TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/3 96/08/0230

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Veröffentlicht am 03.04.2001
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Index

21/03 GesmbH-Recht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §21 Abs1;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §413 Abs1 Z1;
ASVG §415;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
GmbHG §20 Abs1;
GmbHG §34;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der P in Traun, vertreten durch Dr. Gerhard Schatzlmayr, Rechtsanwalt in 4690 Schwanenstadt, Stadtplatz 29, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales (nunmehr: soziale Sicherheit und Generationen) vom 17. Juni 1996, Zl. 120.113/2- 7/96, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. T Warenhandels-GmbH, 4050 Traun, Egger-Lienz-Straße 12; 2. Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77; 3. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1020 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1;

4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65; 5. Arbeitsmarkservice, Landesgeschäftsstelle Oberösterreich, 4010 Linz, Gruberstraße 63), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Am 5. August 1991 meldete der Wirtschaftstreuhänder Mag. O. der zweitmitbeteiligten Gebietskrankenkasse mit dem dafür vorgesehenen Formular die Beschäftigung der Beschwerdeführerin ab 1. August 1991 bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft. Die im Anmeldeformular enthaltene Frage nach einer Beteiligung der Beschwerdeführerin an der erstmitbeteiligten Gesellschaft wurde verneint. Per 19. Juni 1992 erfolgte - wieder durch Mag. O. - die Abmeldung der Beschwerdeführerin wegen eines Karenzurlaubes nach dem Mutterschutzgesetz.

Mit Bescheid vom 7. Juni 1994 stellte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse fest, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich der gemeldeten Tätigkeit bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft als Dienstgeberin vom 1. August 1991 bis 19. Juni 1992 nicht der Pflichtversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsverischerung) und damit auch nicht der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei. Auf Grund einer Beitragsprüfung sei hervorgekommen, dass die Beschwerdeführerin an der erstmitbeteiligten Gesellschaft mit 99 % der Stammeinlage beteiligt sei und 1 % Mag. O. übernommen hätte. Für Beschlüsse der Gesellschaft sei eine einfache Mehrheit erforderlich. Auf Grund der Höhe der Beteiligung sei die Beschwerdeführerin nicht in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gestanden und somit nicht Dienstnehmerin der erstmitbeteiligten Gesellschaft gewesen. Eine Formalversicherung sei ausgeschlossen, weil die Anmeldung im Bewusstsein einer nicht vorliegenden Versicherungspflicht erstellt worden sei. Die Voraussetzungen für ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis seien nicht gegeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch mit der Begründung, ein Stammkapitalanteil in der Höhe von 75 % sei nicht in ihrem Eigentum gestanden, weil sie diesen für eine andere Person treuhändig gehalten habe.

Im Zuge der daraufhin vom Landeshauptmann von Oberösterreich durchgeführten Ermittlungen wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, für die behauptete "Treuhandverwaltung" geeignete Beweismittel vorzulegen. In Vertretung der Beschwerdeführerin legte Mag. O. einen dreiseitigen "Treuhandvertrag" vor und gab bekannt, dass die im Vertrag als Treugeberin Genannte auf Wunsch eine notarielle Erklärung an Eides statt vorlegen könne. In der Folge forderte die Einspruchsbehörde die Beschwerdeführerin auf, die Unterschrift der Treugeberin notariell oder gerichtlich beglaubigen zu lassen sowie Beweismittel zu der im Vertrag geregelten Übergabe von S 495.000,-- und darüber vorzulegen, dass die Treugeberin tatsächlich in den Geschäftsgang der erstmitbeteiligten Gesellschaft eingegriffen habe und von den Geschäftsvorgängen tatsächlich unterrichtet worden sei. Wegen der in Aussicht genommenen Einvernahme der Treugeberin seien die Möglichkeiten dazu bekannt zu geben. In Beantwortung dieses Schreibens teilte Mag. O. als Bevollmächtigter der Treugeberin mit, dass sie 1987 ihren jetzigen Ehemann, den Bruder der Treuhänderin, kennen gelernt habe und zum gemeinsamen familiären Firmenaufbau ihre gesamten Ersparnisse und ihr Erbteil zur Verfügung gestellt hätte. Die künftige Schwägerin sei gebeten worden, die Gesellschaftsanteile treuhändig für sie zu halten, damit sie dadurch keine Schwierigkeiten bei den ungarischen Behörden habe. Die Treugeberin sei über den Geschäftsgang informiert gewesen; ihre zeugenschaftliche Einvernahme könne - ebenso wie jene ihres Ehemannes - jederzeit erfolgen. Für eine für den 17. Jänner 1995 vorgesehene Einvernahme vor der Einspruchsbehörde entschuldigte sich die Treugeberin mit einem Auslandsaufenthalt; der Ladung für den 14. Februar 1995 leistete sie wegen fortgeschrittener Schwangerschaft nicht Folge. Bei diesem Termin wurde an ihrer Stelle ihr Schwiegervater als Zeuge einvernommen. Schließlich ersuchte die Einspruchsbehörde die Beschwerdeführerin um Übermittlung des Original-Treuhandvertrages zwecks graphologischer Begutachtung. Dem kam die Beschwerdeführerin insoweit nach, als sie die ersten beiden Seiten im Original und die mit zwei Unterschriften versehene dritte Seite mittels Telefax übermittelte.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 1995 gab der Landeshauptmann von Oberösterreich dem Einspruch keine Folge und begründete diese Entscheidung nach rechtlichen Überlegungen und der Wiedergabe des "Treuhandvertrages" beweiswürdigend damit, dass in Wahrheit ein Treuhandverhältnis niemals vorgelegen habe, weshalb auch keine Dienstnehmereigenschaft der Beschwerdeführerin angenommen werden könne. Im Treuhandvertrag (wobei die Namen durch die Begriffe Treugeberin und Beschwerdeführerin ersetzt werden) heiße es:

"Die Beschwerdeführerin ist auf Grund des Gesellschaftsvertrages vom 19. 10. 1988 Gesellschafterin der

T. Warenhandels-GmbH mit einem einer Stammeinlage von S 495.000,-- (in Worten: Schilling vierhundertfünfundneunzigtausend) entsprechenden Geschäftsanteil.

II.

Die Beschwerdeführerin erklärt hiermit, diesen Geschäftsanteil an der T. Warenhandels-GmbH nicht für eigene Rechnung erworben zu haben, sondern als Treuhänderin der Treugeberin. Die Treugeberin hat S 495.000,-- (in Worten: Schilling vierhundertfünfundneunzigtausend) zur Verfügung gestellt und wird allfällige künftige Einzahlungen auf den Geschäftsanteil zur Verfügung stellen.

III.

Die Beschwerdeführerin verpflichtet sich als Treuhänderin für sich und ihre Rechtsnachfolger:

a) Über die oben bezeichneten Teile der Geschäftsanteile nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der jeweiligen Treugeberin zu verfügen.

b) Alle ihre auf Grund der obigen Teile der Geschäftsanteile zukommenden Anteile am Reingewinn der Gesellschaft mbH unverzüglich der jeweiligen Treugeberin auszuzahlen.

c) Bei Beschlussfassung der Gesellschafter nur entsprechend den Aufträgen der Treugeberin das Stimmrecht auszuüben.

d) Die Treugeberin von allen Verständigungen und Benachrichtigungen unverzüglich zu unterrichten, die ihr als Gesellschafterin von der Gesellschaft zugehen und die Treugeberin überhaupt entsprechend zu unterrichten.

e) Die ihr zukommenden Mitgliedschaftsrechte nur nach Weisung der Treugeberin und unter Wahrung der Interessen der Treugeberin auszuüben.

IV.

Die Treuhänderin ist verpflichtet, die obigen Teile des Geschäftsanteiles jederzeit unentgeltlich an die Treugeberin selbst oder an eine von dieser namhaft gemachten Person abzutreten.

V.

Die Treuhänderin verpflichtet sich, den Namen der Treugeberin ohne deren ausdrücklicher Zustimmung nicht preiszugeben. Dieses Verbot gilt jedoch nicht gegenüber den Finanzbehörden in Angelegenheiten der Treuhänderin.

VI.

Die Treugeberin hält die Treuhänderin dahingehend schad- und klaglos, dass sie hinsichtlich aller Abgaben, Kosten und sonstigen Verbindlichkeiten, die aus dem Gesellschaftsverhältnis oder der Treuhandschaft erwachsen, nicht in Anspruch genommen wird.

VII.

Die Vertragsteile sind berechtigt, diesen Vertrag jederzeit unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten, aufzukündigen. Die mit der Errichtung dieses Vertrages verbundenen Kosten trägt die Treugeberin. Urkund dessen durch die Fertigung der Vertragsteile.

Linz, am 9.10.1988"

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin, dass die Frage des Bestehens einer Formalversicherung im Sinne des § 21 ASVG nicht im notwendigen Ausmaß geprüft worden sei. Mag. O. habe in Kenntnis der Treuhandvereinbarung eine richtige Anmeldung erstattet. Dazu wäre Mag. O. als Zeuge einzuvernehmen gewesen. Auch sei die Treugeberin nicht einvernommen worden, weshalb die Beschwerdeführerin in ihren Verfahrensrechten verletzt worden sei. Die Beweiswürdigung erweise sich als mangelhaft, da die Angaben des Schwiegervaters der Treugeberin nicht näher untersucht worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung nicht Folge gegeben. Nach einer zusammenfassenden Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und einleitenden rechtlichen Bemerkungen über die anzuwendende Rechtslage setzte sie sich ausschließlich damit auseinander, ob ein Treuhandverhältnis vorliege, was sie aus folgenden Gründen verneinte:

Im Zuge der Beitragsprüfung sei der Einwand eines Treuhandschaftsverhältnisses nicht erhoben worden; ein Treuhandvertrag sei nicht Bestandteil der Geschäftsunterlagen gewesen. Die Angaben des Schwiegervaters der Treugeberin und von Mag. O. seien unglaubwürdig. Sie seien erst nach längeren Überlegungen gemacht worden und hätten einander insbesondere beim Ausmaß der treuhändig verwalteten Geschäftsanteile widersprochen (99 % bzw. 75 %). Auch sei die Beschwerdeführerin dem Auftrag zur Vorlage des Originals des gesamten Treuhandvertrages nicht nachgekommen. Der Treuhandvertrag sei daher erst nachträglich zum Zwecke der Vorlage bei den Behörden erstellt worden, was auch dadurch untermauert werde, dass die Beschwerdeführerin am 20. Juni 1992 aus Anlass der Mutterschaft im Beschäftigungsverbot gestanden sei und davon ausgegangen werden könne, dass die Genannte aus diesem Anlass Leistungen konsumieren habe wollen. Außerdem gebe es keine beweiskräftigen Unterlagen dafür, dass die Treugeberin 1988 der erstmitbeteiligten Gesellschaft S 450.000,-- zur Verfügung gestellt habe. Auch sei einmal von einer Erbschaft, ein anderes Mal von einem Erhalt von Bargeld die Rede. Die belangte Behörde kam zu der Überzeugung, dass die Beschwerdeführerin im streitgegenständlichen Zeitraum im Ausmaß von 99 % an der erstmitbeteiligten Gesellschaft beteiligt gewesen sei und hielt weitere Einvernahmen für entbehrlich. Wegen des beherrschenden Einflusses der Beschwerdeführerin auf die Gestion der Gesellschaft sei die Annahme der Dienstnehmereigenschaft im Rahmen des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ausgeschlossen. Die Anmeldung der Beschwerdeführerin bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse sei erfolgt, als der Gesellschaftsvertrag bereits abgeschlossen gewesen sei, weshalb Mag. O. die Beteiligungsverhältnisse hätten bekannt sein müssen. Eine vorsätzlich unrichtige Anmeldung stehe dem Eintritt der Formalversicherung entgegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ebenso wie das Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Oberösterreich, eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde, letztere kostenpflichtig, beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ausgangspunkt für die hier zu beurteilende (Voll-)Versicherungspflicht ist § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG, wonach - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer versichert (vollversichert) sind. Für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) sind Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind (§ 1 Abs. 1 lit. a AlVG).

Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbstständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Ist ein Gesellschafter einer GmbH nicht als Geschäftsführer, sondern in anderer Funktion für die Gesellschaft tätig, ist seine persönliche Abhängigkeit - unter dem Aspekt seiner rechtlichen Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung der GmbH auf Grund seiner Beteiligungsrechte - dann zu verneinen, wenn er kraft dieser Beteiligung die Ausübung der dem Geschäftsführer als Vertreter der GmbH ihm als Beschäftigten der GmbH gegenüber zukommenden Weisungsmacht bestimmen kann. Dazu bedarf es einer Beteiligungsmehrheit, die dem Gesellschafter die Rechtsmacht einräumt, über Weisungen an den Geschäftsführer gemäß § 20 Abs. 1 GmbHG in einer der in § 34 leg. cit. genannten Weise der Beschlussfassung der Gesellschafter wirksam die Wahrnehmung der für die persönliche Abhängigkeit maßgebenden Belange seitens des Geschäftsführers zu beeinflussen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Slg. Nr. 12325/A). Dazu reicht der 99 %ige Anteil der Beschwerdeführerin jedenfalls aus, weil das GmbH-Gesetz - gegenteilige gesellschaftsrechtliche Regelungen wurden nicht behauptet - in keinem Fall eine einstimmige Beschlussfassung vorsieht. Insoweit die belangte Behörde auf Grund ihrer Beweiswürdigung von der geschilderten Sach- und Rechtslage ausging, hat sie auch folgerichtig das Vorliegen einer Versicherungspflicht verneint.

Von Bedeutung ist die Frage des Bestehens eines Treuhandverhältnisses, weil nach dem grundlegenden Erkenntnis vom 30. Juni 1983, 82/08/0083, 0084, über den Begriff der Treuhandschaft und ihrer Maßgeblichkeit im öffentlichen Recht bei der Beurteilung der wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit im dargelegten Sinn nach den wahren rechtlichen Verhältnissen, die die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Erwerbung der Geschäftsanteile und der Ausübung der damit verbundenen Befugnisse widerspiegeln, zu fragen ist. Bejahte man im konkreten Fall ein Treuhandverhältnis, wäre nach dem Gesagten ein Durchgriff durch die vertragliche Form der Gesellschaftereigenschaft der Beschwerdeführerin geboten und mangels einer ihr nach diesen wahren Verhältnissen zukommenden Bestimmungsmöglichkeit in der Gesellschaft von einer versicherungspflichtigen Tätigkeit auszugehen.

Erst wenn die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangte, dass keine Treuhandschaft vorliege oder der Treuhandvertrag erst nach der Beitragsprüfung geschlossen worden sei, stünde die in der Beschwerde wiederholt angesprochene Formalversicherung zur Diskussion. Gemäß § 21 Abs. 1 ASVG besteht eine Formalversicherung - ab dem Zeitpunkt, für den erstmals die Beiträge entrichtet worden sind -, wenn ein Versicherungsträger bei einer nicht der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz unterliegenden Person auf Grund der bei ihm vorbehaltlos erstatteten, nicht vorsätzlich unrichtigen Anmeldung den Bestand der Pflichtversicherung als gegeben angesehen und für den vermeintlich Pflichtversicherten drei Monate ununterbrochen die Beiträge unbeanstandet angenommen hat. Die Beurteilung der die Formalversicherung ausschließenden vorsätzlich unrichtigen Anmeldung erfordert nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere Feststellungen über den Inhalt der Anmeldung, über die tatsächlichen, mit dem Inhalt der Anmeldung in Widerspruch stehenden Gegebenheiten und - sofern nicht schon der Widerspruch zwischen dem Meldungsinhalt und den tatsächlichen Gegebenheiten den Vorsatz in Bezug auf die Erstattung einer unrichtigen Meldung klar erkennen lässt - über allfällige weitere Umstände, aus denen die vorsätzliche Erstattung einer unrichtigen Versicherungsanmeldung abgeleitet werden könnte, zumal ein allfälliger Rechtsirrtum den Vorsatz ausschlösse und selbst die Unterlassung von Erkundigungen nicht zwingend auf Vorsatz schließen ließe (vgl. das Erkenntnis vom 26. April 1994, 91/08/0116). Zur Beantwortung dieser Frage wäre die belangte Behörde aber ohnehin nicht zuständig (vgl. die Erkenntnisse vom 13. September 1985, 82/08/0071, und vom 23. April 1987, 82/08/0066). Gemäß § 415 ASVG steht die Berufung an das Bundesministerium für (nunmehr) soziale Sicherheit und Generationen in den Fällen des § 413 Abs. 1 Z 1 ASVG (gegen Einspruchsbescheide des Landeshauptmannes) nur zu, wenn über die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Weiter- oder Selbstversicherung entschieden worden ist. Im Einklang mit dieser Regelung hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nur über die Versicherungspflicht (materiell) abgesprochen, während die Frage der Formalversicherung in den Gründen behandelt wurde. Ein näheres Eingehen darauf erübrigt sich daher.

Allerdings blieb das zur Verneinung einer Treuhandschaft führende Verfahren mangelhaft, weil die belangte Behörde - wie von der Beschwerdeführerin zutreffend aufgezeigt - die schon in der Berufung als Beweismittel genannten Personalbeweise überging. Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Nach § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Das Recht auf freie Beweiswürdigung enthebt die Behörde weder der Ermittlungspflicht noch der Begründungspflicht (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 25. September 1951, Slg. Nr. 2241/A). Wie die Beweiswürdigung vorgenommen wurde, ist in der Bescheidbegründung darzustellen (vgl. das Erkenntnis vom 13. Mai 1975, Slg. Nr. 4836/F). Die freie Beweiswürdigung der Behörde setzt aber voraus, dass das Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde. Ein Eingehen auf Beweisanträge, deren Thema für die Entscheidung von Bedeutung sein könnte, kann nicht schlechthin abgelehnt werden. Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, wenn es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 4. September 1996, 95/21/0857). Weiters darf auf vom Beweisthema erfasste Beweise nur dann verzichtet werden, wenn diese von vornherein unzweifelhaft unerheblich sind, weil die Art des Beweismittels oder der Erkenntnisstand eine andere Beurteilung des Verfahrensgegenstandes mit Bestimmtheit ausschließen oder wenn diese mit Gewissheit zur weiteren Erkenntnis nichts beizutragen vermögen (vgl. das Erkenntnis vom 22. Oktober 1992, 91/16/0129).

In Widerspruch zu dieser Rechtsprechung setzte sich die belangte Behörde über die schon in der Berufung gestellten Anträge auf Einvernahme der Treugeberin und von Mag. O. hinweg, weil sie auf Grund ihrer eigenen Beweiswürdigung "weitere Einvernahmen für entbehrlich" hielt. Damit sprach sie aber - in unzulässiger Weise -

vorgreifend den beantragten Personalbeweisen jede Erheblichkeit ab. Selbst wenn die auf Grund der bisherigen Ermittlungsergebnisse getroffene Beurteilung der belangten Behörde überwiegend als durchaus schlüssig und nachvollziehbar angesehen werden kann, darf die freie Beweiswürdigung erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzen (vgl. das Erkenntnis vom 31. März 1993, 92/02/0330). So durfte die belangte Behörde Beweise zum behaupteten Bestehen eines Treuhandverhältnisses, von dessen Nichtbestand sie aufgrund anderer Beweisergebnisse überzeugt war, nicht - vorgreifend - ablehnen.

Weiters erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht nur als unvollständig, sondern auch als unschlüssig. Wenn die belangte Behörde die Angaben von Mag. O. als unglaubwürdig bezeichnet und meint, sie seien erst nach längeren Überlegungen gemacht worden, ist nicht nachvollziehbar, wie sie zu diesem Ergebnis kommt. Mag. O. wurde während des gesamten Verwaltungsverfahrens nicht befragt, sondern gab lediglich schriftliche Erklärungen ab. Auch ist der Einwand der Treuhandschaft im Ausmaß von 75 % des Stammkapitals nicht ihm, sondern der Beschwerdeführerin zuzurechnen, in deren Vertretung er den Einspruch begründete, sodass die Beweiswürdigung in diesem Punkt unschlüssig ist.

Aus all diesen Erwägungen folgt, dass die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Mängeln belastet hat, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war infolge dessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wegen der sachlichen Abgabenfreiheit steht kein Ersatz für Stempelgebühren zu (vgl. § 110 ASVG).

Wien, am 3. April 2001

Schlagworte

Besondere Rechtsprobleme Verhältnis zu anderen Normen Materien Sozialversicherung Handelsrecht Gesellschaftsrecht Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1996080230.X00

Im RIS seit

28.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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