in Kopie zum Akt genommen.

 

Als letzten Wohnort im Herkunftsstaat gab er die Adresse XX an (anläßlich seiner Anhaltung nach erfolgtem Grenzübertritt am 22.04.2004 hatte er als Heimatadresse angegeben: XY). Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter lebe weiterhin in Grosny, diese werde nun von Cousins des BF versorgt. Er selbst sei beruflich als Fernfahrer tätig gewesen, und zwar habe er zuvor einen LKW samt Fahrer zum Transport von Waren angemietet, nachdem er eine Fahrerlaubnis hatte, habe er sich einen eigenen LKW gekauft und sei damit selbst gefahren, dies ab ca. Ende 2001. Er habe damit etwa 200 bis 300 $ in der Woche verdient.

 

Er habe Grosny am 19.12.2003 verlassen, bis dahin habe er sich gemeinsam mit seiner Gattin durchgehend dort aufgehalten. Die Reise nach Österreich habe ca. 4 Monate gedauert. Im Weiteren gab er demgegenüber an, er habe bereits am 01.10.2003 Grosny verlassen und sei nach Nasran gereist, wo er sich anschließend zwei Monate lang aufgehalten habe. Von dort sei er schließlich weitergereist. In Nasran habe er mit seiner Gattin in einer Wohnung gewohnt, es habe dort während dieser Zeit keine Probleme gegeben.

 

Zu seinen Ausreisegründen befragt legte der BF dar, dass er während des Kampfes um Grosny im Januar 2000 mit seinem PKW zwei Mal Verletzte ins städt. Krankenhaus transportierte. Er sei beim Transport offenbar beobachtet worden, denn auf der Rückfahrt vom zweiten Transport sei er von russischen Militärs festgenommen und 1,5 Tage lang festgehalten worden. Mangels Beweisen gegen ihn sei er wieder freigelassen worden.

 

03.2000 sei ein Freund des BF getötet worden, 05.2000 ein Onkel, 11.2000 ein weiterer Onkel, 11.2000 der Vater des BF, danach sei "alles in Ordnung gewesen". Er sei zuvor nicht mehr zu Hause aufhältig gewesen, da sich die Lage aber beruhigt hatte, sei er wieder zurückgekehrt und habe sich ein Fahrzeug gekauft (vgl. oben). In den Jahren 2002 und 2003 habe er normal gearbeitet und gelebt, 2001 habe er auch geheiratet.

 

2003 sei die Gattin des BF in das Dorf ihrer Eltern gefahren. Gegen 04:00 früh sei die Wohnungstür des BF eingetreten und er aus dem Bett gezerrt worden. Man habe ihm ein Trikot über den Kopf gezogen und ihn abtransportiert, er wisse aber nicht wohin genau. Er habe sich dann in einem Raum wieder gefunden, wo er 5 Tage lang festgehalten und gefoltert worden sei, dies indem ihm die Fingernägel gezogen und er mit Stromschlägen und Pistolenhieben mißhandelt wurde. Er habe zahlreiche Narben davon getragen. U.a. habe er eine Knieverletzung durch einen Schlag mit einem Maschinengewehr erlitten, er werde wegen dieser Verletzung in Österreich operiert werden. Im Weiteren legte der BF dar, dass er während der letzten beiden Tage der Anhaltung mit Strom gefoltert wurde und daher meist bewußtlos war. Er sei in einem Krankenhaus wieder zu sich gekommen. Man habe ihm dort mitgeteilt, dass er neben einer Straße aufgefunden und hierher transportiert worden sei.

 

Im Krankenhaus sei er zwei Tage lang gewesen, weitere zwei Tage sei er in Grosny bei seiner Mutter gewesen, anschließend sei er nach Nasran gereist bzw. hätten ihn Freunde dorthin gebracht.

 

Er sei im Herkunftsstaat weder vorbestraft noch politisch tätig oder wegen seiner Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt gewesen. Seine Mutter habe ihm aber im Gefolge der Ausreise telefonisch mitgeteilt, dass seither neun Mal nach ihm gesucht worden sei. Dies weil er offenbar verraten worden sei.

 

Seine Gattin und seine Kinder seien nicht aus individuellen Gründen, sondern seinetwegen ausgereist.

 

Die Gattin des BF wurde ebenfalls am 28.02.2005 einvernommen, wobei diese für sich und die beiden gemeinsamen Kinder in Ermangelung eigener Fluchtgründe jeweils Asylerstreckungsanträge gemäß § 10 AsylG stellte.

 

3. Mit Bescheid vom 09.03.2005 unter oben genannter Zahl wies die erstinstanzliche Behörde den Asylantrag des BF gemäß § 7 AsylG ab, und stellte weiters fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der BF aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

 

Im Gefolge der Wiedergabe der erstinstanzlichen Einvernahme sowie unter Hinweis auf die vorgelegten Dokumente stellte die belangte Behörde begründend fest, dass seine Identität angesichts der als authentisch erachteten Dokumente feststehe. Im Gefolge von länderkundlichen Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF führte die belangte Behörde aus, dass von einer Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF aus verfahrensökonomischen Gründen Abstand genommen werden konnte, da die Prüfung des Sachverhalts ergeben habe, dass für den BF eine sogen. innerstaatliche Fluchtalternative innerhalb der Russ. Föderation bestanden habe. Er habe sich nämlich seinen eigenen Angaben nach vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat problemlos zwei Monate lang in Nasran aufhalten können. Diese als unbedenklich zu qualifizierende Fluchtalternative schließe jedenfalls eine Asylgewährung aus.

 

Mangels einer möglichen Verfolgung des BF im gesamten Herkunftsstaat sei deshalb der Asylantrag abzuweisen gewesen.

 

Im Hinblick auf diese Feststellungen wurde weiters festgestellt, dass auch eine Gefährdungssituation iSd § 57 FrG nicht im gesamten Staatsgebiet gegeben sei.

 

Auch die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet sei in Ermangelung eines Familienbezugs zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich - die Angehörigen des BF befinden sich ebenso im Asylverfahren - rechtskonform.

 

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am Postamt am 14.03.2005 zugestellt.

 

4. Einer Mitteilung der BH Tirol von 2005 zufolge wurde der BF gemeinsam mit einem weiteren Asylwerber russ. Herkunft 2005 wegen Raufhandels mit Körperverletzungsfolge und gefährlicher Drohung zur Anzeige gebracht.

 

5. Mit Schriftsatz vom 22.03.2005 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, wobei der Bescheid des Bundesasylamtes in seinem gesamten Umfang "wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Verletzung von Verfahrensvorschriften" bekämpft wurde.

 

Begründend wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer entgegen der Ansicht der Behörde in seinem Heimatstaat aus asylrelevanten Gründen verfolgt sei. Er habe "sich sehr für seine Landsleute eingesetzt und Widerstandskämpfer wie Zivilisten mit Medikamenten und Nahrungsmitteln versorgt sowie erste Hilfe und Verwundetentransporte geleistet, wodurch er auch seine politische Haltung zum Ausdruck brachte". Ergänzend zu seinen erstinstanzlichen Angaben führte der BF an, er sei damals in Nasran ständig in seiner Wohnung verblieben, da auch in Inguschetien Säuberungen durchgeführt wurden und er in großer Angst war. Aus diesem Grund alleine habe er weitere Probleme in Nasran bis zur Ausreise verneinen können.

 

Die Gattin des BF spreche nur Tschetschenisch und kein Russisch, sie habe daher aus sprachlichen Gründen erstinstanzlich nicht angeben können, dass ihr Vater, D. L., und ihr Onkel, D. H., Mitglieder eines islamischen Bataillons mit einer Stärke von etwa 2000 Mann waren. Auch aus diesem Umstand heraus drohe dem BF eine asylrelevante Bedrohung durch russische Sicherheitskräfte.

 

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative für Tschetschenen innerhalb der Russ. Föderation wurde verneint, und wurde dabei auf die Begründungen einiger einschlägiger Entscheidungen des Unabhängigen Bundesasylsenats aus 2003 und 2004 verwiesen.

 

Die Durchführung einer Berufungsverhandlung wurde beantragt.

 

6. Am 06.06.2007 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine (erste) mündliche Verhandlung in der Sache des BF durch, in der dieser zum bisher behaupteten Sachverhalt gehört wurde.

 

Nach Hinweis auf die erstinstanzliche Aussage, dass seine letzte Wohnadresse in Grosny war, erklärte der BF, dass beide Wohnsitze in Grosny und in Nasran festgehalten wurden. Er sei jedenfalls die letzten beiden Monate über in Nasran gewesen. Dass erstinstanzlich auch protokolliert worden war, er sei am 19.12.2003 von Grosny weggefahren, sei ein Mißverständnis gewesen. Am 26.09.2003 sei er damals in Grosny für 2 Tage ins Krankenhaus gebracht worden, danach sei er bei seiner Mutter gewesen, 2 Tage später sei er nach Nasran gebracht worden, weil man angeblich nach ihm suchte. Seine Gattin sei bei ihm gewesen und gemeinsam mit ihm am 30.09.2003 dorthin verzogen. Deren Eltern lebten in U.. Auf Vorhalt der erstinstanzlichen Aussage, dass seine Gattin am 21.09.2003 zu ihren Eltern gefahren sei, erwiderte der BF, sie sei in der Nacht weggefahren, danach sei er festgenommen worden. Seine Gattin sei nach Grosny zurückgekommen, als sie erfahren hatte, dass er bereits im Krankenhaus war.

 

In Tschetschenien würden aktuell seine Mutter und deren vier Brüder sowie Verwandte seiner Gattin leben. Geschwister habe der BF nicht.

 

Zu den erstinstanzlich dargelegten Ausreisegründen befragt, ergänzte der BF, er habe bereits 1999 Verwundete mit seinem PKW transportiert, dies damals insgesamt etwa 20 bis 30 Mal, auch nach U.. Beim letzten Anlaß im Jahr 2000 sei er zwei Mal gefahren. Im Jänner 2000 sei er dann im Zentrum von U. festgenommen worden. Nach dem Jänner 2000 sei er bei Verwandten in U. versteckt geblieben, erst 2001 sei er nach Grosny zurückgekehrt. Auf weiteres Befragen wiederholte der BF die erstinstanzlichen Angaben zu seiner Festnahme und Mißhandlung im Jahre 2003.

 

7. Im Auftrag des Unabh. Bundesasylsenates führte am 02.08.2007 ein Facharzt für Unfallchirurgie eine sachverständige Untersuchung des BF im Hinblick auf die von ihm vorgebrachten Verletzungen bzw. Mißhandlungen durch und erstellte dieser am 02.10.2007 ein Gutachten unter Verwendung der erstinstanzlichen Befragungen des BF sowie der Befragung und Untersuchung des BF durch den Arzt selbst unter Beiziehung eines Dolmetschers einschließlich der Herstellung von Röntgenbildern des Schädels und des rechten Kniegelenks.

 

Auf Befragen legte der BF eingangs dem Arzt gegenüber dar, dass er 2003 festgenommen und an einem unbekannten Ort festgehalten wurde. Dort sei er mehrfach geschlagen und "an den ersten beiden Tagen zumindest 1 bis 3 Stunden lang" mittels Strom gefoltert worden.

 

Zusammenfassend wiedergegeben wurde im Weiteren folgender Befund erstellt:

 

Am Schädel des BF war eine 2 cm lange Narbe am Hinterhaupt tastbar, weitere Narben waren nicht tastbar oder sichtbar. Die vom BF angegebenen Narben in der Schleimhaut der Ober- und Unterlippe waren nicht feststellbar.

 

Am rechten Vorderarm fand sich eine 8 cm lange sehr oberflächliche Narbe, am linken Vorderarm eine 4 cm breite Narbe, die laut BF von einer Schnittverletzung stamme.

 

Am rechten Oberschenkel außen fand sich eine Narbe, die laut BF auf eine Messerverletzung zurückzuführen sei. Am rechten Kniegelenk fand sich über das Knie hinweg eine 5 cm lange OP-Narbe, der Bandapparat und die Menisci seien normal.

 

Im Röntgenbild fanden sich im Schädelbereich keine Zeichen einer frischen oder abgelaufenen knöchernen Verletzung, ebenso nicht im rechten Kniegelenk.

 

Aus diesen Feststellungen wurde gefolgert, dass Bezug nehmend auf die Behauptung des BF, er habe am Schädel 6 Narben, lediglich eine Narbe ertastbar war, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch stumpfe Gewalteinwirkung entstanden war und dass ein Entstehungszeitraum von vor ca. drei Jahren angenommen werden kann. Der Behauptung des BF über eine am Oberschenkel erlittene Messerverletzung steht eine Narbenbildung gegenüber, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch stumpfe Gewalt und nicht durch schneidende Gewalt entstanden war. Die Narben im Bereich der Arme sind mit hoher Wahrscheinlichkeit durch schneidende Gewalt entstanden, ob diese aber den behaupteten Folterungen oder anderen Ereignissen zuzuordnen sind, war medizinisch nicht feststellbar, ebenso nicht der genaue Entstehungszeitpunkt. Die behaupteten Narben im Mundschleimhautbereich waren nicht verifizierbar, angebliche offene Wunden würden jedenfalls in diesem Bereich erfahrungsgemäß ohne Narbenbildung verheilen.

 

Im Hinblick auf die behauptete Folter mit Strom führte der SV aus, dass ein Vorhandensein von Strommarken in Form von Verbrennungen in Abhängigkeit von der Stromstärke bzw. dem Widerstand und der Feuchtigkeit auf der Haut nicht unbedingt zu erwarten ist. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass eine dreistündige Folter bis zur Bewußtlosigkeit erfolgte, da in solchen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine "kardiale Mitbeteiligung" und eventuell der Tod des Gefolterten zu erwarten wäre. Auch die behauptete lang andauernde Bewußtlosigkeit konnte nicht nachvollzogen werden, da es diesfalls zu Komplikationen auf Seiten des Herzens und des Atmungstraktes kommen würde und sich daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit eine massive gesundheitliche Beeinträchtigung oder der Tod des Gefolterten ergeben hätten.

 

Zur behaupteten Knieverletzung des BF wurde ein OP-Bericht der Unfallabteilung des KH S. von 2005 eingesehen. Diesem war zu entnehmen, dass dem BF im Kniebereich ein sogen. persistierendes Ossikel entfernt wurde, welches Folge eines Nicht-Verknöcherns des angelegten Knochenkerns und keinesfalls eine Traumafolge war. Die Operation beseitigte demnach keine Unfall- oder Folterfolge, sondern die Folge einer Entwicklungsstörung. Dem BF ist diesbezüglich daher in seinem Vorbringen arglistige Täuschung vorzuwerfen. (Anm.: Dem entsprechenden unfallchirurgischen Karteiblatt des BF im KH S. ist u. a. zu entnehmen, dass dieser bei der Aufnahme anamnestisch angab, eine Kontusionsverletzung im Knie "während des Krieges im Jahre 2000" erlitten zu haben).

 

Zusammenfassend war daher festzustellen, dass Teile der vorhandenen Narben durch Folter entstanden sein könnten, ein schlüssiger medizinischer Beweis war aber dafür nicht möglich, eine genaue zeitliche Eingrenzung ebenso nicht. Eine Mißhandlung mit Strom könnte theoretisch, dann aber nur in wesentlich geringerem Maße als vom BF behauptet, stattgefunden haben. Die behauptete Operation in Österreich wegen einer (vorgetäuschten) Folterfolge (erg.: im Kniegelenk) betreffend werfe zuletzt die Frage der Glaubwürdigkeit des BF insgesamt auf.

 

8. Am 13.02.2008 führte der unabhängige Bundesasylsenat - durch das mittlerweile zuständig gewordene Senatsmitglied - eine (weitere) mündliche Berufungsverhandlung durch, im Zuge dieser der BF nochmals zu seinem Vorbringen befragt wurde sowie das oben wiedergegebene unfallchirurgische Gutachten und die länderkundlichen Feststellungen der Behörde als Beweismittel herangezogen und mit dem BF erörtert wurden.

 

Biografisch ergänzte der BF, dass er in seiner Geburtsstadt Grosny aufgewachsen und zur Schule gegangen sei, diese habe er 1999 wegen des Krieges unterbrochen und hernach wieder fortgesetzt sowie im Juni 2002 abgeschlossen. Seine Mutter lebe weiterhin in Grosny oder halte sich bei ihrer Schwester in U. auf, woher die Sippe des BF stamme. Die erstinstanzlich vorgelegte Bestätigung über die Zerstörung einer Wohnung betreffe ein ehemaliges Haus des BF in Grosny, auch eine weitere Wohnung des BF in Grosny sei zerstört, die Wohnung der Mutter in Grosny sei aber intakt. Der BF stehe mit seiner Mutter in regelmäßigem telefonischem Kontakt.

 

Auf näheres Befragen hin behauptete der BF weiter, dass seine Mutter deshalb nicht ständig in ihrer Wohnung lebe, weil wiederholt verschiedene Sicherheitsbehörden bei ihr nach dem BF fahndeten bzw. diese befragten. Auf Befragen zu näheren Details dieser Aussage konnte der BF keine weiteren Angaben machen.

 

Auf Befragen nach Einzelheiten seiner früheren Beteiligung am zweiten tschetschenischen Krieg wiederholte der BF, dass er Transporte von Verwundeten und Lebensmitteln durchführte und erste Hilfe leistete, nähere Angaben zu den betroffenen Einheiten der tschetschenischen Kämpfer oder zu den konkreten Örtlichkeiten seiner Tätigkeit konnte er auf Befragen nicht machen. Auf Vorhalt, dass er zu dieser Zeit, also 1999 bis 2000, etwa 16 bis 17 Jahre alt war und dass der vorgelegte Führerschein erst 2001 ausgestellt wurde, erwiderte der BF, er habe bereits 1999 einen Führerschein erhalten, den er aber 2001 ausgetauscht habe. 1999 habe er wiederum sein Geburtsjahr um zwei Jahre "geändert" um einen Führerschein zu erhalten.

 

Zur behaupteten ersten Festnahme in 2000 wurde der BF nochmals befragt, wobei er ausführte, er sei damals auf dem Rückweg vom Krankenhaus in U. von Einheiten des FSB gestoppt und festgenommen worden, ehe er jedoch zu einem Standort des FSB bzw. "der Russen" gelangte, hätten Passanten am Bazar der Stadt seine Freilassung erzwungen. Seinen Führerschein habe man ihm bereits zuvor abgenommen. Auf Vorhalt seiner früheren Aussage, dass er bei diesem Anlaß für ca. 1,5 Tage festgehalten worden war, beharrte der BF auf seiner diesmaligen Version, vermochte den Widerspruch aber nicht weiter aufzuklären.

 

Auf Befragen nach einem Freund des BF, der seinen früheren Aussagen nach in 2000 getötet worden sei, legte der BF dar, dieser sein gemeinsam mit einem Anderen von Spezialdiensten bei einem Schußwechsel getötet worden. Näheres wisse er dazu nicht. Sein Vater, der in beiden Kriegen gekämpft habe, sei, als er zwischen A. und Grosny mit dem PKW unterwegs war, von Scharfschützen erschossen worden. Welche militärische Position oder welchen Rang sein Vater zuvor eingenommen hatte, konnte der BF nicht angeben. Nach den beiden ebenso getöteten Onkeln befragt, legte der BF dar, dass keiner der beiden eine herausragende Position im Widerstand eingenommen hatte, sondern sie lediglich im Zuge der allgemeinen Kriegshandlungen ums Leben kamen. Nach den in der Berufung erwähnten prominenten Mitgliedern der Sippe seiner Gattin befragt, die demnach Kommandanten eines bekannten Widerstandsbataillons gewesen seien, erwiderte der BF, D. H. sei Mitglied des sogen. Islamischen Bataillons gewesen, dies ca. 1996 bis 1999 während der faktischen Unabhängigkeit Tschetscheniens. Sein Schwiegervater D. L. wiederum sei definitiv kein Kommandant gewesen. Die Frage, ob er sich selbst wegen dieser Verwandten seiner Gattin als gefährdet erachte, beantwortete der BF mit dem allgemeinen Hinweis, dass es "schon genüge Tschetschene zu sein".

 

Nach dem weiteren Verlauf der Ereignisse im Gefolge der behaupteten Festnahme in 2000 befragt, legte der BF dar, dass zwei Cousins von ihm mittels Geldzahlungen an Behördenmitarbeiter dafür gesorgt hätten, das er keine Schwierigkeiten mehr hatte. Nähere Angaben konnte er auf Befragen dazu nicht machen. Danach habe er wie bereits erwähnt einen LKW gekauft und gearbeitet. 2001 habe er geheiratet. Im Weiteren habe es bis zum behaupteten Vorfall in 2003 keine Schwierigkeiten für ihn gegeben.

 

Zu diesem Vorfall näher befragt, wiederholte der BF vorerst, er sei eines Morgens aus seiner Wohnung von russischen Soldaten mitgenommen worden. Nähere Angaben zu etwaigen konkreten Vorwürfen an ihn oder den Ort seiner folgenden Anhaltung konnte er zunächst nicht machen. Er sei schließlich in der Nähe des Ortes "C." aufgefunden worden. Im Weiteren folgerte er daraus, er sei vermutlich in C. an der dort befindlichen russischen Militärbasis festgehalten gewesen. Im Krankenhaus sei er dann zu sich gekommen und einige Zeit dort stationär aufhältig gewesen, nach etwaigen Behandlungen befragt machte der BF keine weiteren Angaben.

 

Im Weiteren wurde die vom BF erstinstanzlich vorgelegte Aufenthaltsbestätigung des Krankenhauses übersetzt, demnach sei der BF, welcher an der D. wohnhaft sei, nach "unbegründeten Mißhandlungen durch Bundessoldaten" an der chirurgischen Station des Städt. KH "wegen Hämatomen und Blutergüssen" behandelt worden.

 

Auch ein vom BF vorgelegtes Beschädigungsprotokoll von 2003 das Wohnhaus der Mutter des BF, D. J., betreffend wurde eingesehen und übersetzt. Das erstinstanzlich protokollierte Ausstellungsdatum "26.10.1995" habe demnach nur die Lizenzierung der beglaubigenden Notarin betroffen. Die Echtheit der Kopie des ursprünglichen Dokumentes wurde demnach von der Notarin am 26.08.2003 beglaubigt. Dieses Faktum konnte der BF auf Nachfrage aber nicht weiter erläutern.

 

Beide Unterlagen seien ihm damals ins Krankenhaus gebracht worden.

 

Im Weiteren wurde mit dem BF das Ergebnis seiner unfallchirurgischen Begutachtung erörtert. Auf Vorhalt, dass der Gutachter lediglich eine einzige Narbe am Kopf des BF feststellen konnte, ging der BF auf das Angebot der Vornahme eines Augenscheins in der Berufungsverhandlung über das Vorliegen der vom BF behaupteten vielfachen Narben am Kopf nicht ein. Im Hinblick auf die Narbe am Oberschenkel führte der BF aus, diese stamme von einem Messerstich. Auf Vorhalt jenes Gutachtensteils, dem nach das Narbenbild nicht dem einer Schnittverletzung entspreche, machte der BF keine klärenden Angaben, ebenso nicht die Narben an den Armen betreffend. Diesbezüglich konnte er auch nicht darlegen, wie diese letztlich entstanden waren. Die Behauptung betreffend, dass ihm 2003 auch alle Fingernägel herausgerissen worden seien, führte der BF aus, es gäbe davon keine sichtbaren Spuren bzw. Narben, wie viele Nägel er tatsächlich verloren habe, wisse er auch nicht mehr. Er könne sich zwar noch an alle Mißhandlungen erinnern, er wolle aber nicht mehr darüber sprechen. Auf Vorhalt, dass dem Gutachter nach die behauptete mehrtägige Folter mit Stromschlägen gravierende Folgen etwa im kardialen Bereich nach sich gezogen hätte (vgl. oben), verwies der BF auf angebliche Herzprobleme, die er medikamentös behandle. Er sei aber deshalb in Österreich nicht in ärztlicher Behandlung, er nehme lediglich Tabletten russischer Herkunft zu sich, er habe keine ernsthaften Herzprobleme. Auf Nachfrage wurden diese als Baldriantabletten identifiziert. Auch die fachärztlichen Feststellungen zu den Knieproblemen des BF wurden ihm vorgehalten, ohne dass diesbezüglich eine konkrete Aussage des BF erfolgte. Dem BF wurde zuletzt eine Kopie des Gutachtens ausgefolgt.

 

Nach dem weiteren Verlauf der Ereignisse nach dem Krankenhausaufenthalt befragt wiederholte der BF, dass er von Bekannten nach N., Inguschetien, gebracht wurde. Befragt, wann und wo er seine Gattin wieder gesehen habe, erwiderte der BF, er wisse nicht genau, wie sie von der Sache erfahren habe und wann er sie wieder getroffen habe, vielleicht im Krankenhaus. Ob sie dann gemeinsam oder nacheinander nach Inguschetien gefahren seien, konnte er nicht angeben. Außer dass sie dann gemeinsam für einige Monate in einer Wohnung sowie später in einem Haus gewohnt hätten, bis "gute Menschen aus dem Bekanntenkreis" ihm zur Ausreise geraten hätten, machte der BF auf Nachfrage keine weiteren Angaben.

 

Im Gefolge dessen wurde noch die Gattin des BF befragt, wobei sich im Gegensatz zur Behauptung im Berufungsschriftsatz herausstellte, dass sie der Befragung in russischer Sprache problemlos folgen konnte. Die Gattin des BF legte dar, dass sie selbst aus U. stamme, wo noch ihre Eltern und Geschwister leben würden. Sie führte weiter aus, dass ihre Mutter erzähle, dass "fast jede Nacht Russen nach Hause kommen und ihre Brüder schlagen bzw. mitunter mitnehmen". Auf Nachfrage gab sie an, dass ein Bruder von ihr einmal festgenommen worden und gegen Bezahlung von Lösegeld freigekommen sei, man habe ihn nach einem Onkel namens D. H., ehem. tschetschenischer Kommandant, befragt, der auf der Flucht sei. Dies sei vor einigen Jahren gewesen. Zur angeblichen Festnahme ihres Gatten befragt, legte sie dar, sie habe darüber durch die Schwiegermutter erfahren, als sie selbst noch in U. war. Ihren Gatten habe sie glaublich im Krankenhaus wieder gesehen. Nach etwaig von ihr wahrgenommenen Verletzungen des Gatten befragt, schilderte sie ein blutiges, verbundenes Gesicht, was er im Gespräch mit ihr gesagt habe, wisse sie nicht mehr. Auch wie lange er im Krankenhaus gewesen sei, wisse sie nicht mehr. Befragt, was danach geschah, erwiderte sie, "wir waren in Inguschetien oder wo, ich weiß auch nicht, ich kann mich nicht genau daran erinnern". Sie seien - auf Befragen angegeben - glaublich gemeinsam nach Inguschetien gefahren, mit einem PKW, wem dieser gehört habe könne sie "nicht erklären", jedenfalls nicht ihr und ihrem Gatten. Befragt, ob sie alleine mit ihrem ersten Kind unterwegs oder in Begleitung waren, erwiderte sie, "wahrscheinlich nicht". Sie hätten dann in Inguschetien eine Wohnung gemietet, wo das genau gewesen sei, wisse sie nicht. Sie seien vielleicht zwei Monate lang dort gewesen. Ob dies stets am gleichen Ort gewesen sei, wisse sie nicht mehr, auch nicht, ob ihr Gatte mit bestimmten Personen Kontakt oder von diesen Besuch hatte. "Irgend jemand" habe dann erwähnt, dass "Österreich Flüchtlinge aufnehme".

 

Mit dem BF wurde im Weiteren die aktuelle Lage in Tschetschenien und der Russischen Föderation anhand aktueller behördlicher länderkundlicher Materialien erörtert (vgl. das im Akt einliegende Verhandlungsprotokoll).

 

Der BF behauptete diesbezüglich, dass sein Haus in Tschetschenien weiterhin ein oder zwei Mal im Monat von "Kadirov-Leuten" oder Spezialdiensten besucht werde. Dies habe er von Bekannten telefonisch in Erfahrung gebracht. Auf die Frage, ob dies nun schon seit Jahren so geschehe und die Betreffenden denn nach so langer Zeit immer noch glaubten ihn dort anzutreffen, erwiderte der BF, "ich glaube, Viele wissen einfach nicht, dass ich weggefahren bin".

 

II. Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter des Asylgerichtshofs hat wie folgt erwogen:

 

1. Beweis erhoben wurde durch:

 

Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt

 

Einsichtnahme in das im Auftrag des Unabhängigen Bundesasylsenats eingeholte unfallchirurgische Gutachten

 

Durchführung von zwei Berufungsverhandlungen durch den Unabhängigen Bundesasylsenat einschl. der persönlichen Befragung des BF und seiner Gattin sowie Erörterung des Gutachtens

 

Einsichtnahme in die im Akt befindlichen länderkundlichen Materialien

 

2. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Einzelrichter des Asylgerichtshofs gelangte auf der Grundlage dieses Ermittlungsverfahrens nach Maßgabe unten stehender Erwägungen zu folgenden entscheidungswesentlichen Feststellungen:

 

2.1. Zu den persönlichen Angaben des BF zu seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und regionalen Herkunft sowie zu seinen familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat sowie in Österreich:

 

Diesbezüglich war im Wesentlichen festzustellen, dass der BF russischer Staatsangehöriger und ethnischer Tschetschene aus Tschetschenien stammend ist. Er reiste gemeinsam mit seiner Gattin und seinem erstgeborenen Kind am 22.04.2004 in das Bundesgebiet ein.

 

Der genaue Zeitpunkt sowie die genauen Umstände der Ausreise aus dem Herkunftsstaat ließen sich im gg. Verfahren nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, ebenso nicht, wo sich der BF in der jüngsten Zeit vor der Ausreise im Genaueren aufgehalten hatte.

 

Der BF hat in seiner Heimatregion Tschetschenien seine Mutter, weitere Angehörige dort oder in anderen Landesteilen Rußlands ließen sich im Verfahren nicht feststellen. Sein Vater ist bereits seit Jahren verstorben. Angehörige bzw. Verwandte der Gattin des BF leben ebenfalls in Tschetschenien.

 

2.2. Zu den vom BF vorgebrachten Ausreisegründen wird festgestellt:

 

Nicht festgestellt werden konnte mangels hinreichender Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit des behaupteten Sachverhalts, dass der BF aus den von ihm behaupteten Gründen den von ihm behaupteten Verfolgungshandlungen nicht näher bestimmbarer Akteure der in Tschetschenien tätigen Sicherheitsorgane in der Zeit zwischen 2000 und der behaupteten Ausreise in 2004 ausgesetzt war.

 

Ausgehend davon war daher auch nicht feststellbar, dass der BF bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit gegen ihn persönlich gerichteten, individuellen Verfolgungshandlungen staatlicher Organe zu rechnen hätte.

 

Auch im Hinblick auf die bloße Volksgruppenzugehörigkeit des BF war angesichts der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Ermangelung einer systematischen Verfolgung der tschetschenischen Volksgruppe an sich innerhalb Rußlands durch staatliche Akteure eine asylrelevante Gefährdung des BF nicht feststellbar.

 

Im Lichte dieser Feststellungen ist eine begründete Furcht des BF vor Verfolgung aus den von ihm behaupteten oder aus anderweitigen Gründen im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht feststellbar.

 

2.3. Im Hinblick auf die dzt. herrschende Lage in der Heimatregion Tschetschenien des BF ist aus Sicht des nunmehr zur Entscheidung berufenen Einzelrichters des Asylgerichtshofs (noch) von einer sowohl allgemeine Sicherheitsaspekte als auch die allgemeine Versorgungslage betreffenden potentiellen Gefährdung der dort lebenden Zivilbevölkerung als Auswirkung der langjährigen Devastierung der tschetschenischen Zivilgesellschaft und Infrastruktur auszugehen, sofern sich im Ausnahmefall nicht ausdrücklich Gegenteiliges feststellen läßt.

 

Im Lichte der Ermittlungsergebnisse zu dieser Lage in Verbindung mit den individuellen Gegebenheiten in der Familie des BF, der nämlich neben dem BF und seiner Gattin auch drei mj. Kinder im Alter von fünf, vier und drei Jahren angehören, ist aus dieser Sicht derzeit (noch) nicht mit hinreichender Gewißheit davon auszugehen, dass die Familie im Falle einer Abschiebung in der Heimatregion nicht Gefahr liefe in eine Lage zu geraten, die u.U. eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen würde. Das übrige Staatsgebiet der Russ. Föderation stellt diesbezüglich aktuell auch keine taugliche bzw. zumutbare Aufenthaltsalternative dar.

 

Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

 

Lage in Tschetschenien:

 

Mit der Wahl eines tschetschenischen Parlaments am 27.11.2005 ist für Moskau der 2003 begonnene "politische Prozess" zur Beilegung des Tschetschenienkonflikts abgeschlossen. Präsident Putin erklärte im Januar 2006 die "antiterroristische Operation" (d.h. den Krieg) zum wiederholten Male für beendet. Dennoch bleibt der Konflikt ungelöst, wenngleich auch Zeichen der Normalisierung festzustellen sind.

 

Der Sicherheitsdienst unter Führung des tschetschenischen Ministerpräsidenten Ramsan Kadyrow, Sohn des 2004 ermordeten Moskautreuen Präsidenten Achmed Kadyrow, ist inzwischen de facto stärkste Kraft in Tschetschenien. Die sog. "Kadyrowzy" liefern sich regelmäßig kleinere Kämpfe mit den nach wie vor aktiven Rebellen, die immer mehr in die Nachbarrepubliken ausweichen.

 

In Tschetschenien finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und Presse berichten, dass es auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung komme. Insbesondere werden Mord, Entführungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen, willkürlichen Festnahmen, Sachbeschädigungen und Diebstähle genannt. Dies sei häufig darauf zurückzuführen, dass reales Ziel der in Tschetschenien eingesetzten Zeitsoldaten, Milizionäre und Geheimdienstangehörigen Geldbeschaffung und Karriere sei. Den "Kadyrowzy" werden von Menschenrechtsorganisationen zahlreiche dieser Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Nach Human Rights Watch tragen die "Kadyrowzy" seit 2004/05 die Hauptverantwortung für Verschleppungen. An erster Stelle der Menschenrechtsverletzungen steht das "Verschwindenlassen" von Zivilisten. 2006 wurden laut "Memorial" 172 Personen entführt, von denen 86 befreit und neun getötet worden seien; 60 seien verschwunden, 17 im Gefängnis. Da Memorial nur etwa 25 - 30 % des tschetschenischen Territoriums beobachtet, dürfte die tatsächliche Zahl wesentlich höher sein. Seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Jahre 1999 seien insgesamt etwa 5.000 Personen verschwunden. Auch amnesty international berichtet für 2006 weiterhin von Vergewaltigungen und extralegalen Tötungen der Zivilbevölkerung während Operationen der Sicherheitskräfte. Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten der Rebellen begangen (Beslan). Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung werden bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Auch werden ihnen Exekutionen und Geiselnahmen von Zivilisten in den von ihnen beherrschten Gebieten und Ortschaften vorgeworfen. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen bleibt weit hinter deren Ausmaß zurück, so dass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei.

 

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit etwas verbessert (in den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien hingegen eher verschlechtert). Der zivile Wiederaufbau der völlig zerstörten Republik konzentriert sich auf die großteils in Trümmern liegende Hauptstadt Grosny. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist äußerst mangelhaft, insbesondere in Grosny. Internationalen Hilfsorganisationen ist es nur sehr begrenzt und punktuell möglich, Lebensmittel in das Krisengebiet zu liefern. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen erste zaghafte Erfolge. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern jedoch in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau Tschetscheniens sachgerecht verwendet werden. Offiziell waren in Tschetschenien im September 2006 329.900 Menschen arbeitslos gemeldet, von denen 275.900 Arbeitslosengeld erhielten. Das reale Pro-Kopf-Einkommen beträgt in Tschetschenien nach den offiziellen Statistiken etwa ein Zehntel des Einkommens in Moskau. Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Viel Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

 

Etwa 50% des Wohnraums ist seit dem ersten Krieg (1994-1996) in Tschetschenien zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist nach Angaben des tschetschenischen Präsidenten Alu Alchanow vom 19.10.2006 noch nicht abgeschlossen. Nichtregierungsorganisationen berichten jedoch, dass nur rund ein Drittel der Vertriebenen eine Bestätigung der Kompensationsberechtigung erhalte. Viele Rückkehrer bekämen bei ihrer Ankunft in Grosny keine Entschädigung, weil die Behörden sich weigern würden, ihre Dokumente zu bearbeiten, oder weil ihre Namen von der Liste der Berechtigten verschwunden seien. Der russische Migrationsdienst gibt nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen offen zu, dass von den Entschädigungszahlungen 15 % nach Moskau, 15 % an die lokalen Behörden, zehn Prozent an die zuständige Bank und ein gewisser Prozentsatz an den Migrationsdienst selbst gehen. Verschiedene Schätzungen, u.a. des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Gil Robles gehen davon aus, dass 30-50% der Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen.

 

Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist unzureichend. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - waren medizinische Einrichtungen in Tschetschenien weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Der Wiederaufbau verläuft zwar schleppend, doch gibt es dank internationaler Hilfe Fortschritte bei der personellen, technischen und materiellen Ausstattung in einigen Krankenhäusern, die eine bessere medizinische Grundversorgung gewährleisten.

 

Besorgniserregend bleibt die humanitäre Notlage der tschetschenischen Flüchtlinge innerhalb und außerhalb Tschetscheniens. Neben über 200.000 Binnenvertriebenen innerhalb Tschetscheniens befanden sich nach VN-Angaben Ende Oktober 2006 in der Datenbank für humanitäre Hilfe noch 18.874 tschetschenische Binnenvertriebene in Inguschetien. Auch in den übrigen nordkaukasischen Nachbarrepubliken halten sich tschetschenische Binnenflüchtlinge auf: ca. 10.000 in Dagestan, 4.000 in Nordossetien, 10.000 in Kabardino-Balkarien und 23.000 in Karatschajewo-Tscherkessien. Darüber hinaus gibt es praktisch in allen russischen Großstädten eine große, durch Flüchtlinge noch wachsende tschetschenische Diaspora: 200.000 in Moskau (nach Angaben der Tschetschenischen Vertretung in Moskau), 70.000 im Gebiet Rostow, 40.000 in der Region Stawropol und 30.000 in der Wolgaregion (Angaben des tschetschenischen Parlamentspräsidenten Abdurachmanow vom 05.06.2006). Tschetschenische Flüchtlinge leben auch in Georgien (nach letzter offizieller Registrierung vom September 2006 1.320 tschetschenische Flüchtlinge), Aserbaidschan (ca. 8.000) und Kasachstan (ca. 12.000). Etwa 31.000 tschetschenische Flüchtlinge sollen sich in Westeuropa aufhalten.

 

Die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in den Übergangsunterkünften in der russischen Teilrepublik Inguschetien sind unter allen Aspekten schwierig. In Tschetschenien wurden für die Flüchtlinge provisorische Unterkünfte errichtet, die nach offiziellen Angaben besser eingerichtet sein sollen als die früheren Lager in Inguschetien. Die Kapazitäten der inzwischen in Tschetschenien fertig gestellten zeitweiligen Unterkünfte reichen jedoch nicht für alle Flüchtlinge. Außerdem berichten

 

UNICEF und andere VN-Organisationen von desolaten sanitären Verhältnissen und schlechten Lebensbedingungen in großen Teilen der von ihnen betreuten Übergangsunterkünfte in Grosny (Mangel an Medikamenten und Nahrungsmitteln, unbefriedigende Sicherheitslage).

 

Die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien ist nicht gewährleistet. In den Gebieten, in denen sich russische Truppen aufhalten (sie umfassen mit Ausnahme schwer zugänglicher Gebirgsregionen das ganze Territorium der Teilrepublik), leidet die Bevölkerung einerseits unter den ständigen Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen durch russische Soldaten und Angehörige der Truppe von Ramsan Kadyrow, andererseits unter Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen. Zwar hat auch nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Organisationen die Anzahl von Gewaltakten sowohl von Seiten der - durch Fahndungserfolge der russischen und tschetschenischen Sicherheitskräfte - geschwächten Rebellen als auch von Seiten der Sicherheitskräfte selbst zuletzt abgenommen, doch sind immer noch willkürliche Überfälle bewaffneter, nicht zuzuordnender Kämpfer, Festnahmen und Bombenanschläge an der Tagesordnung.

 

Lage in den Nachbarrepubliken im Nordkaukasus:

 

Der ungelöste Tschetschenienkonflikt hat längst auch auf die Nachbarrepubliken im Nordkaukasus übergegriffen und destabilisiert die gesamte Region. Neben Tschetschenien sind Inguschetien und Dagestan am meisten betroffen. Die gesamte Region ist wirtschaftlich und sozial eine der am stärksten benachteiligten in der Russischen Föderation. Sie leidet in ganz besonderem Maße unter Korruption, ethnischen Spannungen und der Machtausübung durch einzelne Clans.

 

Die russischen Behörden berichten Ende 2006 von einer gewissen Verbesserung der

 

Sicherheitslage in Dagestan, wo seit Jahresbeginn 2005 nahezu täglich Sprengstoffanschläge und Schießereien mit Toten und Verletzten stattfanden. Die Anschläge der Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeiautos und -patrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Beobachtern verüben dagestanische Sicherheitskräfte schwere Menschenrechtsverletzungen, allen voran Festnahmen und Folter. Diese Übergriffe sind willkürlich, nicht gegen spezielle Bevölkerungsgruppen gerichtet. Problematisch ist die Tätigkeit tschetschenischer Sicherheitsorgane in Dagestan, die dort ohne Abstimmung mit den örtlichen Behörden Festnahmen durchführen. Dies hat wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dagestanischen Sicherheitsorganen geführt.

 

In Inguschetien wird die Sicherheitslage inzwischen von internationalen Organisationen (u.a. den VN) für schlechter als in Tschetschenien gehalten. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen kommt es in Inguschetien zu schweren Menschenrechtsverletzungen einschließlich extralegaler Tötungen und dem "Verschwinden" von Zivilisten - verübt durch russische wie einheimische Sicherheitskräfte und tschetschenische Rebellen, denen sich immer mehr Inguschen anschließen. Zu Beginn des Jahres 2006 kam es in Inguschetien auch zu gezielten Übergriffen auf russischstämmige Bewohner, deren Zahl durch ein gezieltes Regierungsprogramm wieder erhöht werden sollte. Die Wirtschaftslage Inguschetiens ist prekär.

 

Die Geiselnahme von Beslan 2004 und die Kämpfe in Naltschik im Herbst 2005 zeigen, dass auch vormals eher ruhige Republiken wie Kabardino-Balkarien und Nordossetien zunehmend in die Gewaltspirale einbezogen werden. Willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter und Mord an "Terrorverdächtigen" sind nach übereinstimmenden Angaben aller Beobachter im ganzen Nordkaukasus an der Tagesordnung. Erlittene Misshandlungen resultieren nicht selten in Racheakten an den Sicherheitskräften.

 

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten (u.a. in großen Städten, wie z.B. Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem die Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Das davor geltende "Propiska"-System sah nicht nur die Meldung durch den Bürger, sondern auch die Gestattung oder Verweigerung durch die Behörden vor. Voraussetzung für eine Registrierung ist ein nachweisbarer Wohnraum und die Vorlage des Inlandspasses. Trotz der Systemumstellung durch das Föderationsgesetz wenden viele Regionalbehörden der Russischen Föderation restriktive örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken an. Daher haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass vielen Tschetschenen, besonders in Moskau, die Registrierung verweigert werde. Nach Moskau zurückgeführte Tschetschenen haben in der Regel nur dann eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie genügend Geld haben oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Nach der Moskauer Geiselnahme im Oktober 2002 haben sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber Tschetschenen im Allgemeinen und rückgeführten Tschetschenen im Besonderen verstärkt. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Wie ihre Lebensverhältnisse sind, hängt insbesondere davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Eine Registrierung als Binnenflüchtling (IDP, internally displaced person) und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen (Wohnung, Schule, medizinische Fürsorge, Arbeitsmöglichkeit) wird in der Russischen Föderation laut Berichten von amnesty international und UNHCR regelmäßig verwehrt.

 

(Quelle: AUSWÄRTIGES AMT Berlin, Gz: 508-516.80/3 RUS, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation einschließlich Tschetschenien, vom 17.03.2007 sowie vom 13.01.2008)

 

3. Hierzu wird wie folgt ausgeführt:

 

3.1. Die Feststellungen oben zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und regionalen Herkunft sowie zu den familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat stützen sich auf die vom BF vorgelegten Dokumente sowie seine persönlichen Angaben.

 

Hinsichtlich des genauen Zeitpunkts sowie der genauen Umstände der Ausreise aus dem Herkunftsstaat ließ sich kein hinreichend klares Bild aus dem Vorbringen des BF gewinnen, zumal letzteres schon die behaupteten Fluchtgründe betreffend widersprüchlich und nicht hinreichend nachvollziehbar und daher insgesamt nicht glaubwürdig war und die Behauptungen des BF zum genauen Zeitpunkt sowie den genauen Umständen der Ausreise mit seinem Vorbringen zu den behaupteten Fluchtgründen unmittelbar verbunden waren. Die entsprechenden Erwägungen dazu werden im Folgenden dargelegt und wird daher auf diese verwiesen.

 

3.2. Zu den Feststellungen unter II.2.2. oben:

 

3.2.1. Der BF stützte sein Vorbringen zu den behaupteten Fluchtgründen im Wesentlichen auf zwei angebliche Vorfälle im Jahre 2000 bzw. 2003 in seiner engeren Heimat, nämlich seine behauptete Festnahme anläßlich eines von ihm durchgeführten Verwundetentransports im Rahmen des zweiten Tschetschenienkrieges und seine behauptete Festnahme durch nicht näher definierte Sicherheitskräfte an seinem früheren Wohnsitz in Tschetschenien sowie anschließende mehrtägige Anhaltung und Folterung in einem Militärstützpunkt.

 

Zum ersteren Ereignis vertritt der zur Entscheidung berufene Einzelrichter des Asylgerichtshofs vorweg die Ansicht, dass die Schilderung des BF ein Geschehen wiedergab, welches vor dem Hintergrund der damaligen Ereignisse in den Jahren 1999 und 2000 in Tschetschenien an sich denkmöglich und von vornherein daher nicht als unplausibel anzusehen wäre, auch wenn zu bedenken ist, dass die Behauptung, während des zweiten Tschetschenienkrieges zwar nicht selbst gekämpft, aber Versorgungs- und Verpflegungsaufgaben zugunsten von Kämpfern und Zivilisten wahrgenommen zu haben und deshalb in Konflikt mit Sicherheits- oder Militärbehörden geraten zu sein, ein geradezu typisches, in außerordentlich großer Zahl auftretendes und daher mit Vorsicht zu erwägendes Vorbringen tschetschenischer Antragsteller darstellt.

 

Gerade im Lichte dieser Bedenken sah sich der zur Entscheidung berufene Einzelrichter des Asylgerichtshofs angehalten, zumal auch die erstinstanzliche Behörde aus von ihr im Bescheid dargestellten Überlegungen heraus Feststellungen zur Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens unterließ, den BF hierzu einer näheren Befragung zu unterziehen. Diese ergab jedoch ein in wesentlichen Aspekten des behaupteten Sachverhalts so widersprüchliches Bild, dass die Behauptungen des BF nicht hinreichend glaubwürdig waren. War der BF nämlich in der Schilderung seiner Transport- und Versorgungstätigkeit schon recht vage und im Vergleich der erst- und zweitinstanzlichen Aussagen das Ausmaß seiner Betätigung betreffend inkonsistent, so sprang vor allem ins Auge, dass er vorerst eine Festnahme anläßlich einer Fahrzeugkontrolle durch russische Militärs sowie anschließende Anhaltung für 1,5 Tage behauptete, in späterer Folge aber dezidiert nur eine Festnahme ohne weitere Anhaltung bzw. demgegenüber seine Freilassung unmittelbar nach der Festnahme unter Mithilfe von Passanten vortrug. Angesichts des eklatanten Widerspruchs in diesen wesentlichen Einzelheiten des Vorfalls war diesem Vorbringen in Verbindung mit der sonstigen Unbestimmtheit desselben die Glaubwürdigkeit zu versagen, zumal gerade dieses typische Vorbringen - wie oben dargelegt - eine zumindest hinreichende Kohärenz des Vortrags bedingen würde. Auch auf Vorhalt dieses Widerspruchs in der Berufungsverhandlung vermochte der BF keine schlüssige Erklärung dafür zu geben (vgl. S.7 des Verhandlungsprotokolls)

 

3.2.2. Zum zweiten behaupteten Vorfall im Jahr 2003 ist vorweg festzustellen, dass der BF im Laufe des Verfahrens mehrfach ausführte, er habe zwischen dem behaupteten ersten Vorfall in 2000 und dem zweiten Vorfall im September 2003 keine konkreten Schwierigkeiten mehr gehabt, vielmehr sei er zumindest ab 2001 wieder in Grosny wohnhaft gewesen, habe die Schulausbildung beendet, geheiratet und ein eigenes Transportunternehmen betrieben. Selbst wenn man das erst in der zweiten Berufungsverhandlung behauptete und daher zweifelhafte Vorbringen, dass Cousins des BF Beamte der tschetschenischen Behörden bestochen hätten um den BF vor allfälligen behördlichen Zugriffen zu schützen, mitberücksichtigt, läßt sich aus diesem Vortrag insgesamt nicht auf schlüssige Weise ableiten, weshalb der BF in diesen Jahren, wo er mitten im öffentlichen Leben in Grosny stand, eine Person von so grundsätzlichem Interesse für die Behörden gewesen wäre, welches schließlich zum erfolgten Zugriff auf den BF am 21.09.2003 geführt haben könnte. Diese Erwägungen zur Plausibilität fügen sich auch zu den oben dargestellten Bedenken die Glaubwürdigkeit des behaupteten Vorfalls in 2000 betreffend.

 

Darüber hinaus war die Schilderung des BF zum Vorfall in 2003 per se nicht dergestalt, dass ihm damit eine Glaubhaftmachung gelungen wäre. Wiederum ist hier darauf hinzuweisen, dass die Behauptung, unvermittelt in der Nacht von nicht genau bestimmbaren Akteuren aus dem Bett gezerrt, festgenommen und mit einem Hemd über dem Kopf an einen unbekannten Ort gebracht worden zu sein, an dem sie Mißhandlungen ausgesetzt gewesen seien ehe es zur Freilassung kam, zwar angesichts der allgemeinen Ereignisse in Tschetschenien in den vergangenen Jahre denkmögliches, aber andererseits ein geradezu typisches, von männlichen tschetschenischen Antragstellern vorgetragenes Vorbringen darstellt, welches aus diesem Grund zu dessen Glaubhaftmachung wiederum einen hinreichend konsistenten und glaubwürdigen Vortrag bedingen würde.

 

Gerade dies ist dem BF aber insofern nicht gelungen, als er zum einen die Umstände der Festnahme und Anhaltung sowie die dazugehörigen Akteure betreffend vage blieb und zum anderen wiederum in wesentlichen Einzelheiten des Vortrags widersprüchlich und daher nicht hinreichend glaubhaft war. Konkret in seiner Schilderung war der BF diesen Vorfall betreffend im Grunde nur gewesen was die behaupteten Mißhandlungen angeht. Diesbezüglich legte er aber erstinstanzlich dar, er sei an den letzten beiden Tagen der Anhaltung mit Stromschlägen gefoltert worden, anläßlich seiner fachärztlichen Untersuchung behauptete er demgegenüber, dies sei an den ersten beiden Tagen gewesen. Der unfallchirurgische Gutachter folgerte wiederum aus dem Vorbringen des BF, dass seine Schilderungen über das Ausmaß dieser Folterung mittels Stromschlägen aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar seien (vgl. oben die Wiedergabe des Untersuchungsergebnisses) und stellte diese als unglaubwürdig dar. Auch auf Vorhalt in der Berufungsverhandlung behauptete der BF zwar angesichts des gutachterlichen Hinweises auf allfällige kardiale Folgen einer solchen Folter chronische Herzprobleme, auf Nachfrage hin war aber zum einen keine deshalb erfolgte ärztliche Behandlung des BF festzustellen und stellte sich die vom BF vorerst behauptete Medikation wegen Herzproblemen als die bloße Einnahme von Baldriankapseln heraus, weshalb von einer Glaubhaftmachung von Herzproblemen als Folterfolge nicht auszugehen war.

 

Auch die vom BF behauptete schwere Knieverletzung durch Gewalteinwirkung wurde vom BF schon zuvor widersprüchlich dargestellt, als er zwar vor den Asylbehörden stets auf diese als Folge der Mißhandlungen im September 2003 hinwies, anläßlich seiner Aufnahme im KH S. wegen dieser Verletzung aber den ärztlichen Unterlagen entsprechend auf eine Verletzung des Knies im Zuge der Kriegsereignisse im Jahr 2000 verwies (vgl. oben). Im Besonderen maßgeblich war diesbezüglich schließlich, dass der unfallchirurgische Gutachter ausdrücklich feststellte, dass die Knieverletzung des BF die Folge einer Entwicklungsstörung und nicht von Gewalteinwirkung war und dementsprechend in Österreich behandelt wurde. Der Gutachter unterstellte dem BF in diesem Sinne sogar "arglistige Täuschungsabsicht". Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch noch auf die übrigen gutachterlichen Feststellungen zu den vom BF behaupteten Narben an mehreren Körperteilen als Folge weiterer Mißhandlungen, denen - soweit sie überhaupt feststellbar waren - ein sicherer Zusammenhang mit dem Vorbringen nicht zuzuschreiben war bzw. die - hier ist auf die behauptete Messerverletzung des BF zu verweisen - vom Gutachter grundsätzlich in Zweifel gezogen wurden. Auf Vorhalt dieser gutachterlichen Äußerung in der zweiten Berufungsverhandlung reagierte der BF zwar sehr ungehalten, in der Sache selbst war er aber zu einer substantiellen Entgegnung nicht in der Lage. Auch der Augenschein des Verhandlungsleiters im Hinblick auf die behaupteten Narben am Kopf bzw. auf das behauptete Herausreißen aller Fingernägel ergab keine sichtbaren Anzeichen bzw. verweigerte der BF diesen Augenschein bezüglich der Narben am Kopf.

 

Diese Ermittlungsergebnisse insgesamt erschütterten die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF zum Vorfall in 2003 auf nachhaltige Weise.

 

Wenig überzeugend war - vor diesem Hintergrund - auch das übrige Vorbringen zur Glaubhaftmachung eines Klinikaufenthalts des BF ab 2003 in Grosny. Ausgehend von den vom BF behaupteten schweren Folterungen (Stromschläge über Stunden bzw. Tage hinweg, schwere Schläge mit Verletzungsfolge, Ausreißen aller Fingernägel) wäre eine entsprechende medizinische Behandlung des BF zu seiner Versorgung angezeigt und zu erwarten gewesen. Auf Nachfrage in der Berufungsverhandlung konnte der BF aber keinerlei Behandlung außer seinem bloßen Aufenthalt in der Klinik angeben bzw. wich er der entsprechenden Frage aus. Auf Fragen zur von ihm vorgelegten Behandlungsbestätigung war der BF ebenso vage wie der Inhalt derselben nicht in Einklang mit den behaupteten Mißhandlungen bzw. deren Folgen stand (vgl. S. 13, 14 des Verhandlungsprotokolls).

 

Zuletzt war noch das Vorbringen des BF die Zeit nach dem Klinikaufenthalt in 2003 bis zur Ausreise betreffend einzubeziehen. Wie oben wiedergegeben war er bereits erstinstanzlich in seinen Angaben zum Ausre

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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