TE Vwgh Erkenntnis 2001/3/29 2000/20/0563

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Veröffentlicht am 29.03.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/04 Sprengmittel Waffen Munition;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §52;
AVG §66 Abs4;
WaffG 1996 §25 Abs2;
WaffG 1996 §25 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs1;
WaffG 1996 §8 Abs2 Z3;
WaffG 1996 §8 Abs2;
WaffG 1996 §8 Abs3;
WaffG 1996 §8 Abs5;
WaffG 1996 §8 Abs6;
WaffG 1996 §8 Abs7;
WaffV 01te 1997 §1;
WaffV 01te 1997 §3 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der SM in S, vertreten durch Dipl.-Ing. Mag. iur. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 31. Oktober 2000, Zl. Wa-162/00, betreffend Entziehung der Waffenbesitzkarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 19. April 2000 wurde die Waffenbesitzkarte der Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Z 3 des Waffengesetzes 1996 (im Folgenden kurz: WaffG) entzogen. Die Behörde erster Instanz begründete dies damit, dass der Beschwerdeführerin die waffengesetzlich geforderte Verlässlichkeit fehle, da sie durch ein körperliches Gebrechen nicht in der Lage sei, mit Waffen sachgemäß umzugehen. Vom Bundessozialamt sei eine Behinderung der Beschwerdeführerin zu 90 % durch schwere angeborene und degenerative Wirbelsäulenveränderungen, arteriellen Bluthochdruck und beginnende Paraparese durch motorische Schwäche der Hüftbeuger beidseits festgestellt worden. Der Amtsarzt habe auf Grund vorliegender Befunde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin zu einem beträchtlichen Grad behindert sei und die körperlichen Voraussetzungen für den sicheren Umgang mit genehmigungspflichtigen Schusswaffen nicht mehr im notwendigen Umfang aufweise.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung wendete die Beschwerdeführerin ein, der Polizeiamtsarzt habe ihren Gesundheitszustand lediglich auf Grund von schriftlich vorliegenden Befunden, aber ohne sie zu untersuchen, beurteilt. Bei den eingesehenen Befunden handle es sich um solche des Bundessozialamtes, welches andere als die für die Beurteilung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit maßgeblichen Kriterien heranzuziehen habe.

Die belangte Behörde gab daraufhin die amtsärztliche Untersuchung der Beschwerdeführerin samt Erstellung eines medizinischen Gutachtens zum Thema in Auftrag, inwiefern sich die festgestellten körperlichen Gebrechen der Beschwerdeführerin im Sinne des § 8 Abs. 2 Z. 3 WaffG auf den sachgemäßen Umgang mit Waffen auswirkten, und ersuchte um schlussfolgernde Begründung, weshalb dadurch die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sei, mit Waffen sachgemäß umzugehen.

Im Schreiben vom 18. August 2000 führte der Polizeiamtsarzt dazu aus:

"Auf Grund der vorliegenden Befunde bestehen schwere degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates, art. Hypertonie und beginnende Paraparese durch motorische Schwäche der Hüftbeuger. Frau M erschien am 21.06.2000 persönlich bei mir.

Gang sicher und unauffällig. Auf Grund der motorischen Schwäche in den Beinen ist insbesondere bei großkalibrigen Faustfeuerwaffen jedoch das körperliche Austarieren des Rückstoßes in Frage gestellt und eine sichere Schussabgabe somit zweifelhaft. Außerdem leidet OA laut beigebrachten Befunden an Epilepsie, im letzten aktuellen EEG wird eine Anfallsfreiheit nicht garantiert. Neuerliche Befunde wurden trotz Aufforderung bis dato nicht beigebracht.

Stellungnahme: Nach den vorliegenden Befunden und der Untersuchung ist derzeit eine Eignung für den sicheren Umgang mit Faustfeuerwaffen nicht gegeben.

Bei der Untersuchung ergeben sich keine Hinweise dafür, dass die körperlichen Beeinträchtigungen bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung der Waffenbesitzkarte in diesem Ausmaß vorlagen."

Die Beschwerdeführerin wurde im Rahmen des dazu eingeräumten Parteiengehörs mit Schreiben der belangten Behörde vom 31. August 2000 wie folgt aufgefordert:

".....Weiters legte der Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Schwechat klar, dass Sie laut beigebrachten Befunden an Epilepsie (leiden) und im letzten aktuellen EEG eine Anfallsfreiheit nicht garantiert wird. Entsprechend dieser Tatsache werden Sie gemäß § 25 Abs. 2 zweiter Satz zweiter Fall in Verbindung mit § 8 Abs. 7 zweiter Satz WaffG 1996 aufgefordert, ein Gutachten darüber beizubringen, ob Sie dazu neigen, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Hiebei haben Sie sich einer vom Bundesministerium für Inneres durch Verordnung bezeichneten und geeigneten Person oder Einrichtung zu bedienen. Über derartige geeignete Einrichtungen können Sie sich bei der Behörde I. Instanz informieren. Sollten Sie ein derartiges Gutachten der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich im vorgegebenen Zeitrahmen nicht beischaffen, wird die Behörde bei ihrer Entscheidungsfindung außerdem von einem gesetzlichen Ausschlussgrund des § 8 Abs. 6 WaffG 1996 ausgehen. ....."

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, "dass er sich auf § 25 Abs. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Z. 3 und § 8 Abs. 6 WaffG 1996 stützt".

Zur Begründung der aus § 8 Abs. 2 Z. 3 WaffG abgeleiteten fehlenden Verlässlichkeit der Beschwerdeführerin wurde im Bescheid nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der amtsärztlichen Stellungnahmen ausgeführt, dass auf Grund der der Behörde vorliegenden Gutachten, Befunde und Stellungnahmen über die körperliche Behinderung der Beschwerdeführerin im Ausmaß von 90 % "eindeutig nachvollziehbar" sei, dass sie durch diese körperlichen Gebrechen nicht in der Lage sei, mit Waffen sachgemäß umzugehen. Insbesondere habe der Amtsarzt zum Ausdruck gebracht, dass auf Grund der motorischen Schwäche der Beschwerdeführerin in den Beinen das körperliche Austarieren des Rückstoßes "speziell bei großkalibrigen Faustfeuerwaffen in Frage gestellt" und eine sichere Schussabgabe "zweifelhaft" sei. Das Gesamtbild runde sich durch die "Annahme" des Amtsarztes ab, dass auf Grund des letzten aktuellen EEG von keiner epileptischen Anfallsfreiheit ausgegangen werden könne.

Das Vorliegen des zweiten im angefochtenen Bescheid herangezogenen Verlässlichkeitsausschlussgrundes (§ 8 Abs. 6 WaffG) begründete die belangte Behörde damit, dass die Beschwerdeführerin für die ihr aufgetragene Vorlage eines Gutachtens, ob sie dazu neige, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden, zwar um Fristerstreckung angesucht habe, jedoch trotz Androhung der Rechtsfolgen diesem behördlichen Auftrag nicht nachgekommen sei. Es sei ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass an eine Vorgangsweise zur Aufforderung der Beischaffung eines diesbezüglichen psychologischen Gutachtens keine strengen Voraussetzungen geknüpft seien, weshalb insbesondere "der Verdacht auf epileptische Anfälle" für einen Auftrag zur Beischaffung eines derartigen Gutachtens ausgereicht habe. Es sei jedenfalls nicht auszuschließen bzw. sogar nahe liegend, dass sie in einem derartigen Anfallszustand und daraus resultierender erhöhter psychischer Belastung die im § 8 Abs. 1 Z. 1 WaffG normierten Gefahren verwirkliche.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin lässt die Feststellungen der belangten Behörde zu ihrem Gesundheitsszustand und zur Epilepsie unbestritten. Auch tritt sie den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, sie habe trotz diesbezüglicher Aufforderung und trotz Hinweises auf die Rechtsfolgen kein Gutachten darüber beigebracht, ob sie dazu neige, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder diese leichtfertig zu verwenden, nicht entgegen. Vielmehr macht die Beschwerde die unrichtige rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes mit der Begründung geltend, der Verlässlichkeitsausschlusstatbestand des § 8 Abs. 2 Z. 3 WaffG setze nicht nur ein körperliches Gebrechen sondern auch eine Prognoseentscheidung der Behörde voraus, ob eine Gefahr für den Betroffenen selbst oder für andere bestehe. Auch sei dieser Tatbestand nicht schon dann erfüllt, wenn der Betroffene nicht in allen vorstellbaren Situationen mit allen vorstellbaren genehmigungspflichtigen Schusswaffen umzugehen vermöge. So könnten z.B. kleinere Frauen schon wegen ihrer naturgemäß kleineren Hände den Rückstoß von großkalibrigen Waffen nicht abfangen. Dieser Verlässlichkeitsausschlussgrund liege daher nur dann vor, wenn die betreffende Person auf Grund eines körperlichen Gebrechens überhaupt nicht in der Lage sei, mit Waffen sorgsam umzugehen.

Die Heranziehung des Weiteren im angefochtenen Bescheid genannten Verlässlichkeitsausschlussgrundes des § 8 Abs. 6 WaffG sei unzulässig, da es im vorliegenden Fall geradezu absurd sei, dass die Beschwerdeführerin durch die Nichtvorlage des in Rede stehenden Gutachtens ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe. Es bestehe nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass sie auf Grund psychischer Belastung (und nicht auf Grund eines physischen Defektes) mit Waffen unvorsichtig umgehe, weshalb diese Frage bei richtiger rechtlicher Beurteilung nicht Gegenstand der Ermittlungen der belangten Behörde sein könne. Der "Zusammenhang eines epileptischen Anfalles mit einem psychisch labilen Menschen" sei nicht nachvollziehbar, da ein derartiger Anfall lediglich physische Folgen haben könnte, aber doch niemals eine psychische Sorglosigkeit indiziere. Die Bestimmung des § 25 Abs. 2 WaffG ermächtige die Behörde nicht, einem möglicherweise physisch kranken Menschen die Vorlage eines psychologischen Gutachtens vorzuschreiben. Aber selbst im Zusammenhang mit entsprechenden Anhaltspunkten dafür, dass die Beschwerdeführerin Waffen leichtfertig verwenden würde, bilde eine Weigerung, ein angefordertes Gutachten vorzulegen, für sich allein keinen ausreichenden Grund für die Entziehung der waffenrechtlichen Urkunde. Die Behörde habe sich allenfalls durch andere Ermittlungsschritte die notwendige Überzeugung über den psychischen Zustand des Betroffenen zu verschaffen.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Waffengesetzes 1996 lauten:

"§ 8. (1) Ein Mensch ist verlässlich, wenn er voraussichtlich mit Waffen sachgemäß umgehen wird und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er

1.

Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird;

2.

mit Waffen unvorsichtig umgehen oder diese nicht sorgfältig verwahren wird;

              3.              Waffen Menschen überlassen wird, die zum Besitz solcher Waffen nicht berechtigt sind.

(2) Ein Mensch ist keinesfalls verlässlich, wenn er

1.

alkohol- oder suchtkrank ist oder

2.

psychisch krank oder geistesschwach ist oder

3.

durch ein körperliches Gebrechen nicht in der Lage ist, mit Waffen sachgemäß umzugehen.

.....

(6) Schließlich gilt ein Mensch als nicht verlässlich, wenn aus Gründen, die in seiner Person liegen, die Feststellung des für die Verlässlichkeit maßgeblichen Sachverhaltes nicht möglich war.

.....

(7) Bei erstmaliger Prüfung der Verlässlichkeit hat sich die Behörde davon zu überzeugen, ob Tatsachen die Annahme mangelnder waffenrechtlicher Verlässlichkeit des Betroffenen aus einem der in Abs. 2 genannten Gründe rechtfertigen. Antragsteller, die nicht Inhaber einer Jagdkarte sind, haben ein Gutachten darüber beizubringen, ob sie dazu neigen, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Der Bundesminister für Inneres hat durch Verordnung geeignete Personen oder Einrichtungen zu bezeichnen, die in der Lage sind, solche Gutachten dem jeweiligen Stand der Wissenschaft entsprechend zu erstellen.

§ 25. (1) .....

(2) Die Behörde hat außerdem die Verlässlichkeit des Inhabers einer waffenrechtlichen Urkunde zu überprüfen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist. Sofern sich diese Anhaltspunkte auf einen der in § 8 Abs. 2 genannten Gründe oder darauf beziehen, dass der Betroffene dazu neigen könnte, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden, ist die Behörde zu einem entsprechenden Vorgehen gemäß § 8 Abs. 7 ermächtigt.

(3) Ergibt sich, dass der Berechtigte nicht mehr verlässlich ist, so hat die Behörde waffenrechtliche Urkunden zu entziehen."

§ 8 Abs. 1 WaffG definiert in Form einer Generalklausel die waffenrechtliche Verlässlichkeit im Sinne einer Prognosebeurteilung, wohingegen bei den Verlässlichkeitsausschlussgründen des § 8 Abs. 2, 3, 5 und 6 WaffG aus bestimmten Verhaltensweisen oder Eigenschaften der zu beurteilenden Person ex lege auf deren mangelnde Verlässlichkeit geschlossen wird, was somit eine unwiderlegliche Rechtsvermutung der Unverlässlichkeit bewirkt (vgl. dazu Hauer/Keplinger, Waffengesetz 1996, Seite 39). Da bei Erfüllung des Tatbestandes des § 8 Abs. 2 WaffG die zu beurteilende Person "keinesfalls" als verlässlich anzusehen ist, bedarf es in einem solchen Fall entgegen den Beschwerdeausführungen keiner weiteren Prüfung der Verlässlichkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 leg.cit. (vgl. zur diesbezüglich vergleichbaren Rechtslage des § 6 Abs. 2 WaffG 1986 das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1997, Zl. 96/20/0578).

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung über den Entzug der Waffenbesitzkarte der Beschwerdeführerin nicht nur auf jenen von der Behörde erster Instanz herangezogenen Verlässlichkeitsausschlussgrund des § 8 Abs. 2 Z. 3 WaffG, sondern zusätzlich auf § 8 Abs. 6 WaffG gestützt. Vorauszuschicken ist, dass dadurch die Grenzen der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG nicht überschritten wurden, weil damit die bereits den Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens bildende Frage der waffengesetzlichen Verlässlichkeit der Beschwerdeführerin lediglich unter einem weiteren Blickwinkel beurteilt wurde (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 6. November 1997, Zl. 96/20/0357). Jeder der beiden im vorliegenden Fall herangezogenen Verlässlichkeitsausschlussgründe des § 8 WaffG führt freilich - so er verwirklicht ist - bereits für sich alleine gemäß § 25 Abs. 3 WaffG zur Entziehung der waffenrechtlichen Urkunde.

Den Verlässlichkeitsausschließungsgrund des § 8 Abs. 6 WaffG begründet die belangte Behörde mit der Weigerung der Beschwerdeführerin, das ihr aufgetragene Gutachten im Sinne des § 25 Abs. 2 zweiter Satz zweiter Fall WaffG in Verbindung mit § 8 Abs. 7 zweiter Satz WaffG darüber beizubringen, ob sie dazu neige, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Soweit die Beschwerdeführerin die Rechtsauffassung vertritt, eine Weigerung zur Vorlage eines behördlich angeforderten Gutachtens könne für sich alleine und ohne weitere Ermittlungsschritte der Behörde über den psychischen Zustand des Betroffenen noch keinen ausreichenden Grund für die Entziehung der waffenrechtlichen Urkunde bilden, ist auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen:

Im hg. Erkenntnis vom 30. September 1998, Zl. 98/20/0269, wurde in Bezug auf das Eintreten der gesetzlichen Vermutung des § 8 Abs. 6 WaffG zwischen dem ersten und dem zweiten Anwendungsfall des § 25 Abs. 2 zweiter Satz WaffG unterschieden. Der zweite Anwendungsfall des § 25 Abs. 2 zweiter Satz WaffG iVm § 8 Abs. 7 leg. cit. lässt die behördliche Aufforderung zur Beibringung eines (psychologischen) Gutachtens im Sinne der Ersten Waffengesetz-Durchführungsverordnung (1.WaffV, BGBl. II Nr. 164/1997) ausschließlich darüber zu, ob Betroffene dazu neigen, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Nur in einem solchen Fall ist bei Nichtbeibringung des aufgetragenen Gutachtens gemäß der gesetzlichen Vermutung des § 8 Abs. 6 WaffG davon auszugehen, dass ohne dieses Gutachten die Feststellung des für die Verlässlichkeit maßgebenden Sachverhaltes nicht möglich und der Betroffene als nicht (mehr) verlässlich anzusehen ist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 97/20/0756).

Somit stellt sich die maßgebliche Frage, ob im gegenständlichen Fall gemäß § 25 Abs. 2 zweiter Satz zweiter Fall WaffG "Anhaltspunkte" dafür gegeben waren, dass die Beschwerdeführerin insbesondere unter psychischer Belastung dazu neigen könnte, mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden. Im angefochtenen Bescheid wurde ein solcher Anhaltspunkt ausschließlich in möglichen epileptischen Anfällen der Beschwerdeführerin gesehen, auch der obzitierte Gutachtensauftrag an die Beschwerdeführerin vom 31. August 2000 nimmt nur auf die Epilepsie der Beschwerdeführerin Bezug ("Entsprechend dieser Tatsache....."). Damit übersieht die belangte Behörde allerdings, dass es sich bei der Epilepsie um eine Erkrankung handelt (vgl. dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, S. 418 ff.), die zwar Anlass zu einer Überprüfung der Verlässlichkeit unter medizinischen Gesichtspunkten gibt und auch mit psychischen Belastungen und Verhaltensauffälligkeiten verbunden sein mag, von der aber nicht ohne weiteres gesagt werden kann und im angefochtenen Bescheid auch nicht dargetan wird, dass sie als Hinweis auf mangelnde Vorsicht oder Leichtfertigkeit, insbesondere unter psychischer Belastung, zu deuten sei.

Auch auf Grund § 8 Abs. 7 WaffG, der die Gutachtenserstellung im Sinne des zweiten Satzes dieser Bestimmung nur durch Personen und Einrichtungen vorsieht, die in einer Verordnung des Bundesministers für Inneres (1.WaffV) bezeichnet sind, erhellt, dass die in § 1 dieser Verordnung genannten Begutachtungsstellen und die im dortigen § 3 Abs. 2 angeführten Testverfahren (Fragebögen) nicht zur medizinischen Bewertung des Vorliegens von Epilepsie und ihrer Auswirkungen berufen sind (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2000, Zl. 99/20/0213).

Die belangte Behörde war daher im vorliegenden Fall nicht berechtigt, die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Epilepsie mit der Beibringung eines psychologischen Gutachtens im Sinne des § 8 Abs. 7 WaffG zu beauftragen und durfte ihr daher aus der Weigerung zur Beibringung eines solchen Gutachtens die waffenrechtliche Verlässlichkeit nicht gemäß § 8 Abs. 6 WaffG absprechen.

Wie sich aber bereits aus dem zitierten Erkenntnis vom 30. September 1998 ergibt, schließt dies nicht aus, die Beschwerdeführerin bei Vorliegen medizinisch begründeter Zweifel an der Verlässlichkeit mit der Beibringung eines medizinischen Gutachtens zur Überprüfung ihrer Krankheitssymptome zu beauftragen. Bei Nichtentsprechung eines Auftrages der Behörde zur Beibringung eines solchen Gutachtens käme allerdings noch nicht die Vermutung des § 8 Abs. 6 WaffG zum Tragen, dass die Betroffene schon deshalb nicht (mehr) als verlässlich im Sinne des § 8 Abs. 1 WaffG anzusehen wäre (vgl. abermals das bereits zitierte Erkenntnis vom 30. September 1998). In einem solchen Fall obliegt es der Behörde, von Amts wegen einen geeigneten medizinischen Sachverständigen zu bestellen und diesen mit der Gutachtenserstellung zur Frage des Vorliegens (Art und Ausmaß) der vermuteten Gebrechen und ihrer für die Führung von Waffen bedeutsamen Auswirkungen zu betrauen, bei der Beschwerdeführerin daher speziell auch zur Frage, ob weiterhin mit epileptischen Anfällen und gegebenenfalls in welchem Ausmaß und mit welchen Wirkungen zu rechnen sei. Erst wenn die Betroffene daran nicht entsprechend mitwirkte, sich also etwa der Befundaufnahme entziehen würde, könnte die Behörde ihr weiteres Vorgehen auf § 8 Abs. 6 WaffG stützen. Da ein Sachverhalt dieser Art im gegenständlichen Fall aber nicht vorliegt, ist die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung zu Unrecht von der gesetzlichen Vermutung des § 8 Abs. 6 WaffG ausgegangen.

Insoweit der angefochtene Bescheid mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Z 3 WaffG (und nicht des § 8 Abs. 6 WaffG) begründet wird, liegt der Entscheidung kein nachvollziehbares Sachverständigengutachten zu Grunde. Auch wenn Befund und Gutachten nicht das Niveau einer wissenschaftlichen Darstellung aufweisen müssen, so entsprechen die im gegenständlichen Verwaltungsverfahren eingeholten amtsärztlichen Stellungnahmen den maßgeblichen Kriterien nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0805). Zu Recht bemängelte die Beschwerdeführerin bereits in der Berufung, dass der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten amtsärztlichen Stellungnahme keine Untersuchung vorangegangen war. Das eingangs wiedergegebene Schreiben des Polizeiamtsarztes vom 18. August 2000 trifft hinsichtlich der Auswirkungen der Veränderungen des Bewegungsapparates der Beschwerdeführerin keine in sich schlüssigen Aussagen, da es einerseits trotz "beginnender" Paraparese den Gang der Beschwerdeführerin als "sicher und unauffällig" beschreibt, dennoch aber ohne nähere Begründung die Fähigkeit der Beschwerdeführerin, den Rückstoß von Faustfeuerwaffen auszutarieren "in Frage stellt" (dies im Übrigen unter weiterer Relativierung betreffend "großkalibriger Faustfeuerwaffen") und die sichere Schussabgabe lediglich als "zweifelhaft" beschreibt. Bei der angegebenen fehlenden Anfallsfreiheit von Epilepsie bezieht sich der Polizeiamtsarzt auf ein "letztes aktuelles" EEG, ohne die Aktualität näher zu präzisieren und spricht letzterem selbst durch die Aufforderung zur Beibringung neuer Befunde die Relevanz ab. Schließlich geht auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nur von der "Annahme" des Amtsarztes aus, dass von keiner epileptischen Anfallsfreiheit ausgegangen werden könne.

Indem die belangte Behörde ihrer Entscheidung nur diese amtsärztlichen Stellungnahmen zu Grunde legte und damit ihren Berufungsbescheid in Bezug auf die der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 WaffG abgesprochene Verlässlichkeit nicht in einer die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ermöglichenden Weise begründete (vgl. dazu die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 , zu § 60 AVG referierte hg. Judikatur), hat sie ihren Bescheid auch in dieser Hinsicht mit Rechtswidrigkeit belastet.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die Voraussetzungen der Entziehung der waffenrechtlichen Urkunde unrichtig beurteilte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. März 2001

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztBeschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000200563.X00

Im RIS seit

20.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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