TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/24 C10 251240-0/2008

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Veröffentlicht am 24.09.2008
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Spruch

C10 251240-0/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des N.A., geb. 00.00.1982 alias 00.00.1988 alias 00.00.1989, StA Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.06.2004, FZ. 04 04.103-BAW, gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 idgF (AVG), iVm § 61 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, entschieden:

 

In Erledigung der Beschwerde von N.A. vom 06.07.2004 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.06.2004, FZ. 04 04.103 - BAW, wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 11.11.2003 in Österreich einen Asylantrag. Im Rahmen der Einvernahme vom 11.12.2003 korrigierte der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum (in Anwesenheit seiner gesetzlichen Vertreterin) vom Jahr 1986 auf den 00.00.1982. Befragt zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass er im sechsten Lebensjahr von seinen Eltern in ein Internat nach Tadschikistan geschickt worden sei, seit diesem Zeitpunkt sei er nicht mehr in Afghanistan gewesen. Zu seinen Eltern habe er lediglich zwei Jahre Kontakt gehabt, er wisse daher nicht, ob seine Eltern noch am Leben seien. Er habe bei seiner Aufgreifung ein falsches Geburtsdatum angegeben, weil ihm der Schlepper gesagt habe, er solle das tun und er sei diesem Ratschlag aus Angst gefolgt. In Tadschikistan habe er über keine Aufenthaltsbewilligung verfügt, deshalb habe er dort nicht länger bleiben können. Er wisse zudem nicht, ob er in Afghanistan noch Familie habe. Andere Afghanen hätten ihm gesagt, dass er bei einer etwaigen Rückkehr nach Afghanistan mit Schwierigkeiten zu rechnen habe, weil er lange Zeit in der sowjetischen Republik gelebt und dort die Schule besucht habe; aus diesem Grund sei sein Leben in Afghanistan in Gefahr. In Tadschikistan habe er gelitten, weil er dort niemanden gehabt hätte; er sei beschimpft und beleidigt worden, außerdem habe er mit der tadschikischen Polizei Probleme gehabt, weil er keine Dokumente habe vorweisen können. Nur solange er die Schule besucht habe, sei sein Aufenthalt in Tadschikistan geregelt gewesen, nach der Schule sei es ihm jedoch nicht möglich gewesen, offiziell einem Beruf nachzugehen.

Er habe noch ein weiteres Problem in Tadschikistan gehabt: Ein tadschikisches Mädchen habe behauptet, dass sie ihre Jungfräulichkeit wegen ihm verloren hätte, dies habe jedoch nicht gestimmt. Auch aus diesem Grund habe er Probleme gehabt. In Tadschikistan sei er zudem zwei Mal aufgrund seiner illegalen Arbeit und seines illegalen Aufenthaltes festgenommen worden; dies hätte sich im Jahr 2002 ereignet. Er sei von Tadschikistan aufgrund der schlechten Lage in Afghanistan nicht nach Afghanistan zurückgekehrt und weil ihm von anderen Afghanen davon abgeraten worden sei. Damals seien die Taliban an der Macht gewesen; sobald diese erfahren hätten, dass er aus dem Ausland zurückgekehrt sei, hätte man ihn getötet. Er habe Afghanen, welche nach Tadschikistan gekommen seien, nach seinen Eltern gefragt. Der Name seines Vaters sei bekannt, weil dieser Kommunist gewesen und für Babrak Karmal tätig gewesen sei. Er habe dennoch seine Eltern nicht ausfindig machen können, diesbezüglich habe er sich auch an das Büro der Vereinten Nationen gewendet, auch dort habe man ihm nicht weiterhelfen können. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst um sein Leben. Er habe Afghanistan bereits als Kind verlassen, alles was er von Afghanistan wisse, stamme von Erzählungen afghanischer Flüchtlinge. Russen seien in Afghanistan verhasst, genauso wie Afghanen, welche im russischen Einflußbereich die Schule besucht und dort gelebt hätten. Auch in der Karzai Regierung würden ehemalige Kommunisten nicht geduldet.

 

2. Mit Bescheid vom 03.02.2004, Zahl: 03 34.706-BAE, wies das Bundesasylamt den Antrag des Berufungswerbers gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I 1997/76, ab (Spruchpunkt I) und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan für zulässig (Spruchpunkt II). Dieser Bescheid wurde aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des Antragstellers am 02.02.2004 gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustellG im Akt hinterlegt und erwuchs mangels Erhebung eines Rechtsmittels in Rechtskraft.

 

3. Am 09.03.2004 wurde der Genannte aus Deutschland gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates nach Österreich überstellt und stellte am 10.03.2004 einen neuerlichen (den zweiten) Asylantrag.

 

Mit Schreiben vom 11.03.2004 wurde von der Diakonie, Evangelischer Flüchtlingsdienst Österreich, in Bezug auf den Antragsteller mitgeteilt, dass dieser nicht (wie im ersten Verfahren angegeben) am 00.00.1982, sondern am 00.00.1988 geboren und somit minderjährig sei. Er habe bei seiner ersten Antragstellung in Österreich falsche Daten angegeben, weil ihm von Schleppern erklärt worden sei, dass dies für ihn von Vorteil sei.

 

4. Am 15.06.2004 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Antragstellers im Beisein des gesetzlichen Vertreters statt. Befragt zu seinem Alter führte er dabei aus, 15 Jahre alt zu sein. Auf Vorhalt der belangten Behörde, dass er in seinem ersten Asylverfahren als Geburtsjahr das Jahr 1986 angegeben habe und sich schließlich bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 11.12.2003 für volljährig erklärt habe, führte der Antragsteller aus, dass er dies gemacht habe, weil ihm andere Afghanen gesagt hätten, wenn er sich als minderjährig ausgebe, würde er in einer Familie untergebracht und könne dann nirgendwo hingehen. Er wollte jedoch zu seiner Tante nach Deutschland reisen. Im Zuge dieser Einvernahme legte der gesetzliche Vertreter des Antragstellers eine eidesstattliche Erklärung vom 05.04.2004 der Tante des Antragstellers, Frau A.A. vor, in welcher diese bestätigt, dass der Antragsteller am 00.00.1368 (= 00.00.1989) geboren sei. Gleichzeitig beantragte der gesetzliche Vertreter die Einvernahme der Tante als Identitätszeugin. In weiterer Folge stelle der Leiter der Amtshandlung des Bundesasylamtes, aufgrund des obigen Vorhaltes und aufgrund des Umstandes, dass es augenscheinlich sei, dass der Antragsteller nicht 15 Jahre alt sei, die Volljährigkeit des Genannten fest und wies den Antrag des gesetzlichen Vertreters mit der Begründung ab, dass es sich bei der Tante des Antragstellers um eine am Verfahren beteiligte Person handle, eine Klärung der angeblichen Minderjährigkeit durch diese nicht zu erwarten sei und die vorgelegte Erklärung im Rahmen der Beweiswürdigung nicht geeignet sei, die von der erkennenden Behörde getroffenen Feststellungen zu erschüttern. In weiterer Folge wurde die niederschriftliche Einvernahme ohne den gesetzlichen Vertreter des Antragstellers weitergeführt. Auf die Nachfrage, ob er nunmehr neue Fluchtgründe habe, erklärte der Antragsteller nur, dass er keine neuen Gründe habe, er wolle jedoch hinzufügen, dass er in Afghanistan niemanden mehr habe und dort nicht leben könne. Jetzt wo er nicht nach Deutschland könne, wolle er hier bleiben und habe daher einen neuen Asylantrag gestellt.

 

5. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.06.2004, Zahl: 04 04.103-BAW, gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 22.06.2004 persönlich zugestellt.

 

6. Gegen die letztgenannte Entscheidung hat der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben. Darin monierte der Bf. die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens. Der Bf. führte aus, dass er am 11.11.2003 beim Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, als Minderjähriger einen Asylantrag eingebracht habe, welcher in der Folge von der belangten Behörde abgewiesen worden sei. Dieser Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen, weil der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt bereits nach Deutschland zu seiner Tante gereist sei. Er sei schließlich von den deutschen Behörden nach Österreich zurückgeschoben worden, habe einen neuerlichen Asylantrag gestellt, welcher wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei. Die Mangelhaftigkeit des gegenständlichen Verfahrens liege darin, dass gleich zu Beginn der Einvernahme sein Alter in Frage gestellt worden sei und auch von seinem gesetzlichen Vertreter die eidesstattliche Erklärung bezüglich seines Geburtsdatums vorgelegt worden sei. In weiterer Folge sei sein Rechtsvertreter aufgefordert worden, den Einvernahmeraum zu verlassen und sei die Befragung ohne diesen weiter geführt worden, ihm sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, Rücksprache zu halten und sich auf die neue Situation vorzubereiten. Der Bf. gab an, über dieses Vorgehen sehr überrascht gewesen zu sein. Er sei ab diesem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen, klar zu denken und er sei nicht in der Lage gewesen zu erkennen, wie wichtig es für sein Verfahren sei, seine individuellen Fluchtgründe nochmals darzulegen. Die belangte Behörde habe die Annahme der Volljährigkeit lediglich damit begründet, dass er älter als 15 Jahre sein müsse, womit jedoch nicht festgestellt sei, dass er älter als 18 Jahre sei. Zudem habe es die Erstbehörde verabsäumt, nochmals den Refoulementsachverhalt im Sinne des § 57 FrG zu überprüfen. Nach eingehender Überprüfung hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden. Die Sicherheitslage im Afghanistan sei nach wie vor prekär, sodass sodass eine Rückführung im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stünde. Er habe keinerlei Angehörige in Afghanistan und habe aufgrund der Tätigkeit seines Vaters als Kommunist mit Problemen zu rechnen.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in das Aktenkonvolut betreffend den ersten Rechtsgang im Asylverfahren, den Folgeantrag auf internationalen Schutz vom 10.03.2004, die niederschriftlichen Einvernahmeprotokolle vor den Organen der Sicherheitsbehörden und dem Bundesasylamt, den bekämpften Bescheid sowie den Beschwerdeschriftsatz.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Anzuwendendes Recht

 

1. Am 01.07.2008 beim UBAS anhängige Verfahren sind nach Maßgabe der Übergangsbestimmung des § 75 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idF des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I Nr. 4/2008, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

2. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 sind Verfahren gegen abweisende Bescheide, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind und in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichthofes zuständigen Senat weiterzuführen. Das gegenständliche Beschwerdeverfahren war am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig, eine mündliche Verhandlung hatte nicht stattgefunden. Das Verfahren war nach Maßgabe der Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat C9 des Asylgerichtshofes zu führen.

 

3. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes in Senaten oder, soweit dies bundesgesetzlich besonders vorgesehen ist, durch Einzelrichter.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden

 

gegen zurückweisende Bescheide

 

wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4,

 

wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und

 

wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie

 

die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

4. Gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes, BGBl. I Nr. 4/2008 (in der Folge: AsylGHG), sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.2. Zum Spruch

 

1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG s. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

2. Das Bundesasylamt stützte seine Entscheidung auf "entschiedene Sache" im Ergebnis darauf, dass in einer Gesamtbetrachtung der Beschwerdeführer keinesfalls einen "neuen Sachverhalt" vorgetragen und glaubhaft gemacht habe.

 

"Entschiedene Sache" i.S.d. § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH v. 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; VwGH v. 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; VwGH v. 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH v. 10.06.1998, Zl. 96/20/0266). Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.1.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH vom 24.02.2000, Zl. 99/20/0173-6).

 

3.1. Im vorliegenden Verfahren leidet das erstinstanzliche Verfahren an folgendem schwerwiegenden Mangel:

 

In der ersten (und einzigen) niederschriftlichen Einvernahme des Genannten vor der Erstbehörde in diesem Verfahren wurde die Volljährigkeit des Beschwerdeführers aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes festgestellt, sodass in der Folge die Einvernahme in Abwesenheit des gesetzlichen Vertreters durchgeführt wurde. In dieser Einvernahme wurde der Bf. lediglich auf die widersprüchlichen Angaben zu seinem Alter (im Verhältnis zu seinem ersten Asylantrag) hingewiesen, worauf sich der Bf. wiederum auf sein (im Zuge dieser Einvernahme) angegebenes Geburtsdatum (00.00.1989) berief; der gesetzliche Vertreter des Bf. verwies auf das Vorliegen einer eidesstattlichen Erklärung beantragte in der Folge eine Einvernahme der Tante des Bf. als Identitätszeugin. Die Bescheidbegründung entspricht den Ausführungen in der Niederschrift der Einvernahme des Bf.. Im Rahmen der Beweiswürdigung stützt sich die Erstbehörde auf die widersprüchlichen Angaben des Bf. in Bezug auf sein Geburtsdatum, sowie darauf, dass es augenscheinlich sei, dass der Bf. nicht mehr 15 Jahre alt sei. Dieser Bescheid wurde schließlich mit dem Vermerk "festgestellte Volljährigkeit" an den Bf. persönlich zugestellt.

 

Zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bezüglich Alterseinschätzungen von Asylwerbern:

 

Mit Erkenntnis vom 23. November 2006, ZI 2005/20/0547 verneinte der Verwaltungsgerichtshof einen Verfahrensmangel in einem Fall, in welchem die Alterseinschätzung des Bundesasylamtes sich nicht allein auf den persönlichen Eindruck (optisches Erscheinungsbild und Auftreten bei der Behörde), sondern auf weitere, nachvollziehbar dargestellte Umstände (gravierende Widersprüche in Bezug auf eine zeitliche Einrodung einzelner Ereignisse im Verhältnis zum angeblich jeweiligen Alter des Asylwerbers) stütze.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 16. April 2007, Zl. 2005/01/0463, zur Zulässigkeit der Alterseinschätzung von AsylwerberInnen weiters ausgeführt:

 

Dem Erfordernis einer "besonderen fachlichen Qualifikation" zur Alterseinschätzung werde nicht entsprochen, wenn das entscheidende Mitglied des UBAS lediglich über "mehrjährige Erfahrung im Umgang mit afrikanischen Asylwerbern" verfüge, da die Alterseinschätzung eines Asylwerber in der Regel medizinisches Fachwissen voraussetzte, welches durch bloßen "Umgang" mit Asylwerber im Rahmen von Einvernahmen nicht erlangt werden könne. Der Verweis, dass die Einschätzung auch vom Vertreter der Jugendwohlfahrtsträgers geteilt worden sei, reiche nicht aus. Um daher eine Alterseinschätzung überprüfbar zu machen, bedürfe es im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist medizinische) Sachverständige.

 

Im gegenständlichen Fall geht aus der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht hervor, dass abgesehen von der Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes - die im

 

Übrigen verbal nicht näher charakterisiert ist und daher ebenso nicht objektiv nachvollziehbar bleibt - der Befund der Volljährigkeit auf zusätzliche gravierende Widersprüche im Sinne der Judikatur des VwGH gestützt wurde. Es kann nicht mit der gebotenen Sicherheit gesagt werden, dass die Berichtigung des Geburtsdatums des Berufungswerbers bei seiner ersten Antragstellung vom 11.11.2003 (womit dieser schließlich seine Volljährigkeit behauptete) nicht tatsächlich aus dem vom Bf. angegebenen Grund erfolgt ist (siehe auch seine diesbezüglichen Aussagen, dass er zu seiner Tante nach Deutschland wollte und ihm von Bekannten mitgeteilt worden sei, dass er als Minderjähriger nirgendwo hingehen könne - AS BAA 55-57); insbesondere, da dies die einzige in diesem Zusammenhang erfolgte Fragestellung war.

 

Auch geht aus der Niederschrift vom 15.06.2004 (und der Beweiswürdigung) in keiner Weise hervor, dass der damals vernehmende Organwalter über medizinisches Fachwissen zur Altersbestimmung eines Jugendlichen, an der Grenze zum jungen Erwachsenen, verfüge, vor allem wenn dieser, wie gegenständlich, aus einem gänzlich anderen Kulturkreis stammt. Die Erstbehörde hätte daher bei gegebener entweder eine nähere Befragung zu dieser Thematik vornehmen (um daraus dann den allfälligen Schluss gravierender Widersprüche zu ziehen bspw. zeitliche Einordung einzelner Ereignisse im Verhältnis zum angeblich jeweiligen Alter) oder anstelle einer selbständigen Alterseinschätzung weitere Ermittlungen (Heranziehung einen geeigneten Sachverständigen) im Sinne der obzitierten Rechtsprechung des VwGH vornehmen müssen.

 

3.4. Würde man davon ausgehen, dass der Berufungswerber im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderlassung minderjährig war bzw. am 00.00.1989 geboren ist (wie von ihm behauptet), wäre die Einvernahme vom 15.06.2004 zu Unrecht in Abwesenheit eines gesetzlichen Vertreters durchgeführt worden, und darüber hinaus der Bescheid mangels Zustellung an den gesetzlichen Vertreter nicht rechtswirksam zugestellt worden.

 

In der Einvernahme am 15.06.2004 wurde der Berufungswerber zwar auf die Widersprüchlichkeiten seiner Angaben zu seinem Alter hingewiesen, doch wurde von Seiten des Bundesasylamtes auf seine Behauptung, dass er anlässlich seines ersten Asylverfahrens seine Volljährigkeit nur behauptet hatte, um zu seiner Tante reisen zu können weder in der Einvernahme noch in der Beweiswürdigung näher eingegangen. Hinzu kommt, dass dem Bf. - wie auch in der Beschwerde zu Recht gerügt - nur im Rahmen dieser Einvernahme und in Abwesenheit seines gesetzlichen Vertreters Gelegenheit gegeben wurde, seinen nunmehrigen Antrag zu begründen. Die Schlussfolgerung, dass sich der wesentliche Sachverhalt nicht geändert habe, ist daher (mangels ausreichender Ermittlungstätigkeit der Erstbehörde) insbesondere zum Alter des Bf. nicht zulässig, ist doch im gegenständlichen Fall nicht auszuschließen, dass der Bf. (ginge man vom Geburtsdatum 00.00.1989 aus) auch bei seinem ersten Asylantrag minderjährig und somit nicht in der Lage gewesen ist, seine rechtlichen Interessen alleine (ohne Anwesenheit eines gesetzlichen Vertreters in der Einvernahme) wahrzunehmen bzw. seine Fluchtgründe vollständig zu präsentieren. Jede andere Sichtweise würde den Schutzcharakter der Teilnahmeverpflichtung eines gesetzlichen Vertreters bei der Einvernahme Minderjähriger in unzulässiger Weise unterlaufen.

 

Es ist jedenfalls nicht Aufgabe der Berufungsbehörde, die vom Bundesasylamt übergangenen, asylrechtlich nicht von vornherein irrelevanten Vorbringensteile anstelle der Erstbehörde zu deren allgemein gehaltenen Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführerin in Beziehung zu setzen und zu prüfen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Partei danach die von ihr behaupteten Gefahren drohen (vgl. VwGH v. 08.06.2006, Zl. 2004/01/0487). Der Akt der Beweiswürdigung ist in einem Bescheid erkennbar und nachvollziehbar darzulegen. Die Gedankengänge der Behörde zur Beweiswürdigung, d.h. zur Würdigung der von ihr aufgenommenen Beweisergebnisse im Bezug auf deren Wahrheitsgehalt, müssen daher auch für die Partei bzw. deren Vertreter und die Berufungsbehörde schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. VwGH v. 20.11.2000, Zl. 95/20/0256). Die Begründung des bekämpften Bescheides erfüllt diese Anforderungen jedoch nicht. Hätte das Bundesasylamt bei einer Gesamtbetrachtung des Vorbringens des Beschwerdeführers, dieses einer schlüssigen Würdigung unterzogen, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es zu einem anderen Ergebnis im bekämpften Bescheid gelangt wäre.

 

3.5. Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die mangelhafte Bescheidbegründung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

Diese Umstände müssen in ihrer Gesamtheit bei einer Spezialbehörde als maßgeblicher Mangel angesehen werden.

 

4. Das erstinstanzliche Verfahren wurde somit ( in Bezug auf die Altersfeststellung des Bf.) in einer Art und Weise mangelhaft geführt, dass sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, von der Berufungsbehörde zu tätigen wären, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG. Zusammenfassend ist auszuführen, dass sich der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft darstellt, dass die Berufungsbehörde gezwungen war gemäß § 66 Absatz 2 AVG vorzugehen.

 

Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten mangelhaften Verfahrensschritte zu verbessern haben.

 

5. Von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht Gebrauch zu machen:

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens zu wesentlichen Sachverhaltsfragen in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor dem Asylgerichtshof käme, weil es das Bundesasylamt unterlässt, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen, indem der angefochtene Bescheid keine Feststellungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhaltselementen enthält. Diese Aufgabe kommt primär dem Bundesasylamt zu. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde sonst zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH

v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, VwGH v. 30.09.2004, Zl. 2001/20/0315).

 

6. Ausgehend von diesen Überlegungen musste im vorliegenden Fall der gesamte Bescheid behoben werden, da der Spruch des Bundesasylamtes den Antrag gänzlich zurückweist und nicht zwischen Haupt- und Eventualantrag unterscheidet. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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