TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/15 D2 313996-1/2008

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Veröffentlicht am 15.09.2008
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Spruch

D2 313996-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Feßl als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. D.S., geb. 00.00.2007, StA. d. Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.08.2007, FZ. 07 06.237-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.05.2007 (vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat) zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und mj. D.S. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass mj. D.S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Vater der minderjährigen Beschwerdeführerin, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, brachte bereits am 10.07.2004 (zusammen mit seinen Angehörigen) einen Asylantrag ein, der jedoch vom Bundesasylamt gemäß § 5 AsylG wegen Zuständigkeit der Slowakei zur Prüfung des Asylantrages zurückgewiesen wurde. Der Vater der Beschwerdeführerin wurde in der Folge in die Slowakei überstellt und reiste am 21.10.2004, zusammen mit seinen Familienangehörigen von der Slowakei kommend, erneut illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er, sowie die Mutter und die Brüder der Beschwerdeführerin am selben Tag einen Antrag auf die Gewährung von Asyl stellten.

 

Das Bundesasylamt trat in die inhaltliche Behandlung dieses Asylantrages ein und brachte der Vater der Beschwerdeführerin in den vor dem Bundesasylamt durchgeführten Einvernahmen - kurz zusammengefasst - folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt vor:

 

Er sei von 1996 bis 1997 Berufssoldat in der tschetschenischen Armee gewesen. Von 1997 bis 1999 sei er Kommandierender einer tschetschenischen Spezialeinheit gewesen. Danach habe er von 1999 bis 2004 in einer Stadt gearbeitet. In den Jahren 2002 und 2003 sei er inoffiziell in der Schutztruppe seines Onkels gewesen, und zwar bis zur Ermordung des Onkels und eines Cousins. Nach der Ermordung des Onkels habe er ein halbes Jahr lang nach den Tätern gesucht, weil er in Tschetschenien verpflichtet sei, die Blutrache zu üben. Er habe sich mit Ermittlern der Kriminalfahndung getroffen. Über die Ermittler habe er Sicherheit erlangen können, dass der GRU (russischer Militär-Geheimdienst) für die Ermordung der beiden Verwandten verantwortlich war. Diese Erkenntnis habe er nach etwa vier bis fünf Monaten erlangt. Er habe auch Kontakt mit den Kommandeuren der tschetschenischen Kämpfer des Bezirkes S. aufgenommen. Diese hätten keinen Hinweis auf eine konkrete Person geben können, seien aber in der Lage gewesen, ihm mitzuteilen, dass sie selbst die Anschläge nicht in Auftrag gegeben hätten. Im Juni 2004 sei dann auf ihn - noch vor Abschluss seiner Ermittlungen - ein Attentat verübt worden. Man habe ihm in seinem Auto in der Stadt S. mit einer automatischen Waffe nachgeschossen. Es sei abends, gegen 19 oder 20 Uhr passiert. Das Auto sei getroffen worden. Er habe den Vorfall nicht der Polizei gemeldet, weil dies sinnlos gewesen wäre, zumal trotz der Anzeigen nichts geschehen würde. Er sei während seiner Autofahrten verfolgt worden. Als der Onkel noch gelebt habe, habe es jeden Tag Explosionen gegeben, die gegen den Onkel und die Familie gerichtet gewesen seien. Der Onkel habe einen Freund gehabt, einen Mitarbeiter des FSB, der ihm zur Ausreise geraten habe, weil ihn sonst die Sonderdienste abholen würden. Möglicherweise sei er zu nahe an die Täter herangekommen. Der Onkel sei bei Kadyrow in Ungnade gefallen gewesen. Er sei wegen der Ermittlungen in Zusammenhang mit der Ermordung des Onkels und des Cousins einer Gefährdung ausgesetzt. Im Übrigen sei er aufgrund seiner Tätigkeit für das tschetschenische Innenministerium aus der Sicht der Russen ein Bandit und für die Wahabiten ein Verräter. Es sei daher auch möglich, dass die Wahabiten auf ihn geschossen hätten, dies deshalb, weil er am zweiten Krieg nicht teilgenommen habe. Er sei bereits einmal von Österreich in die Slowakei zurückgeschoben worden. Im slowakischen Flüchtlingslager habe er zwei Tschetschenen und einen Russen gesehen, wobei er einen Tschetschenen als "Kadyrow-Beamten aus S." erkannt habe. Dieselbe Person glaube er auch vor dem Verlassen der Erstaufnahmestelle in Traiskirchen erkannt zu haben.

 

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 04.03.2005, FZ. 04 21.560-BAT, den Asylantrag des Vaters der Beschwerdeführerin gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.), stellte zugleich fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies ihn gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).

 

Begründend führte die erstinstanzliche Behörde dazu aus, er habe im Rahmen seiner Einvernahmen vor den Stellen des Bundesasylamtes nicht glaubhaft machen können, aus Furcht vor Verfolgung die Heimat verlassen zu haben, zumal die von ihm behauptete Gefährdung weder seitens der Sonderdienste noch von Seiten der Wahabiten als nachvollziehbar zu werten gewesen sei. Die Ausführungen "zum zur Flucht führenden behaupteten Anlass" seien unschlüssig, umso mehr die angeführten Gründe, die die Wahabiten Interesse am Beschwerdeführer haben lassen sollten, doch schon jahrelang bestanden hätten und ebenso "auch die Sonderdienste schon wesentlich früher solches gehabt hätten, würde man seinen Angaben folgen". Außerdem sei auszuschließen, dass bei Bestehen tatsächlichen Interesses keiner der beiden Verfolgergruppen ein Entkommen möglich gewesen wäre, zumal nichts ersichtlich sei, was einen effizienten Zugriff auf ihn unmöglich gemacht hätte. Aufgrund des Austauschens des möglichen Verfolgers in Bezug auf den behaupteten Beschuss seines Autos im Juni 2004 müsse ausgeschlossen werden, dass er sich auf wahre Begebenheiten im Asylverfahren berufe. Sämtliche Ausführungen seien in die Richtung gelaufen, die ein Interesse seitens der Sonderdienste erkennen ließe. Dass dann aber möglicherweise auch die Wahabiten für die Gefährdung verantwortlich sein sollten, widerspreche sämtlichen Angaben, und zwar die Warnung eines Freundes des Onkels, seines angeblichen FSB-Mitarbeiters, und das angebliche Interesse eines Kadyrow-Mannes in Tschechien betreffend. Es könne demnach nicht nachvollzogen werden, dass er aus Furcht vor Verfolgung Tschetschenien verlassen habe, umso mehr er doch diesfalls seine behauptete Furcht nachvollziehbar vorgebracht hätte. Gar nicht glaubhaft sei, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung drohe, weshalb der Asylantrag abzuweisen gewesen sei. Er habe auch nicht glaubhaft darzulegen vermocht, dass er im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation einer Bedrohung oder drohenden Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG ausgesetzt wäre. Zur Beendigung des rechtswidrigen Aufenthalts sei die Ausweisung gemäß § 8 Abs. 2 AsylG geboten. Da von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen sei und kein Familienbezug zu dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vorliege, stelle die Ausweisung keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Es sei auch sonst keine soziale Bindung ersichtlich.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit dem am 19.03.2005 eingebrachten Schriftsatz fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

Die nunmehrige Beschwerdeführerin ist die erst in Österreich geborene Tochter des oben angeführten Beschwerdeführers (siehe auch die im Akt des BAA einliegende Geburtsurkunde). Der Vater brachte für sie als gesetzlicher Vertreter am 06.07.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz ein, unter dem Hinweis, dass für diese keine eigenen Fluchtgründe vorliegen würden, vielmehr ein Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt werde.

 

Mit dem nunmehr angefochten Bescheid wurde der Antrag gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen und gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 1997 die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation verfügt.

 

Mit der fristgerecht eingebrachten Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) wird die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten beantragt, dies im Wesentlichen unter Hinweis darauf, dass auf das Vorbringen des Vaters der Beschwerdeführerin verwiesen werde und dass ein Familienverfahren vorliege.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat hat im Zuge einer am 14.05.2007 stattgefunden habenden öffentlich-mündlichen Verhandlung ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung der Eltern der Beschwerdeführerin, sowie durch Einsichtnahme in diverse Berichte und Schriftstücke.

 

Der Asylgerichtshof hat über die nunmehr entscheidungsgegenständliche Beschwerde der D.S. erwogen wie folgt:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG) nimmt der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit auf. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Aus den bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 12.08.2008, GZ. C5 251212-0/2008/11E, dargelegten Gründen ist § 75 Abs. 7 AsylG 2005 - samt weiteren auf das Verfahren des Asylgerichtshofs bezogenen Bestimmungen des AsylG 2005 - auch auf Verfahren, die laut § 75 Abs. 1 AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) fortzuführen sind, sinngemäß anzuwenden. Die Entscheidung hat demnach gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 durch den Einzelrichter zu erfolgen, zumal eine Verhandlung bereits vor dem 01.07.2008 vor demselben, nunmehr zum Richter des AsylGH ernannten Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates stattgefunden hatte.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Asylgewährung wurde vom Bundesasylamt hinsichtlich der Beschwerdeführerin im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass eine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat nicht vorliege. Da sich die Verfolgungsbehauptungen letztlich nur auf den Vater beziehen und eine Verfolgung der Beschwerdeführerin aus dem Vorbringen nicht abzuleiten ist, kann dieser Argumentation im Ergebnis nicht entgegengetreten werden.

 

Das Bundesasylamt ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin in eigener Person die Voraussetzungen der Asylgewährung (§ 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschn. A Z 2 der GFK) nicht erfüllt.

 

Doch hat der Unabhängige Bundesasylsenat dem Vater der minderjährigen Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 31.10.2007, GZ. 258963/0/6E-XII/36/05, gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG seine Flüchtlingseigenschaft festgestellt. Da es sich im vorliegenden Fall um ein sog. Familienverfahren im Sinne von § 34 AsylG 2005 handelt war der Familienangehörigen ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen gemäß § 34 Abs. 4 erster und zweiter Satz AsylG 2005 "derselbe Schutzumfang" zu gewähren, im konkreten Fall sohin die Asylgewährung samt Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 war das Verfahren betreffend der mj. Beschwerdenführerin nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG) zu führen, da der Antrag am 06.07.2007 eingebracht wurde.

Schlagworte
Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
27.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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