TE AsylGH Bescheid 2008/09/23 C6 237161-0/2008

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Veröffentlicht am 23.09.2008
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Spruch

C6 237.161-0/2008/23E

 

R.R.

 

geb. 00.00.1961, StA.: Afghanistan

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENATES IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 22.6.2005 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs.1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, entschieden:

 

Der Berufung von R.R. vom 3.5.2003 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.4.2003, Zahl 01 12.947-BAE, wird stattgegeben und R.R. gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass R.R. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang:

 

Am 31.5.2001 stellte Herr R.R. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.4.2003, Zahl 01 12.947-BAE, § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Berufungswerber nicht gelungen sei, eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung aus den im Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe glaubhaft zu machen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Die Berufungsbehörde erhob Beweis durch die Einsichtnahme in folgende Dokumente:

 

UNHCR-Stellungnahme zur Frage der Flüchtlingseigenschaft afghanischer Asylsuchender vom Juli 2003;

 

Gutachten von Dr. M.D. für das Verwaltungsgericht Wiesbaden, Köln 07.11.2003;

 

Bericht ai Afghanistan: "First execution since Taliban" vom 26.4.2004;

 

Bericht des Auswärtigen Amtes in Berlin über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im islamischen Übergangsstaat Afghanistan, Stand März 2004;

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Update über die Entwicklungen bis Februar 2004;

 

ÖSTERREICHISCHES ROTES KREUZ/ACCORD, Reisebericht Afghanistan, 13. - 24. Juli 2003 vom September 2003;

 

Gutachten des Sachverständigen Dr. S.R. vom 21.7.2004 für den unabhängigen Bundesasylsenat

 

und die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 17.11.2004 und am 22.6.2005. An der Berufungsverhandlung nahm das Bundesasylamt nicht teil. Das Bundesasylamt hatte die Abweisung der Berufung beantragt.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Zum Berufungswerber:

 

Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und stammt aus J.. Nach dem Besuch des Lycerum in N. bestand der Berufungswerber 1981 die Matura. Daran anschließend leistete er von 1981 bis 1985 den Militärdienst in der Polizeikommandantur in J.. Er war Mitglied der der VDPA und wurde bei der Aufnahmeprüfung auserwählt ein Studium absolvieren zu können. Der Berufungswerber studierte an der Universität Medizin und erhielt 1994 sein Diplom. 1999 kehrte er nach Afghanistan zurück und arbeitete bis 12/2000 als Arzt in J.. Im April 2001 kam eine bewaffnete Gruppe von Taliban, bestehend aus fünf Personen, und wollte ihn festnehmen. Im Zuge dessen kam es zu einer Auseinandersetzung, bei der sein Vater angeschossen wurde; drei Tage später erlag dieser seinen Verletzungen. Der Berufungswerber floh und versteckte sich bei seinem Onkel mütterlicherseits. Grund der Probleme war - neben seiner Mitgliedschaft zur VDPA - ua, dass der Berufungswerber auch Frauen in seiner Praxis behandelte.

 

Der Berufungswerber gehörte ursprünglich der Religionsgemeinschaft der Sunniten an. Ende 2003 äußerte der Berufungswerber dem Pfarrer von R. gegenüber, dass er zum christlichen Glauben übertreten möchte. 2004 fand die Taufe des Berufungswerbers statt; als Taufpate fungierte Herr J.S.. Das hl. Sakrament der Tauf wurde von Herrn Mag. G.S., Pfarrer von R., gespendet. Beim Berufungswerber handelt es sich um einen praktizierenden Christen. Hinsichtlich des Übertritts des Berufungswerbers zum Christentum konnte nicht festgestellt werden, dass es sich um eine Scheinkonversion handelt.

 

1.2. Zur Situation in Afghanistan:

 

1.2.1. Politische Lage:

 

Afghanistan befindet sich mit seinen über 20 Millionen Einwohnern in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Grundvoraussetzung für die weitere Entwicklung ist die Gewährleistung von Sicherheit im gesamten Land. In weiten Teilen des Landes herrscht aber nach wie vor kein Friede.

 

Am 26. Januar 2004 trat in Afghanistan eine neue Verfassung in

Kraft. Sie wurde im Rahmen einer Verfassungsgebenden Großen

Ratsversammlung ("Constitutional Loya Jirga") in Kabul

verabschiedet. ... Die Verfassung enthält einen umfassenden

Menschenrechtskatalog. ... Viele Grundrechte stehen allerdings unter

Gesetzesvorbehalt. ... Art 3 der Verfassung enthält einen

Islamvorbehalt, wonach Gesetze nicht "dem Glauben und den Bestimmungen" des Islam zuwiderlaufen dürfen. Auf die Scharia wird hingegen nicht ausdrücklich Bezug genommen. Die Verfassung sieht allerdings in Art 130 für den Fall, dass keine andere Norm gesetzlich anwendbar ist, die Anwendung der Scharia in den Grenzen der Verfassung vor. Afghanistan ist eine islamische Republik. Staatsreligion ist der Islam (Art 2). Allerdings räumt dieser Artikel auch das Recht zur Ausübung anderer Religionen innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Seite 6f)

 

1.2.2. Zur Situation der Christen und Konvertiten in Afghanistan wird festgestellt:

 

Seit Ende des Jahres 2002 ist es zu einem Erstarken der undamentalistischen Kräfte gekommen, die inzwischen den Regierungsapparat, die Polizei und die Justiz beherrschen. Überall im Land, auch in der Hauptstadt, wird nach der Sharia Recht gesprochen, nach der Angehörige "götzenanbetender" Religionen gegen den Islam und damit de facto gegen die Staatsdoktrin Afghanistans verstoßen (Gutachten von Dr. M.D. für das Verwaltungsgericht Wiesbaden, Köln 07.11.2003).

 

Gemäß Art. 2 der neuen Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ist die Religion der Islamischen Republik Afghanistan die heilige Religion des Islam. Die Anhänger anderer Religionen sind gemäß der neuen Verfassung frei, ihrem Glauben zu folgen und ihre religiösen Zeremonien im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auszuüben. Kein Gesetz darf dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen.

 

Die afghanische Gesellschaft ist gegenüber religiösen Minderheiten jedoch nicht tolerant. Sikhs haben Reintegrationsprobleme, werden wirtschaftlich diskriminiert, beschimpft und an öffentlichen Orten angegriffen. In Einzelfällen werden Ismailis diskriminiert und unterliegen der Willkür von Kommandanten. Die sehr kleine christliche Minderheit Afghanistans agiert und praktiziert nur im Geheimen. Die Sharia stellt Konvertierung unter Strafe. Strafverfolgung bei Konvertierung stellte zuletzt auch die offizielle Position des afghanischen Staats dar. (Afghanistan, Update über die Entwicklungen bis Februar 2004, der SFH vom 01.03.2004)

 

Zur tatsächlichen Situation von Konvertiten in Afghanistan ist kaum etwas bekannt, da diese ihr Bekenntnis meist geheim halten. Bisher ist laut UNAMA lediglich der Fall eines Kommandanten bekannt geworden, der sich, wie auch seine Frau, offen zum Christentum bekennt. Er wurde laut UNAMA und Amnesty International von seiner eigenen Familie und Vertretern der konservativen Geistlichkeit offen bedroht. Die Situation von Konvertiten hängt letztlich davon ab, wo und unter welchen Umständen diese in Afghanistan leben. Laut der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission sind Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten wegen der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften. Eine ungehinderte offene Ausübung ihrer Religion ist für Konvertiten in Afghanistan jedoch kaum möglich. Bis auf eine christliche Kirche auf dem Gelände der italienischen Botschaft in Kabul sind keine christlichen Gemeinden in Afghanistan bekannt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan).

 

"Unislamisches Verhalten" kann derzeit in Afghanistan zu einer Gefährdung führen. So gibt es Verhaftungen auf Grund von Blasphemievorwürfen. Die Fundamentalisten sind sehr stark und gewinnen auch an Stärke, dies betrifft insbesondere die Mitglieder der Nordallianz in der Regierung. Es gibt in Afghanistan eine sehr kleine christliche Minderheit. Manche Afghanen sind zum Christentum übergetreten, dies u. a. deswegen, weil dies auch als eine Möglichkeit erkannt wurde, im Westen Asyl zu erhalten. Afghanische Christen wollen als solche nicht erkannt werden und praktizieren ihre Religion nur im Geheimen. Weder Missionierungen noch das Praktizieren des Glaubens in der Öffentlichkeit sind möglich, selbst das sichtbare Tragen eines Kreuzes (als Anhänger an einer Kette) würde zu Übergriffen führen. Hier ist nicht so sehr die offizielle Politik der Regierung ausschlaggebend, sondern es würde eher zu Übergriffen seitens Privatpersonen kommen. Afghanen, die aus Überzeugung zum Christentum übertreten, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Problemen konfrontiert. Die Sharia stellt Konvertierung unter Strafe und die Strafverfolgung von Konvertiten ist derzeit die offizielle Position des Staates. Die Gesellschaft ist religiösen Minderheiten, insbesondere aber Konvertiten gegenüber, nicht tolerant. (ÖSTERREICHISCHES ROTES KREUZ/ACCORD, Reisebericht Afghanistan, 13. - 24. Juli 2003 von September 2003).

 

Eine Gefahr der Verfolgung besteht weiterhin für Afghanen, die verdächtigt oder beschuldigt werden, vom Islam zum christlichen oder jüdischen Glauben konvertiert zu sein. Die Konversion gilt in ganz Afghanistan als Vergehen, das mit dem Tod bestraft werden kann. (UNHCR-Stellungnahme zur Frage der Flüchtlingseigenschaft afghanischer Asylsuchender vom Juli 2003)

 

1.3. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan hätte der Berufungswerber keine Möglichkeit, seinen Glauben sanktionsfrei auszuüben. Es ist darüber hinaus nicht auszuschließen, dass sein Übertritt zu den Zeugen Jehova bei einer Rückkehr nach Afghanistan bekannt würde. In diesem Fall drohen dem Berufungswerber nach Scharia Verhaftung und schwere Strafen bis zum Todesurteil bzw die gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung.

 

2. Die obigen Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Akt, der Berufung und den Angaben des Berufungswerbers in der mündlichen Verhandlung; weiters den Angaben

der Zeugen, 1. J.S. (= Taufpate des Berufungswerbers) und Mag. G.S.

(= Pfarrer), die (Negativ-)Feststellung, dass es sich beim Übertritt

des Berufungswebers zum Christentum um keine Scheinkonversion handelt, beruht auf den Ausführungen des Berufungswerbers und der Darstellung der Zeugen, die in längerem persönlichen Kontakt zum Berufungswerber stehen. Beweisergebnisse dahingehend, dass im vorliegenden Fall eine Scheinkonversion vorliegen, sind nicht hervorgekommen (vgl zu den Erfordernissen einer schlüssigen Gesamtbeurteilung dahingehend, dass eine Scheinkonversion vorliegt VwGH 14.11.2007, Zl 2004/20/0215; VwGH 14.11.2007, Zl 2004/20/0485).

 

2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den jeweils angeführten Quellen. Die beigeschafften Dokumente, die von - teilweise vor Ort agierenden - Personen und Organisationen hoher Reputation stammen, enthalten substantiierte Darstellungen der Situation und ergeben in ihren Aussagen ein übereinstimmendes nachvollziehbares Gesamtbild.

 

2.3. Die Feststellungen unter 1.3. ergeben sich aus den Feststellungen zu 1.1. und 1.2. sowie den Ausführungen des der mündlichen Verhandlung beigezogenen Sachverständigen:

 

"Der BW spricht afghanisches Dari, diese Mundart von Dari ist für die darisprechenden Personen zwischen dem afghanischen Osten und Kabul typisch. Der BW hat seine Schulbesuch in J. den dortigen Gegenbeheiten entsprechnd wiedergegeben, der BW hat auch die verschiedenen Ethnien in der Provinz N. richtig wiedergegeben, deshalb ist davon auszugehen, dass der BW nicht nur ein Afghane ist, sondern wie angegeben aus J. stammt.

 

Betreffend der Konvertiten möchte ich zunächst auf meine verschiedenen Gutachten hier im UBAS hinweisen und ausführen, dass die afghanische Gesellschaft nicht nur eine islamische, sondern auch eine sehr traditionelle Gesellschaft ist, die kaum Bekanntschaft mit den Christen gemacht hat. Die Ausländer die im Rahmen der Hilfsorganisationen in Afghanistan arbeiten und mit der Bevölkerung in Kontakt treten, geben ihre religiöse Herkunft der afghanischen Bevölkerung kaum bekannt. Sie üben ihre Religion auch in der Öffentlichkeit nicht aus. Während in manchen anderen islamischen Ländern, wie Iran oder Pakistan, die christliche Kirche und Praxis vorhanden und bekannt ist. Es gibt keine einzige christliche Kirche in Afghanistan die von Afghanen betrieben und besucht wird. Die ausländischen Truppen in Afghanistan haben in ihren Stützpunkten Kapellen für die Afghanen nicht zugänglich und bekannt sind. 1972 wurde in Afghanistan von einem in der Schweiz, im Internat ausgebildeten Afghanen eine Kirche in Kabul gegründet. Diese Kirche wurde jedoch schon Ende 1972 offiziell im Auftrag des damaligen Ministerpräsidenten niedergerissen, dass dies der afghanischen Tradition fremd ist. Die Konvertiten, d.h. Personen die vom islamischen Glauben in einen anderen Glauben übertreten werden nach Sharia Mortad genannt und Mortad heißt die "Abtrünnigen". Nach Sharia verdienen diese den Tod. Wenn ein Afghane seine islamische Religion wechselt, wird er so lange keine Probleme haben, so lange dies nicht bekannt ist. Wenn der betroffene in seinem Heimatdorf bekannt gibt, dass er z.B. Christ geworden ist, wird er von seinen Dorfbewohnern gemieden und dessen Familie terrorisiert. Auch die Familie des Konvertiten wird versuchen möglichst ihn zu überzeugen, dass er gar nicht konvertiert ist. Wenn er darauf besteht, meidet seine Familie ihn, sodass er gezwungen ist, sich von seiner Familie und seinem Wohnviertel zu entfernen. Allerdings kann es passieren, dass die Mullahs seiner Gemeinde, gegen ihn Stimmung machen, sodass er von jemandem zusammengeschlagen wird. Er kann auch von Mitgliedern der eigenen Familie zusammengeschlagen werden, um ihn "davon abzubringen". Wenn der Konvertierte versucht, seine Religion in Afghanistan weiterhin bekannt zugeben und zu praktizieren kann es dazu führen, dass die Mullahs der Region sich zusammentun und gegen ihn eine Fatwah aussprechen, in der seine Bestrafung bzw. Tötung ausgesprochen wird, dies obwohl der afghanische Staat und die Verfassung die Religionsfreiheit erlaubt, ist ein irrationales und außerstaatliches Vorgehen gegen Konvertiten nicht auszuschließen."

 

Für die Berufungsbehörde ergibt sich daraus, dass für den Berufungswerber keine Möglichkeit besteht, in Afghanistan die christliche Religion auszuüben; jedes Bekanntwerden seines Glaubenübertrittes würde mit schwersten staatlichen und gesellschaftlichen Sanktionen betraft werden. Der Berufungswerber müsste daher im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan seinen Glaubenswechsel geheim halten, um diese Sanktionen hintan zuhalten.

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 22.6.2005 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

3.2. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

3.3. Zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; eine solche ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären (VwGH v. 26. 2. 1997 Zl: 95/01/0454). Nicht erforderlich ist, dass bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gegen den oder die Betroffene stattgefunden haben, da die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - sich nicht auf vergangene Ereignisse bezieht (vgl VwGH 10.9.1997, 96/21/0424), sondern eine Prognose erfordert (Vgl auch VwGH 5.11.1992, 92/01/792).

 

3.4. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist begründet:

 

3.4.1. Nach der Rspr des VwGH kommt es im Fall der Konversion darauf an, ob die betreffende Person im Fall einer Rückkehr in das Heimatland in der Lage ist, die von ihr gewählte Religion frei auszuüben. Bei einer im Ausland erfolgten Konversion ist darauf abzustellen, ob die Konversion "nur zum Schein erfolgt" ist. Wenn die Konversion aus "innerem Entschluss" erfolgt ist, kommt es darauf an, ob die betreffende Person bei "weiterer Ausübung ihres behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl VwGH 24.10.2001/99/20/0550; 19.12.2001, 2000/20/0369; 17.10.2002, 2000/20/0102)..

 

Im Fall des Berufungswerbers ist davon auszugehen, dass der erfolgte Glaubenswechsel aus einem inneren Entschluss erfolgt ist; für das Vorliegen einer Scheinkonversion gibt es keinen Anhaltspunkt. Dem Berufungswerber drohen im Fall der Ausübung der christlichen Lehren schwere Sanktionen in seinem Heimatstaat, die sowohl von staatlicher Seite (Sanktionen gem Scharia) als auch von privater Seite (völlige gesellschaftliche Ächtung) ausgehen (vgl die Feststellungen unter 1.2.2. und 1.3.). Es ist weiters nicht auszuschließen, dass der Berufungswerber - selbst wenn er dies in Kauf nehmen würde - den Umstand seines Glaubenswechsels nicht dauerhaft geheim halten könnte.

 

3.4.2. Der in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des Berufungswerbers steht die Verfolgungsgefahr in einem Konnex zu seinem Glaubenswechsel und daher zum Konventionsgrund der "Religion".

 

3.4.3. Das Bestehen einer inländischen Schutzalternative in anderen Gebieten Afghanistans ist im Fall des Berufungswerber zu verneinen, weil die vom Berufungsweber geltend gemachte Furcht vor Verfolgung im gesamten afghanischen Staatgebiet besteht.

 

3.5. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans aufhält und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

4. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
gesamte Staatsgebiet, Religion, strafrechtliche Verfolgung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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