TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 S7 401617-1/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

S7 401.617-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Lassmann als Einzelrichterin über die Beschwerde des O.H., geb. 00.00.1991, StA. Nigeria, gesetzlich vertreten durch RB Mag. Isabella SPAZIERER-VLASCHITZ, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.09.2008, ZI. 08 05.441-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der nunmehrige Beschwerdeführer O.H., ist am 24.06.2008 illegal per Zug aus Italien kommend nach Österreich eingereist. Am selben Tag stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen gab der Beschwerdeführer in Gegenwart seiner Rechtsberaterin im Wesentlichen an, dass er nicht nach Italien zurück wolle, da er dort nicht gut behandelt worden wäre. Er wäre nicht ins Spital gebracht worden und hätte er nichts zu Essen bekommen bzw. wäre das Essen, das er bekommen hätte nicht gut gewesen. Ausserdem hätte der Beschwerdeführer in Italien einige Leute, nämlich nigerianische Polizisten gesehen, welche ihn in Nigeria verfolgt hätten. Der Beschwerdeführer würde sich vorher umbringen als nach Italien zurückzukehren.

 

Die erkennungsdienstlichen Behandlungen in Österreich ergaben, dass der Beschwerdeführer in Italien am 27.04.2008 ebenfalls erkennungsdienstlich behandelt wurde und stellte er am 09.06.2008 in Italien einen Asylantrag.

 

Das Führen von Konsultationen mit Italien wurde dem Beschwerdeführer und seiner gesetzlichen Vertreterin am 27.06.2008, sohin innerhalb der 20-Tages-Frist nach der Antragseinbringung übermittelt.

 

Dem österreichischen Wiederaufnahmeersuchen gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c vom 26.06.2008 entsprach Italien nicht, weshalb die Erstbehörde von einer Zuständigkeit nach Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ausgegangen ist.

 

Laut gutachterlicher Stellungnahme von Dr. S.S. vom 04.07.2008, liegt aus aktueller Sicht eine belastungsabhängige psychische Störung beim Beschwerdeführer vor, jedoch steht der Überstellung nach Italien eine schwere psychische Störung nicht entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde.

 

Zum selben Ergebnis kamen Dr. I.H. und Dr. P.D. in ihren unabhängig voneinander abgegebenen gutachterlichen Stellungnahmen vom 26.08.2008 bzw. vom 01.09.2008.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 05.09.2008, Zahl: 08 05.441-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG), des Rates Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und gem. § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Italien zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum italienischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes, der Ausweisung und zur Versorgung von Asylwerbern in Italien.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu sein, oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Der Beschwerdeführer hätte keine nachvollziehbaren Gründe genannt und gäbe es keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür, dass Italien etwa rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, nach denen der Beschwerdeführer, auch bei Zugrundelegung seiner Behauptungen, sofern ihm im Herkunftsstaat eine Bedrohung der im Asyl- und Refoulementbereich relevante Rechtsgüter tatsächlich droht, eine Schutzverweigerung zu erwarten hätte.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftstück vom 17.09.2008 fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wird im Wesentlichen behauptet, dass es die Erstinstanz unterlassen hätte, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen. Zudem würden die Feststellungen des Bundesasylamtes den Angaben des im Betreff Genannten widersprechen. Weiters würde der erstinstanzliche Bescheid keinerlei Informationen bezüglich der Situation von unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern, die an einer psychischen Erkrankung leiden, beinhalten. Aus den Angaben des Beschwerdeführers würde sich die konkrete Gefahr einer Kettenabschiebung von Italien nach Nigeria ergeben. Da Anhaltspunkte bestünden, dass die Grundrechte des Beschwerdeführers in Italien bedroht wären, wäre die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs geboten gewesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 01. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.3. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass aufgrund der durch den EURODAC-Treffer nachweislich erfolgten Asylantragstellung in Italien sowie der nicht eingelangten Wiederaufnahmeerklärung Italiens eine Zuständigkeit Italiens gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 20 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444).

 

2.4. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

2.5. Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung von einem in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus der Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.6. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK:

 

Familiäre Bezüge in Österreich im Verfahren sind nicht hervorgekommen, ebenso wenig - schon aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer - schützenswerte Aspekte des Privatlebens wie beispielsweise eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer (vgl. VFGH 26.02.2007, ZI 1802, 1803/06-11). Derartige Umstände sind auch vom Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt behauptet worden.

 

2.7. Kritik am italienischen Asylwesen, mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK:

 

Hiezu ist festzuhalten, dass kein konkretes Vorbringen ergangen ist, das geeignet wäre anzunehmen, dass der rechtliche und faktische Standard des italienischen Asylverfahrens, eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte erkennen ließe.

 

Konkretes detailliertes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Italien in Hinblick auf nigerianische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Hinweise auf konkrete individuelle Vulnerabilität im Verhältnis der italienischen Asylbehörde zu gerade diesem Beschwerdeführer sind weder aus der Aktenlage ersichtlich, noch wurden diese im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht. Offenkundige Zweifel der Integrität der so mit dem Beschwerdeführer durchgeführten Asyl - und fremdenrechtlichen Verfahren ergeben sich aus der individuellen Aktenlage daher nicht.

 

Die Erstinstanz hat detaillierte Feststellungen zum italienischen Asylverfahren, insbesondere auch zur Ausweisung getroffen und werden diese zum Gegenstand dieses Erkenntnisses erklärt.

 

Der Beschwerdeführer konnte keine besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Italien sprechen, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet, greift.

 

2.8. Medizinische Aspekte:

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch den Überstellungsvorgang eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für die vorliegenden Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde; dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Italien sind der Aktenlage, insbesondere den drei gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. S., Dr. H. und Dr. D., nicht zu entnehmen. Zwar ergeben alle drei Untersuchungen, dass aus aktueller Sicht eine belastungsabhängige psychische Störung vorliegt, aus den Gutachten ergibt sich jedoch auch, dass der Überstellung nach Italien keine schwere psychische Störung entgegen steht, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde.

 

Aus den Feststellungen des Bundesasylamtes geht deutlich hervor, dass in Italien alle Asylwerber Zugang zum nationalen Gesundheitssystem haben, wobei diesbezüglich keine Kosten anfallen und schreibt das italienische Asylgesetz vom 30.07.2002 vor, dass in den Aufnahmezentren spezielle Einrichtungen für Personen mit speziellen Bedürfnissen wie beispielsweise traumatisierte Personen, auch in Hinblick auf die medizinische Versorgung vorhanden seien.

 

Selbst, wenn man Italien unterstellen würde, dass die Möglichkeiten für traumatisierte Asylwerber oder für solche, die eine psychiatrische Behandlung/Beratung benötigen nicht die selben Standards wie in Österreich aufweisen würden, würde gemäß der Judikaturlinie des EGMR einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien nichts entgegenstehen.

 

Dem Vorwurf, es wären im Erstbescheid keine Feststellungen hinsichtlich der Situation von unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern in Italien gemacht worden, die an einer psychischen Erkrankung leiden ist entgegenzuhalten, dass davon auszugehen ist, dass diesen dieselben Möglichkeiten und dieselbe medizinische Versorgung offensteht, wie erwachsenen Asylwerbern.

 

Zwar wird im erstinstanzlichen Bescheid nicht explizit die Situation von unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern in Italien beschrieben, allerdings enthält die Erstentscheidung einen Verweis auf den Link www.migrationinformationservice.info, unter dem man unter anderem detaillierte Informationen über die Rechte unbegleiteter Minderjähriger im italienischen Asylverfahren erhält. Aus diesen Informationen geht eindeutig hervor, dass in Italien ein eigenes Komitee eingerichtet ist, das zum Ziel hat, die Rechte unbegleiteter Minderjähriger zu schützen. Die genauen Aufgabenbereiche des Komitees, sind nach Aufrufen des oben angeführten Links, der Homepage von IOM zu entnehmen.

 

Die Situation unbegleiteter Minderjähriger im italienischem Asylverfahren ist somit weder in rechtlicher noch in faktischer Hinsicht derart, dass sie ein Selbsteintrittsrecht Österreichs erforderlich machen würde.

 

Zudem sei festgehalten, dass es sich bei dem beinahe 17 Jahre alten Beschwerdeführer um kein "Kind" mehr handelt, sondern kann er bereits als beinahe Erwachsener angesehen werden.

 

Auch war der Aktenlage nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer deshalb nicht nach Italien zurück wolle, da er sich in seiner Eigenschaft als unbegleiteter Minderjähriger nicht wohlgefühlt hätte und deshalb schlecht behandelt worden wäre, sondern hätten sich die Umstände die ihm in Italien missfielen auch bei seiner Volljährigkeit nicht anders dargeboten.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch sind im Beschwerdeverfahren keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, medizinische Versorgung, Rechtsschutzstandard
Zuletzt aktualisiert am
28.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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