TE Vwgh Erkenntnis 2007/11/14 2004/20/0485

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.11.2007
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den am 25. März 2004 verkündeten und am 6. Oktober 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 217.760/0- VII/20/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste mit seiner Frau S und ihrem gemeinsamen minderjährigen Sohn A am 26. September 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 28. September 1999 einen Asylantrag; die beiden Familienangehörigen des Beschwerdeführers stellten Asylerstreckungsanträge (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2005/20/0284).

Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, aufgrund seiner Teilnahme an den Studentendemonstrationen in Teheran im Jahre 1999 politisch verfolgt zu werden. So habe er am 16. Juli 1999 gerade noch flüchten können, als sein Bruder, der im unteren Teil des Hauses des Beschwerdeführers wohnte und Mitglied einer Studentenorganisation gewesen sei, beim Verlassen des Hauses vermutlich von Männern des Nachrichtendienstes festgenommen wurde; anschließend hätten bewaffnete Männer auch die Wohnung des Beschwerdeführers durchsucht.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Die belangte Behörde führte am 25. März 2004 eine Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer die in erster Instanz vorgebrachten Fluchtgründe wiederholte und überdies als Nachfluchtgrund angab, er sei in Österreich vom moslemischen Glauben zum evangelischen Christentum übergetreten und mittlerweile getauft worden. Laut Verhandlungsschrift wurde am Ende der Berufungsverhandlung "das Länderdokumentationsmaterial vorgehalten, wonach das illegale Verlassen des Irans eine Verwaltungsübertretung darstellt und allenfalls mit einer Geldstrafe geahndet wird", sowie "der gesamte Akteninhalt verlesen", in der Folge das Beweisverfahren geschlossen und der nunmehr angefochtene Bescheid verkündet.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie erachtete - aus näher dargestellten Gründen - das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Identität und zu den politischen Gründen für seine Ausreise für nicht glaubwürdig und traf insoweit negative Feststellungen. Zur Person des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde überdies fest, er sei in Österreich zum Schein vom Islam zum Christentum konvertiert. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihm wegen illegaler Ausreise aus dem Iran eine mehrjährige Gefängnisstrafe drohe. Im Falle seiner Rückkehr in den Iran habe der Beschwerdeführer nicht mit Verfolgung bzw. einer Gefährdungssituation zu rechnen.

Weiters stellte die belangte Behörde zur "Situation der Konvertiten im Iran" fest:

"Aus den Vorschriften des Korans kann nicht gefolgert werden, dass die persönliche Gewissensentscheidung für das Christentum mit dem Tode bestraft wird. Der Moslem wird in die - auch staatliche - Gemeinschaft der Gläubigen hineingeboren und muss - das gehört zu seinen religiösen Pflichten - nicht nur den geistig-religiösen, sondern auch den untrennbar damit verbundenen politischen Pflichten nachkommen. Die persönliche Frage nach seinem religiösen Gewissen stellt sich insoweit nicht, oder, anders gesagt, ist von vorne herein dahin beantwortet, dass es gleichsam gewissenlos ist, die politische Gemeinschaft der Gläubigen zu verlassen und dadurch zu verraten. Der Abfall vom Islam hat nach Auffassung der westlichen wissenschaftlichen Literatur mit der Ausübung der Gewissensfreiheit überhaupt nichts zu tun, sondern wird nach islamischer Vorstellung von einem Abfall vom Islam erst und nur dann gesprochen, wenn dieser sich als Hochverrat oder Landesverrat oder sonst als Infragestellung des politischen Machtanspruches der Moslems darstellt. Es gibt für den reinen Glaubenswechsel keine gesetzlich bestimmte Strafe im Iran.

Allerdings, und das soll auch hervorgehoben werden, ist das Verlassen des Islams und das Annehmen einer nicht-islamischen Religion ein äußerst gravierender Tabubruch. Die Unauflöslichkeit der Zugehörigkeit zur muslimischen Religion und die aus religiöser Sicht inakzeptable Abkehr von dieser Religion ist jedem Moslem bewusst und bekannt. Es gibt insoweit keine Gewissensfreiheit. Der Islam kann nicht mit rechtlicher Wirkung als Glaubensgemeinschaft verlassen werden. Ein derartiger Übertritt ist nicht wirksam, die dortigen Vorstellungen schließen dergleichen aus. Deshalb kann, sofern dieser Glaubenswechsel nicht allein zur Beförderung der europäischen Asylverfahren stattgefunden hat, sondern eine ernstliche Wandlung stattgefunden hat, die nicht sogleich bei etwa unterstellter Rückkehr in den Iran wieder abgelegt wird, wie ein Hemd, das seinen Zweck erfüllt hat, durchaus in Betracht kommen, dass die Betreffenden schwerer Repression unterliegen.

Im Iran würde jedenfalls zunächst davon ausgegangen werden, dass die Konversion zum Zwecke der Beförderung des Asylverfahrens durchgeführt wurde und daher keineswegs substantiell gemeint ist, denn man weiß schon zu unterscheiden zwischen den europäischen Zwecken und der inneren Haltung oder der Verleugnung des Islams, so dass man im Allgemeinen Verständnis dafür haben wird, dass Iraner, die es "anders nicht schaffen", es einmal so versuchen. Das Verfolgungsrisiko hängt davon ab, ob die neu erworbene christliche Glaubenszugehörigkeit im Iran anhält, oder ob sie nach Maßgabe der dortigen Verhältnisse wieder abgestreift wird und diesfalls überdies vom eigenen Verhalten des Betreffenden, der sich naturgemäß bedeckt halten muss und eine neue Religionszugehörigkeit im Stillen oder im kleinen Kreis von Glaubensgenossen praktizieren muss. Die Grenze ist jedenfalls dort überschritten, wo aktive Missionierung angestrebt wird. Das ist in der Regel freilich nicht der Fall, dazu fehlen ja auch normalerweise die Qualifikationen (Anfragebeantwortung des Deutschen Orientinstitutes vom 26. 4. 2004.)"

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Soweit die Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde in Bezug auf den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgrund der Teilnahme an den Studentendemonstrationen in Teheran bekämpft, ist sie nicht erfolgreich. Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, eine nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes relevante Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufzuzeigen.

2. Hingegen bemängelt die Beschwerde zu Recht hinsichtlich des geltend gemachten Nachfluchtgrundes die Beweiswürdigung zur Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei in Österreich nur zum Schein vom Islam zum Christentum konvertiert, und kritisiert im Ergebnis zutreffend die Einschätzung, die vom Beschwerdeführer vollzogene Taufe würde auch von den iranischen Behörden als Scheinkonversion betrachtet werden und führe daher nicht zu asylrelevanter Verfolgungsgefahr.

Vorauszuschicken ist, dass es - wie auch die Beschwerde erkennt - im gegenständlichen Asylverfahren darauf ankommt, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben evangelischer Prägung zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden, bzw. welche Konsequenzen er wegen einer allenfalls bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0550).

Der belangten Behörde ist einzuräumen, dass der von ihr herangezogene Gesichtspunkt eines mangelnden Grundwissens zum christlichen Glauben tatsächlich für das Vorliegen einer sogenannten "Scheinkonversion" sprechen kann, woraus zu schließen wäre, dass ein innerer Gesinnungswandel nicht mit derartiger Ernsthaftigkeit eingetreten ist, dass dieser bei Rückkehr in den Herkunftsstaat aufrecht erhalten würde. Es lässt sich jedoch allein mit der im Wesentlichen darauf und dem - ohne nähere Ausführungen - gezogenen "Vergleich mit jenen zahlreichen Asylwerbern, die ebenfalls den Asylgrund Konvertierung heranziehen", aufbauenden Argumentation, es liege kein innerer Gesinnungswandel vor, "wie er von einem Konvertiten zu verlangen ist und wie er sich auch im Regelfall in der Praxis des erkennenden Mitgliedes (der belangten Behörde) in einer Vielzahl von Fällen gezeigt hat", nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht schlüssig begründen, dass alle im Zusammenhang mit dem neu erworbenen Glauben stehenden weiteren Aktivitäten des Beschwerdeführers nur zum Schein mit dem (ausschließlichen) Ziel der Asylerlangung entfaltet worden sind und eine Ausübung des Glaubens nach Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr erfolgen würde. Für eine solche Einschätzung hätte es auch einer konkreten Auseinandersetzung mit den Angaben des dazu einvernommenen Zeugen Pfarrer Herbert Graeser bedurft. Dieser hat den Beschwerdeführer nach "ca. einem Jahr intensivem Katechumenats" getauft, wobei in den Sitzungen "Aussage für Aussage des apostolischen Glaubensbekenntnisses" besprochen worden sei. Der Zeuge sei "nach wie vor (mit dem Beschwerdeführer) im Gespräch" und attestierte dem Beschwerdeführer ein "grundsätzlich existenzielles Interesse an der Frage der Religion".

Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung lässt sich das Verhalten des Beschwerdeführers nicht mit der Annahme einer bloßen Äußerlichkeit, die auf eine Verneinung eines inneren Gesinnungswandels hinausläuft, schlüssig begründen. Vielmehr hätte die belangte Behörde nicht nur - wie erwähnt - eine nähere Beurteilung der Angaben der Zeugen vornehmen, sondern auch den Beschwerdeführer konkreter zu seinen religiösen Aktivitäten befragen und diese Ermittlungsergebnisse in die Gesamtbetrachtung einbeziehen müssen. Schließlich hätte sie auch näher darlegen müssen, welcher Vergleichsmaßstab zu anderen Konvertiten - insbesondere was den evangelischen Glauben betrifft - herangezogen wird.

3. Weiters ist - wie die Beschwerde ebenfalls aufzeigt - zu bemängeln, dass sich die belangte Behörde in der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides vom 6. Oktober 2004 zur Stützung der Feststellungen über die Folgenlosigkeit einer bloß zum Zwecke der Asylerlangung vorgenommenen Konversion lediglich auf eine Anfragebeantwortung des Deutschen Orientinstitutes stützt, die mit 26. April 2004 datiert und somit offenkundig zum Zeitpunkt der Verkündung des gegenständlichen Bescheides am 25. März 2004 noch nicht vorgelegen hat. Aus den Verwaltungsakten ist auch weder ersichtlich, dass im Rahmen der Berufungsverhandlung auf die (allgemeine) Situation der Konvertiten im Iran eingegangen worden wäre, noch, dass dem Beschwerdeführer zur erwähnten Anfragebeantwortung oder anderen diesbezüglichen Unterlagen Parteiengehör gewährt worden wäre.

Die belangte Behörde hat auch nicht mit nachvollziehbarer Begründung festgestellt, dass nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen sei, die Taufe könnte den iranischen Behörden bekannt werden (vgl. das Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0531; siehe allgemein zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Verfolgungsgefahr im Iran wegen Glaubenswechsels auch die Nachweise in diesem Erkenntnis und im Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2003/20/0544).

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 14. November 2007

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2004200485.X00

Im RIS seit

05.12.2007

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten