TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/13 S5 400881-1/2008

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Veröffentlicht am 13.08.2008
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Spruch

S5 400.881-1/2008/4E

 

S5 400.882-1/2008/4E

 

S5 400.883-1/2008/3E

 

S5 400.884-1/2008/3E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Benda als Einzelrichter über die Beschwerde 1. der S.S., geb. 00.00.1959, 2. des S.D., geb. 00.00.1981, 3. des S.C., geb. 00.00.1984, 4. des S.U., geb. 00.00.1998, StA. der Russischen Föderation, gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 21.07.2008, Zlen: 08 03.725-EAST Ost (ad 1.), 08 03.726-EAST Ost (ad 2.), 08 03.727-EAST Ost (ad 3.), 08 03.728-EAST Ost (ad 4.), zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die 1.-Beschwerdeführerin ist Mutter des 2.-Beschwerdeführers sowie des 3.- und 4.- Beschwerdeführers, allesamt Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Die 1.-Beschwerdeführerin reiste zusammen mit dem 2., 3. und 4.-Beschwerdeführer am 20.04.2008 mit einem Privat-Pkw nach Weißrussland, von wo aus die Beschwerdeführer sich am 26.04.2008 nach Polen und in weiterer Folge sich in das österreichische Bundesgebiet begaben und am 27.04.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachten. Im Zuge der erkennungsdienstlichen Behandlung durch polnische Behörden brachten die Beschwerdeführer am 26.04.2008 in Lublin (Polen) einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Eine am 10.06.2008 durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin und psychotherapeutische Medizin, Dr. med. I.H., von Amts wegen durchgeführte Untersuchung der 1.-Beschwerdeführerin sowie des 2.-Beschwerdeführers hatte zum Ergebnis, dass bei beiden eine deutliche Trauerreaktion nach traumatischen Verlusten vorliegt. Die depressive Stimmung wurde als Anpassungsstörung nach belastenden Ereignissen identifiziert. Eine Suizidgefährdung oder Hinweise für eine Vernachlässigung der eigenen Interessen bzw. die Vitalfunktionen gefährdenden Symptome konnten nicht konstatiert werden.

 

Des Weiteren wurde festgehalten, dass eine Behandlung dieser Anpassungsstörung in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union möglich sein sollte (Aktenseite 99).

 

Hinsichtlich beider wurde im Ergebnis ausgeführt, dass in Hinblick auf eine in Aussicht zu stellende Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

Zugestanden wurde bei den Genannten eine allfällige Verschlechterung der Symptomatik bei geplanter Überstellung, welche jedoch aus medizinischer Sicht nicht unzumutbar sei.

 

Betreffend den Drittbeschwerdeführer wurden im Rahmen der Untersuchung gänzlich keine Symptome einer belastungsabhängigen psychischen Störung exploriert oder beobachtet bzw. ergaben sich keine manifestierten Hinweise auf Folter.

 

Bei allen drei examinierten Beschwerdeführern wurde konstatiert, dass im Hinblick auf eine geplante Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

Mit E-Mail vom 30.04.2008 ersuchte Österreich Polen um Übernahme der vier Beschwerdeführer unter Hinweis auf deren gestellten Asylantrag in Polen (Aktenseite 39 des Verwaltungsaktes der 1.-Beschwerdeführerin). Polen hat sich mit Fax vom 06.05.2008, datiert 05.05.2008, (Aktenseite 65 des Verwaltungsaktes der 1.-Beschwerdeführerin) bereit erklärt, diese gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmen.

 

Die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin wurden zunächst jeweils mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.07.2008, Zlen: 08 03.725-EAST Ost (ad 1.), 08 03.726-EAST Ost (ad 2.), 08 03.727-EAST Ost (ad 3.), 08 03.728-EAST Ost (ad 4.), gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und die Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Gegen diese Bescheide haben die Beschwerdeführer 1 bis 4 fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass sie bereits vor der Erstbehörde glaubhaft dargetan hätten, dass sie an der Grenze beim Zoll in Polen jene Personen gesehen hätten, die an Verschleppungen, Tötungen und Folterungen der Familienmitglieder beteiligt gewesen seien, weshalb sie sich geweigert hätten, Fingerabdrücke abzugeben und etwas zu unterschreiben. Erst unter Androhung der Zurückschiebung nach Weißrussland hätten sie sich dazu bereiterklärt. Des Weiteren seien die Beschwerdeführer in deren Recht vor Gefahren im Sinne des § 50 FPG geschützt zu werden, verletzt worden. Des Weiteren verwiesen die Beschwerdeführer insbesondere darauf, dass hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin Symptome einer Konzentrationsstörung, Flashbacks, Schlafstörungen, Angstzuständen bei Lärm, Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken, etc. vorliegen würden, sowie beim Zweitbeschwerdeführer erst selbst Folteropfer sei, ebensolche Anzeichen von Konzentrationsstörungen und Amnesie, welche ein eindeutiges Zeichen einer Traumatisierung seien, manifestieren würden. Auch sei behördlicherseits festgestellt worden, dass es erfahrungsgemäß bei geplanter Überstellung zu einer Verschlechterung der Symptomatiken kommen würde, wobei er noch diesbezüglich über gute Ressourcen verfügte. Letztere Aussage sei rein spekulativ und in Widerspruch zum sonstigen festgestellten psychischen Zustand des Zweitbeschwerdeführers. Des Weiteren wurde auf das Risiko einer Retraumatisierung und dadurch einer Verletzung des Art. 3 EMRK verwiesen. Der Beschwerdeschrift beigeschlossen sind Befunde des Vereins Hemayat - Verein zur Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden - betreffend die Erst- und den Zweitbeschwerdeführer vom 27. bzw. 30.7.2008. Hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin wurde die diagnostische Schlussfolgerung gezogen, dass sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und sie daher als besonders vulnerabel zu qualifizieren sei.

 

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers wurde eine im Ergebnis gleichlautende Diagnose erstellt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

§ 34 Abs. 1 AsylG lautet: "Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von

 

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

 

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

 

3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Familienangehörige sind gem. § 2 Z 22 AsylG, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines

 

Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familiengemeinschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Polen hat auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. c bzw. Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) akzeptiert, die Asylwerber wieder aufzunehmen bzw. aufzunehmen.

 

Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) lautet wie folgt:

 

Stellen mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Asylantrag, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:

 

zuständig für die Prüfung der Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist;

 

andernfalls obliegt die Prüfung dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten Familienmitglied eingereichten Asylantrags zuständig ist.

 

Bereits das Bundesasylamt hat in der Begründung der angefochtenen Bescheide die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, darunter auch Feststellungen zum polnischen Asylverfahren und dessen Praxis sowie zur Versorgungslage von Asylwerbern in Polen sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage rechtsrichtig ausgeführt. Der Asylgerichtshof schließt sich den Ausführungen des Bundesasylamtes in den angefochtenen Bescheiden hinsichtlich beider Spruchpunkte vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

 

II.2. Zum Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin sowie jenem des Zweitbeschwerdeführers ist auszuführen, dass in dem behördlicherseits eingeholten Gutachten Dris. H., jedenfalls eine depressive Grundstimmung konstatiert wurde, sowie die Exploration durch Erstuntersuchung, hypothesenbezogene Hinweise aus dem Erstinterview sowie durch halbstrukturiertes Interview und Verhaltensbeobachtung geführt wurde, wodurch die Vorgangsweise der Exploration schlüssig dargelegt ist.

 

Ausdrücklich wurde - in zielgerichteter Beantwortung der entscheidungswesentlichen Frage eines gesundheitlichen Risikos in Hinblick auf eine Verbringung nach dem Dublin-Staat Polen, sohin nicht nach dem Herkunftsstaat (!) - eine nicht zumutbare Verschlechterung des Gesamtzustandes aus ärztlicher Sicht für den Fall der Überstellung nach Polen als nicht vorliegend qualifiziert bzw. wurde (lediglich) eine sogenannte Anpassungsstörung diagnostiziert.

 

Risiken einer Selbstgefährdung sowie weitere Hinweise auf eine die Vitalfunktionen gefährdende Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Erst- und des Zweibeschwerdeführers wurden verneint.

 

II.3. Demgegenüber wird in jenen von Seiten des Vereins Hemayat zur Verfügung gestellten Berichte betreffend die Erst- und den Zweitbeschwerdefüher der zertifizierten klinischen Psychologin Dris K. eine posttraumatische Belastungsstörung erkannt. Ohne konkrete schlüssige Hinweise wurde des Weiteren eine Verschlechterung der jeweiligen Erkrankung prognostiziert sowie ein hohes Suizidrisiko für den Fall der Rückverbringung nach Polen insinuiert.

 

Insbesondere ist den beiden bezughabenden klinisch-psychologischen Befunden, worin jeweils ein vorliegendes posttraumatisches Belastungssyndrom festgestellt wurde, nicht entnehmbar, woraus sich in beiden Fällen die dort erstellte Prognose einer dergestalt möglichen Verschlechterung der vorliegenden Symptomatiken unter Einschluss eines hohen Suizidrisikos ableiten lässt. So ist nicht schlüssig nachgewiesen, dass bei Verbringung der Erstbeschwerdeführerin sowie des Zweit- und Drittbeschwerdeführers nach der Republik Polen, sich der psychische Gesundheitszustand der Beschwerdeführer in dergestalt drastischer Weise verschlechtern sollte, das hiemit eine lebensbedrohende Situation für einen der Beschwerdeführer einträte.

 

Exemplarisch wird darauf verwiesen, dass etwa aus der Aussage "... nicht mehr weiterleben zu wollen..." und aus bestehenden Konzentrationsschwierigkeiten sowie aus - weiters seitens der Erstbeschwerdeführerin behaupteten - belastenden Albträumen sowie Schlafstörungen und der Schwierigkeit, Freude zu empfinden und auftretenden Angstzuständen und einer übertriebenen Schreckreaktion nicht logisch auf die als Ergebnis dargetane akute Suizidgefährdung und "Retraumatisierung" für den Fall der Überstellung nach Polen(!) - und nicht nach dem Herkunftsstaat - zu schließen.

 

Vielmehr ist den vorliegenden Befunden entnehmbar, dass offenbar rein aufgrund der subjektiven Behauptung der Beschwerdeführer hinsichtlich behaupteter Symptome auf das Vorliegen einer posttraumatischen Störung geschlossen wurde, ohne hiefür wissenschaftlich ableitbare und objektivierbar vorliegende Indizien hiefür darzulegen.

 

Ungeachtet dessen, dass gemäß behördlicher Einschätzung in casu durch das erst im Berufungsverfahren beigebrachte Gutachten Dris. K. durch den Verein zur Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden Hemayat nicht ausreichend nachvollziehbar dargelegt wurde, woraus sich insbesondere das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit damit einhergehend einer die Vitalfunktionen beeinträchtigenden Verschlechterung bei Überstellung nach Polen sowie Suizidgefährdung bei der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer vorliegen sollen - und ist insbesondere in den genannten Befundberichten nicht auf die seitens der Erstbehörde beauftragten Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin sowie Spezialistin für psychotherapeutische Medizin dargelegte gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren Bezug genommen - insbesondere nicht darauf, dass in beiden Fällen einerseits eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht (!) verneint wurde bzw. andererseits auch lediglich "eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik" - nicht jedoch ein posttraumatisches Belastungssyndrom konstatiert wurde.

 

Das Vorliegen von begründeten Indizien, dass in casu hinsichtlich der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers für eine die Vitalinteressen akut beinträchtigende Gefährdung gerade für den Fall der Verbringung nach Polen besteht, kann daher nicht erkannt werden.

 

Ungeachtet dessen ist in diesem Zusammenhang auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt...

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Aus der Aktenlage sind keine schlüssig nachvollziehbaren Hinweise auf einen aktuellen existenzbedrohenden Zustand im Falle der Überstellung nach Polen hervorgetreten.

 

Soweit nun geltend geltend gemacht wurde, dass die ERrst- und der Zweitbeschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden und eine Abschiebung nach Polen das Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und latenten Suizidalität bedeuten würde, ist auf die strenge Judikatur des EGMR hinzuweisen, die im Wesentlichen nur dann eine Verletzung von Rechten gem. Art. 3 EMRK als gegeben ansieht, wenn eine Person, die lebensbedrohend erkrankt ist und sich im Endstadium der Krankheit befindet, im Zielstaat keine medizinische Hilfe erhalten könnte:

 

In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst

 

ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06. Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig von einander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden war. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand ("[...] concluded that the applicant suffered from a serious depression with anxiety symptoms, and that there was a real risk that she would try to commit suicide if she were to be deported[...]").

 

Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran mit der Begründung eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen

 

Artikel 3 EMRK, wies der EGMR ab.

 

Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei(!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig ein schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab.

 

Vor dem Hintergrund dieser strengen Judikatur des EGMR kann jedenfalls - ungeachtet des Vorliegens eines solchen Krankheitsbildes - nicht erkannt werden, dass eine Zurückschiebung der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers nach Polen eine Verletzung der Rechte gem. Art. 3 EMRK darstellen würde, da in casu nicht das Endstadium einer tödlichen Krankheit gegeben ist und in Polen, einem Mitgliedstaat der EU (!), selbstverständlich (auch) hinsichtlich einer posttraumatischen Belastungsstörung verschiedene Behandlungsmöglichkeitten verfügbar sind, wobei grundsätzlich unerlässliche medizinische Versorgung für Asylwerber kostenlos ist. Der mentale Stress bei einer Abschiebung selbst ist ebenfalls kein ausreichendes "real risk" und ergibt sich aus den seitens der Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen etwa auch keine akute, hohe Selbstmordgefahr der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung, sondern lediglich "das Risiko einer Verschlechterung" (- es ist sohin nicht einmal sicher, ob

 

überhaupt eine Verschlechterung eintritt) einer latenten Suizidalität, sodass - nach dem Maßstab der Judikatur des EGMR - eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte gem. Art. 3 EMRK noch viel weniger erkannt werden kann. Dies noch umso weniger, als nicht etwa die Abschiebung in ein krisengeschütteltes Herkunftland, sondern in einen Mitgliedstaat der EU (!), in dem funktionierende rechtsstaatliche Strukturen und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln selbstverständlich gegeben sind, verfügt wird.

 

In diesem Sinne hat bereits der Unabhängige Bundesasylsenat zur Judikatur des EGMR (in diesem Fall gleichfalls in Bezug auf Polen in seiner Entscheidung vom 25.7.2007, Zl. 313.340-1/-XI/34/07, ausgeführt:

 

"Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Berufungsverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Demzufolge würde eine Traumatisierung gemessen am hohen Eingriffsschwellenwert von Artikel 3 EMRK nur dann einer Überstellung nach Polen entgegenstehen, wenn diese mit einer über eine bloße Wahrscheinlichkeit hinausgehenden Sicherheit zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Berufungswerbers führen würde. Eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes wird aber nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen sein, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen Die Verursachung von überstellungs- bedingtem mentalen Stress reicht hiezu mit Sicherheit nicht aus. Von einer abschiebungsschutzrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann folglich nicht schon dann gesprochen werden, wenn "lediglich" eine Heilung eines gegebenen Krankheitszustands des Berufungswerbers im Abschiebungszielland (hier: Polen) nicht zu erwarten ist. Abschiebungsschutz als Realisierung der Rechte aus Artikel 3 EMRK soll dem Berufungswerber nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Republik Österreich sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren.

 

Erst wenn eine schwere, womöglich sogar letale Folgen zeitigende, Traumatisierung (zB. Suizidalität) beim Berufungswerber vorliegen würde, kommt darüber hinaus der Möglichkeit einer medizinischen Behandlung im Zielstaat Polen maßgebliche Bedeutung zu, wobei der diesbezüglichen Maßstab - der zuvor anschaulich dargestellten EGMR-Judikatur zufolge - auf das Bestehen einer an sich vorhandenen und (wenn auch nur eingeschränkt) zugänglichen medizinischen Basisversorgung abzusenken ist. Ausgehend von der hypothetischen Annahme, der Berufungswerber würde an einer derart schweren und lebensbedrohlichen Traumatisierung leiden, reichte es für eine Artikel 3 EMRK-konforme Überstellung nach Polen aus, dass Behandlungsmöglichkeiten für Traumatisierte dort verfügbar sind, auch wenn diese nicht denselben Standart wie jene in Österreich erreichen.

 

[....]

 

Der Umfang einer solchen Basisversorgung kommt anschaulich in den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu § 30 Asylgesetz [RV 952 BlgNR XXII. GP, Seite 51 letzter Absatz, Seite 52 erster Absatz]) zum Ausdruck, wo es heißt:

 

"[...] So haben überdies Univ. Prof. Dr. P. Hofmann, T. Lahousen, R.Bonelli in ihrem Artikel ¿Psychopharmakologische Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung' (Friedmann,

 

Hofmann, Lueger-Schuster, Steinbauer, Vyssoki (Hrsg.) Psychotrauma - die Posttraumatische Belastungsstörung, Springer 2004, S. 95 f) auf die große Bedeutung und hohe Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung hingewiesen. Die medikamentöse Behandlung wird durch die Überstellung in einen Dritt- oder Dublinstaat nicht beeinträchtigt und spricht dieser Umstand daher gegen eine gesundheitsschädigende Vorgangsweise.[...]"

 

Ungeachtet der diesbezüglichen medizinischen Einordnung des psychischen Status der Erstbeschwerdeführerin sowie des Zweitbeschwerdeführers wird auf die obdargelegte Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verwiesen, wonach selbst bei Vorliegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms ohne Hinzutreten besonders schwerer Indizien für eine äußerst gravierende Verschlechterung (sieh obig) eine Rückführung - insbesondere nach dem Dublin-Staat Polen - sohin gänzlich nicht nach dem Herkunftsstaat oder einem Drittweltland keinerlei Eingriff gem. Art. 3 EMRK erkannt worden ist.

 

Hinsichtlich des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers konnten keine medizinischen Hindernisse im abgehandelten Sinne erkannt werden, bzw. war der Asylgerichtshof mangels diesbezüglicher Indizien nicht gehalten in weitere Erhebungen einzutreten.

 

Ebenso ist dem Einwand in der Beschwerde, wonach den Beschwerdeführern in Polen kein den Mindeststandards gerecht werdendes Asylverfahren offenstünde, damit entgegenzutreten, dass - wie auch bereits das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid zutreffend festgehalten hat - keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Asylverfahren in Polen die europäischen Menschenrechtsstandards qualifiziert unterschreiten würden.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

Auch geht aus den erstinstanzlichen Länderfeststellungen hervor, dass in Polen jedem Asylwerber, der nicht in der Lage ist, für seinen Aufenthalt in Polen selbst aufzukommen, eine umfassende Versorgung gewährt wird, wobei hierzu eine umfassende medizinische Versorgung, Unterkunft und ausreichende Verpflegung gehören (Seite 17 des angefochtenen Bescheides), sodass letztlich nicht zu befürchten ist, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Überstellung nach Polen in eine existentielle Notlage geraten würden.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, Traumatisierung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008), Unterkunft, Zumutbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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