TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/06 D4 261664-0/2008

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Veröffentlicht am 06.10.2008
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Spruch

D4 261664-0/2008/28E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Ulrike Scherz als Vorsitzende und den Richter Dr. Clemens Kuzminski als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Eva Pfleger über die Beschwerde des B.R., geb. 00.00.1968, StA. Russische Föderation (Tschetschenien), gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.05.2005, GZ. 04 06.796-BAS, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und B.R. gemäß § 7 AsylG idF BGBI 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 idF BGBI 126/2002 wird festgestellt, dass B.R. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Die Beschwerde führende Partei führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt wohnhaft in U., reiste am 06.04.2004 gemeinsam mit seiner Gattin und seinen fünf Kindern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag einen Asylantrag.

 

Vom Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, am 22.02.2005 im Beisein eines Dolmetschers der russischen Sprache einvernommen, wurde als Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes angegeben:

 

Er sei wegen der ständigen Unterdrückung der tschetschenischen Volksgruppe ausgereist. Die Russen hätten es ihm unmöglich gemacht weiterhin in Tschetschenien zu leben. Er sei im November 2001 von russischen Soldaten festgenommen worden und eine Woche angehalten worden. Seine Verwandten hätten ihn dann freikaufen können. Unter Dudaev, dessen Anhänger er gewesen sei, habe er Verletzte transportiert. Auch mit Medikamenten hätte er die Kämpfer unterstützt.

 

Als die Kampfhandlungen intensiver geworden seien und die Stadt mit Raketen beschossen worden sei, habe er seine Familie für drei Monate nach Inguschetien gebracht. Das sei 1999 gegen Ende des Jahres gewesen. Er selbst habe sich im Keller versteckt gehalten und gebetet, dass er seine Familie noch einmal wieder sehen dürfe. Es habe in der Zeit kein Brot gegeben und er habe tagsüber Holz gesammelt um nicht zu erfrieren. In Inguschetien seien jedoch ebenfalls Russen, die ihn getötet hätten, sodass er dort nicht habe bleiben können. Er habe sein Haus dreimal reparieren müssen. Ihm sei mitgeteilt worden, dass der Beschuss auf sein Haus eben passiert sei, weil es auf der Durchflugschneise gelegen sei.

 

Auch wegen seiner Religion sei es zu Übergriffen gekommen. In U. hätten die Russen innerhalb von zwei Monaten zwei Imame ermordet und dann behauptet, dass diese Kämpfer gewesen seien. Er wolle mit dem extremistischen Formen des Islams nichts zu tun haben. Er wolle nur, dass seine Kinder normal lernen und zur Schule gehen könnten.

 

Seinen Lebensunterhalt habe er in Tschetschenien durch verschiedene Gelegenheitsarbeiten, etwa auf Baustellen verdient. Er habe auch Kinder im Freikampf unterrichtet. Vor seiner Ausreise habe er das Handelsgewerbe ausgeübt, da es, abgesehen von einer Anstellung bei den russischen Behörden, keine geregelte Arbeit gebe. Die Reisepässe seien gegen Bezahlung von 300 US-Dollar pro Pass ausgestellt worden. Er sei mit seiner Familie Anfang 2002 ausgereist und über Naltschik, wo er sich für eineinhalb Monate aufgehalten habe, und Brest ausgereist. Für die Kontrollen hätte er dem Fahrer Geld gegeben. Es hätte aber in Minovody ein Problem mit den Fahrscheinen gegeben und nachdem der Schaffner gehört hatte, wie er mit seinem Sohn tschetschenisch gesprochen habe, hätte er sie aus dem Zug werfen wollen. Ein älterer Russe hätte jedoch wegen der vielen Kinder Mitleid mit ihnen gehabt und sie hätten die Fahrt so fortsetzen dürfen. Im Frühling 2002 hätte er einen Asylantrag in Polen gestellt, etwa im August 2003 sei er nach dessen Ablehnung weiter nach Tschechien geflohen.

 

Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.05.2005 wurde der Asylantrag abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht zu prüfen sei, da mit Bedacht auf die Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis zunächst das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative, welche klar gegeben sei, zu prüfen sei. In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass der Antrag auf Grund des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative abzuweisen gewesen sei.

 

Unter anderem wurde auch festgestellt, dass die Registrierung von Tschetschenen außerhalb von Tschetschenien oft erst nach Intervention von NRO's, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten bzw. dem Bezahlen von Bestechungsgeldern möglich gewesen sei. Die Lebensverhältnisse würden von den finanziellen Mitteln, der familiären Anbindungen, Ausbildung und Kenntnissen der russischen Sprache abhängen. Es gebe keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob Angehörige der tschetschenischen Volksgruppen bei einer Rückführung Repressionen ausgesetzt seien. Bei abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert hätten, sei davon auszugehen, dass diesen Personen von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werde.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu behandeln). Darin führte er aus, dass er wegen seiner Unterstützung der Rebellen durch Transport von Verwundeten, Beschaffung von Medikamenten, aber auch Waffentransporten um sein Leben fürchte. Er stehe auf einer schwarzen Liste der Behörden und es sei auch schon mehrmals nach ihm gefragt worden. Überdies fürchte er um sein Leben, da seine Kollegen, die so wie er Kinder im Freikampf unterrichtet hätten, verschwunden seien. Die Russen würden annehmen, dass er die Kinder im Sportunterricht im Kampf gegen die Russen ausgebildet hätte. Die Behörde erster Instanz hätte es unterlassen auf sein Vorbringen einzugehen und ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchzuführen. Das Bundesasylamt sei einfach unzulässiger Weise vom Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen und habe sein Vorbringen nicht gewürdigt, was einen schweren Verfahrensfehler darstelle. Es sei auch völlig unklar, wie die belangte Behörde zum Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangte. Der UBAS sei in zahlreichen, auszugsweise zierten Entscheidungen, in Übereinstimmung mit den Richtlinien des UNHCR nämlich davon ausgegangen, dass eine solche gerade nicht bestehe. Anschließend wurde ein textbausteinartiges Vorbringen zum Refoulement und zur Ausweisung erstattet.

 

Am 08.08.2005 übermittelte das Bundesasylamt den russischen Reisepasses des Antragstellers, welcher von diesem mit Unterstützung der Caritas von den polnischen Behörden angefordert worden war.

 

Die (damalige) Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, führte am 25.04.2006 einen "selbständigen Augenschein" durch. Dabei wurde durch Beiziehung einer Tschetschenisch-Dolmetscherin, sowie der länderkundlichen Sachverständigen Dr. L.L. erhoben, dass nach der genannten Sachverständigen keinerlei Zweifel daran bestehen, dass der Beschwerdeführer - wie von ihm angegeben - aus der Stadt U. in Tschetschenien stamme. Weiters wurde ein (generelles) Gutachten der genannten Sachverständigen gemeinsam mit Herrn Univ. Prof. Dr. H.G: H. zur Situation von tschetschenischen Vertriebenen in Russland "in das Verfahren eingeführt".

 

Die bereits erwähnten länderkundlichen Sachverständigen erstatteten ein zweites Gutachten zur innerstaatlichen Fluchtalternative in Tschetschenien, worauf das Bundesasylamt replizierte und die Sachverständigen eine schriftliche Stellungnahme abgaben und die Berufungsbehörde eine "einseitige Anhörung" mit Vertretern des Bundesasylamtes am 07.09.2006 durchführte.

 

Mit "Erkenntnis" des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.10.2006, ZI 261.664/19-II/04/06, wurde der "Beschwerde" des B.R. vom 31.5.2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.05.2005, ZI 04 06.796-BAS, stattgegeben und dem Genannten gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt, sowie gemäß § 12 leg. cit. festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Dieser Bescheid setzt sich vor allem mit den Einwendungen des Bundesasylamtes auseinander und gibt zusammenfassend einige Punkte des Sachverständigengutachtens wieder und kommt zu dem Schluss, dass eine zumutbare Zuflucht in einem anderen Teil Russlands dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung stehe.

 

Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Bundesminister für Inneres Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26.06.2006, ZI 2006/20/0655-7, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, dass die bereits im Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771, dargstellten gutachterlichen Äußerungen von einer asylrelevanten Verfolgung grundsätzlich alle Bewohner Tschetscheniens tschetschenischer Ethnie ausgehen, auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung jedoch nicht eingingen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Erkenntnis dargelegt habe, seien die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen.

 

Der Asylgerichtshof hat wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Zur Person des Beschwerdeführer wird festgestellt:

 

Die Beschwerde führende Partei ist russischer Staatsangehöriger, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt wohnhaft in U., reiste am 06.04.2006 mit seiner Familie illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am gleichen Tag einen Asylantrag.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 00.00.1968 im U. geboren, wo er zehn Jahre die Grundschule besuchte. Von 1986 bis 1988 leistete er seinen Militärdienst in Moskau ab. Am 00.00.2001 ehelichte er seine Gattin. Bis zu seiner Ausreise verdiente er sich seinen Unterhalt durch Gelegenheitsarbeiten. Er war unter anderem auch Sportlehrer und unterrichtete tschetschenische Schüler im Freikampf.

 

Er war Anhänger des früheren Präsidenten DUDAJEW und engagierte sich für die tschetschenische Sache, in dem er Rebellen durch den Transport von Verwundeten unterstützte und ihnen Medikamente lieferte.

 

1999 wurde sein Haus im Zuge mehrerer (russischer) Bombenangriffe teilweise zerstört, sodass er dieses dreimal in Stand setzen musste. Während er seine Familie für drei Monate im Jahr 2001 in Inguschetien in Sicherheit gebracht hatte, hielt er sich im Keller seines Hauses versteckt. Im November 2001 wurde er von russischen Truppen eine Woche festgehalten. Seine Verwandten konnten eine Freilassung gegen die Bezahlung von Lösegeld arrangieren.

 

Beweis wurde erhoben durch Einvernahme des Beschwerdeführer durch die Behörde erster Instanz am 22.02.2005, durch Abhaltung eines "selbständigen Augenscheines", sowie einer einseitiger Anhörung (des Bundesasylamtes) nach Einholung von Sachverständigengutachten und schließlich durch Vorlage eines nationalen Führerscheins, eines Reisepasses und einer Heiratsurkunde, sowie allgemeiner länderkundlicher Dokumente durch den Beschwerdeführer.

 

Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

 

Der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergebe sich aus den vom ihm vorgelegten und in ihrer Unbedenklichkeit auch nicht von der Behörde erster Instanz angezweifelten Personaldokumenten.

 

Seine Herkunft aus Tschetschenien, und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe ist aus dem "selbständigen Augenschein" der länderkundlichen Sachverständigen und insbesondere den Ausführungen der selbst aus Tschetschenien stammenden Tschetschenisch - Dolmetscherin, die nach den Erfahrungen der zuständigen Richter als sehr kompetent und seriös zu bezeichnen ist, abzuleiten.

 

Die Ausführungen des Antragstellers in der erstinstanzlichen Einvernahme sind hinreichend klar, konkret und widerspruchsfrei. Weiters stimmen die Ausführungen durchaus mit den Länderfeststellungen, aber insbesondere auch mit den Erfahrungen der zuständigen Richter der nunmehrigen Berufungsinstanz aus zahlreichen Berufungsverfahren betreffend Asylwerber tschetschenischer Ethnie überein.

 

Auch die Behörde erster Instanz bezweifelt in ihrer Beweiswürdigung das Vorbringen des Antragsstellers nicht. Vielmehr setzte sich mit diesem inhaltlich gar nicht auseinander, da die Behörde vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausging (dazu in der rechtlichen Würdigung).

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Berufungsinstanz von den Ausführungen des Antragstellers ausgeht und sie den personenbezogenen Sachverhaltsfeststellungen und damit der vorliegenden Entscheidung zu Grunde liegt.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 Abs 7 Z 3 AsylG 2005 sind Verfahren, welche am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und einem Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats zugeteilt waren, welches nicht als Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, von dem nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Gemäß § 61 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes, soweit nicht etwas anders in § 61 Abs 3 AsylG vorgesehen ist.

 

Durch die Behebung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.10.2006, ZI 621.664/19-II/04/06, mit Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0655-7, ist dieses Verfahren wiederum in das Stadium vor Erlassung des behobenen Berufungsbescheides zurückgetreten. Da das seinerzeit verfahrensführende Senatsmitglied nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde und es sich um ein Verfahren gegen einen abweisenden Bescheid handelt, ist dieses nunmehr nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Da der gegenständliche Asylantrag am 06.04.2004 gestellt wurde, ist er nach der Rechtslage des Asylgesetzes 1997 idF BGBI I 126/2002 unter Beachtung der Bezug habenden Übergangsbestimmungen zu führen.

 

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling i.S.d. AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).

 

Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus der Sicht des zuständigen Mitgliedes der Berufungsinstanz nicht von einer ganz pauschalen, generellen Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend an Hand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (zum Beispiel UBAS vom 24.01.20007, Zahl: 254.119/0-VIII/22/04, UBAS vom 27.01.2007, Zahl:

256.753/5E-VIII/22/05 u.a., siehe auch das im Gegenstand ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0665-7 und das diesem zu Grunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771).

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits mehrfach zitierten im vorigen Fall ergangenen Erkenntnis ausgeführt wird, ist im vorliegenden Fall insbesondere die vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung zu prüfen und einer Beurteilung zu unterziehen:

 

Der Beschwerdeführer hat glaubwürdig vorgebracht, von russischen (bwz. mit diesen verbündeten tschetschenischen) Organen verfolgt worden zu sein bzw. einer Verfolgungsgefahr zu unterliegen: wegen der offenbar nach außen zu Tage getretenen protschetschenischen Gesinnung des Beschwerdeführer, welche er durch Unterstützung der Rebellen durch Krankentransporte und Anlieferung von Medikamenten zum Ausdruck brachte, hat der Antragssteller im Falle seiner Rückkehr mit Verfolgung zu rechnen. Der Beschwerdeführer hat auch durch seine Tätigkeit als Lehrer für Freistilkämpfe von Schülern das Augenmerk der russischen Behörden auf sich gezogen, sodass insoweit eine weitere, höchst persönliche Verfolgungsgefahr besteht.

 

Es besteht somit ein hinreichender Zusammenhang zwischen der persönlichen Verfolgungsbehauptung des Beschwerdeführers und dem Tatbestand der politischen Gesinnung bzw. der unterstellten politischen Gesinnung. Darüber hinaus wurde das Haus des Beschwerdeführer mehrfach durch Bombenangriffe zerstört, sowie der Antragsteller im Zuge einer Säuberungsaktion verhaftet, wobei seine einwöchige Anhaltung wohl kaum ohne Misshandlungen von statten ging.

 

Wenn auch dem Bundesasylamt insofern zuzustimmen ist, dass kurzfristige Anhaltungen und Befragungen (zum Beispiel um Namen von aktiven Widerstandskämpfern zu erfahren), nicht für sich allein als asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen angesehen werden können, so ist doch festzuhalten, dass diese in Tschetschenien häufig von intensiven Misshandlungen, die von der Intensität her die Schwelle einer asylrelevanten Verfolgungshandlung ohne weiteres erreichen, begleitet werden und diese Eingriffe auch aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen, nämlich wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe (und allenfalls auch einer zumindest unterstellten "russlandfeindlichen politischen Gesinnung"), erfolgen. Während von tschetschenischer Seite die Unterstützung von bewaffneten tschetschenischen Kämpfern quasi als "patriotische Pflicht" angesehen wird, wird ein derartiges Verhalten von russischer Seite häufig schon als Unterstützung von Terroristen gewertet (siehe auch UBAS vom 16.01.2007, 256.724/0-VIII/22/05, UBAS vom 24.01.2007, ZI 254.119/0-VIII/22/04 ua.).

 

Wie in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung auch ausgeführt wurde, ist davon auszugehen, dass bei abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben, von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werde, wobei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann - und zwar sowohl wegen der individuellen Erfahrungen des Beschwerdeführers als auch der notorischen Situation in Tschetschenien - dass dies mit Eingriffen von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Beschwerdeführers einhergeht.

 

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass der Berufungswerber mehrmals ins Blickfeld der jeweiligen Machthaber in Tschetschenien geraten ist. Dieser Umstand ist vor dem Hintergrund der derzeitigen Verhältnisse in Tschetschenien nicht ungefährlich und kann jederzeit zu neuen Übergriffen gegen den Berufungswerber führen. Diese Gefahr besteht nicht zuletzt aus religiösen Gründen und Gründen der Nationalität. Im Gegensatz zur Ansicht des Bundesasylamts vertritt der unabhängige Bundesasylsenat in der überwiegenden Mehrheit seiner Entscheidungen die Auffassung, dass für Berufungswerber, die aus Tschetschenien stammen, eine innerstaatliche Fluchtalternative mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben ist (s zB UBAS 17. 11. 2006, 239.667/0-IX/27/03; 14. 11. 2006, 254.558/F1-V/14/04; 15. 11. 2006, 257.707/5-XVIII/59/06; 8. 11. 2006, 303.633-C1/E1-XV/53/06 uva).

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass - im Sinne des oben zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes - zahlreiche individuelle Gründe vorliegen, welche in Summe dafür sprechen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Tschetschenien Eingriffen von hoher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre (Leben, Gesundheit, Freiheit) bedroht wäre, und zwar aus in seiner Person gelegenen Gründen, welche in Zusammenhang mit den in der GFK genannten Verfolgungsgründen (Nationalität, insbesondere aber auch politische Gesinnung) stehen.

 

Wie in den erstinstanzlichen Feststellungen ebenfalls festgehalten, haben insbesondere (aber nicht nur) Tschetschenen besondere Schwierigkeiten, sich außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. Bei dem Beschwerdeführer sind keine Umstände dafür im Verfahren hervorgekommen, dass er über ein Netz von Verwandten und Freunden außerhalb der tschetschenischen Republik verfügen würde oder auch selbst dort länger gelebt hat (vielmehr ist die Dolmetscherin und die Sachverständige von einem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Tschetschenien [bis zur Flucht]) ausgegangen. Es liegen somit aus der Sicht der Berufungsinstanz keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer inländischen Schutzalternative vor, wie dies im Übrigen von UNHCR bei Tschetschenien generell verneint wird (Joe Hegenauer, Tschetschenien Workshop von ACCORD am 18.10.2007).

 

Dem Beschwerdeführer war daher unter besonderer Berücksichtigung seiner individuellen Gründe Folge zu geben und dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren.

Schlagworte
politische Gesinnung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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