TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/29 E7 262302-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2008
beobachten
merken
Spruch

E7 262.302-0/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Vorsitzenden und Dr. Martin DIEHSBACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Daniela BÖHM über die Beschwerde des C.W., geb. am 00.00.1980, staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.06.2005, FZ. 03 22.397-BAL, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (ehemals: Berufungswerber; im Folgenden auch: BF) wurde am 00.00.2003 nach Ankunft per Flugzeug aus Beirut kommend am Flughafen Wien einer Personen- und Dokumentenkontrolle unterzogen. Dabei gab er die Personalien Y.A., geb. 00.00.1979 in B., Libanon, an. Dort habe er sich zuletzt auch in einem palästinensischen Flüchtlingslager aufgehalten.

 

2. In einem im Akt befindlichen Laisser-Passer der norwegischen Behörden vom 12.12.2003 scheint wiederum unter dem Namen A.W., staatenloser Palästinenser, als Geburtsort M., Libyen, bzw. als Wohnadresse M., Libyen, auf. Zum anderen wird in diesem Dokument angeführt, dass der Genannte seinen Angaben nach am 31.07.2003 Libyen verlassen habe. Ein Fingerabdrucksvergleich zeigte aber auf, dass er tatsächlich bereits am am 00.00.2003 in Wien-Schwechat registriert wurde.

 

Auf AS 110 wiederum findet sich ein (nicht übersetztes) Dokument der schwedischen Behörden vom 04.11.2003 mit den Personalien H.A. aus B., Libanon sowie den weiteren Personalien C.W..

 

3. Bei seiner niederschriftlichen Befragung vor der Außenstelle Linz des BAA am 01.06.2004 gab der BF u.a. an, in M., Libyen, geboren und staatenloser Palästinenser zu sein. Als Identitätsnachweis legte er eine Kopie der Geburtsurkunde, ausgestellt vom Standesamt M., vor. Er habe sowohl die Volksschule, die AHS als auch die Universität, dies zwischen 1986 und 2003, besucht. Zuletzt habe er in M., gewohnt. Auch gab er im Weiteren an mit einem Reisedokument der libanesischen Vertretung in Tripolis ausgereist zu sein. Zu den jüngsten Aufenthaltsorten befragt nannte er M., danach 5-6 Monate in Kufra und Sabha (bei seinem Arbeitgeber offenbar auch in Libyen). Seine letzte Universitätsprüfung habe er am 00.00.2003 absolviert. Auch sei er von Juni bis August 2002 inhaftiert gewesen.

 

Zu den früheren Angaben, dass er Palästinenser aus dem Libanon sei, legte er dar, dass er dies stets aus Angst vor einer Deportation nach Libyen angegeben habe, er sei dort aber nicht wohnhaft gewesen. Er würde auch nie libysche Personaldokumente erhalten, weil sein Vater aber früher im Libanon lebte, hätten alle Kinder unabhängig von der Aufenthaltsort libanesische Dokumente erhalten können.

 

Auf AS 118 seines Aktes findet sich ein (nicht übersetztes) Dokument in arabischer Sprache. Auf AS 123 seines Aktes findet sich (der beiliegenden Übersetzung zufolge) ein Zeugnis der Universität M., vom 00.00.2004, dem gemäß der S.W., 1980 in M. geboren, an der Fakultät für Philosophie und Wissenschaft inskribiert war, und ihm im Studienjahr 2002/2003 ein akadem. Grad der Fachrichtung Chemie verliehen wurde.

 

4. Der Asylantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.06.2005 unter oben genannter Zahl gemäß § 7 AsylG idgF abgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Libanon gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idgF zulässig ist. Weiters wurde er gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

 

Nach der Feststellung, dass die BF "am 25.07.2003 einen Antrag gem. § 3 AsylG eingebracht" habe, dies unter Angabe der Personalien "C.W., geb. 00.00.1980, staatenloser Palästinenser", und der Wiedergabe der erstinstanzlich durchgeführten Einvernahme vom 01.06.2004 stellte die erkennende Behörde im Rahmen ihrer Entscheidungsbegründung u.a. fest, dass die Identität des BF diesen Daten entsprechend feststehe. Als Herkunftsland des BF werde "der Libanon" festgestellt.

 

Im Weiteren traf die belangte Behörde Feststellungen zum Libanon sowie zur Situation der Palästinenser im Libanon.

 

Die nachfolgende Beweiswürdigung der Behörde glich grundsätzlich jener in ihrem Bescheid den Vater des BF betreffend, weshalb diesbezüglich auf deren Darstellung in der Entscheidung des Asylgerichtshofs in seiner Sache verwiesen wird.

 

Darüber hinaus bezog sich die Behörde zwar auf die UNRWA-Karte und die libanesischen Dokumente der Familie des Genannten, es findet sich darin aber keine Würdigung der vom BF vorgelegten libyschen Dokumente.

 

Die Zustellung des Bescheides erfolgte am 20.06.2005 zu eigenen Handen des BF.

 

6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht mit 04.07.2005 Berufung.

 

7. Das gg. Verfahren wurde dem unten fertigenden Richter des Asylgerichtshofs mit 10.09.2008 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat wie folgt erwogen:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 Asylgesetz 1997 gilt. Da das gegenständliche Verfahren zu oben genanntem Zeitpunkt anhängig war, ist es nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art. 2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

2. Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Der § 28 AsylG gibt vor, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, dar.

 

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten der Asylgerichtshof das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062).

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann (nunmehr:) der Asylgerichtshof, sofern der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung kann er jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2002/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von ihm nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nach-geordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei (nunmehr) dem Asylgerichtshof die Rolle der Beschwerdeinstanz zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgeber würden aber unterlaufen, wenn es wegen des weit reichenden Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme, weil das Bundesasylamt keine hinreichende Ermittlungstätigkeit führt und auch keine nachvollziehbaren Entscheidungen trifft. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde damit zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Instanz ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht insbesondere bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei ihm beginnen und zugleich - abgesehen von der beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch (im Wesentlichen nunmehr) den Verfassungsgerichtshof - bei ihm enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).

 

3. Die belangte Behörde hat das erstinstanzliche Verfahren im vorliegenden Fall mit Mängeln belastet, die den Asylgerichtshof im Rahmen des gem. § 66 Abs. 2 AVG eingeräumten Ermessens zu einer kassatorischen Entscheidung veranlassten, wie im Folgenden darzulegen ist.

 

3.1. Vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisses sprach die belangte Behörde dem Vater des BF insbesondere die Glaubwürdigkeit seiner Angaben zu seinem angeblichen früheren Wohnort in Libyen zwischen 1975 und der Einreise in das österr. Bundesgebiet von Libyen aus im Jahr 2003 ab, und traf dessen Identität und Nationalität betreffend die Feststellung, dass als Herkunftsstaat des Vaters des BF, der als "staatenloser Palästinenser" (iSd § 1 Z. 4 AsylG 1997) anzusehen sei, der Libanon festzustellen sei. In Entsprechung dessen traf die Behörde auch Feststellungen zur Lage im Libanon und zur fehlenden Verfolgungswahrscheinlichkeit sowie Gefahrenlage iSd § 57 FrG im Herkunftsstaat Libanon. In Form einer Eventualbegründung führte die Behörde aus, daß selbst bei Wahrunterstellung der Behauptung des Vaters des BF über seinen Aufenthalt zwischen 1975 und 2003 in Libyen der Libanon als Herkunftsstaat anzusehen sei, weil sich in Ansehung der aktenkundigen Personaldokumente der libanesischen Behörden sowie der UNRWA diese "als verantwortlich für den BF erweisen" und die libanesischen Behörden diesem ihren Schutz gewähren würden; die Bindung des Vaters des BF an den Herkunftsstaat Libanon würde dementsprechend seine Bindung an den eventuellen Aufenthaltsort Libyen, wo er seinen Angaben ja auch nur geduldet worden sei, übersteigen.

 

Wie in der Entscheidung des Asylgerichtshofs in der Sache des Vaters des BF dargestellt, führte die belangte Behörde - mit Ausnahme der nachgeborenen Enkelin H.L.a - in gleichlautender Weise in ihren Entscheidungen die übrigen Angehörigen und Verwandten betreffend aus, dass auch als deren Herkunftsstaat iSd § 1 Z. 4 AsylG 1997 idgF jeweils der Libanon anzusehen sei, weshalb als Bezugspunkt der Prüfung ihres Schutzbegehrens jeweils der Libanon heranzuziehen sei.

 

3.2. Dieser Sichtweise vermochte sich der Asylgerichtshof in Ansehung des in der Sache des Vaters des BF ausführlich dargestellten Ermittlungsergebnisses, welches jenes in der Sache des BF selbst einschließt, mangels Schlüssigkeit der Feststellungen der belangten Behörde nicht anzuschließen.

 

Auf die entsprechenden Ausführungen des Asylgerichtshof in dieser Sache zu GZ. 262.299 wird verwiesen und werden diese auch der gg. Entscheidung zugrunde gelegt. Die entsprechenden Erwägungen schlagen angesichts des gleichgelagerten Sachverhalts in der Sache des BF auch auf deren Verfahren durch.

 

In Entsprechung der hg. Judikatur war daher in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG auch die erstinstanzliche Entscheidung den BF betreffend zu beheben und das Verfahren zur entsprechenden Ergänzung bzw. Korrektur des Ermittlungsverfahrens wie oben dargestellt an die erstinstanzliche Behörde zurückzuverweisen.

 

4. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 7 AsylG iVm § 67d Abs 4 AVG unterbleiben.

Schlagworte
Herkunftsstaat, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten