TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/02 S6 401679-1/2008

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Veröffentlicht am 02.10.2008
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Spruch

S6 401.679-1/2008/2E

 

S6 401.680-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerden

 

1) des G. alias O.H., geb. 00.00.1950, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.09.2008, GZ. 08 06.348, sowie

 

2) des mj.G.F. alias O.B., geb00.00.1995, gesetzlich vertreten durch den Kindesvater G. alias O.H., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.09.2008, GZ. 08 06.350,

 

beide StA. Afghanistan, beide vertreten durch Volkshilfe, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerden werden gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der Erstbeschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste am 21.07.2008 gemeinsam mit dem mj. Zweitbeschwerdeführer illegal per Schiff nach Italien und anschließend mit dem Zug nach Wien. Noch am selben Tag stellten die Beschwerdeführer bzw. der gesetzliche Vertreter, im österreichischen Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen gab der Erstbeschwerdeführer G. alias O.H.an, er wolle nicht nach Griechenland zurück, da man dort als Flüchtling keinerlei Hilfe bekomme. Auch könne man in Griechenland keinen Asylantrag stellen bzw. sei das sehr schwer. Der Zweitbeschwerdeführer sei in Griechenland mehrmals schwer geschlagen worden während er auf der Straße unterwegs gewesen sei. Mehrere deutsche und bulgarische betrunkene Männer hätten ihn angehalten, Geld von ihm gefordert und ihm Schläge angedroht. Als die Polizei eintraf, sei der Zweitbeschwerdeführer festgenommen worden und nicht die anderen Männer. Die Lage für Afghanen in Griechenland sei sehr schlecht. Der Erstbeschwerdeführer sei in Griechenland nie persönlich bedroht worden.

 

Die erkennungsdienstlichen Behandlungen ergaben, dass der Erstbeschwerdeführer am 29.10.2007 in Griechenland (Mytilini) bereits erkennungsdienstlich behandelt wurde.

 

Das Führen von Konsultationsverfahren mit Griechenland wurde den Beschwerdeführern bzw. dem gesetzlichen Vertreter am 24.07.2008 mitgeteilt.

 

Die griechischen Behörden antworteten zunächst auf das Aufnahmeersuchen vom 23.07.2008, die beiden Beschwerdeführer betreffend, welches sich auf Art. 10 Abs. 1 VO 343/2003 stützte, nicht.

 

Daher wurden die griechischen Behörden mit Schriftsatz vom 25.08.2008 darüber informiert, dass die österreichischen Behörden gem. Art. 18 Abs. 7 VO 343/2003 davon ausgingen, dass Griechenland dem Aufnahmeersuchen stattgebe.

 

Daraufhin erklärte sich Griechenland verspätet mit Antwortschreiben vom 03.09.2008 gem. Art. 10 Abs. 1 iVm Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO zur Aufnahme der Beschwerdeführer für zuständig.

 

Das Bundesasylamt hat mit Bescheiden vom 08.09.2008, Zl: 08 06.348, den Erstbeschwerdeführer betreffend und ZI: 08 06.350, den Zweitbeschwerdeführer betreffend, die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art. 18 Abs. 7 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Griechenland zuständig sei. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Griechenland zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesen Bescheiden Feststellungen zum griechischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern in Griechenland, zum Zugang zum Asylverfahren nach einer "Dublin Überstellung", die sich zum Teil auf das Ergebnis einer Fact Finding Mission der schwedischen Migrationsbehörde von April 2008 stützen, über den Schutz vor Refoulement sowie über Übergriffe durch die Polizei.

 

In ihrer Beweiswürdigung kommt die Erstbehörde zu dem Ergebnis, dass den Angaben des Erstbeschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe zu entnehmen waren, dass er bzw. sein mj. Sohn tatsächlich konkret Gefahr laufen würden, in Griechenland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihnen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte.

 

Gegen diese Bescheide wurde mit Schriftsatz vom 22.09.2008 fristgerecht Beschwerde eingebracht. Darin wird zunächst gerügt, dass die Erstbehörde hinsichtlich der allgemeinen Lage in Griechenland und des griechischen Asylverfahrens keine ausreichenden Ermittlungen getätigt hätte. Insbesondere sei nicht eruiert worden, wie sich das Asylverfahren in der Praxis gestaltet. Auch seien die Quellen teilweise veraltet. Das Bundesasylamt habe selbst Aussagen von UNHCR zitiert, wonach es weiterhin Schwierigkeiten in den Bereichen der Versorgung, Zugang zum Verfahren sowie Qualität der Asylverfahren in Griechenland gäbe. Für den Erstbeschwerdeführer als Analphabeten sei es noch schwieriger sich ohne ausreichende Beratung und Hilfestellung im Asylverfahren zurechtzufinden. Weiters habe es die Erstinstanz unterlassen, den Stand der Asylverfahren der Beschwerdeführer in Griechenland zu prüfen und zu eruieren, ob in dieser Hinsicht Gefahr einer Kettenabschiebung und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht. Auch seien keine ausreichenden Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer getroffen worden. Zudem befinde sich der Neffe des Erstbeschwerdeführers mit dessen Familie in Österreich. Dieser sei bereits österreichischer Staatsbürger und würde seit ca. zwei Wochen regelmäßiger Kontakt zu diesem Verwandten bestehen. In weiterer Folge enthalten die Beschwerdeschriften Stellungnahmen und Pressemitteilungen betreffend Griechenland von Pro Asyl, Amnesty International, UNHCR, Dradio.de und eine Anfragebeantwortung von ACCORD, die allesamt im Wesentlichen auf allgemeine schwere Mängel im griechischen Asylverfahren bzw. im Umgang mit Flüchtlingen in Griechenland hinweisen. Des Weiteren enthalten die Beschwerden Beschlüsse des VG Oldenburg und des VG Ansbach vom 23.07.2008 bzw. vom 22.07.2007 über die Aussetzung der Überstellung nach Griechenland. Die beiden Beschwerdeführer hätten aufgrund der Erlebnisse in der Heimat und in Griechenland psychische Probleme. Es ergäbe sich jedenfalls, dass es in Griechenland derzeit kein faires und effektives Asylverfahren gäbe und die Unterkunft und Versorgung von Asylwerbern nicht gewährleistet sei. Österreich hätte jedenfalls von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs 1 iVm Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO kraft Ersteinreise in die Europäischen Union sowie aufgrund nicht rechtzeitigen Einlangens der Aufnahmeerklärung Griechenlands besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Familiäre Bezüge in Österreich im Verfahren sind nicht hervorgekommen, ebenso wenig - schon aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer - schützenswerte Aspekte des Privatlebens wie beispielsweise eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer (vgl. VfGH 26.02.2007, ZI 1802, 1803/06-11).

 

Laut Ausführung in den Beschwerdeschriften, würde der Neffe des Erstbeschwerdeführers in Österreich leben und hätte dieser die österreichische Staatsbürgerschaft. Getroffen hätten sie sich vor ca. zwei Wochen im Zuge eines Begräbnisses. Dass zwischen den Verwandten vor diesem Treffen Kontakt bestanden hat bzw. dieses intensiv war, wurde zu keinem Zeitpunkt behauptet. Auch aufgrund der Formulierung "im Zuge eines Begräbnisses in Österreich getroffen" kann nicht davon ausgegangen werden, dass zuvor ein inniges Verhältnis bestanden hat, da andernfalls schon zuvor ein Treffen stattgefunden hätte. Von einer intensiv sozialen oder einer finanziellen Bindung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses kann daher im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Auch wurde eine derartige Abhängigkeit zu keinem Zeitpunkt von den Beschwerdeführern behauptet. Folglich würden die Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Griechenland in ihren durch Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleistetem Recht auf Achtung und Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden. Artikel 8 EMRK setzt das Bestehen einer Familie voraus und gelangt dann zur Anwendung, wenn im Zeitpunkt des Eingriffs ein reales Familienleben existiert. Ein solches Familienleben liegt nicht vor.

 

Kritik am griechischen Asylwesen/der Situation in Griechenland

 

Im vorliegenden Fall beschränkt sich das Vorbringen auf allgemeine Kritik an der Situation in Griechenland. Die Beschwerdeführer bzw. der gesetzliche Vertreter, haben dort unbestritten bei ihrem seinerzeitigen Aufenthalt keinen Asylantrag gestellt und haben sie auch die griechischen Behörden daher nicht ausdrücklich als Asylwerber um Unterstützung ersucht. Hinweise auf besondere individuelle Vulnerabilität sind ebenso nicht hervorgekommen. Zur Behauptung, mehrere deutsche und bulgarische betrunkene Männer hätten den mj. Zweitbeschwerdeführer angehalten, Geld von ihm gefordert und ihm Schläge angedroht, ist auszuführen, dass ein derartiger Übergriff in jedem Land möglich ist und die griechischen Behörden in solchen Situationen fähig und willig sind, Schutz zu bieten. Derartige Vorfälle erreichen nicht die Schwelle einer Verletzung des Art. 3 EMRK und ist eine Praxis systematischer Menschenrechtsverletzungen an Ausländern in Griechenland auch nicht notorisch.

 

Zur allgemeinen Kritik der Beschwerdeführer an Griechenland ist unbestritten, dass UNHCR das Absehen von Überstellungen empfohlen hat und einige Berichte von NGO's ernste Kritik an verschiedenen Aspekten des griechischen Asylverfahrens und des Umgangs mit Asylwerbern üben. Dies hat auch zur Aufhebung bestimmter Bescheide des BAA durch den UBAS bzw den Asylgerichtshof geführt, wenn sich diese Bescheide mit dieser Erkenntnislage nicht hinreichend auseinandergesetzt haben (siehe nur UBAS 05.05.2008, Zahl: 318.977-1/2E-XV/53/08), da jedenfalls bei bestimmten Vorbringen von einer Erschütterung der Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG auszugehen war.

 

Im vorliegenden Fall hat sich aber die Erstbehörde auf das Ergebnis einer Fact Finding Mission der schwedischen Asylbehörde aus April 2008 sowie auf andere aktuelle Quellen gestützt und sich detailliert damit auseinandergesetzt, der die Beschwerde nicht im Einzelnen substantiiert entgegentritt.

 

Zentral folgt daraus, dass bei Überstellungen nach der Dublin II VO ein tatsächlicher Zugang zum Asylverfahren besteht. Probleme des Zugangs zum Asylverfahren, wie sie sich etwa in anderen Berichten bei der Ersteinreise von Personen aus der Türkei nach Griechenland widerspiegeln, sind daher nicht relevant.

 

Zum jetzigen Zeitpunkt verbieten sich auch spekulative Erwägungen über den Ausgang eines Asylverfahrens und die Erfolgsaussichten der Beschwerdeführer, da im konkreten Fall ein Asylverfahren noch nicht begonnen wurde. Nichtsdestotrotz hat der Gerichtshof mitberücksichtigt, dass in keiner der Quellen des vorliegenden Verfahrens Fälle angeführt wurden, in denen Asylwerber tatsächlich in ihre Herkunftsländer aus Griechenland abgeschoben wurden. So hat der britische Court of Appeal in der zeitlich nach der Veröffentlichung der UNHCR-Position (und unter ausdrücklicher Auseinandersetzung mit derselbigen) ergangenen Berufungsentscheidung vom 14.05.2008 ([2008] EWCA Civ 464, Jawad NASSARI), in welcher eine Überstellung eines afghanischen Asylwerbers nach Griechenland im Einklang mit der im vorliegenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes vertretenen Rechtsauffassung, abgewiesen wurde, ausgeführt: (Punkte 40-41, per Lord Justice Laws: "There are clearly concerns about the conditions in which asylum-seekers may be detained in Greece. It is not however shown that they give rise to systemic violations of Article 3. As regards refoulement, Mr Nicol in a note dated 2 May 2008 submits that the earlier evidence taken together with the new UNHCR material shows "at the very least, a serious cause for concern as to whether the Greek authorities would onwardly remove the respondent to Afghanistan in breach of Article 3. I certainly accept that such evidence as there is, and in particular the recent UNHCR Paper, shows that the relevant legal procedures are to say the least shaky, although there has been some improvement. I have considered whether the right course would be to send the case back to the High Court for a fuller examination of the factual position. But in truth there are currently no deportations or removals to Afghanistan, Iraq, Iran, Somalia or Sudan, and as I understand it no reports of unlawful refoulement to any destination. That seems to me to be critical. I would accordingly hold, on the evidence before us, that as matters stand Greece's continued presence on the list does not offend the United Kingdom's Convention obligations. It follows that there is no case for a limited declaration of incompatibility relating only to Greece (...)"

 

Auch der von der Erstinstanz herangezogene Bericht des Schwedischen Migrationsamtes bestätigt, dass das reale Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Kettenabschiebung infolge Verstoßes gegen das Non-Refoulement Gebot nicht besteht. Dass gerade der Beschwerdeführer - bei dem Faktoren einer besonderen Vulnerabilität nicht bestehen - bei einer Rückkehr in eine aussichtslose Situation wegen Verweigerung der Unterbringung kommen würde, lässt sich aus der allgemeinen Berichtslage, bei aller Kritik an Einzelfällen, nicht ableiten.

 

Im Ergebnis hat die vorgenommene Prüfung somit nicht ergeben, dass allgemein Überstellungen nach Griechenland nicht vorgenommen werden dürfen. Dies entspricht der Rechtsansicht der Europäischen Kommission (vgl Pressemitteilung vom 09.04.2008), ebenso wie der zitierten englischen Judikatur. Explizit gegenteilige Judikatur ist zum Entscheidungszeitpunkt aus keinem Mitgliedstaat bekannt (die norwegische Position beinhaltet ja lediglich eine Aussetzung von Entscheidungen im Zusammenhang mit einer näheren Prüfung der Berichtslage). Jüngst hat Griechenland sein nationales Recht an die Bestimmungen der RL 2005/85/EG vom 01.12.2005 betreffend Mindeststandards für das Verfahren, mit dem die EU-Mitgliedstaaten den Flüchtlingsstatus zu- oder aberkennen ("Asylverfahrensrichtlinie") angepasst (Präsidialdekret Nr. 90 im Regierungsanzeiger vom 11.07.2008) sowie eine Versicherung abgegeben, Minderjährige im Asylverfahren gut zu behandeln (Schreiben der griechischen Behörde vom 11.07.2008 an alle Dublinstaaten). In Ermangelung sonstiger individueller Gründe und individuellen Vorbringens der Beschwerdeführer erweist sich daher in diesem Fall das von der Erstbehörde beigeschaffte Tatsachensubstrat als ausreichend und die individuelle Beweiswürdigung als zutreffend. Ein zwingender Grund zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts besteht daher in diesem Zusammenhang nicht.

 

Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Griechenland

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Griechenland nicht zulässig wäre, wenn durch den Überstellungsvorgang eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin diesfalls jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Griechenland sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EGMR ausreichenden medizinischen Grundversorgung ist zu bejahen. Da der Beschwerdeführer sowohl für sich als auch für seinen mj. Sohn im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen stets behauptet hat gesund zu sein, ist das Vorbringen innerhalb der Beschwerdeschriften, wonach die Beschwerdeführer beide psychische Probleme hätten, überdies auch nicht nachvollziehbar. "Ich bin nicht krank und ich nehme auch keine Medikamente ein. Ebenso mein Sohn ist auch ganz gesund (Seite 121 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)."

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Griechenland keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

Spruchpunkt II (des Bescheides des BAA):

 

Hinsichtlich der ausgesprochenen Ausweisung ist festzuhalten, dass das Bundesasylamt eine korrekte Überprüfung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen hat. Den Ausführungen zu Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides ist seitens des Asylgerichtshofes für den konkreten Fall somit zuzustimmen.

 

Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, Intensität, real risk, Rechtsschutzstandard
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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